Banner

Wie man alle Regeln der Trainingslehre verletzt und trotzdem Rennsteigmarathon läuft

Wie man alle Regeln der Trainingslehre verletzt und trotzdem Rennsteigmarathon läuft

1
Nachdem ich im letzten Jahr nach dem Supermarathon ungewohnt schlapp auf der Partybank in Schmiedefeld im schönen Thüringer Wald hing und mit glasigem Blick wortlos Fettbemmen und Nudeln, dazu Klöße mit Gulasch, darauf Kuchen und Donuts in mich hineinstopfte, maßregelte mich meine Frau Mama, ich solle im kommenden Jahr doch bitte nur den Marathon zu laufen, der sei ja nun auch schon schön lang. Und überhaupt, wenn ich SM laufe, bin ich erst so spät im Ziel, da könne man ja gar nicht anständig zusammen feiern. Nun bin ich zwar einerseits schon jenseits der 30, andererseits aber stellt das gemeinsame Rennsteiglauf-Wochenende mit Eltern, Tanten und Onkel immer einen Höhepunkt des Laufjahres und des Cabo’schen Familienlebens dar. Also meldete ich mich 2011 auf der mittleren Strecke an.

Wenn man nun jedoch erst einmal Ultras gelaufen ist, kommt einem so ein kleiner Marathon aber doch irgendwie popelig vor und Training, pah was ist das nochmal? Ich versank in Arbeit und verbrachte dank Bologna-Prozess Woche um Woche am Schreibtisch mit der Benotung studentischer Seminararbeiten. So schleppte ich mich nun mehr schlecht als recht durch den Winter, rann gelegentlich mal 16-20km und druckte mir in den Korrekturpausen immerhin Trainingspläne aus, die ich doch nie befolgte. Unerwartet bekam ich die Gelegenheit auf Dienstreise nach Ägypten zu fahren, was mir tolle Erlebnisse und eine zweiwöchige Laufpause bescherte und im Anschluss nahtlos in weitere zwei Wochen Rekonvaleszenz von irgendeinem hartnäckigen ägyptischen Virus überging. So war es dann plötzlich Mitte April und ich fragte mich, wie zum Geier ich die Frühjahrsmarathons überstehen sollte, bei einer Wochenleistung von 2 Einheiten und rund 30-40km.

Das Ding war nämlich, dass ich vorhatte, dass wenn ich schon nicht Supermarathon laufe, ich dann doch 3 Marathons in 3 Wochen laufen könnte, zwecks Tests der Regenerationsfähigkeit meines Körpers. Immerhin habe ich vor, irgendwann einmal den Rennsteig- Etappenlauf mitzumachen. Phase 1 des Experiments fand im Rahmen des Geburtstagsfünfzigers von Jörg im Thüringer Wald statt, wurde von mir aber aufgrund ominöser Knieschmerzen auf 3x km verkürzt. Phase 2 hieß Oberelbemarathon und lief erstaunlich gut, die Knieschmerzen kamen nicht wieder. Ich wollte ruhige 6:40min/km Laufen um noch Körner aufzusparen und finishte in 4:33h, was etwa 9 Minuten unter meiner PB liegt. Dummerweise hatte ich früh in meiner Eile irgendwelche alten ausgeleierten Socken aus der Schublade gezogen, so dass der OEM mir vier prächtige Blasen bescherte, obwohl ich sonst nie zu solchen Problemen neige. Soviel zum Thema „Sorgfalt bei der Ausrüstungswahl“. Um auf diese Blödheit noch eines draufzusetzen lief ich drei Tage später ad hoc den kürzesten Wettkampf meiner gesamten Laufkarriere, einen 2,5km Benefitzlauf, bei welchem ich prompt den 2. Platz erreichte und mir schmerzende Schienbeinkanten einfing. Mein Körper muss sich gefragt haben, was denn jetzt mit mir los ist, denn so schnell renne ich sonst nie. Aber hey, es war für eine gute Sache. Da Tapering vor einem Marathon ja nun wichtig ist, beschloss ich kurz darauf noch meinem Patenkind das Inlineskaten beizubringen, kaufte mir also neue Skates und verbrachte mehrere Stunden im Park, bis nicht nur die Blasen vom Oberelbemarathon meine Füße zierten, sondern auch noch offene Druckstellen der neuen Skates hinzu kamen. Wunderbar, so langsam verwandelte ich meinen Körper abwärts der Hüfte in Hackfleisch. Phase 3 ist dann also der Rennsteig.

Dort fanden wir uns zuerst zum Vorabend-Treff im Restaurant Gastinger zusammen. Es war ein sehr netter Abend mit netten Foris und deren Anhang, bei welchem wir stundenlang übers Laufen, Marathons, Ultramarathons und geeignete Renntaktik für den folgenden Tag sprachen. Da eine leichte, kohlenhydratreiche Kost am Marathonvorabend wichtig ist, ich aber eh schon so ziemlich alles falsch gemacht hatte, was nur ging, bestellte ich mir Klöße, Rotkraut und Roulade, welche im Gastinger einfach unglaublich lecker sind. Die Fahrt nach Neuhaus am Rennweg gestaltete sich dank Tati und Matti sehr kurzweilig und so standen wir denn auch in kürzester Zeit vergnügt auf dem Sportplatz, schunkelten zum Schneewalzer und winkten dem Helikopter zu.
Nach dem Startschuss geht es beim Marathon sehr steil bergauf, es ist eng und das Feld muss sich erst sortieren. Die anderen sprinteten förmlich los, ich wollte es ruhig angehen lassen, so verloren wir uns innerhalb weniger Minuten aus den Augen. Bei meinen letzten zwei Starts über diese Strecke finishte ich stets um die 5:07h, also hatte ich mir angesichts der miesen Trainingsvoraussetzungen irgendwas um die 5:10 bis 5:15 vorgenommen. Also schön langsam. Bei km2 bekam ich plötzlich schwere Beine, das Knie tat weh, im Schienbein muckerte es und ich fragte mich, wie zum Henker ich so die verbliebenen 40km absolvieren sollte. Aber nach einigen weiteren Kilometern platze plötzlich der Knoten und es lief sich leicht. Ich unterhielt mich lebhaft mit verschiedenen Mitläufern, was dadurch begünstigt wurde, dass ich das Heldenshirt des Supermarathon-Finish 2010 trug. So kamen wir im nu an die ersten Verpflegungsstellen, wo ich mir freudestrahlend den ersten Becher Schleim griff. Ich liebe Schleim, das Zeug ist eine kulinarische Offenbarung und sollte meines Erachtens prinzipiell bei jedem Lauf vorgeschrieben werden. Neben körperlichen Genüssen offenbarte sich mir aber noch etwas anderes; ich lag einiges vor meiner geplanten Zeit. Nach km10 bei 1:05h durchquerte ich den HM bei 2:15. Ich wusste zwar, dass auf der zweiten Hälfte noch ein paar Anstiege sind, aber ob ich so viel Zeit würde verlieren können? Andererseits fühlte sich einfach alles locker an, die leichteren Anstiege lief ich problemlos hoch, obwohl andere gingen, wenn es gar zu arg wurde, wechselte ich in den Gehschritt. Das Wetter spielte mit, mal warm und sonnig, dann wieder eine kühle Brise, gelegentlich windig. Am Horizont blitzte und grollte es, doch noch blieben wir trocken. Ich traf zwei Bekannte aus der Heimat und gemeinsam stürzten wir uns den Hohlweg hinab, laut schnatternd, ohne richtig aufzupassen, wo wir eigentlich hintreten. Zum Glück blieben wir heil.

Um km 30 herum schloss ich plötzlich wieder auf Tati auf. Es ging ihr schlecht, Kreislaufprobleme, sie hatte zu kämpfen. Ein paar hundert Meter blieb ich bei ihr, doch dann zog es mich weiter. Der Blick auf die Uhr sagte, dass ein Finish unter 5h drin ist, wenn nichts dazwischen käme. Nun wartet ja der Legende nach der Mann mit dem Hammer jenseits der 30er Marke, doch dieses Jahr schien er jenen nur in den Wolken zu schwingen und mich zu verschonen. Nach 3:45min Laufzeit brach jedenfalls ein beindruckender Regenguss auf uns nieder. Innerhalb kurzer Zeit war ich klatschnass und je nasser ich wurde, desto mehr Spaß hatte ich an der ganzen Sache. Es ist doch eh verrückt zu laufen, dann auch noch lange Strecken, so mitten im Wald, über Berge und Wurzelwege, verrückt eben.
Noch bescheuerter aber ist es klatschnass zu laufen, wenn einem das Wasser in die Augen rinnt und die Kontaktlinsen rauszuschwemmen droht, wenn sich der Waldweg in einen rotbraunen Bach verwandelt, man das erste Mal mit voller Wucht in eine Pfütze tritt und der Fuß plötzlich nass ist, der Läufer neben einem einen bis zur Hüfte mit Dreck vollpatscht und man am ganzen Körper spürt, hey, du bist lebendig, dein Körper, du, die Natur, alles eins. Ich hätte laut jauchzen können vor Freude, begnügte mich aber mit überschwänglichen Kommentaren an meine Mitläufer von denen so einige meinen Enthusiasmus nicht recht teilen wollten. Ich wusste, in Schmiedefeld wartet eine warme Dusche, in weniger als einer Stunde würde ich da sein, also wozu sich aufregen, selbst als der Regen kurzzeitig in Hagel überging.
Wie heißt es doch in einem der Lieder des Rennsteigbarden Hans im Glück “So schön ist’s nur am Rennsteig, egal ob’s stürmt und schneit, so schön ist’s nur am Rennsteig, dort wo dein Herz sich freut“. Auch die Beine machten weiterhin phänomenal mit. Während ich mich sonst die letzten Anstiege hochgequält hatte, lief es dieses Mal locker, lockerer als zuletzt beim OEM. Das linke Knie fing zwar etwas an aufzumucken, indem es dreimal sehr seltsam blockierte, mich kurz zum Stehenbleiben und Ausschütteln zwang, aber sobald ich wieder loslief, konnte ich mein Tempo ohne Probleme halten.
Ich verstand es ja selbst nicht, was heute mit mir los war. Hatte mir jemand was in den Tee gemischt? War es ein ominöser Superkompensationseffekt des letzten Marathons? Ich weiß es nicht, was ich aber wusste war, dass ich dieses Jahr überraschend unter 5 Stunden bleiben würde und sogar eher an 4:45 ran käme. So verflogen denn auch die letzten Kilometer, der Regen hörte auf und eh ich mich versah, rannte ich den Berg zum Sportplatz hoch. Ich hoffte meine Familie würde schon da sein, schließlich hatte ich mich doch erst für nach um 2Uhr angekündigt. Die Menschenmassen, welche den Zieleinlauf säumten verursachten Gänsehaut und wie immer im schönsten Ziel der Welt, war mir ein bisschen zum Heulen zu Mute. Ich erinnerte mich daran, wie geschafft und erleichtert ich letztes Jahr gewesen war und wie locker leicht es dieses Jahr lief. Kurz vor der Zielmatte entdeckte ich dann auch meine Family und noch einen weiteren Freund und lief winkend und breit grinsend zu irgendeinem stimmungsvollen Schlager bei 4:48 ins Ziel.

Nachdem ich mich ausreichend mit Getränken versorgt, diversen Leuten Hallo gesagt, den Gepäckbeutel geholt und geduscht hatte, schlenderte ich in einem unbeobachteten Moment hinüber zur Sofortanmeldung. Nächstes Jahr ist 40-jähriges Rennsteigjubiläum, ich war soeben einen fast schon absurd einfachen Marathon gelaufen, völlig klar, ich muss mich sofort zum SM 2012 anmelden. Da ich seit einigen Wochen auch Vereinsmitglied bin ist der lange Kanten fast schon Ehrensache. Am späten Nachmittag verzogen wir uns dann alle in die Festhalle und trafen viele nette Foris, von denen einige zwar früher gehen mussten, die meisten aber bleiben konnten, bis die Stimmung wie jedes Jahr anfing zu kochen. Als das Drumcops einzog, hielt es uns nicht mehr auf den Bänken und wie jedes Jahr schunkelten wir mehrmals den Schneewalzer, klatschten zum Rennsteiglied und rissen zum Rennsteiglauflied die Arme in die Höhe. Ich eröffnete meiner Familie meine Laufpläne für das kommende Jahr und versprach hoch und heilig, dass ich zumindest ein bisschen Energie zum Feiern aufsparen würde. Und so werden wir uns wohl nächstes Jahr alle wiedersehen, in Schmiedefeld am Rennsteig im schönen Thüringer Wald.

2
Sag ich doch, Training wird völlig überschätzt :hihi:

Ein schöner Bericht, der das Rennsteigfeeling widergibt.
Nächstes Jahr in Eisenach, was sonst!
Neue Laufabenteuer im Blog

3
Klasse Bericht,auch ich habe mich schon für Start in Eisenach angemeldet!

Saarotti

4
Hallo cabo,

mein Glückwunsch zu deinem - vor allem für dich - überraschenden Rennsteig-M-Ergebnis. :daumen:

Wenn du nur lange genug analysiert, wirst du sicher eine Erklärung finden - oder auch nicht. Das Dumme an (Lauf-) Geschehnissen, die man sich nicht erklären kann, ist, dass man nie drauf bauen darf sie könnten sich in etwa so positiv dereinst wiederholen. Gut trainiert einen Lauf anzugehen garantiert den Erfolg, oder den Spaß, oder auch beides in einem zwar auch nicht, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit dafür ungemein.

Danke für deinen Bericht und erhol dich gut :nick:

Gruß Udo :winken:
"Faszination Marathon", die Laufseite von Ines und Udo auch für Einsteiger. :hallo:
Mit Trainingsplänen für 10 km, Halbmarathon, Marathon und Ultraläufe

PB: HM: 1:25:53 / M: 3:01:50 / 6h-Lauf: 70,568 km / 100 km: 9:07:42 / 100 Meilen: 17:18:55 / 24h-Lauf: 219,273 km
Deutsche Meisterschaft im 24h-Lauf 2015: 10. Gesamtplatz, Deutscher Meister in AK M60 (200,720 km) / Spartathlon 2016: 34:47:53 h

5
Schöner Bericht, Glückwunsch Cabo und vielen Dank für die nette Begrüßung im Ziel!

Den Regenguß und das Laufen durch Wasser und Schlamm am Ende habe ich ähnlich genossen! :zwinker2:
Laufkalender 2014

15.03.14 6h-Lauf Nürnberg
12.04.14 Bleilochlauf 46 km
26.04.14 Harzquerung 51 km
17.05.14 Rennsteigsupermarathon 72,7 km
13.06.14 Biel 100 km
05.07.14 Thüringenultra 100 km ?
23.08.14 Müritz-Lauf 75 km
28.09.14 Berlin Marathon
Gesperrt

Zurück zu „Foren-Archiv“