8. Mai, 5:40 Uhr. Ich wache von selbst auf, obwohl mein Wecker erst in 10 Minuten klingeln
sollte, aber da ich schon mal wach bin, stehe ich gleich auf (würde ich sonst nie machen).
Heute ist wohl alles etwas anders. Heute ist der Tag X, der Tag, auf den ich mich seit Januar
mit viel Training, körperlich und geistig vorbereitet habe. Und nein, das Training war kein
Spaziergang. Es waren Grenzgänge an meine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit und
darüber hinaus! Heute ist es endlich soweit: Mein erster Marathon!
Ich flitze direkt in die Küche und bereite mir einen Teller Haferflocken mit Honig, Kiwi und
Weintrauben zu. Dann noch eine Tasse Kaffee und einen halben Liter ISO-Star. Alles schon
lange erprobt. Beim Essen schau ich aus dem Fenster. Der Wetterbericht hatte Recht, blauer
Himmel und Sonnenschein. (Mein Vorteil, ich habe oft in der Mittagssonne trainiert.) Ich
gehe Duschen, Zähneputzen und meinen Darm entleeren. Kurz bevor wir los fahren,
bekomme ich plötzlich Bauchschmerzen und muss noch mal auf die Toilette. (Perfekt, dann
brauch ich mir über Toilettengänge keine Sorgen mehr machen). Während der Bahnfahrt
legt sich die Nervosität und meinem Bauch geht es auch wieder gut.
Am Rathausplatz angekommen sehen wir schon die schwarzen Eliteläufer, wie sie sich warm
laufen und dehnen. Ich zieh mich schnell um und fange auch an mich etwas aufzuwärmen
und zu dehnen. Mein Magen krampft und ich muss noch mal auf die Toilette. Verdammt!
Sowas hatte ich noch nie! Ich habe eigentlich einen richtigen Saumagen und nie Probleme
mit Essen, in welchem Land auch immer….
Wir beobachten noch gemeinsam den Start der Inliner. In 10 Minuten werde ich starten.
Vorgenommen habe ich mir zwischen 4:00 und 4:30 Stunden einzulaufen, daher starte ich
recht weit hinten, neben dem „4:15 - Ballon“. Ich nehme mir fest vor, den „4:00 – Ballon“
nicht aus den Augen zu verlieren. Leider fliegt der Ballon schon am Maschsee nach ca. 3 Km
gen Himmel. Ich merke einen förmlichen Ruck nach vorne, weil alle am Pacer dran bleiben
wollen. So lange der „ 4:15 – Ballon“ hinter mir bleibt, ist alles OK. Das Strandbad passier ich
nach 28 Minuten bei Km 5 und bin damit gut in der Zeit. Mein Magen rumort allerdings
wieder. Egal, einfach weiter laufen, wird sich schon wieder beruhigen. An jedem
Erfrischungsstand nehme ich mir brav einen Becher mit Wasser und laufe weiter.
Auf der Hildesheimer Straße passier ich die 10 Km - Matte mit 57:30 Minuten. Also gut im
Zeitplan. Es Läuft die ganze Zeit ein Typ mit Gorilla Kostüm und einer Flagge direkt hinter,
später neben mir. Ich bin begeistert! Der Typ ist echt irre, ein Topathlet, der sich einen Spaß
macht oder etwas von beidem. Wir laufen zusammen durch die Innenstadt und die Menge
jubelt und klatscht was das Zeug hält. Am Rand stehen sehr viele Kinder und strecken Ihre
Hände aus. Den Spaß lass ich mir nicht nehmen und klatsche bei jeder Gelegenheit ab. Die
Stecke führt aus der Innenstadt Richtung List und es wird merklich ruhiger. Bei dieser
Gelegenheit meldet sich mein Magen wieder mit einem richtig üblen Krampf. Ich kriege
Blähungen, bin mir aber nicht sicher, ob es „nur“ Blähungen sind oder Schlimmeres. Ich
verdränge die Schmerzen, laufe jetzt nicht mehr lächelnd.
Doch kurz vorm Kanal hab ich schon die Hälfte geschafft. Ganze 21,1 km liegen bereits
hinter mir. Meine persönliche Halbmarathon - Zeit vom Vorjahr 2:11 Std. unterbiete ich mit
2:03:23 Std. Immer noch super im Plan! Auf zur Kanalbrücke und fast bei mir zu Hause
vorbei, wo die Nachbarn warten (also schön sportlich laufen und lächeln!). Mein Magen
beruhigt sich nicht. Bei 23 Km nehme ich daher etwas Tempo raus und hoffe, dass es besser
wird! Ich nehme mir vor, beim nächsten Erfrischungsstand kurz vor 25 Km anzuhalten, in
Ruhe zu trinken und locker weiter zu laufen. Leider geht das nicht mehr und ich muss ein
Stück gehen. Kurz nach 26 Km haben mich dann die „4:15 - Pacer“ überholt. „Nicht jetzt
schon, verdammt! Ich habe euch später erwartet!“ fluche ich sie an. „Du schaffst das Schon!
Einfach locker weiter laufen“ erwidern sie mir beim Vorbeiziehen. Jetzt muss ich zusehen,
dass wenigstens die „4:30 - Pacer“ hinter mir bleiben.
Die Magenkrämpfe werden schlimmer, mein Bauch bläht sich auf, doch ich trau mich nicht
zu pupsen. Die Beine werden jetzt auch langsam schwerer. Aber Jammern nützt jetzt nichts,
also weiter laufen!!!
Kurz vor 27 Km treffen die Halbmarathon-Läufer auf die Marathonstrecke. Ich werde von
den Halbmarathon-Massen überholt, dadurch fühle mich noch beschissener und beneide sie
ein wenig. Warum muss ich auch einen ganzen Marathon laufen? Zum Glück trennen sich die
Wege bald wieder.
Auf der Vahrenwalder Staße verfalle ich noch einmal ins Gehen. Ich rufe mir in Erinnerung,
dass es bei jedem Erfrischungstand Dixi Klos geben soll. Also, weiter laufen, je schneller ich
beim Dixi bin, desto besser! Kurz vor 28 Km ist es endlich soweit, ich verkrümel mich auf die
Toilette, Sitzen tut echt gut! Aber es kommt nichts. Glück gehabt!
Weiter zu laufen fällt mir schwer, aber ich zwinge mich. Mein Magen gluckert die ganze Zeit
weiter und ist steinhart. Durst. Ich trinke bei jedem Stand, doch ich habe das Gefühl, dass die
Flüssigkeit, nicht schnell genug verdaut wird, mir also noch nicht zur Verfügung steht. Ich
nehme mir fest vor, nie, wirklich nie wieder einen ganzen Marathon zu laufen, es ist die
Hölle!
Egal, laufen, laufen, laufen! Bloß nicht schlapp machen! Endlich erscheint die 30 Km-Marke,
die ich mit 3:07:23 Std. passiere. Sogar immer noch im Plan, aber ich kann mein Tempo nicht
mehr halten und werde immer langsamer. Die Zuschauer jubeln mir zu: „Go Christian, Go
Christian, Go. Du Schaffst das!“ Es hilft etwas und ich laufe und laufe.
Kurz nach 32 Km werden die Strecken wieder zusammen geführt. Ab jetzt heißt es, schön am
Rand laufen, damit jeder Halbmarathon-Lulli überholen kann. Na toll! Ich muss wieder
gehen, komischerweise tut mein Magen beim Gehen nicht weh. Der Gorilla zieht an mir
vorbei und auch die „4:30 - Laufer“ überholen mich bei 34 Km. Ich habe Tränen in den Augen
und denke ans Aufgeben, doch ich nehme mir fest vor, mindestens noch bis zur Uni
durchzuhalten. In den Georgengärten bei 35 Km geht allerdings nichts mehr! Aber was soll´s,
zur Not gehe ich eben die letzten 7 Km ins Ziel, ist mir jetzt auch wurscht. Mir fällt ein
Leidensgenosse auf, der ebenfalls schon länger geht. Wir motivieren uns gegenseitig, gehen
und laufen die letzten Kilometer zusammen. Einen Km vor dem Ziel tauchen die „4:45 -
Läufer“ auf und ziehen uns quasi mit.
Mir wird etwas Traubenzucker gereicht, um die letzten Meter durchzuhalten. Bringt leider
nichts, ich muss ab Sportcheck wieder bis zum Gilde - Bowling gehen. Ich sammle meine
letzten Kräfte zusammen und laufe den jubelnden Zuschauern entgegen.
Nur noch 400 Meter. Ich laufe um die Kurve und sehe das Ziel. Yeah! Gleich hab ich es
geschafft, nur noch ein paar Meter. Ich fühle mich auf einmal total erleichtert und winke den
jubelnden Zuschauern zurück. Zieleinlauf bei 4:43 Stunden! Trotz aller Widrigkeiten bin ich
angekommen!
Ich gehe Richtung Verpflegungsstrasse und nehme meine Medaille in Empfang. Es ist jetzt
13:45 und die Sonne knallt gnadenlos. Ich gönne mir ein Hefeweizen und ein Apfelstück im
Schatten auf einer Bank am Maschteich. Erst jetzt merke ich, wie mein linkes Bein schmerzt.
Ich kann mich auf einmal nur noch hinkend bewegen. Mein ganzer Körper und meine Sachen
sind mit einer festen Salzkruste überzogen. Bei den Duschen muss man lange anstehen. Da
es nur 8 Duschen für 14.000 Läufer gibt.
Zuhause setze ich mich auf die Terrasse und genieße ein kühles Fußbad. Am Abend gehen
wir lecker Steak essen und mit meinen Magen ist auch wieder alles in Ordnung – war doch
klar oder?!
Dieser Lauf war für mich ein absoluter Grenzgang, körperlich und noch viel mehr geistig!
Aber ich habe nicht aufgegeben und bin ins Ziel gekommen! Ich habe vor jedem Respekt der
ins Ziel kommt! Egal welche Zeit.
Christian Zimpel
Hannover Marathon 2011 Debütant kommt ins Ziel
12010 HM 2:08
2011 10K 0:54
2011 Marathon 4:43
2011 Halbmarathon 2:00:34
2011 10K 0:54
2011 Marathon 4:43
2011 Halbmarathon 2:00:34