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Ultratrail du Vercors

Ultratrail du Vercors

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Eigentlich sollte es ja der CCC werden, aber ich hatte kein Losglueck (im Nachhinein in Anbetracht des Wetters vielleicht doch kein sooo grosses Pech), und so entschied ich auf einen Tip von Walter hin (danke!) schon recht zeitig, dass der Ultratrail du Vercors mein Ersatz werden wuerde. Und es wurde weit mehr als ein Ersatz - ein grossartiger Lauf, super organisiert, grandiose Stimmung in den wenigen Doerfern bis zum Ende - absolut empfehlenswert! Mit der kleinen Einschraenkung, dass sich die Strecke wohl immer wieder aendern wird, damit alle Doerfer mal in den Genuss der Uebernachtungsgaeste kommen.

Am Freitag reise ich also mit dem TGV nach Lyon, dann Regionalzug bis Grenoble, dort Bus zum Startort Autrans, was wohl das Ruhpolding/Oberhof der Franzosen sein muss, ein Mekka des nordischen Skiports. Auf der Fahrt denke ich schon, dass das, was ich da so aus dem Busfenster sehe, ordentlich steil aussieht.... Tasche in meine Auberge gebracht, die nur ein paar hundert Meter vom Start/Zielbogen entfernt liegt, dann mein Vor-Lauf-Ritual: 20min Laufen zum Beinelockern. Alles gut, aber es ist sehr warm, obwohl wir auf 1000m Hoehe sind, hm, nicht so mein Ding. Dann ist es auch schon Zeit, zur Startnummernausgabe und zum Briefing zu gehen. Ein lokaler Fernsehsender inteviewt mich als einen der wenigen auslaendischen Teilnehmer. Ansonsten keine Ueberraschungen - ausser der Ankuendigung, dass es am Start Fruehstueck fuer uns geben werde.

Nach meiner obligatorischen Vor-Lauf-Pizza packe ich mein Zeug zusammen. Auf 87km wird es 6 Ravitos geben, einmal geht es 19 km durchs Gebirge ohne Ravito.

Kurz nach vier Uhr morgens verlasse ich mit einem anderen Traileur die Auberge, es ist ganz schoen kalt. In der Sporthalle am Start gibt es tatsaechlich ein anstaendiges Fruehstueck. Kurz vor 5 stehen wir dann alle draussen, knapp 300 Einzelstarter. Eine Stunde nach uns werden die Startlaeufer der "Duos" losgeschickt werden, eine weitere Stunde spaeter die der Viererstaffeln. Insgesamt werden es rd. 800 Laeufer sein.

Puenktlich faellt der Startschuss. Nach einigen hundert Metern erreichen wir den Wald, es geht bergauf. Die Lichtpunkte der Stirnlampen ziehen sich rasch bis weit hinauf. Ich will es sehr langsam angehen. Der Untergrund ist von der Nachtfeuchte recht rutschig, besonders die steinigen Abschnitte. Prompt zieht es mir auf einem Abwaertsstueck die Beine weg, ich lande unsanft auf der Seite, komme aber im wesentlichen mit blauen Flecken davon. Allmaehlich wird es heller, wir erreichen eine Hochalm (ca. 1700m), auf der es sich herrlich laeuft - tief unter uns schlaeft Grenoble, und direkt vor Augen haben wir die Gipfel des Mont-Blanc-Massivs in kitschigem Fruehmorgenrosa. Allein dieser Anblick ist es wert, hier umherzurennen! Nun geht es heftig bergab, nach einem kleinen Ravito bei km 17,5 passieren wir den tiefsten Punkt des Trails (knapp 800m), Danach geht es natuerlich prompt wieder aeusserst heftig bergauf, ein Stueck sogar mit Draht gesichert. Nach drei Stunden erreiche ich als 266. den ersten grossen Ravito, St. Nizier, an dem spaeter auch die Staffeln wechseln.

Die folgende Strecke bleibt abwechslungsreich und anstrengend. An einer Stelle geht es zu einem Pass (1600m) einen kleinen Kamin hinauf - zwei Helfer sitzen oben, einer feuert laustark an, der andere - spielt Gitarre fuer uns! Auf den naechsten Kilometern dominieren schoene Singletrails. Noch ist es nicht zu warm, es macht Spass. Duo- und Staffellaeufer ziehen an uns vorbei. Nach 5 1/2 Stunden und 32 km erreiche ich Lans. Wie in allen Doerfern, die wir im Verlaufe des Tages passieren, herrscht tolle Stimmung, besonders die "Solo" mit den gruenen Startnumern werden lautstark angefeuert, und ganz besonders natuerlich die wenigen Solo-Frauen. Die Doerfer liegen auf einer Art Hochplateau, das vom Gebirgszug umgeben ist - es geht also praktisch immer wieder vom Rand der Schuessel runter in die Doerfer auf dem Boden und wieder hoch.

Langsam wird es waermer, es wird anstrengender - an steilen Anstiegen krampfen immer wieder meine Fussruecken, bergab die linke OS-Innenseite, nicht so toll. Schliesslich errreiche ich nach knapp 8 Stunden als 238. mit gut einer Stunde Vorsprung auf den Cut-off das Dorf Villard de Lans (km45) . Hier heisst es alle Wasserspeicher fuellen - vor uns liegen 19 km, 1150m Aufstieg bis auf 2100m, das Ganze unter Mittag und ohne weiteren Ravito.

Schon kurz nach dem Verlassen des Ortes werden die Wege schmaler. Wir erreichen Almwiesen, dann wird es immer steiniger, bis wir uns letztlich nur noch in Fels bewegen. 18 (!) riesige Steinboecke schauen diesem Treiben desinteressiert zu.

Ich werde immer langsamer. Es zieht sich scheinbar endlos hin. Ich verliere die Freude am Anblick dieser eigentlich tollen rauhen Gebirgslandschaft. Ich werde antriebslos. Immer wieder passiere ich Laeufer, dies sich einfach hingesetzt haben und nicht so aussehen, als ob sie bald weiterlaufen wollen. Was mache ich eigentlich in dieser gottverlassenen Steinwueste?! Wann hat dieser Aufstieg endlich ein Ende? Naechste Biegung, immer noch hoeher, ich mag nicht mehr. Essen geht auch nicht mehr so richtig. Ein paar Schluck Peronin, okay. Endlich geht es bergab, aber technisch, ich fuehle ich ausser Stande, das zu rennen. Ein Lauefer fragt mich, ob ich den Cut off in Corrençon schaffen will. Ich hoere mich sagen: Je ne sais pas. Ich weiss es wirklich nicht. Komme ich zu spaet an, bin ich raus, ich muss nicht selbst entscheiden. Das waere mein erstes DNF. Diese drei Buchstaben werden immer groesser vor meinem inneren Auge. - Ich schaue auf die Uhr. 17 Uhr. Noch eine Stunde bis zum Cut off, und ich bin noch so weit oben. Okay, wenn die Kraempfe nicht wiederkommen, versuche ich es. Ich gebe mir einen Ruck. Dem naechsten, der mich fragt, ob ich es schaffen will, antworte ich: JA!!!

Ich beeile mich. Renne. Es laeuft. Keine Kraempfe. Die Zeit vergeht...An einer seilversicherten Kletterpassage sind es nur noch 10 Minuten. Eine Helferin reicht mir eine Cola und spornt mich an. Ich sehe schon das Dorf. Auf einmal hoere ich die Kirchenuhr schlagen. Oh Mann, das wars. Ich bin zu spaet.Verzweiflung steigt auf. Genau in diesem Moment kommt mir eine Helferin entgegen und sagt, der Cut off sei um 15 min. verlaengert worden. Ich koennte ihr um den Hals fallen, aber so verdreckt wie ich bin, lasse ich das lieber sein und spute mich. Mit einem weiteren Laeufer komme ich um 18:06 an den Check point. Man sagt mir, wenn ich drin bleiben will, muesse ich bis 18:15 wieder auf der Strecke sein. Ich will. Also keine Zeit fuer die Suppe. Wasser und Iso nachfuellen, ein paar Tucs essen. Etliche Laufer sind am Check point. Ich frage, wer noch mitkommt. Kopfschuetteln. Und so bin ich als 192. die letzte, die unter lautem Beifall Corrençon verlaesst.

Einige hundert Meter vor mir kann ich zwei Laeufer erspaehen. Rasch schliesse ich auf und ziehe weiter. Es geht wieder bergauf, noch 22km und 900m Anstieg liegen vor mir. Wald. Es wird allmaehlich still. Und allmaehlich dunkel. Stirnlampe an, Armlinge wieder ausgerollt. Ich bin total allein in einem dunklen Wald, den ich nicht kenne. Die Markierung ist meist gut auszumachen, manchmal suche ich aber eine Weile. Ich habe zwar noch genug Kraft, sehe aber nicht gut genug, um schneller voranzukommen. 6km vorm Ziel noch einmal ein Dorf, Menschen, Licht, ein kleiner Ravito, bei dem mir alle Mut machen.

Weiter allein in der Nacht. Die Beine funktionieren noch erstaunlich gut. Ich habe das Gefuehl, ich koennte durchaus noch eine ganze Weile weiterlaufen. Mein Handy, das ich bloederweise nicht ausgeschaltet hatte, gibt den Geist auf. Der Garmin sagt mir : Akku schwach. Meine Stirnlampe wird auch immer blasser.....

Endlich, endlich erreiche ich den letzten Abstieg - neben der Sprungschanze von Autrans. Helfer kommen mir entgegen, die die letzten Laeufer auf dem letzten Kilometer begleiten wollen. Am Fuss der Schanze erwartet mich ein Fackelspalier von einem Dutzend Helfern, die mir gratulieren. Die letzten Meter durch den Ort, der Zielbogen - ich bin da. 87km. 4500m Anstieg. 187. von 191. Aber 104 sind nicht angekommen, haben die cut offs nicht geschaft oder aus anderen Gruenden aufgegeben.

In der Halle ist noch das Abendessen im Gange. Es riecht gut, ich versuche zu essen, aber da will nichts so recht rein.....
Ich treffe auf den Laeufer, den ich kurz nach Corrençon ueberholt hatte - er sagt mir, wenig spaeter habe er doch aufgegeben.

Schlagartig bin ich nur noch muede. Die wenigen hundert Meter bis zur Auberge gehen sich leicht, die Treppe zum Zimmer wird schon etwas muehsamer. Am naechsten Morgen kann ich sie nur unter Hoellenqualen runtergehen....Und auch beim Fruehstueck ist mein Appetit noch nicht so recht wieder da....

Die Rueckfahrt mit dem Bus fuehrt nochmals durch alle Doerfer, die wir am Vortag durchlaufen haben. Was fuer eine Strecke! Und ich habe NICHT aufgegeben, obwohl mir zeitweise so sehr danach zu Mute war....

Zufrieden und mit fuechterlichen Muskelschmerzen in den Beinen bin ich am Abend wieder zu Hause. Die Treppen in unserem Haus werden zu gigantischen Hindernissen. Keine Chance, es bis zur Waschmaschine in den Keller zu schaffen, das muss eben warten....

Und obwohl mir heute immer noch alles weh tut - es wird aber schon besser - freue ich mich schon auf das naechste Laufabenteuer, den kleinen KobolT!

So, nun hoffe ich, dass dieser Erguss nicht nervt - aber es wird ja niemand zum Lesen gezwungen :wink:

Gruesse
Anke

Fotos gibt es hier: Au fil des lumieres - Photos du Vercors - Ultra Trail du Vercors 2012 - David Boudin

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Oh je, was habe ich mit meiner Empfehlung nur angerichtet?
Du mußtest dich ja richtig quälen, liebe Anke!
Ganz herzlichen Glückwunsch zu deiner tollen Leistung, physisch und psychisch!

Diese Phasen der Niedergeschlagenheit, obwohl es eigentlich ganz ordentlich läuft, kenne ich gut. Woher sowas kommt wüßte ich mal gerne.
Denn genauso wie du schreibst kommt dann auch wieder der Punkt, wo man die Energie, oder den Biss oder die mentale Stärke findet zu sagen: genug mit dem deprimierten Unsinn, jetzt mach ich entschlossen weiter.

Auf jeden Fall hast du einen spannenden Bericht geschrieben der Lust darauf macht, den Lauf auch einmal zu versuchen.
Wenn ich allerdings deine läuferischen Fähigkeiten meinen gegenüberstelle und sehe, dass du mit den cut-offs offenbar ganz schön zu tun gehabt hast, dann beschleichen mich doch leichte Zweifel ob ich das schaffen könnte.

Gute Erholung für die verspannten Muskeln und nochmal herzlichen Glückwunsch!
Walter
You can only fail if you give up too soon

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Danke Euch allen! Heute bin ich auch schon wieder ins Buero gelaufen, die Beine sind wieder okay.

Wuerde mich echt freuen, wenn dieser total schoene Lauf naechstes Jahr ein paar mehr deutsche Teilnehmer haette, in diesem Jahr war es wohl ausser mir noch einer :wink:

Gruesse
Anke

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Hey Anke, herzlliche Gratulation! Der Lauf tönt ja schon sehr schön, aber wie Walter schon meint: wenn du Schwierigkeiten mit den Cut-Offs hattest, brauche ich gar nicht erst anzusaugen. Ich bin nun sehr gespannt auf den Sardona Ultra Trail vom kommenden Wochenende.

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Auch von mir Gratulation zum Finishen und für den tollen Bericht vielen Dank.
Das mit der Niedergeschlagenheit kann ich wirklich nachvollziehen... (siehe Bericht zum K 78)
.. und wie ist das Gefühl jetzt??????
Bei mir dauerte es etwas bis ich tatsächlich realisierte, dass ich es trotz der Unwegbarkeiten schaffte. Um so größer ist das Glücksgefühl im nach hinein (vorallem, wenn ich Fotos sehe und ich mich zurück erinnere)...
LG
Tom
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holli1 hat geschrieben:.. und wie ist das Gefühl jetzt??????
Bestens :D

Wie auch Walter schrieb: es ist schon merkwuerdig, wenn man da so abdreht und nichts mehr zu laufen scheint - und wie funktioniert es, dass dann doch der Ruck kommt und alle Systeme wieder auf normal schalten???? Ein interessantes Phaenomen, das ich in der Dimension noch nicht erlebt hatte. Werde mal suchen, ob ich Texte dazu finde, gibt es sicher.

@Trailbunny: Habe gerade auf die Seite des Sardona Ultra Trail geschaut, das sieht ja toll aus. In der Starterliste habe ich Dich aber nicht gefunden.

LG
Anke

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Tekac hat geschrieben:@Trailbunny: Habe gerade auf die Seite des Sardona Ultra Trail geschaut, das sieht ja toll aus. In der Starterliste habe ich Dich aber nicht gefunden.

LG
Anke
Neee, nächste Woche ist Wörthersee Trail Maniac und ich heisse nicht Joe :D . Aber zwei Freundinnen laufen den Langen und einige Alpinrunner sind auf den kürzeren Strecken dabei. Uuuund das Wetter soll super werden. Ich glaube, ich gehe sie anfeuern :bounce:

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Trailbunny hat geschrieben:. Ich glaube, ich gehe sie anfeuern :bounce:
kannstbei dem schönen Wetter ja ein Stück mitlaufen - so 50, 60 km :D
.

Walter
You can only fail if you give up too soon

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es hätte ja gar eine Strecke über 21km gehabt - habe aber die Anmeldung verschlampt, ignoriert oder so. (und eigentlich sollte ich noch ein bisschen arbeiten, räusper, hüstel :motz: )

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Trailbunny hat geschrieben: (und eigentlich sollte ich noch ein bisschen arbeiten, räusper, hüstel :motz: )
Quatsch, du wolltest ja arbeitsmäßig eh etwas kürzer trete :D !

Ich bin übrigens seit gestern in Klagenfurt angemeldet.

Walter
You can only fail if you give up too soon

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Wow - ich hab lange keinen so packenden Bericht mehr gelesen. Schön, dass du uns mitgenommen hast. Und gaaanz herzlichen Glückwunsch!!! Ich beneide dich sehr.

VG
Sinchen

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Fuer alle, die Lust bekommen haben: Die Webseite ist aktualisiert worden - die naechste Auflage startet am 7.9.2013 in Villard de Lans (die Streckenkarte ist allerdings noch die von 2012). Anmeldung ab 15.2.2013!

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