... oder von Brandenburger Tor zu Brandenburger Tor
Von Potsdam entlang der Havelseen durch den Grunewald nach Berlin, 45 km, 7½ h
Fotobericht hier
Die Idee zum Lauf hatte ich seit ein paar Monaten. Damals war ich mit der Familie über ein langes Wochenende in Berlin und habe dabei in einem Reiseführer ein Foto vom Brandenburger Tor gesehen und mich verwundert gefragt: „Das sieht doch ganz anders aus !?“. Das Foto war vom Brandenburger Tor in Potsdam, das ich bislang noch gar nicht kannte. Von dem Moment war mir klar: „Das wäre doch mal ein schöne Idee für eine Laufstrecke – vom Brandenburger Tor zum Brandenburger Tor!“
Gesagt, getan, jetzt stehe ich hier in Potsdam vor dem kleineren Bruder des großen Brandenburger Tors – Dienstag Nachmittag, 16:30 Uhr, ausgerüstet mit einem Rucksack mit ausreichend Getränken und Proviant, einer Landkarte und meinem Fotoapparat, und los geht’s – mal sehen was mich unterwegs alles so erwartet … :-)
Bei der Streckenwahl gab es mehrere Alternativen. Den direkten Weg – einfach entlang der Bundesstraße 1 von Potsdam nach Berlin – nein, in der Woche am späten Nachmittag ist da
sicherlich zu viel Verkehr(?). Oder den Mauerweg, immer entlang der ehemaligen Mauer, genauer den südlichen und südöstlichen Teil davon - das wäre sicherlich sehr reizvoll, aber mit ca. 70 km dann doch ganz schön lang, soviel Zeit hatte ich ja gar nicht ;-) . Bleibt noch die vermeintlich landschaftlich schönste Variante entlang der Havelseen durch den Grunewald und ab Westend dann hinein ins Zentrum - die 10km lange Zielgerade kannte ich ja schon, von meinen Nachtläufen in der City. Aber wie sieht’s im Grunewald aus? Kann man tatsächlich überall am Seeufer entlang laufen?
Hierzu habe ich einen ortskundigen Bekannten aus dem Internet um Rat befragt und bekam prompt eine in allen Details ausgearbeitete Laufstrecke - erstellt auf gpsies.com – klasse! Vielen lieben Dank, Knippi aka Hardlooper!!! Dir ist ein perfekter Mix aus Sightseeing und Naturerlebnis gelungen, meist auf herrlichen kleinen Wegen durch Parks und Wälder, vorbei an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Auch in Berlin selber hast du eine schöne Route vom Westend bis hinein ins Zentrum fast ganz abseits der Hauptstraßen gefunden, super. Knippi, und dass du dann auch noch arrangiert hast, dass ich am Schloss Bellevue tatsächlich einer echten(!) Königen(!) über den Weg laufe – quasi als krönenden Abschluss eines tollen Tages – da fehlen mir wirklich die Worte, Danke!
Von der Charakteristik her erinnert mich die Strecke irgendwie an den EcoTrail de Paris, über den ich ein paar Berichte gelesen habe. Die kürzere Variante startet im Schlosspark von Versailles und führt über kleine Wege durch viel Natur hinein bis mitten ins Zentrum von Paris - Ziel ist die Besucherplattform auf dem Eifelturm. Das wäre doch etwas – EcoTrail de Berlin – vom Schloss Sans Souci in Potsdam entlang der Havelseen und der Spree bis hinauf in die Reichstagskuppel. Wobei die reinen Trailanteile jetzt nicht ganz so ausgeprägt waren, aber die könnten ja z.B. im Grunewald noch beliebig ausgebaut werden.
Doch zurück zum jetzigen Lauf. Los geht’s durchs Brandenburger Tor auf den Prolog durch die Potsdamer Innenstadt. Hierbei steht aber erstmal das Sightseeing noch klar im Vordergrund - aber einen langen Lauf sollte man ja auch nicht zu schnell beginnen – Altstadt, holländisches Viertel, Nauener Tor, Siedlung Alexandrowka, jeden Menge schicke Villen und auch sonst sehr viel Schönes und Interessantes zum Warmwerden. Den Schlosspark Sans Souci mit seinen diversen Schlössern hätte man natürlich auch noch mitnehmen können, aber das kannte ich schon und habe es mir daher erspart. Übrigens, was die Burgen und Ruinen im Mittelrheintal sind, sind hier die Schlösser und repräsentative Villen – anfangs ist man tief beeindruckt, aber irgendwann wird es dann zu viel. „Jo, auch nicht schlecht, aber lohnt sich wirklich ein Foto?“ Übersättigung nennt man das dann wohl … ;-)
Der Lauf an sich geht eigentlich erst richtig los mit dem Eintritt in den „Neuen Garten“. Entlang am Ufer des „Heiliger Sees“ führt der Weg nach Norden aus der Stadt hinaus, vorbei am Marmor Palais, hinüber zum Schloss Cecilienhof. Hier kamen nach dem Ende des II. Weltkriegs die Führer der Siegermächte - Stalin, Churchill und Truman – zusammen zur sogenannten Potsdamer Konferenz und besiegelten die Neuordnung Deutschlands. Gut, inzwischen hat sich Deutschland dann noch einmal neu geordnet, denn sonst wäre der Lauf in der geplanten Form bereits nach ein paar Kilometern an der Glienicker Brücke auch schon wieder zu Ende, bzw. ich hätte dann doch den deutlich längeren Weg entlang der Mauer einschlagen müssen … eine glückliche Fügung der Geschichte … ;-)
Hier außerhalb der Stadt am Seeufer ist der kühle, stürmische Wind deutlicher spürbar. In den letzten 10 Tagen gab es durchweg herrlichsten Sonnenschein mit meist schon vorsommerlichen Temperaturen. Heute änderte sich die Wetterlage abrupt, die Temperaturen fielen auf etwa 10°C, mit stürmischen Winden aus Nordwest. Dazu sind immer wieder Regenschauer vorhergesagt, doch zum Glück bleibt es bei mir den ganzen Tag trocken. Die Temperaturen sind für’s Laufen gar nicht schlecht, der Wind ist ab und an etwas nervend, aber insgesamt kein Problem. Nach der Vorhersage hatte ich mit Schlimmeren gerechnet, so freue ich mich über die doch vielen Sonnenscheinphasen.
Weiter geht es, jetzt am Ufer der großen Havelseen, oder ist das ein riesiger Havelsee, der lokal nur andere Namen hat, oder ist das nur ein aufgestauter Fluß … keine Ahnung? Auf jeden Fall ist es richtig klasse hier am Ufer entlang zu laufen. Es geht über die Glienicker Brücke, berühmt für die spektakulären Agentenaustausche zwischen Ost und West im Kalten Krieg, heute nur noch die Grenze zwischen den Städten Potsdam und Berlin, bzw. den Bundesländern Brandenburg und Berlin. Hey, dann ist das ja ein Lauf durch zwei Bundesländer … ;-) …
Weiter geht’s immer direkt am Ufer entlang in Richtung Wannsee, vorbei an der Pfaueninsel und ein paar richtig schönen Biergärten, die aber heute alle geschlossen haben. Auch sonst sind nur vereinzelt Leute unterwegs - die Einsamkeit des Langstreckenläufers … ;-) … Der Ort Wannsee, am gleichnamigen See(arm) - der mit der Badehose und dem kleinen Schwesterlein - besteht, soweit ich es gesehen habe, nur aus protzigen Villen und Segel- und Sportboothäfen. Vor dem Tor eines Yachtclubs ist die Porschequote bei den geparkten Autos auffällig hoch, wahrscheinlich nur Zufall und durch statistische Schwankungen mathematisch durchaus erklärbar ... ;-) .
Vor einer der Villen lege ich einen kurzen Trinkstopp ein. Neben dem Eingangstor fällt mir dabei eine kleine Gedenktafel auf, auf der steht, dass in diesem Haus 1942 auf der sogenannten Wannsee-Konferenz von den NS-Oberen die Vernichtung der Menschen mit jüdischem Glauben beschlossen wurde … schluck … man kann es sich richtig vorstellen, wie hier in dieser siegheilen Traumwelt selbsternannte Übermenschen in maßloser Selbstüberschätzung gemütlich bei einem Glas Wein den Lauf der Geschichte festlegen wollten. Nur gut, dass es solche Menschen heute nicht mehr gibt … zumindest nicht in diesem Haus … hoffentlich …
Die Sonne senkt sich so langsam, also weiter geht’s, durch den Ort hindurch, direkt am S-Bahnhof Wannsee vorbei – „… führe mich nicht in Versuchung …“ nein, kein Problem – und hinein in den Königsforst, ähm, nee, Grunewald natürlich. Hier geht’s jetzt quer durch den ganzen Wald bis hinauf zum Berliner Westend auf einem Fußweg neben einer kleinen Straße mit dem großen Namen „Havel-Chausee“. Autoverkehr gibt’s aber so gut wie keinen, aber eine Buslinie, mit vielen Haltestellen entlang dem ganzen Weg – praktisch, wenn man mal nicht mehr weiter kann, hier in der tiefen Wildnis.
Das Sträßchen verläuft zum Teil direkt in Ufernähe, manchmal aber auch etwas im Hinterland. Die Sonne ist inzwischen untergegangen und es wird langsam dunkel. Vereinzelt kommen mir ein paar wenige Radfahrer entgegen. Man grüßt sich kurz, dann ist man wieder alleine. „Aber im Moment macht es richtig Spaß hier durch den Wald zu laufen“, denke ich gerade noch, laufe um die nächste Kurve und blicke auf eine sehr lange Gerade, die richtig steil einen Berg hinauf führt. „Wie Berg? Wo bin ich denn jetzt gelandet? Na gut, mal wieder ein bisschen Wandern ist ja auch nicht schlecht“ … ;-) … Oben auf dem Bergrücken steht der imposante Grunewaldturm. Von da oben hat man bestimmt eine tolle Aussicht, aber im Moment scheint er wegen Sanierungsarbeiten komplett geschlossen zu sein, schade.
Inzwischen ist es richtig dunkel geworden, das ist aber kein Problem, denn es ist nicht mehr weit bis zur Zivilisation. Und schon bald tauchen schon die ersten vereinzelten Schuppen und Häuschen entlang der Straße auf. Am Ufer liegt ein schön beleuchtetes Restaurant-Schiff mit dem Namen „Alte Liebe“ … ach, Alten Liebe, da hatten wir unsere Hochzeitsfeier … aber in Köln, auf dem Rhein …;-) … Ab hier gibt es jetzt auch wieder eine Straßenbeleuchtung und plötzlichen schrecke ich zusammen, mit lauten Stampfen verschwindet ein Wildschein in Richtung dunkler Wald … ich muss schmunzeln, die Zivilisation hat mich tatsächlich wieder, denn in Berlin leben die vornehmen Wildscheine nicht mehr im Wald, sondern in den Vorgärten der schmucken Häuser in den Außenbezirke … habe ich mir sagen lassen … ;-)
Weiter geht’s, unter der Heerstraße hindurch, eine kurze Steigung hinauf und schon befinde ich mich im nächsten höchst geschichtsträchtigen Gebiet in Berlin, dem Olympiagelände mit Maifeld, Waldbühne und Olympiastadion. Im Dunklen sieht man allerdings nicht so viel, aber beim Weg vom Eingang zum Maifeld mit dem Glockenturm zum Stadion spürt man die Dimensionen dieser Anlage – die Gigantomanie, die maßlose Selbstüberschätzung, die dahinter stand …
Vom östlichen Eingang des Stadions geht es hinab ins Westend und durch ruhige Wohnstraßen weiter in Richtung Messe und Funkturm und dann am kleinen Lietzensee vorbei quer durch Charlottenburg zum Schloss Charlottenburg, dessen Größe mich auch nach all den vielen Schlössern, die ich heute schon gesehen habe, beeindruckt – großartig. Weiter geht’s immer am Ufer der Spree und des Landwehrkanals entlang zur Straße des 17. Juni. Jetzt ist es nicht mehr weit, die Siegessäule kommt immer näher. Jetzt noch einen kurzen Abstecher zum Schloss Bellevue, dem Regierungssitz des Bundespräsidenten, denn das lässt sich so gut fotografieren.
Doch große Überraschung, um diese späte Uhrzeit ist hier im Schlossgarten noch richtig was los, viele dicke Autos warten vorm Schloss, eine Motorrad-Eskorte wartet auf ihren Einsatz und einige Bereitschaftspolizisten sorgen für Ordnung außerhalb des Schlosses, obwohl da außer mir, nur noch ein weiterer Schaulister ist. Was ist eigentlich los? Die Holländische Königen ist mit Ihrem ganzen Tross heute zu Gast in Berlin und der Bundespräsident hatte für sie abends ein Staatsbankett ausgerichtet. Das ist nun offensichtlich zu Ende und die Wagen stehen zur Abfahrt bereit. Ich brauche auch gar nicht lange zu warten, da kommen die hohen Gäste auch schon aus der Tür, werden vom Bundespräsidenten samt Gattin verabschiedet und zum Auto geleitet. Die Autos fahren los, der Präsident winkt, die Straßen werden mal kurz gesperrt, die Motorrad-Eskorte führt die Wagen sicher aus dem Schloss hinaus und durch die dunkle Berliner Nacht … und dann ist der ganze Spuk auch schon wieder vorbei … da war ich dann wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort … ein krönender Abschluss für einen extrem erlebnisreichen Tag … ;-)
Zum Brandenburger Tor ist es jetzt nicht mehr weit, nur noch schnell am Reichstag vorbei und dann ist es geschafft, endlich, juhu. Anstrengend war’s und lange hat’s gedauert, sehr lange, über 7 h, für 45 km.
Das ist viel Zeit, sehr viel, selbst für mich. Warum war ich sooo langsam? Gut die vielen Fotostopps summieren sich auf. … Der Rucksack war wieder einmal viel zu schwer, mit anfangs 3 Liter Flüssigkeit, wovon ich bei der günstigen Witterung letztendlich nur 1,5 Liter gebraucht habe, und es eigentlich auch Möglichkeiten zum Nachkaufen gab… und jede Menge Proviant, man weiß ja nie, mal vorsichtshalber noch eine Tafel Schokolade dazu gepackt und noch schnell ein Teilchen vom Bäcker geholt … und noch warme Wechselklamotten, es sollte ja regnen und es war relativ kühl und windig … mit der Atmung habe ich seit dem Frühling pollenbedingt mal wieder meine Problemchen … und so richtig im Training bin ich ja auch nicht … und sowieso sollte heute das Erlebnis und nicht das schnelle Laufen im Vordergrund stehen und das tat es ja auch. Und so und so bleibt es ja jedem selber überlassen, die Strecke schneller abzulaufen … ;-)
Aber das Erlebnis war wirklich klasse, mal wieder unheimlich viele komprimierte Eindrücke der unterschiedlichsten Art … ein rundum schöner Tag … und diese herrliche Strecke kann ich nur jedem weiter empfehlen … Fotobericht hier ..
Diese und weitere von mir gelaufene Strecken kann man sich Online auch im Detail anschauen oder herunterladen auf: GPSies.com - GPS, Tracks, Strecken, Touren, Konverter Erweiterte Suche MegaCmRunner
Gruß aus Köln, Manfred
Lauf von Potsdam nach Berlin
12022: erledigt: G1-Grüngürtel, Kölnpfad 100k, Burginsellauf Delmenhorst 24h Staffel(!), Mega Marsch Köln (63k) ... geplant: nix