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Nach den Iden des März - 10 km in Köln-Rodenkirchen am 17.3.2765 a.u.c.

Nach den Iden des März - 10 km in Köln-Rodenkirchen am 17.3.2765 a.u.c.

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Es war der 15. März des Jahres 710 ab urbe condita. Wohl um die dritte Stunde des Tages betrat Gaius Iulius Caesar, seines Zeichens Diktator im Römischen Reiche, gewohnheitsgemäß den Senat. Dort wurde er bekanntlich bereits erwartet, und zwar von einer sinistren Schar von Männern um die Senatoren Marcus Iunius Brutus und Gaius Cassius Longinus. Denen ging es eigentlich darum, die Republik zu retten, welche Gaius Iulius zusehends usurpiert hatte. Als geeignetes Mittel zu diesem Behufe erschien ihnen ein gemeinschaftlicher Mordanschlag, der ihnen zwar gelang, jedoch nicht die erhoffte Wirkung zeitigte.

Vielmehr katapultierten sie das Reich endgültig ins Chaos. Es entspann sich ein Bürgerkrieg, der erst abflaute, nachdem mit Caesars Großneffen Gaius Octavius, dem späteren Augustus, der mittlerweile allseits erhoffte starke Mann an die Spitze des Reiches gerückt war. Damit hatte die römische Kaiserzeit begonnen, während derer gar mancher illustre Parvenü auf den Thron in der Hauptstadt gespült wurde.

Als schrägster Vogel dieser Art gilt Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus, der 807-821 a.u.c. regierte. Seine "Meriten" sind legendär und bedürfen keiner neuerlichen Aufzählung, zumal die Quellen ohnehin allesamt voreingenommen sind. Wo hat ein solcher Mann eigentlich seine Wurzeln? In Amt und - na ja - Würden gehievt hat ihn vor allem seine umtriebige Mutter Iulia Agrippina minor, gebürtig aus dem entlegenen Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Derart lange Städtenamen waren im Römischen Reich nicht ungewöhnlich. Ebenso war es an der Tagesordnung, dass die jeweiligen Einwohner sie nicht recht auszusprechen vermochten - zumal in Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Dort wurde und wird zwar das Bier in fingerhutartigen Gläsern ausgeschenkt, aber - viele Hunde sind des Hasen Tod! - im vielfachen Dutzend tun eben auch solch homöopathische Dosen ihre verheerende Wirkung. Kein Wunder mithin, dass der Bewohner von Colonia Claudia Ara Agrippinensiumauf die Frage nach seiner Herkunft selbst außerhalb der fünften Jahreszeit irgendwann nur noch mühevoll zu lallen vermag: "Kölle".

Mütterlicherseits also war Kaiser Nero 'ne kölsche Jung. Das erklärt natürlich einiges. Beispielsweise, dass er als überaus mittelmäßiger Sänger und Dichter in die Geschichte eingegangen ist. Gewissermaßen als eine Art männliches Pendant zur unvergessenen Hildegard Knef, über die Ella Fitzgerald einst sagte, sie sei die beste Sängerin der Welt ohne Stimme. Hätte es also die denkwürdigen Ereignisse der Iden des März nicht gegeben, wäre auch den Freunden der schönen Künste manches erspart geblieben.

Aber nicht nur in Rom, sondern auch in Köln wurde ja, wie oben gezeigt, der Grundstein zu jener tragischen Entwicklung gelegt, die in der Regentschaft des Nero gipfelte. Und noch heute haftet dem Rodenkirchener Volkskauf, der alljährlich um die Iden des März herum stattfindet, ein wenig römisches Flair an: Gelaufen wird um den forstbotanischen Garten der Universität Köln herum, wo die Bäume noch lateinische Namen tragen. Angenehm war es, durch den Wald zu laufen, denn um 12 Uhr mittags, als der Startschuss zum 10km-Lauf fiel, stand der heutige Temperatursturz erst noch bevor, so dass die Sonne munter hernieder schien und für leicht unwohlige Wärme sorgte.

Zur südländischen Atmosphäre der Veranstaltung gehört auch das wohl typischste Alleinstellungsmerkmal aller Laufwettkämpfe auf deutschem Boden: Kinder heißen hier nicht, wie sonst auf Neudeutsch üblich, Kids (mir persönlich ist diese Nomenklatur ja zu cool), sondern Bambini. Das hat doch was von der südlichen Sonne Italiens. Bucatini und Chianti statt Burger und Cola. Buon appetito e salute! Und da sind sie auch schon gestartet zu ihrem Lauf über circa fünf Stadien! Man hört es weithin an den anfeuernden Schreien der stolzen Eltern, einer frenetischen Lärmkulisse, die durchaus des Circus Maximus während der Gladiatorenkämpfe würdig gewesen wäre. Nur dass hier auch der Letzte, der durchs Ziel geht, noch unangefochten mit dem Leben davonkommt. Wir sind die nächsten, also heißt es nunmehr warmlaufen und dann den Startbereich aufsuchen.

Dieser Lauf ist, soweit es mich betrifft, als Standortbestimmung für einen Marathon in sechs Wochen gedacht. In Düsseldorf, das überhaupt keine Sänger hervorgebracht hat, sondern nur solche, die sich dafür halten. Die Strecke ist zwar weder asphaltiert noch ganz topfeben, dennoch scheint sie recht schnell. Auch das Wetter spielt recht gut mit. Man darf also auf eine neue Bestzeit hoffen oder kann sich alternativ ein mediokres Ergebnis problemlos schönreden. Noch gestern stand mein Start in Frage. Nachdem ich jedoch gemäß der bewährten Empfehlung des Hippokrates Ubi pus, ibi evacua einem Abszess im mittleren rechten Zeh mit dem Taschenmesser zuleibe gerückt war (die chirurgischen Details spare ich mir), verlief der Wettkampf heute völlig schmerzfrei.

Zuerst geht es mitten durch einen weitläufigen Park, bevor uns der Wald verschluckt. Nun wird es ein wenig holprig, und der Weg neigt sich leicht bergab. Nach der ersten Linkskurve geht es weiter hinunter. Mir wird etwas mulmig zumute, denn das werden wir doch später alles wieder hinaufmüssen, und zwar drei Mal, denn so viele Runden sind zu absolvieren. Um es vorwegzunehmen: Natürlich mussten wir wieder hinauf, aber seltsamerweise war davon gar nichts zu spüren. Man hatte die gesamte Zeit über das Gefühl, die Strecke verlaufe ziemlich eben. So ganz mit rechten Dingen geht das zwar eigentlich nicht zu, aber ich will nicht mit dem Schicksal hadern. Mir soll es recht sein.

Die Spitzengruppe scheint etwas größer zu sein als die Ergebnislisten der Vorjahre erwarten ließen. Das lässt darauf hoffen, dass sich stets jemand vor mir findet, nach dem ich mich strecken kann. Und tatsächlich gelingt es mir nur deshalb, das Tempo hoch zu halten, weil die ganze Zeit über andere vor mir sind, zu denen ich den Kontakt nicht abreißen lassen will.

Hätte dieser Lauf sechs Wochen später stattgefunden, hätte sich die wahrscheinlich sehr üppige Natur, durch die wir laufen, dem Blick erheblich intensiver aufgedrängt. Heute muss man schon genauer hinsehen, um die Zeichen des schwindenden Winters wahrzunehmen. Unscheinbare Schneeglöckchen, vielleicht ein paar Buschwindröschen, die vorsichtig nachschauen, ob sie schon willkommen sind, und hier und da ein wenig zartes Grün am Waldboden. Das ist vielleicht noch nicht viel fürs Auge, aber für mich ist es die schönste Zeit des Jahres, denn sie ist beherrscht von der Vorfreude auf den Frühling und auf Ostern. Darüber kann auch dieser leichte spätwinterliche Grauschleier nicht hinwegtäuschen, der im Moment noch alles überzieht. Das ist nur das letzte Aufbäumen eines Kämpfers, der längst verloren hat und dessen Zeit vorbei ist.

A propos - ich wollte doch eigentlich vorn mit dranbleiben. Sind die direkten Vorderleute weiter abgerückt? Dann will ich mich doch gleich einmal ein wenig sputen! Lange Zeit habe ich einen Läufer vor mir, der, der Farbe seines Trikots nach zu urteilen, aus den Niederlanden angereist ist. Beim dichteren Auflaufen stellt sich das jedoch als reine Tarnung heraus - der Mann stammt aus dem benachbarten Bonn. Auch sonst habe ich ausschließlich Mitglieder aller möglicher Vereine vor mir und fühle mich als reiner Privatier schon fast ein wenig nackt. Vielleicht sollte ich doch endlich einmal den Eintritt in einen Verein erwägen.

Den letzten Kilometer jeder Runde erkennt man daran, dass der Weg wieder aus dem Wald herausführt. Man findet sich auf jener riesigen Parkwiese wieder, auf der dieses Rennen seinen Ausgang nahm, deren große Kirschbäume ihrer Blüte entgegendämmern und die ansonsten aussieht wie eine Art Golfplatz ohne Löcher. Schon von ferne erkennt man den Zielbogen von der leuchtenden Farbe eines Papaver rhoeas. Wenige Meter davor heißt es jedoch halblinks abbiegen, und zwar zwei Mal. Erst nach der dritten Runde dürfen wir uns geradeaus halten und nach einem letzten Spurt den Bogen durchlaufen.

Diese dritte Runde sollte eigentlich die flotteste werden, aber inzwischen haben sich die Wege wieder gut gefüllt mit Läufern, die es gemächlich angehen lassen und mitunter wie weiland der alte Varus (Ihr wisst schon, jener einzige römische Feldherr, dem es gelang, von den Germanen besiegt zu werden) mit seinen Legionen in breiter Phalanx nebeneinander herlaufen und Kochrezepte austauschen. Oder unterhalten die sich über das Fernsehprogramm? So genau bekomme ich das nicht mit. Trotzdem kommt mir diese Runde schneller vor als die beiden ersten. Das kann aber auch daran liegen, dass die schwindenden Kräfte das Tempo so intensiv erscheinen lassen.

Aber schließlich liegt der Wald abermals hinter mir, und diesmal darf ich auch dem Triumphbogen entgegeneilen. Auf der großen Uhr daneben gewahre ich eine 36, gefolgt von einem Doppelpunkt. Dann folgt eine Fünf. Dergleichen habe ich - fürwahr, beim Jupiter! - noch nie gesehen! Nun aber noch einmal flugs die Beine in die Hand genommen! Als ich das Ziel erreicht habe, muss die Uhr wohl bereits eine 37 anzeigen, aber ich bin guter Hoffnung, dass ich netto darunter geblieben bin.

Den ersten Schluck Wasser, den ich danach zu mir nehme, keuche ich direkt wieder aus, aber schon nach zwei Minuten kann ich wieder feste Nahrung in Gestalt einiger Bananen zu mir nehmen. Und gleich der warmen Frühlingssonne - oder wie das verhaltene Grün des aufkeimenden Lenzes? - erscheint fern am Horizont die vielleicht gar nicht mehr so vermessene Frage, ob es mir womöglich beschieden sein wird, mich eines schönen Sonntags Ende April in Düsseldorf am Rheinufer an einem kühlen Weizenbier zu laben, während ringsum die Glockenschläge der Kirchturmuhren die Mittagsstunde verkünden. Latürnich!
Дуа кинум йах иди, ту пуц ца бофт тар ту-хез йатов̌!

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aghamemnun hat geschrieben:mich eines schönen Sonntags Ende April in Düsseldorf am Rheinufer an einem kühlen Weizenbier zu laben, während ringsum die Glockenschläge der Kirchturmuhren die Mittagsstunde verkünden. Latürnich!
Die Sache hat einen kleinen Schönheitsfehler - es gibt kein Weizen, es gibt Weißbier!

....und von der Ziellinie wirst Du mehr als die 5min brauchen, die Du dafür haben wirst :daumen: :daumen: :daumen:

gruss hennes

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@Hennes: Okay, okay, zweiter Versuch: "... ob es mir womöglich beschieden sein wird, eines schönen Sonntags Ende April in Düsseldorf am Rheinufer erschöpft aber glücklich einem kühlen Weißbier entgegen zu spazieren, während ringsum die Glockenschläge usw."

Besser so?

@VeloC: Danke für die Blumen! :winken:
Дуа кинум йах иди, ту пуц ца бофт тар ту-хез йатов̌!

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aghamemnun hat geschrieben:@Hennes: Okay, okay, zweiter Versuch: "... ob es mir womöglich beschieden sein wird, eines schönen Sonntags Ende April in Düsseldorf am Rheinufer erschöpft aber glücklich einem kühlen Weißbier entgegen zu spazieren, während ringsum die Glockenschläge usw."
Ich bin sehr zuversichtlich :daumen: - ich stell Dir eins auf die Ziellinie :D

gruss hennes

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aghamemnun hat geschrieben: Besser so?
Nö, Hennes hat Ahnung von Garmin und Altbier, aber nicht von bayrischen Spezialitäten:
Weizenbier oder Weißbier (Südbayern) ist ein obergäriges Bier, das in Deutschland mindestens zur Hälfte aus Weizenmalz hergestellt sein muss. Weitere Bezeichnungen sind Weizen, Weißes und Weiße, und zur genaueren Differenzierung „Hefeweizen“ oder „Hefe“ sowie „Kristallweizen“. „Weizen“ und „weiß“ besitzen denselben etymologischen Ursprung.
Gute Zeit übrigens! Geht doch!

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de
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