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Als Läufer unter Schlägern - Lahntallauf Marburg 03.03.12

Als Läufer unter Schlägern - Lahntallauf Marburg 03.03.12

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Wo bin ich nur hier hingeraten? Falsches Datum? Falscher Ort? Paralleluniversum? Die sehen alle so... stark aus. Muskulös. Furchteinflößend. Die haben Oberarme wie ich Oberschenkel. Wo um aller Welt bin ich hier, was will ich hier – und was machen diese gefährlichen Typen hier alle?

Herzlich willkommen zur Laufherapie dritter Teil!

Ich kenne die Radwege entlang der Lahn in Marburg wie meine Westentasche. Hier habe ich 2004 während meines Studiums angefangen zu laufen und bin keine andere Strecke als diesen Radweg hoch und wieder runter gelaufen. Immer und immer wieder.
2009 bin ich hier beim Lahntallauf meinen allerersten Ultra gelaufen. In den letzten Jahren hat eine Wiederholung irgendwie nicht geklappt, um so schöner, dass es dieses Jahr wieder möglich war. Ich liebe diese Strecke. Ich liebe diese Stadt. Dass ich diesen Lauf liebe, wäre übertrieben zu sagen, aber ich mag ihn trotzdem. Die meisten Läufer, mit denen ich nach dem Lauf geredet habe, fanden die Strecke ziemlich öde. Wahrscheinlich ist es bei mir auch ein großer Teil meiner Geschichte mit dieser Strecke, dass ich sie mag. Aber egal, ich habe es mal wieder richtig genossen, hier in Laufschuhen unterwegs zu sein.

Seit dem 01. März gilt mein andere Therapiemittel endlich – meine Bahncard 100. Für ein Jahr darf ich jetzt ohne Zusatzkosten so viel Zug fahren wie ich möchte. Einfach in (fast) jeden Zufg Deutschlands einsteigen, keine Fahrkarten mehr kaufen und fahren so weit und viel ich will. Und das habe ich an den ersten Tagen ihrer Gültigkeit auch direkt voll genossen. Essen, Mönchengladbach, Marburg, und jetzt gerade, wo ich diesen Bericht schreibe, sitze ich wieder im Zug auf dem Weg nach Nürnberg. Überall habe ich liebe Menschen besucht und die Fahrten genossen.

Das hatte allerdings zur Folge, dass ich bereits am Donnerstag festlegen musste, wie ich kleidungstechnisch laufen möchte, da ich am frühen Donnerstag morgen zu meiner kleinen Deutschlandtour aufgebrochen bin. Und der Wetterbericht war eindeutig: Sonne, windstill, 12°. Ganz klare Sache, ich laufe kurz/kurz. Also gar nichts anderes mitgenommen (als hätte das eine Langarmshirt die Tasche zu schwer gemacht... :klatsch: ) und auf den Wetterbericht verlassen. Um es vorweg zu nehmen: Der Wetterbericht ist ein Lügner: Keine Sonne (sondern wolkenverhangener Himmel mit wenigen Regentropfen), Wind (nicht so ein Arschloch wie letzte Woche, aber vorhanden) und gefühlte 3-5°! Und daraus resultierend ein die ganze Zeit frierender Nachtzeche, der als einer der wenigen wirklich im T-Shirt gelaufen ist...

Da ich ja mit dem Zug angereist bin, war ich auch auf eine bestimmte Zeit festgelegt, so dass ich 2 Stunden vor dem Start am Marburger Südbahnhof ankam. Das passte mir eigentlich ganz gut, da ich weniger mag als Stress und Zeitdruck vor dem Start.
So schlenderte ich gemütlich zum Georg-Gassmann-Stadion, an dem die Anmeldung, Umkleiden und Duschen sein sollten.
Dort war die Halle auch schon offen und einige Leute standen schon Schlange. Das erste, das mich stutzig machte, war das handgeschriebene Schild mit der Aufschrift „Registration“. Gemeint war die Anmeldung, aber – so was habe ich bei Läufen noch nie gelesen. Das sagt man so nicht. Na ja, ich habe mich trotzdem angestellt, um mich dann direkt über die anderen Teilnehmer zu wundern. Ihr habt es oben schon gelesen. Die sahen alle so gar nicht aus wie Läufer. Um mich herum habe ich kaum noch ein deutsches Wort gehört, nur noch russisch. Und die Leute waren alle super traininert – nur an für Läufer eher ungewöhnlichen Stellen. Baumdicke Arme, Stiernacken, breite Brustmuskulatur. Irgendwas war hier gewaltig komisch. Spätestens, als ich bei zwei Mitwartenden Helme und Mundschutz auf den Taschen liegen sah, wusste ich, dass ich hier definitiv falsch bin. Auffallend häufig war der Schriftzug „Sambo“ zu lesen. Die anschließende Recherche bei Wikipedia brachte dann Licht ins Dunkel:
„Sambo*(russisch*самбо) ist eine russisch-sowjetische Kampfsportart. Sambo hat seine Wurzeln im japanischen*Judo/Jiu-Jitsusowie in den traditionellen Kampf- und*Ringerkünsten*Europas und des Gebietes der ehemaligen*Sowjetunion.
Sambo wurde ab 1923 von der sowjetischen Armee entwickelt, um deren Nahkampfausbildung*zu verbessern. Entwicklungsziel war die Verschmelzung der effektivsten Techniken traditioneller Kampfkünste zu einem für die militärische Ausbildung geeigneten System.“
Es fand also im Stadion noch eine Sportveranstaltung statt. Und ich habe mich einfach in der falschen der drei Hallen eingefunden. Meine Gedanken und das komische Gefühl amüsieren mich jetzt noch, und so ging ich etwas dümmlich grinsend von den (gar nicht bösen, sondern im Gegenteil sehr freundlichen) Kampfsportlern weg und fand auch bald meinen eigene, richtigen „Stall“, wo bei meinen Mitsportlern die Proportionen auch vertrauter waren und das Flair so war, wie ich es von Laufveranstaltungen auch gewöhnt bin. Gut. Beruhigend. :zwinker2:

Nach dem Umziehen traf ich Peter (alias miatara)und wir haben uns sehr nett unterhalten – wobei wir merkten, dass wir das selbe Zeitziel hatten – er wollte den Marathon als langen, gemütlichen Trainingslauf, ich die 50 km in etwa 4:30 laufen. Das passte perfekt, denn so konnte ich mein Gepäck in seinem Kofferraum deponieren und musste mir keine Sorgen über etwaiges Abhandenkommen meiner Wertgegenstände machen!
Dann schlenderten wir zusammen zum etwa 800 Meter entfernten Start – und ich bibberte mich dem Startschuss entgegen, der dann auch pünktlich um 10 Uhr ertönte.

Die 10-Km-Runde, die für uns Ultras 5 Mal zu durchlaufen war (außerdem wurden 10 k, Halbmarathon und Marathon angeboten, wobei die 50 km die am stärksten nachgefragte Strecke waren) begann auf Höhe des Marburger Südbahnhofs und führte nach Süden aus der Stadt hinaus über die Felder (Windanfällig! Kalt! :motz: ). Dann eine Schleife durch das Industriegebiet von Cappel, über die Lahn hinüber, rein nach Gisselberg und an der Straße entlang zurück nach Marburg. Und ganz ehrlich: Für einen Ultra bin ich mir nicht sicher, ob es was schlimmeres gibt als 5x10km. Es ist nicht verrückt genug, um so cool zu sein wie ein 6 oder 12 Stunden Lauf auf einer kleinen Runde, es ist nicht so schön und abwechslungsreich wie eine Punkt-zu-Punkt-Strecke. Es ist einfach nur öde. Aber naja, zur Not frisst der Teufel Fliegen, und wie ich schon schrieb habe ich eine persönliche Affinität zu dieser Strecke, von daher war es in Ordnung.
Nach der langen Tour letztes Wochenende war ich mir nicht sicher, wie ich diesen Lauf angehen sollte. Die Läufe diese Woche waren eine Katastrophe, die Beine einfach noch alle. Also beschloss ich, mal auf 4:30 anzugehen und zu schauen,wie lange ich dieses Tempo halten könnte. Man muss ja auch mal was riskieren...

Durch den schmalen Radweg und den gemeinsamen Start der vier Strecken war es am Anfang sehr eng, freies Laufen war erst nach etwa 2 Kilometern möglich. War aber nicht schlimm, denn dann hatte sich das Feld halbwegs sortiert und man konnte gut laufen. So erfreute ich mich an der mir so vertrauten Strecke, den An- und Aussichten einiger Läuferinnen um mich herum :peinlich: und ließ die ersten Kilometer laufen. Die Uhr sagte mir, das die Zeiten der ersten 5 Kilometer mit durchschnittlich 5:15/km ein bisschen zu schnell waren, aber die Beine fühlten sich so weit ganz gut an. Allerdings hatte ich ein bisschen Bammel. Normalerweise werde ich bei diesem Tempo im Training nach etwa 25-30 km müde. Aber derart leergelaufen wie ich war, befürchtete ich diese Ermüdung erheblich früher. Sollte ich jetzt schon Tempo rausnehmen? Oder einfach warten? Da Tempo rausnehmen eigentlich nie funktioniert, ließ ich es einfach mal laufen und wartete auf die Probleme...
Drei Verpflegungsstände mit guter Ausstattung boten hervorragende Rahmenbedingungen für einen sorgenfreien Lauf. So konnte ich die erste Runde in knapp 53 Minuten beenden und trabte frohgemut und überrascht ob der erfreulichen Leichtigkeit weiter.

Nach etwas 17 Kilometern (mittlerweile merkte ich bereits, dass ich Beine habe und diese auch nicht mehr ganz so frisch waren), lief ich auf ein Pärchen auf, dass mit T-Shirts angetanwar mit der großen Aufschrift „MuLi“ - Laufgruppe Mutterstadt Limburgirgendwas. Da ich dies rein lokal gar nicht verorten konnte, fragte ich , wo diese Weltstadt denn liegen würde (jetzt bin ich schlauer: In der Pfalz), und aus dieser Frage entspann sich ein Gespräch. Wir liefen in etwa das selbe Tempo (gut, in dieser Phase pegelten wir uns auf 5:0x/km ein...) und so verbrachten wir die nächsten Kilometer gemeinsam. Der männliche Part des Pärchens beendete nach dieser Runde planmäßig mit dem Halbmarathon seinen Lauf, Steffi dagegen wollte auch die 50 km laufen. Und so liefen wir gemeinsam weiter, was sich für mich als super Lösung erwiesen hat. Ich war abgelenkt, die Unterhaltung war echt nett und kurzweilig (und das tolle an solchen Laufveranstaltungen ist, man trifft immer wieder Menschen, die was den Sport angeht, noch verrückter sind als man selbst. Das beruhigt ungemein... :D ) und so flogen die Kilometer nur so vorbei. Meine Beine wurden immer schwerer, die Oberschenkel fingen an zu brennen, aber alles noch im erträglichen Maße. Die Gesellschaft von Steffi erleichterte es mir ungemein, das Tempo zu halten und keinen Schlendrian aufkommen zu lassen. Danke!!!

Und so waren wir bei km 40 angekommen, die letzte Runde begann. Mittlerweile liefen wir zu dritt, bei km 38 waren wir auf einen Läufer aufgelaufen, der soich bei uns eingeklinkt hatte. Was das Gespräch bereicherte, dem Tempo aber nicht ganz zuträglich war. Und ich kann das ja gar nicht haben, am Ende eines Laufes langsamer zu werden. Also beschloss ich, auf der letzten Runde noch mal zu schauen was geht und mein Lieblingsspiel zu spielen: Läufer einsammeln.

Also zog ich los und versuchte das Tempo noch mal zu forcieren. Und das ging. Wenn auch nicht spielend, aber auch ohne größere Schmerzen. Waren die Kilometer 38-40 jeweils mit ca. 5:20 durchgegangen, lag km 41 bis 05:02. Schön. Die Verpflegung ließ ich ab jetzt links liegen und „saugte“ mich an einen Läufer nach den anderen heran. Die Strecke war mittlerweile so leer, dass da immer in weiterer Ferne einzelne Läufer zu sehen waren. Diese fokussierte ich und versuchte, zu ihnen aufzulaufen. Wenn dieser Läufer gepackt war, schaute ich mir mein nächstes „Opfer“ aus. Auf diese Weise habe ich in der letzten Runde 21 LäuferInnen überholt (dabei allerdings keine 21 Plätze gut gemacht, da waren auch einige Marathonis und Überrundungen dabei). Diese Taktik it für so eine Schlussrunde echt ideal. Sie lenkt von der Uhr und den müden Beinen ab und gibt noch mal einen echten Kick. Ohne dieses „Sammeln“ hätte ich das Tempo auf den letzten 3 schnurgerade und stinklangweiligen Kilometern wohl nicht halten können.
Aber so ging es, und als ich die letzte Runde in unter 50 Minuten ins Ziel gebracht hatte, stand meine Uhr bei 4:24:42. Das ist doch eine ordentliche Zeit für einen Trainingswettkampf unter nicht ganz optimalen Vorzeichen, der mich auch nicht alles gekostet hat. Schön.

Auch das „Rendezvous“ mit Peter klappte einwandfrei, so dass ich ohne Probleme wieder an meine Sachen kam, mir nach eine schön heißen Dusche noch einen leckeren Kaffee mit Apfel-Sahne-Torte gönnen konnte, um mich dann müde und rechtschaffend glücklich auf den Heimweg machen konnte.
Beim Verlassen des Stadions sah ich noch einige Kampfsportler, die sich auch nach getaner Arbeit auf den Heimweg machten. Ich nickte ihnen lächelnd zu und freute mich, dass es für jeden Menschen die passende Sportart zu geben scheint – und war froh, mich bei der „Registration“ nicht wirklich bei ihnen angemeldet zu haben – sonst würde es mir heute bestimmt dreckiger gehen...

Danke fürs Durchhalten,
nachtzeche
"Die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden!" (Die Bibel, Jesaja 40,31)

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Hallo Chris!

Danke für den SUPERTOLLEN Bericht! Du bist einfach CRAZY (oder schreibt man das CRAXI), ich hoffe du verstehst :zwinker4:

Sag mal machst du nicht zu viel lange Sachen und Wettkämpfe :zwinker2: :hihi:


Also ich finde es nur KLASSE, das du wieder läufst und ich freue mich schon RIESIG auf unser wiedersehn beim Rennsteig SM.

Schöne Grüße aus der Steiermark

Kraxi

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:klatsch: :klatsch:jetzt kapier ich das mit den vielen russen :klatsch: :klatsch:

mann! da haste ja richtig recherchiert und registriert :daumen:

ich war irgendwie neben der kappe an diesem tag, hatte keinen bock und war müde, im nachhinein hätte ich noch gas geben können, war ja alles frei und optimale bedingungen.
also mir hats wunderbar gefallen, zumal man in marburg nicht so ein gewaltiges gedöns hat.

da musst du dieses jahr aber mal ein paar läufchen machen, wenn du jetzt die BC 100 hast!!!
also, dann sehen wir uns ja samstag beim braveheart und sonntga im bienwald! :hihi: :hihi:
Bild

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nachtzeche hat geschrieben:... und als ich die letzte Runde in unter 50 Minuten ins Ziel gebracht hatte, stand meine Uhr bei 4:24:42. Das ist doch eine ordentliche Zeit für einen Trainingswettkampf unter nicht ganz optimalen Vorzeichen, der mich auch nicht alles gekostet hat. Schön. ...
Klasse ... :daumen: ... und dann doch eine PB, zumindest Freiluft, oder? ... :D

LG Manfred
2022: erledigt: G1-Grüngürtel, Kölnpfad 100k, Burginsellauf Delmenhorst 24h Staffel(!), Mega Marsch Köln (63k) ... geplant: nix

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nachtzeche hat geschrieben:Beim Verlassen des Stadions sah ich noch einige Kampfsportler, die sich auch nach getaner Arbeit auf den Heimweg machten. Ich nickte ihnen lächelnd zu und freute mich, dass es für jeden Menschen die passende Sportart zu geben scheint – und war froh, mich bei der „Registration“ nicht wirklich bei ihnen angemeldet zu haben – sonst würde es mir heute bestimmt dreckiger gehen...
Das haben die umgekehrt bestimmt auch gesagt. :D

Schöner Bericht, und klasse Leistung! :daumen:
Helmuts Fahrrad Seiten..............................PresseRad - Der Radfahrer in der Presse

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Hallo Nachtzeche!

Hat echt Spaß gemacht deinen Bericht zu lesen....wie du wohl als russischer Kampfsportler abgeschlossen hättest :D

Gratulation zu der Zeit!

Ich könnte mich bei dem Tempo nicht unterhalten....Respekt!

Zur Zeit bereite ich mich auf den Hamburg Marathon vor und schreibe auch meine Lauferlebnisse in Form eines Blogs nieder.....wenn du Lust hast, schau doch mal vorbei!
Es grüßt Euch,

der Marathonblogger


http://www.meinmarathonblog.de

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:hihi:

Suuuuper, dein Bericht. Danke dafür!!
Wenn du dich schon gewundert hast- was meinst du, wie die Sambos sich gewundert haben, dich an der Registration zu sehen. :headbang: :zwinker2:
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