....laufend im Rhythmus bleiben. Becher nehmen, hoch zum Schützenhaus am Wald, dann talwärts hoppeln durch den Rindenschrot(t), vorbei an den Gärten der Wohnsiedlung, am lauschigen Vesperplätzle ein paar Leckerli aufpicken, ums Spielfeld kurven und dabei denn Zaungäste auf der Terrasse, lechzend und selbsmitleidsvoll bei der Hopfenvernichtung zusehen, durch die Zielgasse, die beiden Bodenschwellen beachten und die stetig wiederkehrende Frage: drauftreten oder drüber weglaufen. Hoffentlich hat's gezählt? Der zwischenzeitlich seitlich aufgebaute Bildschirm ist stets von einer größeren Traube umlagert und ich habe keinen Bock mich da wartend oder drängelnd nach vorne zu kämpfen. Vertrau ich einfach auf die Technik. Ansonsten gibt es ja noch meinen Garmin, als unbestechlichen Buchhalter
Ich denke zwischenzeitlich in 10ner Schritten. Noch 10 km, dann machst du eine längere Pause. Die 50 sind erreicht und ich beschließe lieber noch ein paar Runden dranzuhängen. Also nun die 60 anpeilen. Nach 6,5 Stunden ist es soweit. Die Nike nerven und werden ersetzt. Nach dem Fliegen auf der 'One one' Wolke, dem Gleiten mit den Mondlandefähren, hoffte ich das nun alles in Fluß kommen würde mit meinen Brooks, ohne baden zu gehen. Oder in Trance zu verfallen. Wobei so was meditatives hat stundenlanges herumkreisen ohne Sinn und Zweck ja schon. Tiefenentspannung ohne fernöstliche Spiritualität. Darauf, das nun alles besser wird mit Schuh Nr. 3, ein 3-maliges oooooohm....
Zunächst sind die Beine, wie erwartet mal wieder irritiert. Aber nicht lange. Schon nach ein paar Runden spüre ich, die alten 'Kriegsleiden' wieder. Nun denn. "s'Läbbe isch koi Schlotzer" wie der Schwabe sagt. Ich will jetzt noch möglichst lange hier die Sache am Laufen halten. Das heißt: Gehen! - erst wenn nichts anderes mehr geht. Gewandert wird später. Jedenfalls nicht vor Halbzeit. Für mein heimliches, leichtsinnig verratenes Ziel bedeutet das 80 km und nicht etwa die Hälfte der 24 Stunden Wettkampfzeit. Wenn die voll sind möchte ich nämlich schon möglichst nahe an der 100er Marke kratzen. Also weitermachen wie gewohnt. Raus durch das Tor, den Berg hoch bis zum Wald.....und am Wasserstand nachtanken. Und dann das Ganze wieder von vorn. Und stündlich grüßt das Fabeltier. Ein halbes Schwein und halb ein Hund, doch ich mach die nächste Rund.
Die psychologische Wirkung der neuen Schuhe ist schnell verpufft. Aber mehr Auswahl habe ich heute nicht. Und dabei hätte ich zuhause gut 20 Alternativen rumstehen. Das hätte doch eine richtige Prêt-à-porter für meine Schuhkollektion werden können. Nicht nur ein paar stolzierte Gockelschritte auf dem Laufsteg, sondern auf einem 1,6 km langen Catwalk präsentiert. O.K., mein Ultraschlurfschritt ist für's modeln heute nicht das Gelbe vom Ei, das kann auch mein leuchtend gelbes Stuttgartlauf-Trikot nicht überdecken. Und dazu muss ich verzweifelt feststellen. Der Fluss meiner Flow ist versiegt. Sollte ich für immer hinterm Mond bleiben und den Nike eine 2.Chance? Wieso hielt die Wechselwirkung nicht länger an? Lohnt es sich alte Seilschaften wiederzubeleben. Der Transfer wird abgewickelt. Aber bevor neu aufgezogen wird müssen mal wieder die Kniestrümpfe gezupft werden. Holzsplitter und Spreisel bilden eine Symbiose mit der Kunstfaser und wollen nur ungern getrennte Wege gehen. Puh endlich geschafft. Jetzt noch dem leise rieselnden Streu zusehen, das sich gerade vom Weizen trennt. Weizen! Ich fange wohl schon an zu phantasieren. Kein Wunder, wenn man(n) ständig dieser Versuchung beim Vorbeiritt an der Vereinsschänke ausgesetzt ist, ihr aber nicht nachgeben darf. So ähnlich muss sich ein Priester im Mädchenpensionat fühlen.
Nachdem nun zum vierten Male die papierene Rundenkontrolleinrichtung, hoffentlich ordnungsgemäß, befestigt ist kann es weitergehen. „9½ Wochen“, ääh Stunden, sind vergangen und die 80 steht. In Karlsruhe vor 4 Wochen war ich in dieser Zeit, gelaufen, geduscht und schon fast schon wieder zuhause gewesen. Heute gerade mal die halbe Miete. Für den „Rückweg“ habe ich also ein Plus von 5 Stunden. Schwer einzuschätzen ob das heute eine 'Pleiten, Pech und Pannen' Show oder eine runde Sache wird. Der zweite Marathon wird pflichterfüllt. 5:44 Stunden. Als Nächste machen wir erst mal die 100 voll. Dann ist das minimale Soll erfüllt. Bis dahin dauert es etwas länger. Denn ich fange nun an zu gehen. Nur Abschnittsweise. Interessanterweise nicht am Anfang der Laufrunde, wo es langezogen den Hügel hochgeht. Auch nicht auf dem „Holzweg“, obwohl das bergab laufen auf dem labbrigen Untergrund zunehmend den müden Muskeln zusetzt, da der unkontrollierte resourcenschonende Schlappschritt hier nicht eingesetzt werden kann. Nein, ich wandere die zweite Streckenhälfteab dem „Kalten Loch“ bis zur Schreinerei. Um dann schon wenige Meter später wieder eine kurze Rast an meinem Tischle zu machen. Der Rest bis zur vereinsgeführten Trinkhalle wird dann langsam gejoggelt.
Mit Freuden stelle ich fest, dass die Dämmerung hereinbricht. Es wird Nacht und ich freu mich drauf. Merkwürdig, was Psyche und Körper so alles bereithält an Überraschungen bei Grenzerfahrungen. Bis vor kurzem war mir die Dunkelheit mein größter Gegner, neben dem Schweinehund. Deshalb habe ich mich dieser Herausforderung bereits gestellt. In Biel, an der Iller, und vor kurzem in Karlsruhe war die Nacht mein Freund. Vor allem die Müdigkeit war während, und sogar nach dem Wettkampf, kein Thema. Jedes Mal konnte ich ohne Bedenken danach mit dem Auto heimfahren. So gestärkt war ich guter Dinge das auch diesmal die Nacht keine negativ bleibenden Eindrücke bei mir hinterlassen würde. Die Strecke hier wurde zudem sehr gut ausgeleuchtet. Am Waldrand, wo keine Straßenlaternen vorhanden waren, hatten die Vereinsmitglieder in aufwendiger Arbeit eine provisorische Beleuchtung installiert. Das ganze sah sehr stimmungsvoll aus.
Erste längere Zwangspause bei km 90 um im Schein der Stirnlampe die Vorbereitungen für die Nacht zu treffen. Kurze Katzenwäsche und dann das bequeme Finisher-Shirt vom Niesenlauf angezogen. Meine kurze Hose ist bei den Temperaturen, die immer noch an der 20° Marke kratzen, ausreichend. Es wird nun ruhiger auf der Strecke. Die kleineren Kinder müssen von ihren Eltern mit dem Wunsch nach weiterlaufen auf den nächsten Morgen getröstet werden. Da es nun weniger zu sehen gibt hatte ich Bedenken, dass mich die Eintönigkeit des nächtlichen kreiselns ermüden würde. Mein mp3-player lag deshalb im Auto als Muntermacher und Einpeitscher bereit. Ich hatte nun aber kein Bedürfnis die auch in mir einkehrende innere Ruhe zu stören. Aufkommende Langweiligkeit? Keine Spur. Alte Ängste? Juckten mich nicht mehr. Moment mal. Jucken. Das spürte ich ganz real plötzlich an anderer Stelle. Hoppla. Es ist zwar keine Vollmondnacht heute, aber wenn ich gegen das unangenehme reiben nichts unternehme, werde ich demnächst dem Wolf begegnen und mit ihm um die Wette heulen können. Also weiterer ungeplanter Boxenstop bei km 94 und dann läuft es wieder wie geschmiert. Bei dieser Gelegenheit werden mal wieder die Schuhe geleert und getauscht. Ich bin wieder im die Flow. Zumindest meine Füße. Werden Sie mein Trip und trippeln mich nun wie im Rausch durch die Nacht?
In der nächsten Runde kann ich Bergfest feiern. Das dutzend Stunden ist voll. Und es bleiben noch 60 km für die To-Do-Liste der zweiten Wettkampfhälfte. Vom Papier her machbar. Aber woher will ich wissen, was für Überraschungen mein Körper noch bereithält. Sollte es so bleiben wie jetzt und auch die Psyche mitspielen könnte ich mein noch zig Meilen weit entferntes Ziel erreichen. Und die 100 sind zum Greifen nah. Noch nicht in Meilen, aber in Kilometer. Nach 12 Stunden und 41 Minuten ist es endlich soweit. Und von da ab ist es nicht mehr weit bis ich entfernungsmäßig Neuland betrete. Nach 102,73 km werde ich dort ankommen. Die Uhr markiert den Meilenstein um 23:04. Motivationsschub. Es werden nun auch immer mal wieder einzelne Runden durchgelaufen. Die Nacht zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Die nächste Etappe heißt 120 km. Ein langer Zwischenschritt auf dem verbleibenden Weg. In der Ruhe liegt nun Kraft. Nicht nachdenken über das was noch kommen könnte. Laufen. Einfach laufen. Oder einfach: Laufen, gehen, laufen....
Sssss, der Garmin brummt mich an. Akku schwach. Damit habe ich gerechnet. 16 Stunden, mehr hält sein altes Herz nicht mehr durch. Dafür kommt nun sein Vorgänger zum Einsatz. Ich beeile mich so gut es geht die Runde zu Ende zu bringen. Bis zum Parkplatz, wo im Auto der 305er noch selig schlummert. Halt durch großer Bruder, damit ich ein durchgängiges Trainingsprotokoll zusammen kriege. 121,66 km zeigt das Display. Der Wechsel klappt. Besser als die endlose Schuhgeschichte. Hier widerstehe ich einer neuerlichen Versuchung, trotz einer leichten Druckstelle unter dem Ballen. Keine Experimente mehr. Ultra darf wehtun. Solange es nicht schlimmer wird werde ich mich diesem Leitsatz fügen. Besser wird es heute nicht mehr werden. Dieser Hoffnung sollte ich mich nicht mehr hingeben. Und meinem Schweinehund tapfer weiter Paroli bieten. Nur noch 2 Runden, dann ist Marathon Nr. 3 im Sack. Um die 7 Stunden. Egal. Jetzt fehlt nicht mal mehr ein lumpiges Marathönchen. Dann wäre ich 100 Meilen – gelaufen, gegangen, geritten, gelitten. Noch gut 3 Stunden dann sollte es dämmern. Hoffentlich wird es kein heißer Tag.
Die mit Leuchtstoffröhren illuminierte Crosstrecke ist auch bei Nacht nur optisch schön. Am liebsten würden ich dieses Stück gehen. Würde wahrscheinlich auch die Zuführung neuer Streckenbestandteile in Form von hölzernen Fußfolterinstrumenten deutlich einschränken. Downhill wandern? So tief will ich nicht sinken. Sollte ich noch einmal hier starten werde ich Gamaschen tragen. So blöd und deplaziert das auch aussehen wird. Holzfreie Schuhe und Strümpfe wären mir dieses Overdressed-Outfit wert. Die paar Stunden muss es jetzt ohne gehen. Ähem, bei den paar Stunden handelt es sich noch um über 7 während ich das denke. Ich brauche ein neues Teilziel. Und finde es in meiner maximalen Zeit die ich bisher in meinem Läuferleben am Stück zurückgelegt habe. 19:08, einem gewissen G. klingen bei dieser Zahl wohl bis in alle Ewigkeit die Ohren. 19:08 Stunden war die Zeit für den Everest dieses Jahr. Das war knapp 6 Minuten schneller als mein Mentor, der 3 Jahre vor mir, dort oben war. Dieser magischen Marke nähere ich mich mit Riesenschritten. Na ja eher sind es Trippelschritte, mal laufend, mal gehend. Wem die Stunde schlägt. Alles nur eine Frage der Zeit und die, die dann noch verbleibt bis zum Tagesanbruch, komme ich auch noch irgendwie über die Runden. Um 5:30 dämmert es mir. Die Nacht weicht dem Tag. Die Sonne schiebt sich kurz über den Horizont. Dann nehmen schwarze Wolken überhand und sorgen dafür das es kühl bleibt. Ein Donnergrollen und dann setzt Regen ein. Erst wenig, dann um so heftiger. Ich freue mich wie ein Kind. Es wird klappen. Neue Energien setzen sich frei. Ich nehme mir die Zeit um an der Rundentaffel länger zu verweilen. Denn es dauert bis durch mehrere Bildschirmwechsel die Ergebnisse der Einzelläufer erscheinen. Bestimmt 2 Minuten stehe ich so da. Gebannt wartend ob alles so gezählt wurde wie es meine beiden Garmins mir verheißen haben. 162 km wurden mir prophezeit. Und werden jetzt von der offiziellen Messung sogar noch übertroffen. 99 Runden ergeben 163,78 km. Ich jubele in mich hinein. 100 Meilen! Ich habe es geschafft.
Schnell zurück auf die Laufstrecke. Mindestens eine Runde noch. Beflügelt von der erbrachten Leistung gebe ich noch einmal alles und schaffe es fast die ganze Runde durchzulaufen. 9:36 Uhr. Aufhören. Nö, sagt der Teufel in mir. Eine gemütliche geht noch. Mir ist zwar bekannt, das in Dettenhausen keine Restmeter gemessen werden und stattdessen um 9:45 eine letzte gemeinsame Ehrenrunde gelaufen wird. Was mir nicht klar ist, dass diese nicht gewertet wird. Und die Zeiterfassung endet sobald diese gestartet ist. Das erklärt mir gerade der Stadionsprcher zu meiner Verdutzung. Jetzt wird jeder sagen. 9 Minuten für 1,65 km. Hört sich selbst für Sonntagsjogger nicht wie eine unlösliche Aufgabe an. Aber heh. Ich drehe schon seit Stunden, hier schon meine Runden. Es ist 9:49 Uhr als ich wieder ins Stadion einbiege. Am Start wird gerade zur Aufstellung für den Start der gemeinsame letzten Runde aufgerufen. Sind die Messeinrichtungen noch in Betrieb wenn ich komme? Ich falle letztmalig in einen Zeitraffer-Joggingschritt. Wäre doch der Horror wenn meine vermeintlich letzte Runde unter den Tisch fallen würde. Dafür war Sie zu schwer. Mein Herz pocht, der Verstand rast. Ein unendliches Glücksgefühl erfaßt mich als ich um die letzte Kurve biege. Alles noch da um mich noch mitzunehmen und „rund“um glücklich zu machen. Zähl, ruft es in mir, als ich zum letzten Mal die Schwellen berühre. Es reicht. 101 Runden, eine mehr als die magischen 100. 167,05 km. Mehr geht nicht. Schauläufer schwänzt das Schaulaufen. Mein Kindermädchen G aus G würde dazu wahrscheinlich folgendes sagen: „Du kannst dich halt nicht quälen.“ Jetzt nur noch ab nach Hause und die Frage: „Schatz, wie ist dein Tag gelaufen“ statt mit einer ausschweifenden Heldensaga, kurz und knapp mit: „Ging so“ beantworten. „Die Beine schwer, mein Kopf ist leer.“ Die nächsten Tage werde ich dann schmerzlich daran erinnert, was ich die letzten 24 Stunden getan habe. Der erste 24-Stünder bleibt jedoch länger im Kopf als in den Beinen.
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