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Zweimal Sexx beim Laufen in Straberg

Zweimal Sexx beim Laufen in Straberg

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Ich stand wieder einmal vor einer dieser Schicksalsfragen:
- Sollte ich 4 km einlaufen, Halbmarathon schnell, 10 km auslaufen?
- Oder doch besser 2 einlaufen, dann Zehner, Halbmarathon und 2 auslaufen? (Was nach Adam Riese jeweils 35 ergibt.)
DAS sind Fragen, die die Welt bewegen! Was ist dagegen die Ungewissheit, ob es einer kessen, sympathischen Abiturientin gelingt, das Selbstbewusstsein einer musikalisch dahindümpelnden Nation endlich einmal aufzurichten?

Auslöser für die Überlegungen oben war das Anstehen eines Marathons demnächst, die Notwendigkeit eines langen Laufes dafür und die Unlust, für diesen allein in der Gegend herumzurennen. Im Wettkampf wird’s zwar immer schneller als im Training, aber ich stimme mit DerC überein, dass schnelles Laufen auch bei langen Läufen einen positiven Trainingseffekt hat.

Entschieden habe ich mich schließlich für die zweite Alternative, und zwar aus 2 gewichtigen Gründen. Erstens ist es reichlich quälend, nach einem voll gelaufenen HM noch mal 10 km dranzuhängen, und zweitens und entscheidend wollte ich mir den Ärger mit meiner Frau ersparen, denn die erste Alternative würde mich ziemlich lange am Samstagabend von zuhause fernhalten.

Der Zehner

Also stand ich um 16 Uhr ordentlich angezogen – im Vereinstrikot und mit Stirnband – an der Startlinie des kleinen, familiären Volkslaufes in Dormagen-Straberg und setzte mich mit selbst gewählter Vorgabe von ca. 42 min in Bewegung. Es war sonnig, es war warm und deutlich freundlicher als die Vorhersagen zuvor. Das war angenehm in den schattigen Waldstücken und einen Tick zu warm in den schattenlosen Sonnenteilen. Ich lief zügig, aber nicht zu schnell und kontrollierte von Zeit zu Zeit mein Tempo. Etwas mulmig war mir schon zumute, denn ich wusste, dass ich die gleiche Runde anschließend noch zweimal laufen würde. (Zehner und Halbmarathon führen über die gleiche, ca. 10,5 km lange Runde, und durch Versatz der Startposition wird die amtlich vermessene Länge erzielt.) Mit 20:47 min für die 5-er Durchgangszeit passte mein Tempo fast perfekt.

Immer wenn die Hälfte einer Strecke „im Sack ist“, ist der Anreiz, noch mal zuzulegen, groß. Das war auch diesmal so, und so ließ ich es vor allem die letzten 2 km noch mal so richtig krachen, lief mit 40:48 min durchs Ziel und wurde damit gar noch Sechster des Gesamtfeldes. Gut, das Feld war auch nicht ganz so groß.

Zwischen den Läufen

Eine gute halbe Stunde hatte ich nun Zeit bis zum Start des Halbmarathons. Da es wie gesagt etwas wärmer war, war Auffüllen der Flüssigkeitsdepots angesagt. Das Frühstück lag auch schon einige Zeit zurück, und so hatte ich mir überlegt, dass ein bisschen Energie vor der nächsten Anstrengung nicht schaden könnte. Da ich das Flüssigkeitsgeblubber im Bauch weder mit einer fetten Bratwurst noch mit staubigem Kuchen verheiraten wollte, hatte ich mir ausnahmsweise ein Gel mitgenommen. Das war zwar noch vom letzten Hunderter übrig geblieben, also mindestens 3 Jahre alt, aber diese süße Matschpampe dürfte wohl ewig halten.

Eigentlich bin ich überhaupt kein Freund dieser Gelulitis und immer leicht gelangweilt, wenn ich lese, welche gelehrten Gedanken sich viele über Anzahl, richtigen Verzehrzeitpunkt, Beimengung der richtigen Flüssigkeitsart und –menge usw. machen. Als wenn ein gelaufenes Ergebnis vom gelungenen Essen abhinge! – – – Andererseits muss ich gestehen, dass ich diese moderne Welt manchmal sowieso nicht mehr verstehe: Früher zum Beispiel wurden einfach nur Feten gefeiert. Da ging die Post ab, am nächsten Tag wachte man mit dickem Kopf auf - manchmal jedenfalls - und später war die Welt wieder in Ordnung.

Heutzutage wird ja alles verwissenschaftlicht, und man braucht fürs Feiern die Hilfe studierter Leute. Naja, jedenfalls scheint der Job seinen Mann gut zu ernähren, immerhin kann der sich eine Riesenanzeige im ISS Dome in Düsseldorf leisten. Da waren wir nämlich am Freitag gewesen, hatten ein Konzert mit Eric Clapton und Steve Winwood erlebt(da geht auch heut noch die Post ab, kein Sprechgestammel-Rumgehampel wie der Einheitsbrei heute), und mir war der riesengroße Schriftzug so eines Feierhelfers aufgefallen, der sich als „Partyloge ab 10 Personen“ anpries. Diese Werbeanzeige wird wohl ne ganze Stange Geld gekostet haben in ner Halle für etliche 1000 Leute. Also, interessieren tät es mich ja schon: zu wissen, wie lange so ein Studium der Partylogie denn dauert. Aber zurück zum Gel: einverleibt mit einigen weiteren Bechern Wasser, kam ich mir etwas wie der Wolf mit seinen Wackersteinen im Bauch vor.

Der Halbmarathon

Ich begab mich zum Startpunkt. Dort sah ich ein bekanntes Gesicht, das sich als der schnelle HaDi aus dem Forum entpuppte (also nicht nur das Gesicht, sondern mit allem, was sonst noch dazu gehört). Der sprintete mit einigen anderen denn auch los wie von der Tarantel gestochen. Gut, er hatte auch anderes vor als ich mit meinem Langer-Lauf-Ersatz-Wettkampf.

Ich trabte an und fühlte mich auf den ersten Metern wie eine Mischung aus Wolf-mit-Wackersteinen und rostigem Automotor, der nach Stillstand knarrend unrund läuft. Mir fehlte auch das Gefühl fürs Tempo: Ich wusste nicht, ob ich schnell oder langsam unterwegs war. Für den HM hatte ich an eine Zeit von 1:30 h gedacht, gerne auch etwas drunter. Die Kontrolle nach dem ersten km ergab 4:10 min/km. Das war nicht so schlecht. Die Schmierung des Motors pegelte sich langsam ein, und mein Lauf wurde runder.

Nach 5 km schaute ich erneut auf die Uhr und stellte fest, dass ich bei nunmehr 21,5 min leicht über meiner Wunschzeit lag. Und nun passierte – rummsbumms- etwas Irrationales, wenngleich nicht gänzlich Ungewohntes. Die Läufe machte ich ja als schneller langer Lauf. Eigentlich wäre es völlig normal gewesen, in dem jetzigen Tempo weiterzulaufen und eben mit 1:31 oder 1:32 ins Ziel zu kommen. Stattdessen setzte der Mechanismus „Wunschzeit = Zielzeit = Ist an Soll angleichen“ ein, und ich wurde schneller. Nach 10 km hatte ich das Defizit aufgeholt, und weil ich nun mal im (schnelleren) Trott war, lief ich in dem Tempo weiter.

Bald hatte ich zu einer Vierergruppe aufgeschlossen und ging vorbei, als sich der führende Läufer dran hängte. Gut, warum nicht! 3 km hetzten wir uns, dann kam ein ziemlich holpriger Feldweg, der nicht einfach zu laufen ist, und ich überlegte, ob ich weiter Tempo machen oder nicht lieber etwas herausnehmen sollte. Schließlich hatte ich insgesamt schon 24 schnellere km in den Beinen und 7 warteten noch darauf, bewältigt zu werden. Auch kenne ich so ein komisches Phänomen bei mir: An manchen Tagen kann ich gut im Pulk laufen, und das gemeinsame Laufen treibt an und hilft. An anderen Tagen wiederum mag ich es nicht und laufe lieber mein eigenes Rennen. Heute war so ein „anderer“ Tag. Das alles ging mir durch den Kopf, und ich war justamente kurz davor, meinen Begleiter ziehen zu lassen, als ich vernahm, dass die Schritte hinter mir leiser wurden, bis sie schließlich ganz verstummten. Alles klar, das Tempo blieb!

Ich lief zwar angestrengt, aber wieder allein und ohne Ablenkung fiel es mir merklich leichter. Einen weiteren Läufer konnte ich noch überholen und war froh, als ich ins Stadion und schließlich mit 1:27:40 h durchs Ziel lief.

Nach den Läufen

Die wiederum schnellere zweite Hälfte hatte mir auch in diesem Lauf einen sechsten Gesamtplatz beschert. Als er erfuhr, dass ich in beiden Läufen Platz 6 belegt hatte, verführte das einen Vereinskollegen zu der lästerlichen Bemerkung: „Na, woran hast du denn wieder gedacht?“ und mich in der Folge zu der Überschrift dieses Berichtes.

HaDi lag übrigens „nur“ 2 Plätze vor mir. Allerdings bliebe dieser Beitrag unvollständig, unterschlüge er, dass zwischen diesen 2 Plätzen ganze 8 Minuten liegen, was für ihn die zweitbeste Zeit ever run bedeutet. Im nächsten Jahr und nach AK-Wechsel wird somit ein regelrechter Pokalhagel auf ihn niederprasseln.

Bereits beim Start des Halbmarathons war mir ein weiterer Läufer aufgefallen, den ich zu kennen glaubte. Nach dem Lauf sah ich ihn erneut und sprach ihn an. Und richtig, es war einer, mit dem ich mir vor etlichen Jahren so manchen spannenden Zweikampf geliefert hatte, gerade auch am Ort des heutigen Geschehens. Die Gesichtszüge hatten die Erinnerung zwar angestoßen, die gewachsene Körperfülle aber zunächst als Erkennungshemmer gewirkt. Das ist jedenfalls ein ganz lieber Kerl, und wir unterhielten uns noch etwas.

Seit einigen Tagen geht mir der “Song for Sophie“ als Ohrwurm im Kopf herum. Während des Laufes war ich verschont geblieben, durch das Gespräch war der Ohrwurm wieder drin. Mein Laufkollege rief zwar keine Assoziation an eine „feather in the air“ hervor, eher schon an ein aufgeschütteltes Federkissen, aber als er mir erzählte, er sei die letzten 2 Jahre gar nicht gelaufen und habe gerade wieder angefangen, summte es in meinem Kopf „I hope he runs, I hope he runs…“

Noch so’n büschen später

Einen Tag später fanden die Westdeutschen Halbmarathonmeisterschaften im Rahmen des Duisburger Rhein-Ruhr-Marathons statt. (Der Termin war irgendwie an mir vorbei gegangen, hatte noch freundlich gegrüßt und war dann mal weg. :zwinker5: ) Ich hoffe, man zeiht mich nicht der Unbescheidenheit, wenn ich vermerke dass die HM-Zeit von Straberg immerhin zum Vizemeistertitel in meiner Altersklasse gereicht hätte. Zugegeben, die Gesamtplatzierung wäre schlechter gewesen. :D
Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Wie immer ein richtig flott und unterhaltsam geschriebener Bericht - Vielen Dank, lieber Bernd, für die Aufheiterung am Morgen! :daumen: Und natürlich herzlichen Glückwunsch zu zwei flotten Läufen mit zwei prima Plazierungen! :daumen:

Alle Assoziationen, die mit der Dauer der beschriebenen Aktivitäten, "Leistungs"bewertungen angesichts deines Alters etc. zu tun haben, verkneife ich mir mal lieber ... :D

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Ja ja, sexx sells :D ....
Renn-Schnecke

... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...

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Hallo Bernd,

ebenso flüssig geschrieben wie du offenbar gelaufen bist! Bei solchen Zeiten kann ich nur ehrfürchtig staunen. Glückwunsch zu dem ungewöhnlichen langen Lauf den den beiden Plazierungen!

Walter
You can only fail if you give up too soon

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Lieber Bernd,
hochinteressanter Bericht zu dem es eine Menge Zustimmendes zu erzählen gäbe, was ich mir aber verkneife. Nur eines: Richtig, das pseudowissenschaftliche Gesch..., das um Gel, Iso & Co. gemacht wird, ist ätzend. Das ging früher ohne (da haben die Leute nicht einmal WASSER während des Marathons getrunken, es gab schlicht NICHTS) und es ginge auch heute ebenso (wobei Wasser schon sinnvoll ist). Aber damit läßt sich halt Geld verdienen und wenn uns die Industrie lange genug einpaukt, daß wir es benötigen, werden wir es auch kaufen.
Gut gelaufen und geschrieben!
Wolfgang
Ubi marathon, ibi bene (frei übersetzt: wo es einen Marathon gibt, geht's Dir gut!)
Meine private Laufseite: http://www.spass-am-laufen.de :welcome:

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kobold hat geschrieben:Vielen Dank, lieber Bernd, für die Aufheiterung am Morgen!
Danke, Anne, für das schöne Kompliment!
Renn-Schnecke hat geschrieben:Ja ja, sexx sells :D ....
Na klar doch, daher wird die Story auch verfilmt: mit Dolly Buster in einer Doppelrolle als Zwillingspaar Miki und Mocki, George Clooney als Stadionsprecher und Till Schweiger als Toilettenfrau, da geht dann erst richtig die Post ab, da meinste, hier boxt der Papst! :D
viermaerker hat geschrieben:Glückwunsch zu dem ungewöhnlichen langen Lauf den den beiden Plazierungen!
Auch dir, Walter, vielen Dank, und noch viele lange Läufe!
Bräpe Wulf hat geschrieben:Das ging früher ohne (da haben die Leute nicht einmal WASSER während des Marathons getrunken, es gab schlicht NICHTS)
Hach früher! Da sind wir noch in durchgetretenen Militärstiefeln und zerfetzten Armeemänteln gerannt, aber heutzutage... :D Spaß beiseite! Es gibt ja ganz angenehme Errungenschaften, die ich auch gerne nutze: GPS-Distanzmessung, Funktionssachen etc. Das Problematische ist nur, wenn da ein Mords-Hype draus gemacht wird, und der Neuanfänger den Eindruck gewinnen muss, das sei alles notwendig und ohne dies wäre Laufen fast unmöglich.

Bernd
Das Remake
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Also ich musste mir das ja erst 4 Mal durchlesen und dann noch aufzeichnen, bis ich kapiert habe, was du da wirklich angestellt hast. Aber dann ist mir ehrlich der Kinnladen runtergeklappt vor lauter Ehrfurcht.
Herzliche Gratulation für diese Wahnsinnleistung und danke für den amüsanten Bericht.
Grüsse, Marianne

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VeloC hat geschrieben:Echt schade, dass du in DU nicht am Start warst.
Ja, das habe ich hinterher auch gedacht. Und weißt du, woher ich überhaupt die Info über die Westdeutsche hatte? Aus deinem Bericht! Da war es dann aber schon zu spät. Gratulation auch noch mal zur tollen Zeit und der mentalen Stärke! Wenn es einem am Ende wirklich dreckig geht, weiß man jedenfalls, dass man alles gegeben hat!

VeloC hat geschrieben: Ohne 10er vorweg hättest du Kerstins Papa auch noch abgehängt! :daumen:
Kerstin? Who the fuck is Kerstin?
SchweizerTrinchen hat geschrieben: Herzliche Gratulation für diese Wahnsinnleistung und danke für den amüsanten Bericht.
Danke für die Blumen! So macht das Berichten auch Freude! (Es heißt zwar, Applaus sei das Brot des Künstlers. Aber der kleine Berichteschreiber isst dieses Brot doch auch ganz gern.)

Bernd
Das Remake
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