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Der Eunuchenlauf

Der Eunuchenlauf

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Ich betastete mich. Nichts! Erneut und mit stärkerem Druck ließ ich meine Hände dort kreisen, wo ich meinen Hintern vermutete. Wieder nichts! Da war mir endgültig klar: Ich hatte mir den Arsch abgefroren. Kein Wunder bei dieser Kälte, 3 – 4°, dazu eisiger Wind. Mir ging der Gedanke durch den Kopf, dass mich zukünftig jede Äußerung der Art: „Das geht mir total am Arsch vorbei“ Lügen strafen würde, denn wo nichts ist, kann logischerweise auch nichts vorbei gehen. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Ich hatte mich in mein Refugium, das Auto, zurück gezogen, um der klirrenden Kälte zu entgehen, und falls nun jemand denkt: „Mein Gott, was sind 3 – 4°? So ein Weichei!“, dann entgegne ich: Ja, ich bin ein Weichei, jedenfalls, was Kälte anbelangt.

20 Minuten vor Start dachte ich, es sei eine gute Idee, den Forerunner einzuschalten und mich wenigstens etwas einzulaufen. „Batterie schwach“, zeigte die Anzeige. „Hach“, sagte ich, „dummes Ding, du! Mich foppst du nicht.“ Denn gestern noch hatte ich einer innigen Vereinigung der Uhr mit ihrer Ladestation beigewohnt, und eine solche Äußerung hatte sie schon des öfteren von sich gegeben, um dann doch treu und brav die Läufe aufzuzeichnen. Hatte ich sie soeben zu heftig angefahren? Jedenfalls sagte sie nichts mehr und ging einfach aus. Auch zweimaliges Einschalten änderte daran nichts (womit erneut zweifelsfrei bewiesen wäre, dass die GPS-Uhr weiblichen Geschlechts ist, denn würde ein männlicher Uhr dermaßen eingeschnappt sein?).

Nun gut, musste ich eben ohne Uhr laufen. Kein Problem, die Streckenlänge von 7,14 km war mir ja bekannt. Kleiner Einschub: Ich habe eine Erkältung gerade so überstanden, wollte aber vor dem Abflug in die südliche Wärme noch ein kleines Läufchen machen, und da schien mir diese Länge gerade richtig. Wie ich noch bibbernd, aber ansonsten entspannt darüber nachdachte, drang nach und nach das ganze Ausmaß der Katastrophe in mein Bewusstsein. Ich hatte ja keine andere Uhr dabei. Wie sollte ich nun die beim Ein- und Auslaufen zurück gelegte Streckenlänge ermitteln? Ich führe nun mal exakt Buch über meine gelaufenen Kilometer. Schrecklich! Ich beschloss, aufs Auslaufen zu verzichten, ein wenig hin- und her zu traben und die Gesamtlänge auf 8 km aufzurunden.

Schweren Herzens und meinen Hang zur Exaktheit unterdrückend, machte ich es dann auch so. Dabei bemerkte ich einen sich ständig leicht verändernden Schatten in meiner Nähe, bis ich schließlich herausfand, dass es ein Gedanke war, der mich beschlich. Bin ich etwa schon abhängig? Komme ich allein, ohne das von der Forerunnerin vermittelte Genauigkeitsgefühl nicht mehr klar? Was werden die weiteren Symptome sein? Ich nahm mir fest vor, demnächst ein Treffen der Anonymen Garminiten zu besuchen.

Leicht schlotternd und in Teilen tiefgefroren stand ich mit geschätzt so zwischen 50 und 80 Leidensgenossen und Leidensgenossinnen am Start. Es war ein erhabenes Gefühl zu sehen und zu hören, wie alle, ALLE bis auf EINEN, ihre Uhren drückten, als der Lauf gestartet wurde. Plötzlich fühlte ich mich richtig „cool“, so ganz ohne Uhr (das körperliche Gefühl dagegen war „ice cold“). Genau genommen hatte ich es Marius Müller-Westernhagen zu verdanken, dass ich hier überhaupt ins Rennen ging. Gestern hatten wir das Konzert in Köln besucht, und nachdem der Pfefferminzprinz mehrfach betont hatte, nur des tollen Publikums wegen trotz Erkältung auf der Bühne zu stehen und sein Bestes zu geben, dachte ich mir: „Wenn der das kann, obwohl er mit seinen 61 Jahren 2 Jahre älter ist als du, dann wirst du Weichei doch nach überwunderer Erkältung wenigstens was Kurzes laufen können.“

Zeitmäßig hatte ich zurück stecken wollen und mit irgendwas um die 30 Minuten herum geliebäugelt. „No watch, no orientation“, also konnte ich nur locker und nicht zu schnell anlaufen. Dennoch sah ich mich unter den ersten Zehn, und nachdem die Anfangseuphorie sich gelegt hatte, gar unter den ersten Sechs. Zu schnell konnte ich eigentlich nicht laufen, denn mit kürzeren Schritten und ohne Hast hatte ich ein richtig gutes Laufgefühl. Vielleicht sollte ich hier erwähnen, dass es sich um den Waldlauf in Hambach handelt, der auf breiteren Waldwegen in einem aufgeforsteten Tagebaugebiet stattfindet.

Der Kurs ähnelt einer Acht, denn vom Start ausgehend, wird eine 2 km-Schleife gelaufen, wieder am Start vorbei folgt dann in anderer Richtung eine 5 km-Schleife. Mir war kalt, d. h. nicht überall, sondern an den Füßen und an den Händen, ein anderer Körperteil fehlte ja bereits. Sehnsüchtig dachte ich an Handschuhe, ballte die ganze Zeit die Hände zu Fäusten und versuchte, die Ärmel des Unterhemdes, das ich glücklicherweise mitgenommen hatte, etwas über die Finger zu ziehen. Ich lief mit Kurztight, den Beinen machte das nichts, aber meine Füße waren wie Eisklumpen. Ich bewegte während des Laufes meine Zehen, das ging auch, aber ich spürte sie nicht, vor allem den Fuß selbst nicht. Ohne Flachs: Erst nach etwa 5 km fingen sie an aufzutauen. Hier noch ein Tipp für Plantarsehnengeschädigte (meine muckt ja auch etwas herum): Mit vereistem Fuß spürt man davon gar nichts!

Als wir nach 2 km wieder am Start vorbei waren, ich nahm mittlerweile Position 5 ein, merkte ich, dass sich der Abstand zu den zwei Läufern vor mir verringerte (genau genommen waren es ein Läufer und eine Läuferin), und kurze Zeit später fand ich mich an 3. Stelle liegend wieder. Das war’s dann auch. Von hinten drohte keine Gefahr (ich hätte aber auch noch gut was entgegen zu setzen gehabt), und der Zweite war entfleucht, der Erste sowieso. Also schaute ich, das Ding nach Hause zu schaukeln, und hatte das Gefühl, zum Ende hin eher noch etwas schneller zu werden. Die Endzeit von 28:45 min ist nicht berauschend, für einen Gesamtdritten sowieso nicht, aber das Feld war heute auch nicht sonderlich stark besetzt. Letztes Jahr bin ich die doppelte Strecke fast in gleicher Geschwindigkeit gelaufen. Immerhin hat die Serie gehalten, und mit der „30“ ist eine neue runde Zahl erreicht.

Gegen die Kälte trank ich einige warme Teebecher und machte mich nach der Siegerehrung auf den Rückweg. Ich musste noch tanken, verspürte bei der Fahrt dorthin allmählich ein Flüssigkeitsabgabebedürfnis (profaner: ich musste pinkeln), aber die Tankstelle hatte kein Klo. Mein Flüssigkeitsabgabebedürfnis wuchs krebsartig, also heftig; leider hatte ich im Auto keinen Internetzugriff, um nach Erlebnisberichten zu Ablauf und Folgewirkungen geplatzter Blasen zu googlen. Um nicht den Verlust weiterer Körperteile mit ungeahnten Folgen zu riskieren (wer weiß, was so ein Platzen alles mit sich reißt) und möglicherweise als halbe Portion anzukommen, legte ich einen Stopp ein. Das war auch besser so!

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Hallo Bernd,

wahrscheinlich hat sich der FR auch den Ars.... abgefroren :D , dann ist geteiltes Leid halbes Leid. Das schweißt zusammen und beim nächsten Mal geht er wieder :zwinker2:
Schöner Bericht und Glückwunsch zum dritten Platz.

Achim
Man muß das Unmögliche so lange anschauen,
bis es eine leichte Angelegenheit ist.
Das Wunder ist eine Frage des Trainings.

Carl Einstein

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:daumen:

Das muss ja das ultimative Ziel eines Läufers sein: das ein Lauf nach einem selber benannt wird - du hast es geschafft, Glückwunsch Burny!

gruss hennes

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So lange nur der A### und nicht die gegenüber liegende Anatomie abfriert ... :teufel: Aber wenn der Lauf "Eunuchenlauf" heißt, hast du wohl nicht die ganze Geschichte erzählt ... :hihi:

Ich teile ja Achims These, dass Herr Garmin auch ein Weichei ist und bei Kälte nicht anzeigen mag. Beim nächten Mal wird's wieder! :nick:

Vielen Dank für eine unterhaltsame Nachmittagslektüre und Glückwunsch zu No 30! :daumen:

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Glückwunsch zum Podiumsplatz, Bernd!

Meine Polar ist übrigens noch nie erfroren.... :D

....und diverse Körperteile auch nicht.... :D , schon gar nicht bei 3-4°!

Walter
You can only fail if you give up too soon

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@ viermaerker

Polarbenutzer sind eben richtige Männer. Siehe Siegfried. :D


Achso, wenn das fehlen des forerunners zum Eunuchendasein führt..... einfach mal googlen was so passieren kann beim Herr und Meisterspiel. :party:

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Du hast ja ein eföhrliches Läuferleben!!

Grüße

Jörg
Neue Laufabenteuer im Blog

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Interessant, du hast also eine Forerunnerin. Das find ich spannend. Mein FR ist ganz klar ein ER.
Aber auch ER hatte gestern keine Lust mehr, irgendwann mal. Genau wie mir erging es ihm wohl. Hintern abgefroren, müde, schwere Beine, keine Lust. Daher brummte und piepte er dann plötzlich und erklärte trocken "Akku leer - enter".
Ich hab mich noch gewundert, wieso der FR plötzlich so gut Bescheid weiss über meinen Zustand. Nach 2 Minuten brummte und piepste er wieder. Insistierend ( (huch, so ein Gefühlausbruch kenn ich ja gar nicht bei ihm). Ich drückte dann "enter". Daraufhin machte es ploing und dann hatte er fertig. Ich auch. Den restlichen Kilometer bin ich dann nach Hause gegangen.

Du hasts eindeutig besser gemacht. Gratuliere zum Podestplatz und danke für den Bericht, der mir doch ein paar Lacher entlockt hat.

Viele Grüsse, Marianne

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Mit tiefer Glückseligkeit stelle ich fest, dass ich nicht der einzige Frostköttel bin :daumen:

Glückwunsch zum Podiumsplatz!

Olli
:geil: Helden werden bei Sturm am Strand gemacht! :geil:


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:daumen: Du hast nicht nur wahnsinnige läuferische Fähigkeiten,
auch Dein Schreibstil ist super!
Du könntest Dir mal überlegen einen Roman, bzw. eine Biographie zu schreiben.
Ich könnte mir vorstellen, dass das nicht nur Läufer lesen würden.

Ansonsten ... ... was ist eigentlich eine Uhr :confused: ... bin immer noch ohne unterwegs.
Ich glaub, bei mir ists grad andersrum - ich wäre zutiefst irritiert und desorientiert,
wenn ich plötzlich auf meinen Puls und Zwischenzeiten schauen würde :zwinker4: .
Mir reicht die Anfangs- und Endzeit zur Kontrolle voll aus.

Mit der Leistung bin ich trotzdem zufrieden. In letzter Zeit hab ich noch einen
deutlichen Entwicklungsschub erlebt.
Ich hoff nur, dass mich in Frankfurt nicht dieser hier kriegt (aber das kann, denke ich,
mit und ohne Uhr passieren):

http://2.bp.blogspot.com/_0RgN-vL-Lmw/S ... ermann.jpg

Und dann hoffe ich, dass mir nicht meine Schwäche, das Autofahren, noch ne Rechnung durch den Strich :zwinker4: macht. Aus der wahrscheinlichen Mitfahrgelegenheit wurde jetzt leider doch nix. Und bei der Bahn drohen Streiks ... Naja, ich hör mich weiter um - irgendwie stehe ich am 31. um 10:00 Uhr am Start :nick:
Viele Grüße

Jürgen

"... its aint over till
it's over ..."
"... es ist nicht vorbei,
bevor es vorbei ist ..."

-Zitat: Rocky Balboa- :wink:

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Deine Berichte sind immer wieder der Brüller !!! Ich hab' mich echt weggeschmissen !!! Superklasse Bericht ... wie immer !!! Ich freu' mich schon auf den Nächsten !!!!

Viele Grüße
Andrea

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burny hat geschrieben:Mein Flüssigkeitsabgabebedürfnis wuchs krebsartig, also heftig; leider hatte ich im Auto keinen Internetzugriff, um nach Erlebnisberichten zu Ablauf und Folgewirkungen geplatzter Blasen zu googlen. Um nicht den Verlust weiterer Körperteile mit ungeahnten Folgen zu riskieren (wer weiß, was so ein Platzen alles mit sich reißt) und möglicherweise als halbe Portion anzukommen, legte ich einen Stopp ein. Das war auch besser so!

Bernd
Allerdings: der Hofastronom Tycho Brahe starb an einer geplatzten Blase :frown:
Tycho Brahe ? Wikipedia

Glückwunsch zum dritten Platz! :daumen:

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So, da bin ich wieder, nach 2 schönen warmen Wochen. :winken: Danke für all die netten Kommentare! Über alle freue ich mich, auch wenn ich im Folgenden nur einige davon nochmal aufgreife.
acaffi hat geschrieben: wahrscheinlich hat sich der FR auch den Ars.... abgefroren
kobold hat geschrieben: Ich teile ja Achims These, dass Herr Garmin auch ein Weichei ist und bei Kälte nicht anzeigen mag.
SchweizerTrinchen hat geschrieben:Genau wie mir erging es ihm wohl. Hintern abgefroren, müde, schwere Beine, keine Lust. Daher brummte und piepte er dann plötzlich und erklärte trocken "Akku leer - enter".
Das scheint in der Tat so, dass sie (die FSie) Kälte nicht mag. Da haben wir 2 ja auch eine Gemeinsamkeit. Ansonsten ist es wohl eine leicht unterkühlte Liebe. Ich glaube, sie verlässt mich demnächst. Nachdem ich sie unter Strom gesetzt hatte, klappte es wieder, aber im Urlaub hat sie mich dann erneut im Stich gelassen - nach etwa 3 Stunden Laufzeit (also akkumuliert, nicht am Stück). Und da kann sie mir weder mit Kälte noch mit Migräne kommen! Ich denk, der Akku wird demnächst seinen Geist aufgeben.
JBl hat geschrieben:ich wäre zutiefst irritiert und desorientiert,
wenn ich plötzlich auf meinen Puls und Zwischenzeiten schauen würde :zwinker4: .
Mir reicht die Anfangs- und Endzeit zur Kontrolle voll aus.
Das geht mir genau genommen aber ähnlich. Anfangs - jetzt nur noch selten im Falle einer geplanten Zielzeit - habe ich anhand der Zwischenzeiten kontinuierlich das Tempo kontrolliert. Jetzt schaue ich während des Laufes kaum noch drauf, sondern benutze die Zwischenzeiten primär zur späteren Analyse und Auswertung des Laufes. Anhand der Zwischenzeiten und des HF-Verlaufes kann ich gut sehen, wo ich leistungsmäßig stehe (Training und Wettkampf). Auch Quervergleiche über mehrere Jahre bei den gleichen Läufen lassen sich so gut anstellen.

(Vielleicht schreibe ich übrigens tatsächlich mal einen Roman, aber da würde ich dann meinem Hang zum Spinnen wohl freien Lauf lassen.)
garuda hat geschrieben: einfach mal googlen was so passieren kann beim Herr und Meisterspiel.
Ih ba! Da wird mir ja ganz schlecht nur vom Anlesen!

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de
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