Der Rennsteig.
Der sollte ein erstes Highlight setzen beim Überschreiten einer neuer imaginären Grenze. 72,7 km und ca. 1400 Hm sind die nackten Zahlen des SM, dessen Lustgewinn sich aus dem schier endlosen Wechselspiel dominant auftretender Waldmonotonie, gepaart mit einer devoten Haltung beim Genuß exzessiven glibberigen Aphrodisiakum ergibt, das die eher erotisch abtörnende Produktbezeichnung Schleim trägt.
Bereits am Vortag des 12.Mai mache ich mich auf den Weg nach Eisenach um noch ein bisschen Kultur in Form der Wartburg auf mich wirken zu lassen. Und um die schwäbische Haushaltskasse etwas zu schonen, wird der steile Weg dorthin als kleine letzte Vorbereitung auf den großen Tag genutzt. Gegen Abend treffe ich am Marktplatz auf Kati und Hannes die im Gegensatz zu mir ihre mentale familiäre Unterstützung mitgebracht haben. Es schüttet zwischenzeitlich so richtig, was dafür sorgt das wir uns alle früher als geplant ins außerhalb gelegene Hotel zurückziehen und nach kurzem Aufenthalt an der Hotelbar uns in die Kojen verdrücken. Da wir um 5.00 Uhr losfahren wollen und ich noch ordentlich Vorlaufzeit benötige um halbwegs frisch gebügelt (tja, ja die kleinen Lachfältchen halt ) und gebügelt auszusehen heißt das leicht abgeändert: Thüringer Nächte sind kurz…
Als wir uns vom Discounterparkplatz in Richtung City begeben empfängt uns ähnliches Liedgut. Der Anton aus Tirol. Nanu, sind wir hier richtig. Aber es ist noch nicht mal halb sechs und dann schmettert es untermalt von einer lautstarken Begrüßung über den schon gut gefüllten Platz:
„Diesen Weg auf den Höh’n bin ich oft gegangen, Vöglein sangen……“
Spätestens jetzt bin ich wach und lasse mich von der aufgekratzten Atmosphäre mitreißen. Gegen die kühle Morgenluft, versucht der laut plärrende Lautsprecher die Stimmung vor dem Start aufzuheizen. Auch ich entledige mich jetzt der überflüssigen Textilien und suche mir hierfür ein ruhigeres Plätzchen am Rand. Leider verliere ich dabei Hannes und Kati aus den Augen. Im umrunde mehrmals erfolglos den großen Brunnen. Ziellos umherirrend findet mich Kati in dem Gewühl, denn Wasseronkel im Schlepptau. Hmm, Wasseronkel, hoffentlich ist das kein schlechtes Omen für die Wetterentwicklung heute. Es hat zwar tiefhängende Wolken, aber im Gegensatz zu dem Dauerregen gestern nach sieht es doch ganz gut aus. Beim Scannen fremder Gesichtern auf einen Wiedererkennungsfaktor aus der virtuellen Welt werde ich doch noch fündig. Naja, sofern man einen Lederhut der Gattung Crocodile Dundee zu erweiterten Gesichtsmerkmalen zählen kann. Dieses Gesamtkunstwerk kann nur Erwin Bittel sein, vielgesehen auf Laufberichten in der internet(t)en Gemeinde. Denn muss ich einfach ansprechen und natürlich auch ablichten. Erwin trägt heute an beiden Schuhen einen Champion-Chip und auf dem Rücken einen Laufrucksack mit überdimensionierter Zahnbürste. Fröhlich Späße reißend will er heute einen personifizierten 9 Std. Pacer machen.
Sodele der gelbe Sack der Deutschen Post mit den Zielklamotten ist auf dem LKW, jetzt beginnt das Warten auf den Startschuss. Noch schnell Bilder vom kreisenden Hubschrauber über uns gemacht. Dann kurz bevor es losgeht klappt der Startbogen mittig ein. Ist das ein böses Omen und bei mir wird heute auch bald die Luft raus sein? Schnell nochmal Kati alles Gute gewünscht und dann schlüpfe ich unter der geknickten Herrlichkeit hindurch, hinein in die gepflasterte Fußgängerzone.
Ein paar Schlenker und es kommt der erste Anstieg. Hier steht links das Haus eines Steuerberaters der uns sagt welche Abgabenlast wir heute noch zu tilgen haben: "Nur noch 72 km bis Schmiedefeld." Keine 100 Meter weiter wird uns die Entfernung auf einem Straßenschild nochmals amtlich bestätigt. Es geht nun von der Hauptstraße links weg steil eine grob gepflasterte Strasse hoch, die in einen Waldweg mündet, der zur Hohen Sonne führt. Naja, auch die Sonne über der Hohen Sonne lässt heute noch genauso auf sich warten wie die erste Getränkestelle dort. Ich führe gleich mal Wasser zu, zur weiteren Verstoffwechselung, obwohl ich auf den ersten sieben Kilometern schon 2 Mal rechts ran musste um der Waldeslust zu frönen. Garmin piepselt mal wieder mitleidig als ich stehenbleibe. Upps, wer Garmin fixiert ist, in einen ultralangen Landschaftslauf geht, vergisst dem Rechenknecht zu sagen er soll gefälligst nicht gnädig abschalten während der Herr bro.... und futtert der braucht sich nicht zu wundern wenn seine Kilometerdurchgangszeiten für den A… ist. AUTO-Pause ein, das galt wohl in dem Moment auch für meine hirnsportlerische Höchstleistung. Vielleicht hätte ich berücksichtigen sollen, dass die Zunahme meines maximalen Sauerstoffaufnahmekoeffizienten VO2 max. zeitweise zu einem Leistungsdefizit an andere Körperregionen führen könnte. Und statt jetzt die richtigen Schlüsse zu ziehen und das Hightechgedöns flugs umzumodeln trabe ich nach der ersten längeren Pause weiter der Masse hinterher.
Es geht nun auf dem Höhenrücken mit stetigen Auf und Abs auf einem naturbelassenen Fahrweg durch den Nadelwald. Diesen Satz könnte man für die Beschreibung eines Großteils des Rennsteiglaufes verwenden. Wie auf einer Endlosschleife wechseln sich lange Waldpassagen ohne Ausblick, mit langen Waldpassagen mit kurzem Ausblick ab. Landschaftlich reizvoll vor allem für Melancholiker und Baumstatistiker. Grün satt soweit das Auge reicht. Bei Sonne und strahlend blauen Himmel wohl etwas kontrastreicher. Aber nach spätestens der Hälfte der Strecke streiken bei mir die Sinne und ich bekomme eine ausgewachsene Waldphobie.
Na gut nicht alle Wahrnehmungen sind auf OFF. Der Sinn für die natürlichen Instinkte ist noch vorhanden. Und so werden gefühlt dutzende ungeplante Boxenstopps am Walddixie eingelegt. Auch eine Art von Ablass, denn der gute Herr L. einst so erzürnt hat. Zwischenzeitlich gibt es an der Verpflegungsstelle Glasbachwiese erstmals das Thüringer Manna in verschiedenen Variationen. Weia, der Gaumen spielt verrückt. Schnell runter damit. Hoffentlich führt dieser krude Treibstoff zu keinem Motorschaden. Schmeckt jedenfalls wie ein Cocktail aus Tapetenkleister mit Sägespännen. Nicht geschüttelt, nur gerührt.
Heisa, jetzt kommt Abwechslung ins Spiel. Es geht über einen breiten Wurzelpfad durch dichtes Gehölz. Die Steigung nimmt zu und obwohl eigentlich irgendwann alle gehen will ich noch joggeln. Ich weiß, dass dies auf längere Sicht eher kontraproduktiv sein wird, aber der Ehrgeiz des Läufers ist größer. Über eine Lichtung erreichen wir den großen Inselsberg. Direkt vor mir laufen zwei nebeneinander. Einer trägt Flip-Flops der andere Fivefingers. Jaul, das sind ja echte SM-Anhänger. Irgendwie dachte ich da oben auf der Wiese wäre wieder ein Schnabulierpunkt. Aber Pustekuchen, von nun an ging’s bergab. Und wie. Zuerst liederliche Holztritte und dann eine schlecht asphaltierte mit Nadeln übersäte Downhillstrecke. Direkt vor mir ein Blinder mit Begleiter. Die beiden rasen in einem Affenzahn den Berg herunter, und überholen halsbrecherisch die Läufermassen vor ihnen. Ich kann nur sprachlos hinterherschauen. Ehe ich daran denke die Szene lichtbildnerisch festzuhalten sind mir die beiden auch schon enteilt. Unten angekommen ist dann auch die nächste Futterstelle erreicht. Oh der Schleim ist im Recall. Also von mir hat er doch ein klares Nein gekriegt. Nase zu und durch. Hau wech die Sch….
Bis hierhin habe ich für die 26 km 2:45 Stunden gebraucht. Das gaukelte mir jedenfalls mein falsch programmierter Feind an meinem Handgelenk vor. Das ich beim schleimigen Genuss etliche Minütchen liegen gelassen habe dir mir später fehlen würden Auf diese logische Erkenntnis bin ich erst 50 Meter vorm Ziel gekommen. Aber Gemach Gemach. Noch war noch nicht einmal die Halbzeit erreicht. Der Weg dorthin beschreibt sich wie folgt. Wald, Wald, Abzweigung, Wald, Wald, kleine Lichtung, Wald…. Oder war es umgekehrt? Tja, bei so viel Details nicht einfach zu merken.
Halt, da war noch was. Wa… Nein, ich wollte nicht schon wieder Wald schreiben. Sondern Walker. Es war aber nicht nur einer, sondern ganze Rudel, die nun wild stockschwingend die Strecke natürlich verengen. Also, geht doch mit der Abwechslung: Wald, Walker, Wanderer (das sind die, die noch im klassischen Stil ohne Stöcke gehen) und auf der Ebertswiese noch mehr W. Nämlich Wurstbrote. Und Fettbemme. Und Krakauer. Und Heiße Würstchen. Und Suppe. Genauer gesagt Heidelbeersuppe. Mal probieren. Hmm, schmeckt irgendwie wie verdünnter Heidelbeerschleim. Neben mit fragt einer ganz dreist nach Iso. Ratloses Gesicht. Dafür wird wärmstens für die mit viel Liebe gestrichenen Schmalzbrote geworben. Nuu, no näm se doch n‘ Fettbemm. Hmm, scheint sich 40 Jahre bewährt zu haben. Tradition hin oder her ich wage es nicht. Dafür hole ich mir ein heißes Würstchen, allerdings ohne es mit dem angebotenen Senf oder Ketchup geschmacklich zu tunen. Wir sind ja schließlich nicht zum Vergnügen hier. Noch ein Zitronenstück ins mit Salz gefüllte Teller getaucht und weiter geht’s zur Halbzeitmessung. Wobei ich nicht verstehe warum 37,5 km die Hälfte von 72,7 sind aber egal ich bin nun 4 Stunden unterwegs. Insofern hätte es reichen müssen für die angepeilte SUB 8. Aufgrund meines Fauxpas schwebte ich aber immer noch in höheren Sphären, beseelt von dem Irrglauben eines unendlichen Zeitpuffers auf eine märchenhafte Zeit.
Weiter im Text also. So im Bereich der Marathondistanz beginnt dann ein Bergaufstieg, der sich gut 2 km bis zur Anhöhe zieht. Es ist wie wenn mir jemand den Stecker herausgezogen hätte. Ich setze den Rennsteigliedtext nun auch körperlich um:
„Ich wandre ja so gerne am Rennsteig durch das Land…..
Danach wird es wieder besser und in genau insgesamt 6:00 Stunden erreiche ich die Grenzwiese. Ab jetzt soll man es rollen lassen können. Naja, bei mir rollen sich höchsten die Augen beim passieren des Zieles für die Walker und SM-Aussteiger. Diese Option werde ich nicht in Anspruch nehmen, denn ich will wissen ob es stimmt das „Schmiedefeld der schönste Platz der Welt“ sei. Langsam wird es aber etwas zäh und ich ertappe mich dabei fortan jede kleinere Steigung von nun ab als Marschierer unter die Füße zu nehmen. Ich liege doch noch gut in der Zeit, denkt mein leeres Hirn. Typischer Fall von Denkste. Schauläufer denkt , Garmin lenkt , und die Zeit ist verschenkt. Blindes Vertrauen in die Technik halt. In Wirklichkeit macht die Maschine nur das, was der Herr ihr befohlen hat. Der Teufel steckt halt wie so oft im Detail. Ich habe die Raum-Zeitkrümmung gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie in meinen Zielzeit-Berechnungen einfach außer Acht gelassen. Acht, soviel Stunden sollten es eben gerade nicht werden. Ach jeh.
Eigentlich ist es doch gar nicht mehr so weit. Doch dazwischen steht noch ein letzter saftiger Anstieg zum großen Beerberg. Letzte amtliche Kontrollzeit 7:12:xx aber das habe ich da nicht realisiert. Die letzten 10 km habe ich keine rechte Lust mehr, will nur noch ins Ziel. Bergauf laufen ist gar nicht mehr. Sämtliche Ministeigungen auf den letzten Kilometern werden gewandert. Dann geht es raus aus dem Wald, entlang von Kleingartenanlagen in Richtung der Wiesen um Schmiedefeld. Ein langer Zielkanal getrennt nach Marathon- und Supermarathon-Zielankunft wird sichtbar. Und dann eine verblüffende Erkenntnis. Gut 15 Verpflegungsstationen und die wiederholte fachgerechte Getränkerückgabe im Wald hinterlassen ihre Spuren. Nicht nur in der Umwelt, nein auch im einsteinschen Raum-Zeit-Kontinuum. Da denkt der gemeine Hochleistungssportler , hirnvernebelt vom ultrabrutalen Verzehr von hektoliter schleimigen Schleims und mit Schwarzbierphantasien am Zieleinlauf. Was macht den die 8 da vorne bei der Bruttozeitmessung, mein Garmin hat doch erst 7:43 gezählt. Also nächstes Mal wird vorher an strategischer Stelle ein fachgerechter Knoten gelegt oder Vereisungsspray mitgeführt dann haut das hin mit der planmäßigen Ankunft vor 8.
Im Ziel stürzen dann die geballten Errungenschaften der Zivilisation auf mich ein. Trallala allerorten. Schnell verspüre ich ein frösteln. Ob das bloß am windig kühlen Wetter heute liegt. Also schnell duschen gehen. Dort packt mich dann vollends das kalte Grausen. O.K. das Wasser ist warm im Duschzelt, aber das einseifen wird zum Vabanquespiel. Ist das jetzt noch mein rechter Oberschenkel oder gehört das Teil schon zum Nachbarn . Ach machen wir es wie beim Schleim. Augen zu und durch.
Damit sollen die zwischenmenschlichen Aspekte nicht abgehakt sein. Schließlich gilt es noch sich mannhaft und doch zivilisiert in die Schlangen einzureihen die zu Urkunde und Finisher-Shirt führen. Naja wenigstens gibt es jetzt ein Fläschle Schwarzbier um den bäbbigen Geschmack von Schleim in allen Variationen runterzuspülen. Irgendwie bleibt mein Eindruck vom heutigen Lauf zwiespältig. Der schauläuferische Laufgenuß wollte sich heute nicht so recht einstellen. Bliebe der sportliche Aspekt. Um mein Ego hier aufzupolieren habe ich aber knapp 3 Minuten zu viel gefuttert. Und die kleinen Waldandachten summieren sich natürlich auch. Schonungslos gesagt habe ich das Ding quasi im Wald verschifft.
Leider klappt es nicht mehr mit dem Zusammenführung mit Kati und Hannes. Mal wieder die Technik heute. Schade, so hab ich jetzt gar keine Opfer für mein Läuferlatein. Ich trotte irgendwann gegen 16:30 Uhr zu den ewig entfernten Bussammelstellen und lasse mich in endloser erscheinender Rückfahrt nach Eisenach in den Dämmerschlaf schaukeln. Die letzte Zeile des Rennsteiglieds im Ohr:
„Ich bleib so lang es mir gefällt und ruf es allen zu.
Am schönsten Plätzchen dieser Welt, da find ich meine Ruh.“
https://picasaweb.google.com/1166740396 ... ON2P3Q2AE#
Im Zeitsprung durch die grüne Hölle, Rennsteiglauf 2012
113.04. 12h Lauf Grüntal 53,55k
14.04. LIWA-Mara 04:56:44
27.04. Tri-speck 69 km 1100 hm
28.04. Ditzinger Lebenslauf
05.05. Trolli-Mara
11.05. Albtraum 115 k 3000 hm
06.07. Heuchelbergtrail 50 k
28.07. Schönbuch Trophy 47, k 1300 hm
17.08. 100 M Berlin
14.04. LIWA-Mara 04:56:44
27.04. Tri-speck 69 km 1100 hm
28.04. Ditzinger Lebenslauf
05.05. Trolli-Mara
11.05. Albtraum 115 k 3000 hm
06.07. Heuchelbergtrail 50 k
28.07. Schönbuch Trophy 47, k 1300 hm
17.08. 100 M Berlin