Banner

Monsun Running.

Monsun Running.

1
Nach einer Versuchsreihe von über 180 Volksläufen habe ich im Laufe der Jahre ein paar Gesetzmäßigkeiten herausgearbeitet. Die wichtigste: es regnet nicht. Es regnet nie bei Volksläufen. Vorher ja, hinterher auch. Aber währenddessen? Niemals. Ich kann mich überhaupt nur an zwei verregnete Volksläufe erinnern. Und nicht einmal das stimmt. Das eine Mal hagelte es. Aber das wissenschaftliche Interesse gilt ja traditionell den Ausnahmen und heute riecht alles danach.

Wir fahren nach Stierstadt. Dort ist Kerbe und wenn Kerbe ist, wird gelaufen. Außerdem ist dann geflaggt und überall prangt das Wappen von Stierstadt auf großen Stofflappen. Das Motiv des Wappens ist, wie der Ortsname bereits andeutet, ein Mond. Der Stierstädter Wappenmond hat Augenringe, vermutlich, weil er nachts immer scheinen muss, anstatt wie alle andere Wappenmotive still zu ruhen. Vielleicht ist es ja aber auch in Wahrheit eine Banane mit Gesicht, die auf hungrige Läufer wartet. Ich mag das Stierstädter Wappen. Ich mag auch die Stierstädter Strecke, obwohl es dafür nicht viele Gründe gibt. Normalerweise ist es beim Kerbelauf heiß wie in der Hölle und Schatten gibt es auf der Strecke nicht viel. Dafür um so mehr Steigungen. Aber erstens ist es heute nicht heiß, sondern mehr so lau-grau und zweitens laufe ich nur 10 km. Wir melden uns nach und ich bekomme eine Startnummer, mit der ich mich mühelos einmal einwickeln kann. Gut, dass es heute nicht so warm ist.

Das Schicksal nimmt, anders als ich, bereits vor dem Startschuss seinen Lauf. Es beginnt zu regnen. Oder nein, das ist nicht ganz das richtige Wort. Übergewichtige und offensichtlich lebensmüde Tropfen stürzen sich ohne Sinn und Verstand in die Tiefe. Und in der Tiefe schauen der Stierstädter Wappenmond und etwa 200 Läufer dem Unheil entgegen. Jetzt haben auch die Läufer Augenringe. Man läuft sich stoisch im Regen ein, trocknet sich kurz ab und geht dann mit unbewegter Miene zum Start. Nur nichts anmerken lassen. Und ich habe ja außerdem die tolle Startnummer in der Größe eines amerikanischen Familienquilts. Sie wird meine komplette Vorderseite vor Regen schützen. Wir drehen eine Runde im Stadion, in dem bereits beste Bedingungen für Reisanbau herrschen, und dann geht es hinaus in die pitoresken Gassen von Stierstadt.

Vor mir läuft das Seedamm-Bad Bad Homburg im grünen Shirt, was mir ein heimatliches Gefühl gibt. Das Seedamm-Bad ist oft da, wo ich auch bin, immer in grün, immer mit Stirnband. Die Läufe wechseln, die Läufer bleiben. In Stierstadt, und das stellt sich schnell heraus, sind die Regenrinnen in keinem guten Zustand. Der ganze Ort läuft über. Es platscht und gießt. Ich platsche mit, denn der Asphalt ist in einem guten Zustand. Das Wasser läuft auf Gefällepassagen darüber, als wäre er eine Rutsche im Erlebnisbad. Nach dem ersten Kilometer sehe ich in Laufrichtung zwei Hunde.

Unter 55 Minuten will ich heute schnell sein, das genügt mir und passt zu Laune und Trainingszustand. Denke ich mir so. Schon bald biegen wir ab ins Grüne, das heute mehr das Graue ist. So ein Himmel kann ganz schön tief hängen, wenn er keine Hosenträger hat. Im Grünen lerne ich ein neues Geräusch kennen, das mir sehr gut gefällt. Leider habe ich kein Aufnahmegerät dabei. Es ist der Sound “Dicke Regentropfen auf Kohlblättern”. Wirklich schön. Von links kreuzen zwei Katzen den Weg.

Noch immer läuft das Seedamm-Bad vor mir und gibt mir grüne Welle. Ansonsten achtet man nicht viel aufeinander. Jeder ist damit beschäftigt, das Genick einzuziehen, vorwärts zu kommen und die Tropfen zu zählen, die vom Kappenschild herunterfallen, weil die Kopfbedeckung inzwischen vollgesogen ist. Zwölf. Über die Bahnlinie fliegt ein Taubenpärchen.

Hier kann man kurz andere Läufer bewundern, die einem entgegenkommen. In Wahrheit laufen sie vor einem weg, aber es fühlt sich doch viel schöner an, wenn man glaubt, sie würden einem entgegeneilen. Dann biegen wir ab und sind wieder mit uns und dem rhythmisch patschenden Geräusch allein. Wie würde ich mich jetzt fühlen, wenn ich für den Halbmarathon angemeldet wäre? Ein guter Gedanke, sofort geht es mir besser. Ich versuche, nicht auf zwei Schnecken zu treten, die am Wegrand sitzen.

Bei km 7 geht es bergan. Nicht dramatisch, aber so, dass man sich anstrengen muss, das Tempo zu halten. Ich versuche mich abzulenken, in dem ich die Streckenposten bewundere, die unbeweglich mit einem Schirm im Regen stehen wie in einem Wetterhäuschen und manchmal einen tropfenden Arm nach links oder rechts ausklappen, damit wir uns nicht verlaufen. Vereinsmenschen sind nicht aus Zucker, sonst wären sie hier längst ein Guss. Aus einer Einfahrt traben zwei Esel auf die Strecke.

Noch zwei Kilometer. Spurt ist ein großes Wort. Vielleicht ein bisschen zu groß für mein Lauftempo jetzt. Aber ich trage ja zwei Kilo mehr als sonst. Das Gewicht der klitschnassen Startnummer beugt meinen Rumpf in eine demütige Stellung. Die nassen Füße klatschen schwer auf den Boden. Und jetzt läuft auch noch Podolski vor mir. So steht es auf seinem T-Shirt. Podolski ersetzt das Seedamm-Bad, das irgendwann langsamer wurde, wahrscheinlich wegen einer Thalasso-Anwendung. Während von links zwei Giraffen auf die Strecke einbiegen, höre ich es hämmern. Immer lauter wird das Geräusch, als ich an einem weiteren Wetterhäuschen-Mann vorbeihaste. Es hämmert eilig und laut und plötzlich weiß ich, was es ist. Hier, unter den tränensackigen Augen des Mondes von Stierstadt, wird umgehend eine Arche gebaut. So erklären sich auch die Tierpaare, die, vermutlich per E-Mail, rechtzeitig benachrichtigt wurden. Aber wo bleiben wir? Es wird jetzt wirklich Zeit, ins Ziel zu kommen, um der Sache nachgehen zu können.

Nur noch eine kleine Rampe, dann in das runde Reisfeld und auf das Ziel zu. In diesem Augenblick fällt mir der 87. Tropfen vom Kappenschild und deshalb sehe ich den für mich vorgesehenen Zielkanal nicht. Ich laufe falsch. Aber weil ich eine Freundin der Ordnung bin, bremse ich ab, mache einen Schlenker zurück und laufe dann beim Schild ”10 km” ein. Der Unfug kostet mich genau die 3 Sekunden, die ich gebraucht hätte, um unter 54 Minuten zu bleiben. Ach, egal.

In der Umkleide trocknet man sich vor dem Duschen ab, ein seltsamer, aber nötiger Vorgang, will man überhaupt irgendetwas mit trockenen Fingern anfassen. Der ganze Körper fühlt sich an wie frisch gekneippt und ich frage mich, was wohl aus dem Seedamm-Bad geworden ist. Dann aber frage ich mich, was aus meinem Trainingspartner geworden ist, der vermutlich mit verschrumpelten Fingern und schimmelnden Schuhen im letzten Drittel des Halbmarathons herumpaddelt. Ich kaufe Kuchen und warte bis auch er im Delfinstil ins Ziel kommt, gleich hinter zwei Seepferdchen, die sich auf dem Weg zur Arche verschwommen haben. Während er sich noch umzieht, etwa 3 Stunden nach dem es begonnen hat, hört es auf zu regnen. Die Sonne kommt heraus. Mir ist, als würde ich aus der großen grauen Wolke über dem Sportgelände jemanden kichern hören.

Danach lauschen wir nur noch dem Mann, der die Siegerehrung vornimmt, wobei er in einen großen Geigerzähler spricht. Zumindest klingt das (“Krrrks”), was dort herauskommt (“Pfüüüüüüüt”), genau so (“Knacks, Pfüüüüüt, Kkkkkrrrrrrrks”). Ich bin ein bisschen froh, schließlich in ein Auto steigen zu können, statt in eine Arche. Zufrieden fahren wir nach Hause, vorbei an den wedelnden Flaggen, von denen ein verlebt aussehender Bananenmond plötzlich wohlwollend herablächelt.

Bilder von Mondwappen, Reisfeld und Kuchen bei www.laufen-mit-frauschmitt.de
Berichte, Geschichten und Streuselkuchen: www.laufen-mit-frauschmitt.de
Laufen mit Verantwortung:
laeufer-pro-umwelt.de
Zum Hören: der Schmittcast
Frauschmitt bei bei Facebook

2
Hallo FrauSchmitt,

"So ein Himmel kann ganz schön tief hängen, wenn er keine Hosenträger hat."

Du schaffst es mit deiner kreativen Feder doch glatt, so einem für mich unattraktiven Wetter noch etwas Lustiges abzuringen ... ich habe mit meinem Trainingslauf heute gewartet, bis der Regen vorbei war .. zu wasserscheu !!! Aber der Kuchen sieht lecker aus ... habt ihr euch dann auch verdient !

Viele Grüße und vielen Dank für den - wie immer - sehr humorvollen und interessanten Laufbericht !
Andrea

5
Danke für den unterhaltsamen Lauf- und Sintflutbericht aus Stierstadt!

Obwohl sich die Zahl meiner Volkslaufteilnahmen der letzten Jahre im einstelligen Bereich bewegt, kann ich mich immerhin an einen komplett verregneten und an einen verschneiten Lauf erinnern.

Grüße von Mitsch

6
Liebe Frauschmitt.
Ich mag deine Berichte. Sowieso, schon immer, zumindest, seit ich den ersten gelesen habe. Aber mit diesem hier hast du mir einen guten Grund gegeben, sie noch mehr zu mögen. Es ist einfach toll zu sehen, was du mit Sprache machst. Klasse. Lauf bitte noch so ca. 230 Volksläufe. Und schreibe darüber.
Vielen Dank für das große Kino,
nachtzeche
"Die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden!" (Die Bibel, Jesaja 40,31)

7
frauschmitt2004 hat geschrieben: Ich versuche mich abzulenken, in dem ich die Streckenposten bewundere, die unbeweglich mit einem Schirm im Regen stehen wie in einem Wetterhäuschen und manchmal einen tropfenden Arm nach links oder rechts ausklappen, damit wir uns nicht verlaufen. Vereinsmenschen sind nicht aus Zucker, sonst wären sie hier längst ein Guss.
Danke für diesen wirklich amüsanten Bericht. Ich hatte die Ehre, letzten Sonntag beim Volkslauf unseres Vereines über 5 und 10km Streckenposten zu sein, und finde mich in obiger Beschreibung wieder. Es hat auch wirklich nur so lange geschüttet, bis der letzte Läufer im Ziel war ... naja, und bis wir alles aufgeräumt hatten. Danach kam auch die Sonne mit einem Grinsen hinter den Wolken heraus.
Ja, so ein verregneter Vormittag als Streckenposten hat auch so seine Erfahrung ... ich habe die Läufer beneidet unter meinem Schirm.
Bild


_____________________________________________________________________________

absoluter Laufanfänger April 2011

PB:
5km, Energize Night Run 2012: 00:33:10
6,7km, Frühlingslauf Köln 2012: 00:45:10
11,2 km, 7 Meilen Zons 2012: 01:16:59
Antworten

Zurück zu „Laufberichte“