U_d_o hat geschrieben:Hallo MegaCmRunner,
du überschüttest mich förmlich mit Glückwünschen und Lob. Vielen herzlichen Dank dafür!
Ja, mein Auftritt vor 7 Jahren beim 24h-Lauf in Berlin, hat auch für mich etwas Unwiederholbares. Wenn ich heute daran denke, dann sind es tatsächlich zwei Umstände, die mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Eben jener Moment, als ich mit meiner Tennistasche, also mit dem geringst möglichen Aufwand überhaupt, die Arena betrat und so gar nicht verstand, wieso die alle derart aufgerüstet hatten. Ich ging da hin um 24h am Stück zu laufen und dachte tatsächlich, dass das alle anderen wohl auch so handhaben würden. Weil mir der Sinn nicht einleuchtet an einem 24h-Lauf teilzunehmen, wenn man gar nicht die Absicht hat oder nicht in der Lage ist sich 24h lang auf den Beinen zu halten. Zumindest gehend, auch wenn das meinem Selbstverständnis nicht entspricht. Und der zweite Sachverhalt, der mich noch heute manchmal den Kopf schütteln lässt, war, wie unvorbereitet ich auf meine Platzierung war. Ich wusste sehr wohl, dass ich in die Spitzengruppe würde laufen können, wenn nichts Unvorhergesehenes passiert und ich meine Leistung im Wesentlichen würde abrufen könnten. Aber mir wurde zu keinem Zeitpunkt vorher klar, was das bedeutet. Ich frage mich manchmal, ob das eine unterbewusst gesteuerte Schutzfunktion war, um Enttäuschunen vorzubeugen. Denn ich hatte mich ganz bewusst bei der Deutschen Meisterschaft angemeldet und nicht bei irgendeinem anderen 24h-Lauf. Und dann ploppe ich an der Spitze der Konkurrenz aus dem Ultra-Nichts hoch, wie ein Pilz nach Regenwetter ...
"Man" kann beim Laufen/Wettkampf tun und lassen, was "man" will. Ich toleriere jede Einstellung, die sich an die Regeln hält und keine fragwürdigen Hilfsmittel verwendet. Ob jemand kriecht, geht oder läuft ist ganz allein seine Sache. Was mich angeht, so habe ich mir meine Einstellung nicht ausgesucht. Ich habe mich nicht hingesetzt und mir meine persönlichen Regeln "geschnitzt", die - wozu auch immer - schärfer sein müssen als das, was das Reglement einem ohnehin auferlegt. Ich "ging hin und lief". Irgendwann vor langer Zeit habe ich damit angefangen. Ich lief und lief und lief und bin nie gegangen. Ich habe darüber nicht nachgedacht. Selbst zu jener Zeit vor 13 Jahren nicht, als ich anfing auf meinen ersten Marathon zu trainieren. Es war eine unausgesprochene, nie in Gedanken gefasste Selbstverständlichkeit jeden Meter zu laufen. Warum sollte ich gehen, wenn ich laufen kann?
Erst sehr viel später habe ich angefangen darüber nachzudenken. Als ich langsamere Marathons lief und die ersten Ultras. Als ich zunehmend Geher überholte. So lange ich schnelle Marathons lief, war ich in einer "Region" im Marathonfeld unterwegs, wo nicht viele laufen. Und wenn, dann jenseits der 30 km. Das taten sie, weil sie überpaced hatten oder sich verletzten. Und selbstverständlich wären das beides auch für mich Gründe zu gehen. Ist mir aber - da bin ich meinem Körper und dem Läuferschicksal endlos dankbar - nie passiert. Beim Laufen langsamerer Marathons und Ultras begegnete ich aber immer mehr Läufern, bei denen klar war und die das auch so aussprachen, dass sie die Strecke nicht komplett laufen werden, weil ihnen das zu anstrengend ist oder weil sie es gar nicht können.
Und genau diese Denkweise, sich eine Strecke vorzunehmen, die man komplett laufend gar nicht bewältigen kann, verstehe ich nicht. Tolerieren, akzeptieren - alles null Problem. Aber verstehen? Wenn ich was nicht laufen kann - komplett laufen meine ich -, dann melde ich mich da nicht an. So einfach ist das für mich. Ich verstehe den Sinn darin nicht, sich für einen 12h-Lauf anzumelden ohne die Fähigkeit zu besitzen tatsächlich 12 h lang zu laufen. Tolerieren, akzeptieren, Lauffreunde haben, die so denken und handeln - null Problem. Aber verstehen? Es kommt einfach nicht bei mir an. Ich habe oft darüber nachgegrübelt.
Vor allem auch, weil ich gerne zwei Leidenschaften häufiger und intensiver miteinander kombinieren würde: Laufen und Berge. Früher war ich sommers sehr viel zu sportlichen bis erschöpfenden Bergwanderungen und bergsteigerisch unterwegs. Deswegen gehören heute einige Bergmarathons zu den für mich schönsten Erinnerungen in meiner Wettkampfsammlung. Aber das sind alles Wettkämpfe gewesen, bei denen zumindest die Aussicht bestand sie komplett laufend zu überstehen. Im Einzelfall ging das dann doch nicht. Wenns zu unwegsam und steil war, man stellenweise sogar mal die Hände zu Hilfe nehmen musste. Oder wenn zu viele Geher vor mir waren und ich nicht die Kraft hatte drum rum zu steppen (oder es mir auch zu doof gewesen wäre, weil ich nicht den Elitären vor den anderen rauskehren wollte). Einmal wars zu kalt und ich im Regen total eingefroren, ein anderes Mal hatte ich beim letzten Joch einfach nicht mehr die Kraft. Das kann ich für mich alles akzeptieren, weil es sich nur um kurze Abschnitte handelte oder eben meine Kraft mangels Tagesform überstieg. Nach wie vor bin ich allerdings weit von Unternehmungen entfernt, wie beispielsweise den Zugspitz Ultratrail oder den Eiger Ultratrail mit zig tausenden von Höhenmetern und der absoluten Notwendigkeit sehr lange Passagen zu gehen oder gar zu steigen unter Zuhilfenahme der Hände. Das ist nicht mein Ding, weil das ein anderes Ding ist. Eher eine Art Durchschlageübung, bei der man abschnittsweise läuft, andere Gangarten aber die Regel sind. Das geht mehr in die Richtung Triathlon, einer tollen Sportart, wo ganz bewusst drei Arten der Fortbewegung aneinander gereiht werden. Ich finde Triathlon "geil", aber eben nicht für mich. Ich bin Läufer (und ein mäßiger Schwimmer und einer der mit Unlust aufs Rad steigt).
Es geht also nicht darum - und damit bin ich bei deinem Einwand - eine bewusste Entscheidung zum Gehen zu treffen, um sich die Sache erquicklicher oder besser handhabbar zu machen. Dafür kann ich mich nicht entscheiden, weil es für mich keinen Sinn ergibt. Ein 24h-Lauf ist eine Laufveranstaltung, also laufe ich 24h abzüglich der unumgänglichen Pausen. Was unumgänglich ist, ich denke, das hat mein Bericht glasklar offen gelegt, ändert sich mit wachsender Erschöpfung und mentaler Bedrängnis. Das geht bis hin zum "Erfinden" von Gründen, um kurz am eigenen Versorgungstisch zu stoppen. Allerdings sind diese vorgeschobenen Gründe kein bewusster Akt, also auch kein bewusster Verstoß. Das Unterbewusstsein ist clever genug, um einen Stopp als unausweichlich erscheinen zu lassen ... Dass es mich beschissen hat - oder besser, da das Unterbewusstsein ein Teil von mir ist: Dass ich mich selbst betrogen habe, wurde in dem Moment deutlich, als mir die 200 km als Riesenchance doch noch winkten und ich nach 23,5 h plötzlich für 4 km wieder rennen konnte wie ein Wiesel.
Danke dir für deine Rückmeldung und deinen Einwand. Ich bin für solche Beiträge überaus dankbar, weil sie mich innerlich zur Stellungnahme zwingen. Und indem man den Extrakt dieser Überlegungen zu "Papier" bringt, wird ein Sachverhalt immer klarer.
Alles Gute für dich
Gruß Udo