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Zu Füßen d'Artagnans oder: Maastrichts Mooiste 10 km

Zu Füßen d'Artagnans oder: Maastrichts Mooiste 10 km

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"Monsieur d'Artagnan !… Courez vite !"
(Monsieur d'Artagnan! ... eilt euch, lauft!")

(Alexandre Dumas, Le Vicomte de Bragelonne)

Sonntag, der 25. Juni 1673. Monsieur le Comte Charles d'Artagnan de Batz-Castelmore, dessen glänzende Laufbahn bei den Musketieren seiner Majestät, des selbsternannten Sonnenkönigs Ludwigs XIV., ein Jahr zuvor in der Ernennung zum Gouverneur von Lille seine Krönung gefunden hatte, stand an der Spitze der französischen Truppen, um die Stadt Maastricht einzunehmen. Es war d'Artagnans letztes Heldenstück. Alexandre Dumas schildert später die Ereignisse wie folgt:

"D'Artagnan streckte den Arm aus, um die Schatulle zu öffnen, als von der Stadt her eine Kugel die Schatulle in den Armen des Offiziers zerschmetterte, d'Artagnan mitten in die Brust traf und ihn auf einen Hang niederstreckte.

D'Artagnan versuchte, sich zu erheben. Man glaubte ihn unverletzt zu Boden gegangen. Ein furchtbarer Schrei entfuhr seinen entsetzten Offizieren: Der Marschall war blutüberströmt, die Blässe des Todes nahm schleichend Besitz von seinem edlen Antlitz.

Gestützt auf die Arme, die sich von allen Seiten ihm entgegen reckten, um ihn aufzunehmen, vermochte er noch einmal den Ort zu überblicken und gewahrte die weiße Fahne auf der Spitze der Hauptbastion. Seine Ohren, taub bereits für den Lärm des Lebens, vernahmen schwach den Trommelwirbel, der den Sieg verkündete.

Indem er nun die verkrampfter Hand um den mit goldenen Lilien versehenen Stock ballte, senkte er die Augen, die nicht mehr die Kraft fanden, zum Himmel emporzublicken. Und so fiel er, wobei er jene eigenartigen Worte murmelte, die den überraschten Soldaten so rätselhaft schienen, die einst auf Erden so teuer waren und die niemand außer dem Sterbenden zu begreifen vermochte:

"Athos, Porthos, auf Wiedersehen. Aramis, auf Nimmerwiedersehen, Adieu!"

So also starb vor der Bastion von Maastricht der edle d'Artagnan, nicht ahnend, daß er vor allem infolge des unermüdlichen literarischen Schaffens von Alexandre Dumas (an der Dicke seiner Bücher kann man ermessen, wie viel Zeit vor der Erfindung von Radio und v.a. Fernsehen dem gebildeten Publikum zum Lesen zur Verfügung gestanden haben muß) dereinst zum Ahnherren eines ganzen cineastischen Genres werden sollte: Der Film de cape et d'épée, der Mantel-und-Degen-Film, ist ohne den kühnen Gascogner nicht denkbar.

Aber nicht nur ein literarisches Denkmal wurde d'Artagnan gesetzt, sondern auch ein bronzenes und lebensgroßes im Aldenhofpark zu Maastricht. Da steht er nun und grüßt die Vorüberlaufenden bei Maastrichts Mooiste. Wahlweise sind 5, 10 oder 15 km zu bewältigen. Die 10 km stehen zum ersten Mal im Programm, und wie 463 andere habe ich mich für diese Distanz entschieden. Hier, zu Füßen d'Artagnans, soll die Marke von 40 Minuten endlich fallen.

Wieder schreiben wir also einen Sonntag im Juni. Um kurz vor 10 Uhr sind auf dem Marktplatz vor dem Rathaus zu Maastricht die Startboxen gut gefüllt. Die Ordner am Eingang lassen es locker angehen, so daß es ähnlich zugeht wie im Theater. Nur kommen hier nicht diejenigen als letzte, die in der Mitte sitzen, sondern diejenigen, die eigentlich in andere Boxen gehören und sich nun ganz vorn aufbauen. Dort machen sie allerlei abenteuerliche Verrenkungen. Yoga oder so, was weiß ich.

Der Start verläuft also ein wenig im Zickzack. Zuerst geht es die Wilhelminabrug hinauf und auf derselben Seite wieder hinunter. Wir bleiben links der Maas auf der Seite der Altstadt. Zuerst aber geht es längs der alten Stadtmauer und durch den Parkgürtel, der die Innenstadt im Südosten umgibt. Hier gibt es immerhin ab und zu einmal Schatten.

Nach einem kurzen Zwischenspiel auf der südlichen Ringstraße geht es Richtung Altstadt. Wer nun etwa bei KM 2,5 die Augen nach links wendet, sieht keinen Geringeren als den Grafen d'Artagnan. Da steht er, die Arme zu unserer Ermutigung winkend erhoben, im kühlen Schatten und mit breitkrempigem Hut - der Glückliche!

Nachdem wir erneut den Park durchquert haben, geht es scharf nach links durch die Helpoort, eines der alten Stadttore, hinein in die schmalen Gassen der Altstadt. Insgesamt ist es nicht die schnellste Strecke. Sie hat etliche Ecken und Kanten, und hier kommt mir zugute, daß ich für mein Intervalltraining keine Bahn zur Verfügung hatte, sondern im Karree um eine Wohnsiedlung laufen mußte, auf Bürgersteigen und ohne Kurven, sondern nur mit scharfen Ecken. So verliere ich auch hier in den verwinkelten Gassen kaum Zeit.

Wie so viele niederländische Städte hat auch Maastricht im Zentrum viel vom Charme einer barocken Puppenstube bewahrt. Wer es also - anders als ich - heute nicht auf eine neue persönliche Bestzeit angelegt hat, bekommt für sein Startgeld jede Menge fürs Auge geboten. Die Art des Straßenbelags ist vor allem unter Radsportlern berüchtigt:

Als Groslow eben den Fuß auf die Erde setzte, klang es ihm in den Ohren wie galoppierende Hufe auf dem Kopfsteinpflaster. (A. Dumas, Vingt ans après)

Hier geht es auch ab und zu leicht auf und ab, aber insgesamt ist die Strecke sehr flach. Hinzu kommt, daß der Wind nur schwach von Süden weht und auch nicht bis in die Altstadt vordringt. Das einzige, was ein wenig stört, ist also die Sonne, vor der die schmucken, aber niedrigen Fassaden der Häuser kaum Schutz bieten.

Schatten spendet erst Unsere liebe Frau - bzw. die ihr geweihte Basilika mit ihrem gewaltigen Westwerk, eine der spätromanischen Kirchen, mit denen die Stadt Maastricht prunken kann. Eigentlich sind wir dem Start- und Zielpunkt am Marktplatz schon wieder recht nahe, aber hier geht es zu wie in einem Labyrinth: Der einzig gangbare Weg ist immer genau derjenige, der genau auf das Ziel zuführt, um dann kurz vorher unverhofft abzubiegen und einen bis fast an den äußeren Rand hinauszuwerfen.

Nach einigen weiteren Ecken aber ist dann doch noch der Vrijthof erreicht, neben dem Markt einer der beiden großen Plätze im Zentrum von Maastricht. Hier reiht sich ein Straßencafé an das andere. Und da das Wetter zu einer beschaulichen Pfingstpartie einlädt, meinen die Gäste es heute besonders gut mit den Gastronomen. Die halbe Stadt sitzt unter Sonnenschirmen helemaal op z'n gemak (d.h. in aller Gemütlichkeit) vor allerlei verheißungsvollen Getränken, die ich mir bis auf weiteres versagen muß.

Als der Vrijthof hinter mir liegt, sind es noch 400 m bis zum Ziel. Allerdings nur für diejenigen, die sich für die 5 km entschieden haben. Wir anderen werden noch auf eine zweite Runde geschickt. Was habe ich mir da bloß angetan?

Und so galoppierten sie noch zwei Stunden, obschon die Pferde so erschöpft waren, daß man befürchten mußte, daß sie alsbald den Dienst versagen würden. (A. Dumas, Les Trois Mousquetaires)

Die Beschreibung der zweiten Runde hätte ebenso ausfallen können wie die der ersten - wenn ich nicht inzwischen einem zunehmenden Tunnelblick anheimgefallen wäre. Gegenüber den Zuschauern am Streckenrand habe ich ein schlechtes Gewissen, denn ich schaffe es kaum noch, ihnen zuzulächeln für all den Applaus, den sie spenden.

D'Artagnan! À mon secours! - D'Artagnan! Mir zu Hilfe! (Das war nicht von Dumas, sondern von mir.)

Ob es der alte Recke war, der mir sanft unter die Arme gegriffen hat? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall bin ich schließlich gut ins Ziel gekommen.

Am Ende bin ich dann 10. von 464, zweiter unter den Vor-Vorruheständlern und mit 37:49 bester Deutscher. Schöne Pfingsten allerseits!
Дуа кинум йах иди, ту пуц ца бофт тар ту-хез йатов̌!

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aghamemnun hat geschrieben:37:49
:megafon: WAASSSS ?

... und ich wunder mich, dass Du vor ein paar Wochen das Marathondebut locker mit 3:18 läufst - da hast Du Dich ja dann auch noch todgeschont, Du Lusche! :nee: :nee:

:mundauf: :mundauf: :mundauf: :mundauf: :mundauf: :mundauf:


gruss hennes

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...ich musste auch gerade nochmal nachschauen, ob du wirklich derselbe bist, der auch im "10 km Sub 40" kleine Brötchen gebacken hat. :)

Aber super Leistung, ich finde du gehörst ab sofort in den "10 km Sub 35" Thread, aber dalli dalli! :)

Ach ja: sehr guter Bericht, an dir ist nicht nur ein schneller Läufer, sondern auch ein Literat verloren gegangen. :)
Bild

PB: M: 2:53:30 (Essen 2013) • HM: 1:21:24 (Fühlinger See 2013) • 10km: 36:17 (Leverkusen 2014) • 5km: 18:14 (Düsseldorf 2013)

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Hennes hat geschrieben:Du Lusche!
:peinlich:

Naja, zu meiner Verteidigung muß ich sagen, daß es beim Marathon ja um ein Debüt ging. Beim 10km-Lauf weiß man ja gleich am Start ziemlich genau, was einen auf den letzten 10 km erwartet. Beim Marathon weiß man das nach 32 km immer noch nicht mit Sicherheit. Dementsprechend verhaltener bin ich die Sache angegangen. Dazu kommen diverse Infektchen in der Vorbereitung (die fiel für den Marathon v.a. in den Spätwinter) und jede Menge Nervosität.

Und dann glaube ich auch nicht, daß man einfach nur Jack Daniels herzunehmen und stur sein Lineal an die VDOT-Tabelle zu halten braucht, um zu ermitteln, was auf anderen Distanzen drin ist. Es hängt eben auch am Trainingsumfang. Gerade habe ich nochmal Steffny und Beck aus der Mottenkiste gekramt und nachgesehen, was man für seine Wochen-km denn so kriegt. Bei Steffny sind für ca. 85 km entweder 34 min (10km) oder um die 3:10 (Marathon) zu haben (Differenz: 13 VDOT-Werte). Bei Beck gibt es dafür um die 35 min (10 km) oder knapp über 3h (Marathon; Differenz: 8 VDOT-Werte). Bei mir betrug die Differenz jetzt 7 VDOT-Werte. Also durchaus im Normalbereich. Konstante VDOT-Werte über unterschiedliche Distanzen sind für Otto Normalverbraucher wohl nur bei mehr Training für die längeren Strecken zu haben. Leiderleider! Drum grübelte ich ja auch einst über diese Frage nach. Aber für den nächsten Marathon werde ich mehr tun. Versprochen!
Dorrian hat geschrieben:Aber super Leistung, ich finde du gehörst ab sofort in den "10 km Sub 35" Thread, aber dalli dalli!
Ach du Vaterland! Vielen Dank für die Blumen, aber ich fürchte, das wird in diesem Leben nichts mehr. Ich gehe hart auf die 50, da muß ich jetzt vor allem an einer soliden Ausgangsbasis für einen geordneten Rückzug arbeiten, den ich wohl in nicht allzu ferner Zukunft werde antreten müssen. Natürlich trainiere ich vorher noch ordentlich für die schnellen und etwas kürzeren Distanzen, so lange meine alten Knochen das noch mitmachen, aber dabei denke ich lieber nicht in Sprüngen von fast drei Minuten. Das überlasse ich mal lieber Euch Jungspunden. Ich dagegen will erstmal zusehen, daß das hier keine Eintagsfliege bleibt.
Дуа кинум йах иди, ту пуц ца бофт тар ту-хез йатов̌!
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