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Traum in weiß, Im Zeichen der Jungfrau

Traum in weiß, Im Zeichen der Jungfrau

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Wie sagt man so schön. Als Zeichen der Unberührtheit sollte die Braut weiß tragen. Aber Hand aufs Herz, nicht alle weißen Bräute haben bis zur Hochzeitsnacht gewartet. Und so ist es auch bei meiner Jungfrau, die mich heute gefangen nimmt. Ganz unschuldig, in traumhaftem Weiß blickt sie zu mir herunter ins 3600 Meter tiefer liegende Interlaken als ich am Freitagnachmittag mein Quartier erreiche. Bei diesem Anblick stockt mir wie einem Oberpennäler vorm ersten Rendezvous der Atem. Aber bis morgen kann ich mich ja noch an diesen atemberaubenden Anblick gewöhnen. Schließlich bin ich nicht der erste der ihr ihre Aufwartung macht. Fast exakt vor 200 Jahren haben zwei Herren zum ersten Mal das Frollein bezirzen können und Sie zu ihrer Madame Meyer gemacht. Seitdem sind unzählige ihrem Reiz erlegen und auch ich wurde verzaubert durch die Laufberichte und Fotos über einen Massenkult, der sich Jungfraumarathon nennt. Mein Verlangen danach nahm schneller zu als meine Kondition für diese Herausforderung. Na, bis in 2 Jahren, als Event für den fünfzigsten Geburtstag wollte ich soweit sein. Ungeduld ist beim Umgang mit Jungfrauen ein schlechter Ratgeber.

Aber was soll ich tun, wenn ich frustriert bin. Und das war ich weil mein im Sommer geplanter Ausritt auf das Nebelhorn, aufgrund von Protesten des Berglaufverbandes, vom Veranstalter an die Kandare gelegt werden musste. Und mich die Mutation von einem stolzen Hengst zu einem kastrierten Ackergaul so sehr ärgerte :sauer: , dass ich nach einer Ersatzbefriedigung suchte. Zu diesem Zeitpunkt war die Jungfrau, respektive der Lauf, längst vergeben. Als Trost blieb die Warteliste. Irgendetwas muss meine Hand zwangsgesteuert zum entsprechenden Mausklick gezwungen haben. Zum Glück sind die Chancen verschwindend gering. Wirklich? Schon 4 Wochen später durfte, oder musste? ich mich kurzfristig entscheiden. Halleluja, jetzt erst mal meine Lieben sanft darauf vorbereiten, dass ich da hinmuss. Das Glück blieb mir hold und so durfte ich dem Werben der Jungfrau nachgeben. Bis zu unserem Date hatte ich es auch geschafft mich intensiv dem Gipfeljoggen hinzugeben. Um gut ausgeruht zu sein machte ich mich bereits am Vortag auf den Weg zum gemeinsamen Stelldichein.

Ganz entspannt und unschuldig verschlummere ich nun die Nacht in meinem Junggesellenzimmer im Hotel Tell. Weder der Irish Pup direkt unter mir, noch wilde Traumfantasien in mir, konnten mir den Schlaf rauben. Das muss schon ganz profan mein Wecker übernehmen, den ich vorsorglich gerichtet hatte. Es ist ein herrlicher Morgen. Wie gemacht zum Heldentum. Jungfrau sehen und sterben, oder so ähnlich.

Es hat, als ich ganz entspannt um 8.00 Uhr das Haus verlasse, bereits 20° C. Schön gemütlich spaziere ich in Rennkluft zum Startbereich über die Parkanlage Höhematte. Der Morgen riecht herrlich nach frisch gemähten Gras, leicht übertüncht von der pikanten Note des Duftdressings eines bekannten Fertighauslieferanten. Dann kann ja nichts schiefgehen: Toi, Toi…. Ich suche und finde mal wieder die langsamste Schlange vor der blauen Reihenhaussiedlung. Aber Geduld und Beständigkeit führen auch hier zum Ziel. Vor meinem geistigen Auge sehe ich lauter flotte :confused: Käfer und den abgewandelten Werbeslogan: Und es läuft und läuft und läuft.

Nämlich mir die Zeit davon. So langsam sollte ich mein Gepäck abwerfen. Dafür gibt es diverse LKWs hintereinander, die am Höheweg aufgereiht sind. Ich marschier gleich mal zum Vordersten, denn es ist kurz vor knapp was die Abgabe betrifft. Und dort geht es schon richtig hektisch zu. Längere Arme als meiner reichen Taschen und Rucksäcke über meinen Kopf hinweg an die fleißigen Helfer durch. Der Wagen ist schon ziemlich voll und so heißt es plötzlich man solle einen anderen LKW nehmen. Doch noch immer werden Gepäckstücke entgegen genommen oder von hinten irgendwie nach oben auf den bestehenden Haufen geworfen. Ich setze meinen unterwürfigsten Dackelblick auf und eine Helferin kann meine miserablen schauspielerischen Leistungen nicht länger mit ansehen und befreit mich von meinen Sorgen. Als einer der Letzten wird der Rucksack rein gepfeffert und bleibt am hinteren Rand liegen. Zum Glück beginnt sich nun die Ladeklappe zu schließen.

So das wäre geschafft. Jetzt kann’s losgehen. Blick zur Uhr. Äh, was schaut mich denn da an? Mein alter Pulsmesser. Wo ist denn mein Garminle? Tja, wohl schon ohne mich auf dem Weg zur Kleinen Scheidegg. Naja, da müssen wir beide jetzt durch. Via Bahn dürfte er die Höhenmeter bis zum Depot in der Wagenremise jedenfalls deutlich schneller als ich hinter sich bringen. Ich wähne ihn dort auch in Sicherheit, nicht ahnend dass die Auskunft vom Info-Desk zu optimistisch war. Denn eine organisierte Gepäckrückgabe gibt es nicht. Das wurde anderenorts deutlich besser gelöst, auch wenn laut Ausschreibung eine separate Wertsachenverwahrung an besagtem Stand möglich gewesen sein soll. Fakt ist, ich wurde auf diese Möglichkeit nicht hingewiesen und wie die Wertsachenrückgabe im Zielbereich gemanagt wurde blieb mir verborgen.

Ich habe nun noch etwas Zeit mich umzuschauen. Aha, kurz nach dem Start kommt man am „Letzten Sexshop vor der Jungfrau“ :teufel: vorbei. Megaoriginell. Zwischenzeitlich durften die echten Favoriten schon vorm Lauf aufs Siegerpodest um dem Publikum vorgestellt zu werden. Schwierig war es vorher die selbsternannten Stars und Sternchen ohne Gewalt vom Treppchen herunterzulotsen. Dann durfte Mister Viktor Röthlin ans Mikro während ich nochmals nach links hoch schaute in Richtung Harder Kulm. Die Bergstation der Standseilbahn thront dort hoch oben auf dem Berg. Gestern Abend war ich zum Sondertarif, einschließlich eines Aperto (zu Deutsch: Freigetränks), dort hoch gefahren um von der Sonnenterasse den Ausblick auf den Thuner und Brienzer See zu genießen.

Unmittelbar vor mir sehe ich ein Läuferpärchen mit denselben Lauftrikots. Naja nicht ganz. Er trägt die 9.9. und darunter das Wort just und Sie die 11 und married. Solange er links von ihr bleibt erschließt sich der Sinn. Hach wie romantisch. :umarm: Frisch vermählt und er hat schon ein Rendezvous mit einer anderen Braut, die er im Sturm erobern will. Das hat was. Fragt sich nur warum der junge Mann sich so dehnen mus? Er müsste doch heute Morgen lockere Glieder haben. :hihi: Während ich noch sinniere erfolgt der Startschuss. Endlich geht es los, den 5:30 er Pacemaker mit seiner Riesenflagge im Visier. Die beiden frisch Vermählten haben es eilig. Erst sehr viel später sehe ich kurz die Neun-Neun ohne Begleitung wieder. Das wird doch hoffentlich nur konditionelle Gründe haben :confused:

Es geht zunächst eine gut 3 Kilometer lange Aufwärmrunde durch das Zentrum Interlakens, die zurück zum Startbereich führt und dann weiter aus der Stadt hinaus nach Bönigen, wo eine Ecke des grün-blauen Brienzersee gestreift wird. Hier in Bönigen werden wir, wie an allen Ortsdurchläufen, an der Strecke lautstark mit Glockengeläut begrüßt und durch Live-Bands angefeuert. Die erste Verpflegungsstation wird gleich genutzt, da es nun bereits über 25° hat, und laut Auskunft der Rennleitung auch im Zielbereich auf über 2000 Meter nicht viel kühler sein soll.

Als wir endlich auf den Talweg, der der Lütschine nach Wilderswil folgt einbiegen, kann ich endlich ohne schlechtes Gewissen meinen dringenden geschäftlichen Verpflichtungen nachkommen. Was würde ich bloß bei einem Stadtmarathon machen? Kurz vor Wilderswil kommt die erste schöne alte Holzbrücke über den Fluss und ein leichter Anstieg wird spürbar.

Aber erst hinter dem Ort kommt der erste ruppige Höhengewinn, noch bevor das malerische Dorf Gsteigwiler passiert wird. Wieder das Bild, dass sich heute noch so oft wiederholen sollte. Enthusiastische Zuschauer an der Strecke, Glockenschwinger mit riesigen Kuhglocken und kostümierte Musikgruppen die uns einheizen. Und dabei ist es uns ja doch schon so heiß genug heute.

Weiter geht es auf einem Waldweg parallel zu Bahnlinie und Fluss. Es geht nun sogar ab und an sanft bergab durch das schöne schattige Tal. An den vorbeifahrenden Zügen der Berner-Oberlandbahn sind die Fenster geöffnet aus denen mitgereister Anhang winkt und Aufmunterungen zuruft.

Das Bähnli wird in Zweilütschinen überquert, kurz nachdem eine feuchte, leicht rutschige Wiesenpassage passiert wurde. Ein Riesenplakat steht am Wegrand. „Tiefi die vor dir sehen genauso Scheiße aus wie du.“ Ja nee ist klar, ihr mich auch. Bei Kilometer 19 warten 150 Höhenmetern, hinauf in das 810m hoch gelegene Lauterbrunnen. Aber im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte, ist das nichts. Und dann mit Erreichen des Ortes wird es wieder merklich lauter. Vielfach erschallen Hopp, Hopp, Hopp Rufe. Es ist ein herrlicher Anblick. Rechts die Felsen mit dem Staubbachwasserfall, linker Hand das Bergmassiv der Jungfrau. Trotz der Hitze - Gänsehautfeeling. Am Campingplatz werden wir von einem Banner freudig begrüßt. „Bravo, der halbe Marathon ist geschafft.“ Knapp über 2 Stunden, habe ich dafür gebraucht. Mein erster Halbmarathon über 2 Stunden. Ich kann die Zeit nicht richtig einordnen. Insgeheim wollte ich versuchen darunter zu bleiben um später nicht im Stau zu stecken. Aber ein eigenes, nicht fremdbestimmtes; Tempo zu laufen war bis hierher die Ausnahme. Noch hatte ich die Hoffnung das sich spätestens in der Wengener Wand das Feld entzerrt. Das hat sich leider nicht bewahrheitet. :motz:

Nach Auslaufen der mir endlos vorkommenden Talschleife, vorbei am Eingang der Trümmelbachfälle und der Helikopterbasis, geht es zurück nach Lauterbrunnen. Zuletzt auf einem schmalen Fußweg entlang der Lütschine. Noch ein Stück auf der Hauptstraße am Asphalt geschnuppert und dann geht es rechts weg in die allseits gefürchtete Wand. Diese hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Vor allem leerer. Der naturbelassene Ziehweg durch den Wald ist dicht gedrängt mit Läufern, respektive unfreiwilligen Wanderern. Ich habe mich auch sofort diese Gangart angeschlossen, was sicher richtig war. Sonst hätte mein Laufbericht eventuell mit "Verschollen in der Wengener Wand" übertitelt werden müssen.

Über etliche Spitzkehren geht es nun langsam voran. Alle 250 Meter werden wir daran erinnert, dass wir im Schneckentempo den Berg hoch kriechen. Das einzige was in Bewegung bleibt ist der Schweiß, der im Gegensatz zu uns Läufern, weiterhin in Strömen läuft. Was wiederum dazu führt das so langsam auch das beste Deodorant versagt. Denn selbst: „Mein BAC, dein BAC, BAC ist für uns alle da“, kommt schließlich irgendwann an seine Grenzen. So ein Berglauf schweißt halt zusammen. Mit räsem G‘schmäckle geht es nun voran, immer der Nase nach. Es heißt man soll den Jungfraumarathon mit allen Sinnen genießen. Nun ja, meine Olfaktorische Wahrnehmung erreicht so langsam den roten Bereich. Ich selbst hatte bis dato natürlich keinerlei Transpirationsproblem. :zwinker2: Aber es half nichts, da musste ich durch frei nach dem Hit der "Doofen": Nimm mich mit auch wenn ich stinke....
Die Doofen - Mief - 1995 Video - PitRulzZz - MyVideo

Ein musikalisches Kontrastprogramm, in Form von Pink Floyd‘s Mucke „The Wall“, die von weiter oben auf uns herunterblärrte, brachte Ablenkung. Also Augen, Ohren, Nase zu und ab durch die Wand. Aber die Augen nicht zu lange, den plötzlich kommst du aus dem Wald, hast Wengen vor dir und dann haut es dich um. :geil: Ein Schweizer hinter mir hatte als erstes die Sinne darauf gerichtet und seine Sprache wiedergefunden. "Luaget au a moal uffi". Und die Lady, die von dort auf mich herabblickte hat mir im gleichen Moment den Atem geraubt und ich hab begehrliche Blicke mit ihr ausgetauscht. Bei so viel Anmut und Schönheit wurde ich ganz lyrisch:

Die Zunge am Boden
Schau ich kurz nach oben
Beginnt der Puls zu toben

Mein Atem fast stockt
Dein Anblick mich lockt
Frau Meyer, heut wirst du gerockt.

Bin ich vom Sprüdeli besoffen oder hab ich das „Sponser“-Gel nicht vertragen. :tocktock: Oder ist es die Hitze. Ich hab ja meinen verdörrten Dötz heute schon ein paar mal in suppigen Viehtränken versenkt. Oder war es das angebotene warme schlapperige Süpple namens Boullion, dass ich meinem geschundenen Körper zugeführt habe, mit der Hoffnung das da außer undefinierbarer künstlicher Aromastoffe auch etwas NaCl drin .

Aber hallo, plötzlich bin ich wieder zurück in der Wirklichkeit und ich muss feststellen meine Madame hat bereits eine starke Schulter zum Anlehnen gefunden. Ein gewisser Herr Mönch ist ihr einfach näher als ich und hat sich zwischen uns gedrängt. Dazu gesellt sich auch noch der Eiger, der mir seine kalte Schulter zeigt. Dafür entschädigt der zuvor genossene überwältigende Empfang in Wengen. Quer über die Straße hängen Wäscheleinen mit bunten Lauftrikots, die Schlachtenbummler bilden ein dichtes mehrreihiges Spalier und geben alles. Ein Lärmpegel wie in der Fußball-Fankurve. Ich finde kaum ein freies Plätzchen am Straßenrand um für Fotos beiseite zu gehen. Denn der Läuferpulk schwappt unaufhörlich weiter, im Strom dieser Begeisterungswelle.

Aber wir werden hier nicht unaufhörlich weitergetragen, das Bad in der Menge endet am Ortsausgang ziemlich abrupt und der Berg hat uns wieder. Nun heißt es sich durch den „Hanneggschuß“ zu kämpfen. Allerdings nur querend und nicht wie etliche todesmutige Männer, die sich alljährlich hier die Lauberhorn-Abfahrt hinunterstürzen. Bei deren Tempo bleibt natürlich keine Zeit, die herrliche Landschaft, ausreichend zu würdigen. Das tue ich bei meinem Zottelschritt natürlich ausgiebig, denn jetzt nachdem die letzte Cut-Off Kontrollstelle Wixi erreicht worden ist beginnt nämlich der schönste Abschnitt. Meine Muskulatur sieht das natürlich etwas anders und so absolviere ich die Strecke mehrheitlich als Powerwalker.

Im weiteren Wegverlauf werden wir aufgeteilt. Ich darf auf der Originalroute hinauf die in einen schmalen, wurzeldurchsetzten Bergpfad übergeht. Noch gibt es einige Stellen wo durch Wegabschneider gefahrlos überholt werden kann. Aber das soll sich bald ändern. Wir passieren die Baumgrenze und der Blick wird frei auf die berühmt berüchtigte Moräne des Eigergletschers. Es geht vorbei an einer Gruppe Alphornbläser und Fahnenträger, die das eidgenössige Symbol schwenken. Product-Placement auf einer saftig grünen Almwiese vor Bergpanorama. Heidi-Postkartenidyll. Switzerland für Japaner. Aber die massive Bewerbung eines alpenländlichen Idylls verfängt sich wider besseren Wissens bei mir. Heut nehmen wir alles mit was Emotionen auslöst, ohne krittelig zu sein. Das sind heute Eindrücke, die sich einbrennen. :geil:

Das denken sich auch meine Muskeln, die nun ebenfalls zu brennen anfangen. Und schier endlos, zieht sich wie eine Ameisenkarawane ein Heer von bunten Pünktchen vor mir den Berg hoch. Und dann bei km 40 bin auch ich am Stauende, am Fuße der tausendfach beschriebenen, sattsam bekannten Moräne des Eigergletschers und warte ungeduldig bis es weitergeht. Wie durch ein unsichtbares Band zu einer Perlenkette verknüpft trottet der Läufer-Tazzelwurm gemächlich vor sich hin. Die Wartezeit verkürze ich mir mit ein paar Andenken die ich auf den Speicherchip brutzele. Als ich mich endlich in die Läuferrotte einreihen darf heißt es devot den Kriechgang einzulegen, denn ein Vorbeikommen an dem Tross ist nun schlichtweg unmöglich. Bei diesem Tempo bleibt genug Zeit zum Luft holen. Dafür ist der Ausblick auf das Dreigestirn schlichtweg atemberaubend schön, fast schon kitschig. Wie auf einer geschönten Ansichtskarte wirkt das Panorama das sich nun bietet. Im Vordergrund ziehen Heerscharen von Läufer, wie einst die Goldsucher am Yukon-Pass. Unermüdlich, höher und höher. Und wie der Rattenfänger von Hameln lockt ein Schotte seine Schutzbefohlenen. Der Regisseur hat heute mal wieder ganze Arbeit geleistet. Die Location stimmt, die unnahbaren Stars hatten bereits ihren glamourösen Auftritt und die Laiendarsteller spielen ihre Rolle perfekt. Ohne es vorher einstudiert zu haben und ohne Regieanweisung ist jeder an seinem vorgesehen Platz auf der Bühne. Der Beleuchter hat die optimalen Lichtverhältnisse hergestellt und für Ton und Regie ist der Piper zuständig. Ganz großes Kino. Wäre die Handlung etwas unvorhersehbarer, dann wäre das hier Oscarverdächtig. Der Film erreicht hier seinen höchsten Spannungsbogen. Von nun an ging’s bergab. Vorher gibt es aber noch Popcorn, äh nee stilgerecht natürlich Schweizer Schocki. Dabei ist als Showeinlage noch ein Felsblock zu übersteigen. Und hier wird sogar Hilfe angeboten für die Strauchelnden.

Ein bisschen fühle ich mich überbetüttelt, denn von nun ab kann ich es auf der folgenden Abwärtspassage wieder rollen lassen. Nur noch ein kurzer Gegenanstieg, über eine kleine Felskante und dann am Speichersee vorbei hinunter ins Ziel. Zahlreiche Zuschauer stehen bereits entlang des Wegs im mit Fahnen geschmückten Zielraum. Mit erhobenen Armen genieße ich den Zieleinlauf und lasse mir die Medaille umhängen. Aber gleich darauf stehe ich wieder im Stau. Was gibt es denn hier so wichtiges? Ach so eine alkoholfreie Plörre, frisch gezapft. Die Verabreichung erfolgt jedoch in homöopathischen Dosen. Das bisschen Nass, überdeckt von viel Schaum verdunstet doch schon vor der Verkostung im Becherle. Ah, daneben steht ja noch ein Nachschenker mit Flasche. Okay, wenn‘s nix extra kostet, dann streck ich den Fingerhut noch mal hin als echter Schwabe. Endlich ordentlich eingeschenkt. Und dann rotieren die Geschmacksnerven :kotz2: Das undefinierbare Gebräu ist badwarm. Also nix wie weg und nach bleihaltigem Edelstoff Ausschau halten.

Durch die Menschenmassen bahne ich mir einen Weg zur Gepäckaufbewahrung. Mein Rucksäckle liegt zum Glück ganz hinten an der Außenwand des Lokschuppens. Garminle ist wohlbehalten an seinem Platz. Danach heiß es das letzte Mal anstehen heute. Fürs Finishertrikot. Dafür muss man aber seinen Chip abgeben. Und der ist an der Startnummer festgetackert. Also unter Schweizer Präzisionsarbeit verstehe ich etwas anderes. Aber das brutalste Attentat folgt noch. Ganz unschuldig stehen am Rand der Schlange ein paar kleine Mädchen mit Gummihandschuhen. Ich denke noch, so jetzt wird fein säuberlich mit einem Zängle die Klammerung gelöst. Denkste. Ratsch, ratsch ehe ich mich versehe wird der Chip einfach von der Starnummer abgerissen. Was bleibt sind 2 hässliche Löcher in der Startnummer. Ihr seid ja so was von sensibel, Mädels. :motz: Behandelt ihr so auch eure Kuscheltiere. Mein begehrtes Souvenir sieht nun doch arg ramponiert aus, zumal mir schon unterwegs eine Ecke ausgerissen ist. Und das nur weil ich unterwegs Wasser verlebbert hatte, das vornehmlich für meinen Megel bestimmt war. Liebe Schweizer auch wenn das Meckern auf hohem Niveau ist. Das könnt ihr doch besser, oddr.

Und wo wir gerade so schön dabei sind. Unterwegs war der Service Nouvelle Cuisine. Aber im Ziel!! Gel und Riegel? Wo sind die Linzer-Törtchen? Nix wie weg von diesem ungastlichen Ort und unter die heiße Dusche ins Zelt. Und danach das Trikot übergestreift. Muss wohl ziemlich „In-Sein,“ denn das trägt hier fast jeder. Über die diesjährige Modefarbe lässt sich aber wie immer trefflich streiten. Musste es dieser süßliche Aubergine-Ton sein. Und auf meinem Bauch ist ein orangener Schuhabdruck der Sponsormarke, Schätzungsweise Größe 70. Seh ich so abgetreten aus? Bin ich überhaupt Laufstegkompatibel?

Nachdem die obligatorischen Gipfelbilder erledigt sind wird der Rummelplatz besucht. So kommt einem der Zirkus der Abstrusitäten hier oben zeitweilig vor. Ist das noch schön? Aus einem Wigwam wird das allseits bekannte Alkoholfreie verkauft. Auf den Preis wurden wahrscheinlich die Höhenmeter als Multiplikator angerechnet. Am Bahnsteig warten die Tokioter auf ihre U-Bahn, äh nee s‘ Zügli und ständig klickt ein Verschluss. Die Swiss Post verteilt vorfrankierte Ansichtskarten, den Text darf ich allerding noch frei wählen. Ist aber eine nette Idee. So richtig Old-Fashioned in Zeiten von Simsen, Facen und Vogelzwitschern. Ich such mir jetzt aber ein ruhigeres Plätzchen. Zum Glück ist auf der Liegewiese noch Platz. Ich traue mich aber kaum die Augen zu schließen, da ich immer noch befürchte es könnte heute doch nur ein Traum gewesen sein. War es ja auch. Ein Traum in Weiß.

Immer noch verzaubert von den Dreien betrete ich später die überfüllte Wengernalpbahn. Ich muss noch zu frisch aussehen, denn heute macht niemand einem alten gebrechlichen Mann Platz. Also Tiefi. Gruß an deine Fangemeide. Ich seh wohl doch nicht so Scheiße aus wie du. Noch ein letzter Blick, dann beginnt die lange Rückfahrt. Ob der heutige Heimatfilm eine Wiederholung erfährt. Mehr Emotionen gehen doch eigentlich gar nicht? Oddr? Im Jahr 2015 würde der Jungfern-Run genau auf meinen Geburtstag fallen. Hmm. Auf dem Rücken dann „12.09., Born to run to Jungfrau.“

Jetzt heißt es erst mal: Tschüss Eiger Mönch und Jungfrau, auf mich wartet der Prediger.
Sparkassen Alb Marathon Schwäbisch Gmünd Alb Marathon - Veranstalter
Impressionen
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13.04. 12h Lauf Grüntal 53,55k
14.04. LIWA-Mara 04:56:44
27.04. Tri-speck 69 km 1100 hm
28.04. Ditzinger Lebenslauf
05.05. Trolli-Mara
11.05. Albtraum 115 k 3000 hm
06.07. Heuchelbergtrail 50 k
28.07. Schönbuch Trophy 47, k 1300 hm
17.08. 100 M Berlin

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Hallo Klaus :hallo: ,

nochmals Glückwunsch :respekt2:
Super Bericht - und ein grandioser Lauf :pokal:

Grüße

Lisa

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Hallo Klaus,

und endlich mal wieder ein (wie immer) packend und unterhaltsam geschriebener Laufbericht von dir !!!! Viiiielen Dank !!!! Und Gratulation zu deiner Leistung !!!!
Ich täte ja schon auch mal der Jungfrau zu Füßen kriechen wollen, aber trauen tue ich mich nicht so recht ... ;-))))

Viele Grüße
Andrea

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Hallo Klaus,

das Warten auf Deinen Bericht hat sich echt gelohnt, so konnte ich mit einigem Abstand noch einmal den kompletten Lauf Revue passieren lassen und, sozusagen virtuell, ein zweites Mal genießen. :daumen: Danke und viel Erfolg über die drei Kaiserberge!

Wolfgang

P.S.: Auf Foto 24 hast Du mich übrigens von hinten beim Fotografieren erwischt!
Ubi marathon, ibi bene (frei übersetzt: wo es einen Marathon gibt, geht's Dir gut!)
Meine private Laufseite: http://www.spass-am-laufen.de :welcome:
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