An dieser Stelle möchte ich euch mit in meinen zweiten Teil meiner Lauftherapie mit hineinnehmen (auch wenn ich gestehen muss, dass ich euch eigentlich noch einen Teil schulde...).
0. Idee, Planung und Anreise
Der Februar ist recht arm an Marathon- und Ultraveranstaltungen (logisch, welcher normal denkende und tickende Mensch muss auch unter diesen Umständen so was laufen??? ). Da wäre Bad Füssing (mit Bahn unerreichbar), die Brocken-Challenge (war LEIDER!!! aus multiplen Gründen nicht möglich), Kiel (zu weit weg und damit anreisetechnisch zu teuer) und schließlich Bad Salzuflen (Bad SalzWAS?). Hat alles nicht geklappt. Und so dachte ich bei mir: Wenn du schon keinen organisierten Lauf findest, der passt, dann machste eben einfach einen Trainingsultra. Ich habe schon lange damit geliebäugelt, mal von Rathen nach Freiberg zu laufen, das wäre doch die Gelegenheit. Den Start noch flux 6 km weiter weg verlegt, dann sollten 80 km rauskommen.
Ich habe ein paar Mitbekloppte hier aus dem Forum angefragt, ob sie nicht mitmachen wollten (wollten sie), aber was die darauf gemacht haben, hat mich echt umgehauen: Cathy (aka Cabo)lief mit mir von Königstein nach Dresden, während Matti (aka Matti) das Versorgungsfahrzeug lenkte und damit 3 strategisch wichtige Punkte ansteuerte um uns zu versorgen. In Dresden wechselte das Ganze, Matti lief mit mir nach Freiberg und Cathy übernahm das Versorgungsfahrzeug. Leute, ihr seid einsame Spitze, das war echt großartig mit euch! Von Königstein bis Dresden gesellte sich noch Alex aus Mattis Laufgruppe zu uns, und so machte ich mit um 7 Uhr auf zum Zug nach Königstein.
1. Lockerer Aufgalopp mit Vorgeschmack – Von Königstein nach Pirna
Pünktlich um 8:45 waren wir in Königstein, nah ein paar Fotos liefen wir los. Das Wetter war klasse, nur der angekündigte Wind machte mir sorgen – was Cathy Aussage „An der Elbe pfeift es immer ganz schön deftig, und immer Gegenwind!“ nicht gerade besser machte.
Wir hatten uns auf ein ganz gemütliches Tempo von 6:30/km geeinigt, was wir aber nie eingehalten haben; das Tempo pegelte sich so bei 6:15 ein. So flogen die ersten Kilometer tratschend und unbeschert dahin, es war einfach klasse!
Liebe Leute, ich muss hier einen kleinen Werbeblock einschieben: Die Sächsische Schweiz ist der HAMMER! Zum Laufen, zum wandern, zum urlauben. So was schönes wie das Elbsandsteingebirge mit Festung Königstein, Bastei und, und, und, habe ich noch nicht gesehen. Einfach zum verlieben. Es war mir ein echtes Privileg, durch so eine tolle Landschaft laufen zu können. Wenn es euch irgendwie möglich ist, kommt mal hier vorbei . Vielleicht ja zum Oberelbemarathon am 29. April, der übrigens (fast) genau die selbe Strecke nimmt wie wir heute im ersten Teil? Ende der Werbung!
Die Kilometer vergingen, ohne das ich es merkte, der Körper lief von ganz alleine, ich habe mich prächtig amüsiert, und auch das langsame Tempo genossen, das ich alleine nie, nie, nie hinbekomme. Vom Wind blieben wir auf diesem Abschnitt weitestgehend verschont, das der Elbradweg, dem wir die ganze Zeit folgten, in diesem Bereich ziemlich geschützt verläuft.
Erst in Obervogelgesang (genialer Ortsname, oder?) kamen wir direkt an die Elbe, und direkt wurde es unangenehm: Scharfer, böiger, kalter Wind, an dem man sofort merkte, dass es eben erst Februar ist, blies und forntal entgegen. Und das, was hier schon unangenehm war, sollte nur ein kleiner Vorgeschmack sein...
In Pirna, nach etwa 18 Kilometer stand zum ersten Mal Matti mit der Versorgungsstation: Warmer Tee, Äpfel, Bananen, Salzkekse, Erdnüsse, Schokolade in verschiedenen Versionen, Schokokekse... alles, was das Herz begehrt.
Nach einer kurzen Stärkung (das Auto stand voll im Wind und es wurde kalt, so dass wir schnell weiterliefen.
2. Ruhige Gewässer – von Pirna bis Dresden
Auf dieser zweiten Etappe änderte sich die Landschaft merklich. Immer noch war da ein Fluß mit Radweg, aber das Elbsandsteingebirge hatten wir hinter uns gelassen. Ich finde es immer noch nett, aber eben anders.
Von dieser Etappe gibt es in meiner Erinnerung wenig berichtenswertes zu erzählen. Die Kilometer liefen so vorbei, wir haben uns gut unterhalten (sofern man sich bei dem Wind verstehen konnte), das Tempo war sehr angenehm, ich habe bis hierhin noch wirklich keinerlei Anstrengung gespürt. So blieb uns auch Luft für einige hitzige Diskussionen über Beziehungskrisen und andere zwischenmenschliche Katastrophen. War nett...
Der Wind war allgegenwärtig, immer von vorne, aber noch in einem erträglichen Rahmen. Unangenehm, störend, aber nicht schlimm.
An der Fähre in Pilnitz (glaube ich...) stand bei km 26 wieder Matti und versorgte uns. Hiermit hatten wir den Randbezirk von Dresden erreicht und damit die nächste Etappe unseres Laufes.
3. Stürmische Zeiten – In Dresden
Und hier wurde es ekelig. Was nicht etwa an dieser wunderschönen Stadt liegt, in die ich mich jedes Mal aufs Neue verliebe wenn ich dort bin. Sondern an 2 anderen Dingen: Schwindende Kräfte und diesem Arschloch – dem Wind.
Cathy merkte man an, dass bei ihr der Ofen langsam aus war. Sie kündigte an, doch nicht mit bis zu sich nach Hause zu laufen, sondern schon am Blauen Wunder (einer Brücke über die Elbe) auszusteigen. Zu diesem Zeitpunkt geht es mir noch sehr gut. Aber der Wind wird heftiger. Bei manchen Böen hat man das Gefühl zu stehen. Die Augen tränen, es tut in den Ohren weh, Unterhaltungen sind in dieser Phase nur noch schwer möglch. Das nervt. Gewaltig. Und kostet Kraft.
Bei km 33 am Blauen Wunder steht wieder Matti und „entführt“ uns nach einem entspanntem Päuschen Cathy. Alex wird meinen Guide durch Dresden geben, und so machen wir uns wider auf den Weg – und werden, natürlich, direkt deutlich schneller. Der nächste Km geht mit unter 5:30 durch. Aber dann – schlägt der Wind voll zu. Mit voller Wucht haut er mir ins Gesicht, ich würde mich am liebsten auf den Boden setzen und heulen. Das ist so anstrengend, das tut schon weh. Ich fluche laut, was so mache Spaziergänger zu irritierten Blicken bringt, zumal sie ja in die Gegenrichtung unterwegs sind und nur Rückenwind haben. Der nächste Kilometer schlägt mit 6:40 zu Buche – ich staune Bauklötze – und kämpfe mich weiter gegen den Wind nach vorne.
An der Waldschlösschenbrücke (für die dem Elbtal der Weltkurturerbe-Status der UNESCO aberkannt wurde) verlassen wir den Radweg und laufen quer durch Dresden. Und plötzlich – Stille. Kein Wind mehr. Die Stadt hält ihn von uns ab und ich genieße diese Verschnaufpause sehr. Es ist wieder möglich, sich zu unterhalten.
Alex führt mich durch Dresden... doch manchmal fürchte ich, er will mich nur in eine dunkle Gasse locken um mir die Kehle durchzuschneiden um an meine Gels zu kommen. Er führt mich kreuz und quer über Stock und Stein, kleine Wege, Abkürzungen, Schleichwege. Diesen Weg hätte ich nie und nimmer gefunden. Vielen Dank für die Stadtführung der etwas anderen Art!
Der Wind hat seinen Tribut gefordert. Man sieht Alex deutlich an, dass er nicht mehr der frischeste ist, und auch ich merke doch so langsam die Anstrengung. Die Beine sind schwer, der Kopf ist nicht mehr ganz frei – und vor allem die Aussicht, dass jetzt, nach 40 km, erst die knappe Hälfte geschafft ist, empfinde ich nicht als sonderlich motivationsfördernd.
Aber es geht noch, bei km 46 stehen Cathy und Matti, mir geht es noch gut, und so machen wir uns zu dritt auf den weiteren Weg, bevor uns Alex nach 1 km nach Hause verlässt. Und jetzt beginnt das große Leiden.
4. Die Wand und die Krise – von Dresden bis Hartha
Matti ist frisch und ausgeruht und plappert fröhlich drauf los. Und dafür bin ich ihm so dankbar, denn er muss gerade Alleinunterhalter spielen. Denn ich bin sehr schweigsam. Freital, durch das wir gerade laufen ist ein elendig langes Kaff. Es hört einfach nicht auf. Und ich denke zum ersten Mal an Abbruch. Ich bin müde, die Beine tun weh und es ist noch so unglaublich weit. Und ich weiß, dass dieser Streckneteil mit einigen giftigen, langgezogenen Steigungen aufwartet. So brüte ich vor mich hin und trotte weiter.
Am Ende von Freital erhole ich mich wieder etwas, es läuft wieder runder. Tharandt wird erreicht und durchquert. Dann biegen wir ab in Richtung Hartha – und ich stehe. Diesmal nicht wegen des Windes (die dichte Bewaldung am Rand verhindert das), aber ich stehe vor einer Wand. Einer ewig langen, sich windenden Steigung. Tierisch steil. Und zum ersten Mal gehe, trotte ich. Ich kann nicht mehr. Meine Akkus sind leer,die Körner verbraucht. Cathy wird das nächste Mal in Grillenburg stehen, dann ist Schluss. Ich schaffe das nicht und es ist ja auch nur ein Trainingslauf. Ich teile Matti meine Überlegungen mit und er beordert Cathy kurzerhand nach Hartha. So muss ich mich, grübelnd und innerlich schimpfend, „nur“ diese Wand hoch quälen, dann steht sie schon da – und sie hat Kaffee dabei. Heißen, leckeren, starken Kaffee. Ich verkrieche mich auf den Rücksitz (denn hier obenauf der Kuppe pfeift es wieder heftig) und schlürfe meinen Kaffee. Ich futtere Matti sein Milchbrötchen weg, schiebe noch 2 Kekse und einen weiteren Kaffee hinterher – und komme langsam wieder mit mir ins Reine. Die Lebensgeister kehren zurück. Man muss mir wohl angesehen haben, dass ich alle war. Dann schaue ich auf meine Uhr: 58,9 km. Ne, das geht nicht. Ich kann nicht unter 60 km aufhören, wo kommen wir denn da hin? Ich trinke meinen letzten Schluck Kaffee und stürme los. Matti schaut ein wenig verwirrt und folgt mir. Der Rest des Laufes wird nicht leicht – aber es war das letzte Mal, dass ich an einen Abbruch denke!
Anmerkung: Diese Krise war mir eine wichtige Lehrstunde. Ih habe dieses Jahr einige lange Dinger dabei, bei denen bestimmt auch solche Krisen kommen werden. Und dann will ich mich an diesen Lauf erinnern: Eine Pause, zumal wenn mit Kaffee, eine kleine Ruheinsel, kann Wunder bewirken. Und was sind die verlorenen Minuten im Gegensatz zu einem drohenden Abbruch? Toll, dass ich das im Training (neu) lernen und erfahren durfte!
5. Auferstehung – von Hartha bis Colmnitz
Man verzeihe mir diese theologisch fragwürdige Überschrift – aber genau so habe ich mich gefühlt. Bis auf den ersten Kilometer nach der Pause verlief die Strecke durch den Tharandter Wald – und war damit Windgeschützt. Kaum schwere Steigungen, einige sanfte Bergab-Passagen unterstützten meinen neuen Schub. Und so konnte ich mich auf diesem Teilstück (von ca. km 59-72) sogar wieder an den Gesprächen beteiligen...
In Grillenburg gab es noch einen Verpflegungsstop (und ich war echt dankbar, dass die in diesem Zeitfenster so engmaschig waren, das hat gut getan, den Lauf in so kleine Häppchen von 6-8 km zerlegen zu können), ansonsten sammelten wir Kilometer um Kilometer ein. Das Laufen fiel mir beileibe nicht mehr leicht, aber es ging. Die Kilometerzeiten blieben in einem anständigen Rahmen und ich war sicher, dass ich heil und laufend in Freiberg ankommen würde.
Allerdings wurden die letzten 8 Kilometer, nach dem letzten Verpflegungsstop kurz nach Colmnitz noch mal hart,denn wir begegneten zwei Arschlöchern!
6. Doppeltes Arschloch – von Colmnitz bis Freiberg
Das erste Arschloch war ein alter Bekannter: Der Wind. Dieser Teil der Strecke führte eigentlich nur noch über freies Feld und Flur – und hier biss der Wind noch mal richtig, richtig zu. Frontal von vorne, eisekalt, in die Hände und das Gesicht beißend, und das in diese sowieso schon große Erschöpfung nach über 7 Stunden Laufzeit hinein. Das war nicht schön. Das war gar nicht schön!
Und dieser Bursche verstand sich hervorragend mit einem zweiten Exemplar seiner Gattung: Den drei Steigungen. Auf diesen letzten 8 Kilometern lagen noch dreiSteigungen, die heftigste ganz zum Schluss vor Freiberg, mit über 12% Steigung und fast 1 km Länge. Und hier musste ich kapitulieren. Die steilsten Passagen war ich nur noch gehend in der Lage zu bewältigen.
Ich gebe zu, dass sich auf diesem Teil der Strecke, des Laufes, meine Freude und mein Spaß doch arg in Grenzen hielt. Ich wusste,ich werde es packen, aber ich wollte einfach nur heim. Ich hatte keine Lust mehr. Und dann kommen diese zwei Vollpfosten und machen mir auch noch das Leben schwer. Super!
Und so schleppte ich mich mehr schlecht aus recht vorwärts, immer probierend, auch gegen Ende nicht zu schlurfen und halbwegs würdevoll auszusehen (was mir ganz sicher auch gelungen ist, leider hatten wir keinen Fotoapparat mehr dabei um das auch dokumentarisch zu belegen... ).
Aber auch diese Dürrephase ging vorbei und den letzten Kilometer durfte ich dann noch mal durch Häuser vor dem Wind geschützt genießend wie ich bergab (!!!) auf mein Zuhause zurollen konnte!
Geschafft! 80,5 km in 8:20; ein langer, toller, Tag mit ganz, ganz tollen Menschen geht zu Ende Schön wars. Sehr schön. Jetzt bin ich das, was auch dieser Bericht ist: Am Ende!
Gute Nacht und danke fürs Durchhalten,
nachtzeche
Der Wind ist ein Arschloch! Von Königstein nach Freiberg - ein Trainingsultra
1"Die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden!" (Die Bibel, Jesaja 40,31)