Banner

Tempotraining??? Deutscher Rekord geht auch ohne! [DM 50 km 2016]

Tempotraining??? Deutscher Rekord geht auch ohne! [DM 50 km 2016]

1
[font=&amp]Vor etwa 3 ½ Jahren lief ich meinen letzten Lauf, der über die Marathondistanz hinausging. Genau genommen war es ein 100 km-Lauf am 6. Oktober 2012. Da dachte ich mir, dass diese ganz langen Dinger für den alten Mann nichts mehr sind, und begab mich fortan nur noch auf kürzere Strecken bis hin zum Marathon, also so, wie ich eigentlich mal angefangen hatte. [/font]

[font=&amp]Ende des letzten Jahres las ich zufällig von einem Lauf im Olympiagelände in Berlin. Da sollten auch die Deutschen Meisterschaften im 50 km-Lauf ausgetragen werden. Das war einer dieser Momente, wo es bei mir im Kopf klickt, und ich wusste: Da musst du dabei sein! Es war einfach die Kombination aus Berlin, Olympia und DM, die den Faszinationsregler auf ON stellte.[/font]

[font=&amp]Und das Schöne war: Ich konnte 2 meiner Vereinskollegen überzeugen, nach längerer Zeit endlich mal wieder zusammen zu einer Meisterschaft zu fahren. Wir waren ja früher mal die „Macht vom Niederrhein“ gewesen. Zugegeben, diesen Kampfnamen hatten wir uns selbst verpasst, aber er war nicht unberechtigt, denn immerhin hatten wir 2 Deutsche Meisterschaften über 100 km erlaufen – nein, nein, nicht in den Seniorenklassen, die kamen noch hinzu, sondern altersklassengemischt, also „richtig“ – und einmal auch über 50 km („richtiger“ Deutscher Meister). Da würden wir nicht anknüpfen können, aber es würde schön sein, mal wieder anzutreten, und in der Seniorenklasse 50+ rechneten wir uns durchaus Medaillenchancen aus. [/font]

[font=&amp]Die Sache hatte allerdings einen Haken. Da der Lauf bereits am 5. März stattfinden sollte, bedeutete das, schon Mitte Dezember mit dem Training zu beginnen, um die übliche 12-Wochen-Vorbereitung hinzubekommen. Aufgrund der bevorstehenden Feiertage hatte das 3 Nachteile: 1. Meine Frau wäre nicht erfreut. 2. Wir hatten Besuch. 3. und am Wichtigsten: Ich verspürte keine Lust, an den Weihnachtstagen und um Silvester herum ein intensives Lauftraining zu absolvieren. Also beschloss ich, es etwas lockerer angehen zu lassen und erst im Januar richtig loszulegen. Ich ließ es dann überhaupt etwas lockerer angehen und legte den Schwerpunkt auf Umfangserhöhung, weniger oder kaum auf Tempo. [/font]

In der letzten Woche vor dem Lauf[font=&amp] handelte unser dritter Läufer sich eine Verletzung am Knöchel ein. Das war schade, denn die Mannschaft war damit gesprengt. Es wurde für mich aber einfacher, denn ich konnte nun völlig tiefenentspannt an den Wettkampf herangehen. Mangels Mannschaft spielte nur noch meine Einzelzeit eine Rolle, und für den ersten Platz in der AK sollte das ja wohl locker reichen. Ich hatte – eher beiläufig, als ich mich nach 6 h-Rekordzeiten erkundigt hatte - auch die 50 km-Rekorde gegoogelt, aber mit 3:44:19 h für die M65 war das meilenweit entfernt. Da hätte ich schon mehr machen müssen und selbst dann wäre es fraglich gewesen. Also: nach unten (AK-Platzierung) abgesichert, nach oben (Deutscher Rekord) unerreichbar, also musste ich nur ohne großen Kampf durchlaufen. So schien mir das.[/font]

[font=&amp]3 Tage vor dem Lauf erhielt ich eine Mail des Veranstalters: Man müsse umziehen, unüberwindbare Probleme schlössen den Veranstaltungsort Olympiastadion aus, man habe aber eine Alternative irgendwo draußen gefunden, im Plänterwald wäre das, und das wäre eine auch schon bewährte Strecke. Das fand ich gar nicht toll, denn der eigentliche Reiz war dahin. Nützte aber nichts, denn zu ändern war es nicht, und alles war ja bereits arrangiert. [/font]

[font=&amp]Dass der neue Veranstaltungsort einen gravierenden Nachteil hatte, durfte ich am Morgen des 5. März erleben. Ich war über eine Stunde vor Start dort, es war kalt, das ganze Areal befand sich mitten in der Pampa, keine Aufwärmmöglichkeit, und von Minute zu Minute kroch die Kälte mehr und mehr in alle meine Körperteile hinein. Unter meinen Vorfahren sind garantiert keine Eskimos oder Ureinwohner Sibiriens, die der Körperauskühlung trotzen mögen. Als ich 10 Minuten vor Start den noch halbwegs schützenden Trainingsanzug ablegte, versuchte der Körper nur noch durch Zittern, die Kerntemperatur nicht ins Bodenlose sinken zu lassen. Zum Glück hatte ich einen Plastikumhang mitgenommen, den ich nun überzog. Der kam aber über eine Alibifunktion auch nicht weit hinaus. Kurz vor dem Start zweifelte ich daran, in diesem Jammerzustand überhaupt eine Laufbewegung hinzubekommen. Zu allem Überfluss fiel auch der zweite Vereinskollege aus, der sich zwar auf den Weg nach Berlin gemacht hatte, aber mit einer Entzündung den Lauf absagen musste[/font]

Als schließlich der Startschuss fiel,[font=&amp] lief ich eher mechanisch los, und ohne bewusstes Zutun forcierte ich meine Schritte, um den Körper endlich wieder zu erwärmen. Es überraschte mich daher nicht, dass der erste km mit 4:30 wegging und auch die folgenden noch nicht langsamer wurden. Laufen = Wärmeproduktion, das war im Moment der vorrangige Antrieb! Es dauerte eine geraume Zeit, bis ich ganz allmählich etwas Wärme von innen nach außen wandern spürte. Und noch etwas spürte ich: Der Brustgurt rutschte. Den trage ich immer, um anschließend den Lauf auswerten zu können. Da der Gurt aber auch schon in die Jahre gekommen ist und durch den vielen Schweiß trotz regelmäßiger Wascherei seine Elastizität mehr und mehr verliert, rutscht er eben. Ein paarmal schob ich ihn wieder hoch, aber irgendwie ging mir das total auf den Sack, bis ich ihn schließlich löste und am Ende der ersten Runde an die Seite warf. Als ich diese erste Runde beendete, war mir etwas wärmer, aber meinen Plastikumhang hatte ich immer noch an. Ich registrierte, dass ich nach wie vor recht flott unterwegs war. Mit 22:20 min lag ich weit unter meiner erwarteten Zeit. [/font]

[font=&amp]Abwarten, dachte ich mir! Du wirst schon automatisch langsamer werden, wenn es sich nicht mehr so rund anfühlt wie im Moment. Und derzeit lief es richtig rund und gut. Also ließ ich mich weiter von meinem Laufgefühl leiten und warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf die Uhr, um die km-Zeiten zu beobachten. Mitte der zweiten Runde signalisierte mir mein Körper, dass die Temperatur nun angenehm sei. Also weg mit dem Plastikteil! [/font]

[font=&amp]Weiter oben hatte ich einen Nachteil der neuen Strecke erwähnt. Nun entdeckte ich, dass sie auch einen ganz wichtigen Vorteil bot: Sie war flach, schnell und ließ sich richtig gut laufen. Das flutschte regelrecht. Als ich die 2. Runde, also den ersten Zehner, mit einer Durchgangszeit von 44:14 min zu Ende brachte, wurde ich leicht skeptisch. Das war schneller als gedacht, viel zu schnell. Aber es lief leicht, locker, so dass ich das Tempo beibehielt. Ich war vor dem Lauf sehr unsicher gewesen, was ich drauf haben würde, und hatte im Vorfeld jedem, der mich fragte, meine Prognose von irgendwas zwischen 3:55 und 4:00 h genannt, wenn’s ganz gut liefe vielleicht 3:50 h. Das wären 10-er Zeiten zwischen 47 und 48, bestenfalls 46 Minuten gewesen. [/font]

Auch in Runde 3 und 4[font=&amp] taten die Beine noch locker ihren Dienst, und nach 20 km konnte ich auf der Uhr eine Zeit von 1:28:26 h ablesen. Das war nun leicht zu analysieren: Ein Tempo von 4:30 bedeutet nach 20 km 1:30 h und konstant durchgelaufen eine Endzeit von 3:45 h. Daran mochte ich noch nicht denken, aber immerhin: ich hatte einen Puffer von 1 ½ min. Auch bei einer erwarteten Verlangsamung auf den letzten km könnte das für eine Zeit von 3:48 gut sein. Das wäre phänomenal – vorausgesetzt, ich hätte mich nicht überschätzt und würde am Ende stärker einbrechen (wie es mir z. B. vor 1 ½ Jahren beim Marathon in Bottrop passierte, als nach 25 km die Luft raus war).[/font]

[font=&amp]Das waren so Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, während ich schon wieder einen Teil der 5. Runde hinter mir hatte. Am Ende dieser Runde sollte die Hälfte der Strecke geschafft sein, und an diesem Ende zeigte die Uhr: 1:50:43 h, 5 Runden gelaufen, Tempo immer noch gehalten, sogar weitere Sekunden auf die 4:30 min/km gut gemacht. Einfache Rechnung: 2 x 1:50:43 h = 3:41:26 h. Aber: einfache Rechnung = Milchmädchenrechnung, denn Zeitverlust am Ende außer Acht gelassen. Mal sehen: Wenn’s gut läuft und der Verlust nur 2 – 3 Minuten beträgt, dann wäre das ja tatsächlich unter 3:45 h, nein, das wäre in der Nähe des bisherigen Rekordes, des unerreichbaren. Und so langsam nistet sich ein Gedanke ein: Wo stehst du, Bernd? Was hat das Training dir gebracht, auch wenn es im Vergleich zu sonst reduziert war? Wie lange und wie gut kannst du das jetzige Tempo halten?[/font]

[font=&amp]Es läuft ja immer noch recht rund. Klar, der Atem geht nun heftiger, und du spürst die Belastung in den Beinen. Alles fällt jetzt schon schwerer, du musst nach jedem Schluck Trinken mehr nach Luft japsen, aber das fühlt sich nicht nach Ende der Fahnenstange an, noch nicht jedenfalls.[/font][font=&amp] Ich beschloss, als erstes Teilziel die Rundenzeit der 6. Runde abzuwarten. Das zweite Teilziel wäre dann der 4. Zehner, also Runde 7 und 8, danach sollte die Einschätzung klarer werden.[/font]

Die 6. Runde[font=&amp] geht mit 22:20 min erneut schneller als 4:30-Tempo zu Ende, Gesamtzeit nach 30 km 2:13:03 min und damit fast 2 Minuten Vorsprung auf eine 3:45 min. Zwei 10 km-Läufe liegen noch vor mir, und in jedem kann ich 46 min laufen, um immer noch knapp über 3:45 h zu bleiben. Aber ich will nicht knapp über 3:45 h laufen, ich will auch nicht knapp unter 3:45 h laufen, jetzt möchte ich unter 3:44:19 h laufen. Aber so einfach ist das nicht. Die Chancen schätze ich auf 50:50 ein. Die folgenden 2 Runden müssen die Entscheidung bringen. Kann ich diese beiden klar unter 23:00 laufen, dann steigen die Chancen erheblich. [/font]

[font=&amp]Zu Beginn der 7. Runde verliere ich wie zu Beginn jeder Runde Zeit, denn ich trinke, natürlich im Laufen, trotzdem zwingt mich das zu einer leichten Verlangsamung, denn jeder Schluck unterbricht die Atmung und damit die Sauerstoffzufuhr. Ich laufe weiterhin kraftvoll und schnell, aber die Ermüdung macht sich nun zunehmend bemerkbar. Die Beine heben sich nicht mehr so leicht und wie von selbst, jetzt drücke ich sie mehr nach vorne, um das Tempo zu halten. Immer mal wieder schaue ich auf die Uhr, um die Entwicklung der km-Zeiten zu kontrollieren und um eine sich möglicherweise einschleichende Verlangsamung zu bekämpfen. Noch scheint der Tempoabfall minimal. [/font]

[font=&amp]Runde 7 wird die erste, die ich mit 22:31 min ganz leicht über dem 4:30-er Tempo beende. In der 8. Runde, die nicht leichter wird, die aber allmählich einen Ausblick auf das Ende und den Zieldurchlauf erahnen lässt, kann ich mich sogar wieder geringfügig steigern: 22:25 min, damit bleibt auch der 4. Zehner unter 45 min! 2:57:57 h ist die Gesamtzeit nach 40 km, und ich habe sogar noch einige Sekunden herausgeholt auf die 3:45 und wichtiger die 3:44:19 h, die meine Leitzahl ist. Jetzt ist es realistisch, ach was wahrscheinlich, dass ich den alten Rekord brechen kann. Mehr als 46 Minuten kann ich mir für die letzten beiden Runden Zeit lassen. Ich kann also um einiges langsamer werden, und es würde immer noch reichen.[/font]

[font=&amp]Während ich so meine Chancen einschätze, ist ein Unbekannter schon seit einigen Minuten im Ziel. Paul Schmidt, den niemand auf der Rechnung hatte, ist nicht nur neuer Deutscher Meister, sondern er hat mit seiner Zeit von 2:49:06 h auch einen herausragenden neuen deutschen Rekord aufgestellt. Der alte Rekord hatte 5 Jahre Bestand, gelaufen von Peter Seifert, vielen hier als Corruptor bekannt. Ich hatte ihm in Marburg noch zu seinem phantastischen Rennen gratuliert, bevor er dann kurze Zeit später diesen schlimmen Unfall hatte, der sein Leben radikal veränderte.[/font]

Zurück zum heutigen Wettkampf:[font=&amp] Auch für mich ist der Rekord mittlerweile machbar, wenn auch „nur“ in der AK. Und doch bleibe ich skeptisch, will mich nicht selbst einlullen. Denn in vielen Wettkampfjahren habe ich eine Menge erlebt, und es wäre nicht das erste Mal, dass eine scheinbar sichere Bank noch verloren geht. Nein, das ist zu packen, aber ich muss bis zum Schluss konzentriert und fokussiert bleiben! Mehr noch als in den Runden zuvor kontrolliere ich nun die km-Zeiten. Immer, wenn die Anzeige über 4:30 min/km liegt, lege ich noch mehr Kraft in den Vorwärtstrieb, um eine einsetzende Verlangsamung sofort zu kontern und das Tempo wieder heraufzusetzen. Das kostet selbstredend von Mal zu Mal mehr Kraft, und lässt den Körper die Peitsche des Kopfes spüren, aber es funktioniert. Der Folgekilometer fängt den Zeitverlust teilweise wieder auf, und der Körper arbeitet angestrengt, aber stoisch sein Programm ab.[/font]

[font=&amp]Kurz nachdem ich km 2 der 9. und vorletzten Runde passiert habe, liegt die Marathondistanz hinter mir. Später zuhause rechne ich den 3. km um, ordne den ersten 200 Metern ihren Zeitanteil zu, um die Marathondurchgangszeit zu ermitteln. Für den Marathon habe ich demzufolge 3:07:50 h gebraucht. Das ist auf die Sekunde genau die Nettozeit meines Berlin-Marathon aus 2015! [/font]

[font=&amp]Hier möchte ich einen kleinen Einschub vornehmen und kurz das Training vor diesen beiden Wettkämpfen skizzieren und vergleichen:[/font]

[font=&amp]Marathon 2015:[/font]
[font=&amp]- [/font][font=&amp]Vorbereitungszeit 12 Wochen, [/font]
[font=&amp]- [/font][font=&amp]1.212 km Umfang, [/font]
[font=&amp]- [/font][font=&amp]8 lange Läufe > 30 km (davon 6 > 35), [/font]
[font=&amp]- [/font][font=&amp]Intervalle 1 x pro Woche, [/font]
[font=&amp]- [/font][font=&amp]Wettkämpfe als TDL oder Endbeschleunigung genutzt, [/font]
[font=&amp]also ziemlich „klassisch“, angelehnt an Greif[/font]

[font=&amp]50 km 2016:[/font]
[font=&amp]- [/font][font=&amp]Vorbereitungszeit 9 Wochen, [/font]
[font=&amp]- [/font][font=&amp]977 km Umfang (12-Wochen-Fenster), [/font]
[font=&amp]- [/font][font=&amp]7 lange Läufe > 30 km (davon 5 > 35 km), [/font]
[font=&amp]- [/font][font=&amp]keine Intervalle, [/font]
[font=&amp]- [/font][font=&amp]einzige Tempoeinheiten 2 Crossläufe + 1 x 10 km-Wettkampf. [/font]
[font=&amp]Schwerpunkt lag in den 9 Vorbereitungswochen eindeutig auf Umfang und langen Läufen, dazu einige mittellange Läufe 18 – 22 km, Tempo in allen Läufen meistens 5:10 – 5:30, am Anfang der Phase auch langsamer. Eigentlich eher eine Art Notprogramm.[/font]

[font=&amp]Letztes Jahr beim Berlin-Marathon waren schon nach Halbmarathon die Zehnerzeiten kontinuierlich und merklich langsamer geworden. Im Ziel war ich groggy gewesen. Heute dagegen ist zwar mittlerweile heißer Kampf angesagt, aber dennoch ist noch Kraft vorhanden, um die Rekordjagd fortzuführen, denn das ist es inzwischen geworden. Ohne diese Aussicht würde ich sicher etwas der Ermüdung nachgeben, jetzt kann ich mir das nicht erlauben. [/font]

Als ich zum vorletzten Mal[font=&amp] dem Zielbanner nahe komme, brandet plötzlich großer Beifall auf. Nanu, denke ich mir, vorher hat dich doch auch keiner beachtet! Halt, stimmt nicht ganz! Seit der 7. Runde sind Frau und Tochter dazu gekommen und haben sogar ein Schild zur Anfeuerung gemalt. Der Beifall gilt aber nicht mir, denn auf der Zielgeraden werde ich von der ersten Frau überrundet, die bei ihrem Zieleinlauf noch einmal alles gibt und mit 3:20:33 h eine ganz starke Zeit abliefert, wofür Nele Alder-Baerens zurecht kräftigen Applaus bekommt. Sie wird im Übrigen die einzige Frau bleiben, die vor mir ins Ziel kommt.[/font]

[font=&amp]Für mich endet diese Runde in 22:41 min, also nur knapp an Tempo verloren, und die Möglichkeit, trotz eher mäßigen Trainings den AK-Rekord zu knacken, wird immer wahrscheinlicher. Eigentlich darf ich mir nur keinen Einbruch leisten, dann sollte der Drops gelutscht sein. Nur noch eine Runde, und ich muss lediglich unter 23:30 min laufen, also 4:42 min/km Tempo, somit das, was ich vorher als Gesamttempo für möglich gehalten hatte! [/font]

[font=&amp]Es ist nun doch noch schwer geworden. Kein Wunder nach recht schnellen 45 km. Ich bin weiterhin darauf bedacht, ein merkliches Absinken des Tempos zu verhindern, und machte nochmal richtig Druck. Km 1 passiert, jetzt geht es mit Blick nach rechts auf die Spree lange geradeaus. Km-Schild 2 abgedrückt, nur noch 3 km liegen vor mir. Kurzer Blick zur Uhr, Tempo passt noch. Weiter, weiter! Endlich taucht das Schild mit großer 3 auf. Das ist es! Das reicht, muss reichen! Jetzt dürfen bloß keine Herzrhythmusstörungen dazwischen kommen, wie es mir letztes Jahr in Monschau und dann auf dem letzten km in Berlin passiert ist! Aber nein, das Gefühl ist gut. Heute sollte es glatt gehen, ohne Störungen ins Ziel. [/font]

Kurz vor km-Schild 4[font=&amp] überrunde ich Wolfgang. Er und seine Frau haben einen eigenen Verpflegungstisch mitgebracht. Dort durfte ich meine 4 Flaschen mit abstellen. Ich hatte noch 2 ältere Geltüten, Haltbarkeitsdatum Ende 2013 bzw. 2014 (aber dieses Chemiezeug hält sich ja fast ewig), und 2 Werbegaben von anderen Läufen. Die hatte ich mir mit Wasser aufgefüllt, Flasche halbvoll, und nach jedem Zehner einverleibt. Wolfgang und seine Frau sind auch bei fast jeder Ultraveranstaltung anzutreffen. Marion war vor 5 Jahren ebenfalls 100 km-Weltrekord gelaufen in ihrer Altersklasse.[/font]

[font=&amp]Ich bin schon wieder auf dem asphaltierten Weg, als ich plötzlich einen herzzerreißenden Schrei höre. War das Wolfgang? Ein anderer Läufer? Das hört sich an, als hätte jemand einen Muskelriss erlitten. Im Laufen drehe ich mich um, kann nichts erkennen. Was nun? Umdrehen? Nachsehen? Wenn’s wirklich eine schwere Verletzung ist, kann ich aber eh nichts machen. Das Beste ist, weiter zum Ziel zu laufen und die Sanitäter zu benachrichtigen![/font]

[font=&amp]So mache ich es auch, renne weiter, sehe Frau und Tochter, die beide meinen Zieleinlauf fotografieren wollen, laufe diesmal nach rechts ein – keine weiteren „Runden“, sondern „Ziel“. Geb‘ der Rennleitung Bescheid, die schicken jemand hin. Später erfahre ich, dass es tatsächlich Wolfgang war, dessen markerschütternden Schrei ich gehört habe. Aber – Glück im Unglück – er ist „nur“ gestolpert, konnte weiterlaufen und das Rennen ganz regulär beenden.[/font]

[font=&amp]Mein Blick geht zur Uhr: 3:43:31 h. Ein gedämpftes „Yepp, hat gereicht.“ Mehr lässt die momentane Erschöpfung nicht zu. Dann würge ich und muss erstmal kotzen, 2-mal, 3-mal. Viel ist es nicht, was da rauskommt. [/font]

[font=&amp]Ich registriere, dass ich ein perfektes Rennen gelaufen bin. Nicht nur die Kotzerei zeigt mir, dass ich alles gegeben habe. Auch die letzte Rundenzeit von 22:54 min weist das aus. Gefühlt bin ich mit verdoppelter Anstrengung gelaufen, gemessen war es dennoch meine langsamste Runde. Mehr wäre nicht gegangen. Ich bin aber happy, dass ich auch diese Runde noch unter 23 min abschließen konnte.[/font]

[font=&amp]--- Später ---[/font]

[font=&amp]Ich bin geduscht, ich bin entspannt. Die Anstrengung liegt hinter mir, und ich genieße die Ruhe, die nun von innen kommt. Wenn ich über das Rennen nachdenke, bin ich selbst total überrascht, wie gut und insgesamt locker das abgegangen ist. Heißt das nun, dass die herkömmlichen Trainingspläne plötzlich alle hinfällig sind? Nein, sicher nicht! Wer Leistung bringen will, muss entsprechend trainieren, und dazu gehört auch Tempotraining. Was mir der heutige Tag aber erneut gezeigt hat, ist die Unsinnigkeit, sowas in mathematische Gleichungen zu packen à la „Wenn ich so und so trainiere, dann kommt folgende Zeit heraus.“ Man kann super trainieren und scheißig laufen, und man kann, siehe heutiges Beispiel, mäßig trainieren, und es springt eine Bombenzeit heraus. Heute habe ich sicher körperlich auch die Dividende langjährigen Trainings kassiert, und der Kopf konnte die positiven und negativen Erfahrungen von Hunderten von Wettkämpfen zum Einsatz bringen.[/font]

[font=&amp]2 Tage später erscheint der Lauf mit allen Zeiten auch in der DUV-Ergebnisdatenbank. Die Programmierer dort berechnen per hinterlegter Formel für jeden Läufer zusätzlich seine altersbereinigte Zeit und weisen die automatisch aus. Da habe ich natürlich auch mal geschaut. Paul Schmidt, der Sieger, steht da mit 2:49:06, nach wie vor an erster Stelle, dicht gefolgt von dem 9-maligen Deutschen Meister über 100 km, Michael Sommer, Jahrgang 1964, dessen 3:14:01 h einer 2:50:41 h entsprechen. Da sehen dann meine umgerechneten 2:53:19 h gar nicht so schlecht aus. Klar, das ist Spielerei, und man kann sich nichts dafür kaufen, aber es gibt zumindest einen Hinweis auf die Frage, wie denn die Leistung in etwa eingeschätzt werden kann.[/font]

[font=&amp]Bernd[/font]
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

2
Vielen Dank für den klasse Bericht! Großes Kino.
Respekt vor Deiner Leistung. :daumen:
Deine Berichte geben mir immer wieder Zuversicht, dass auch im fortgeschrittenen Alter das Ende der läuferischen Fahnenstange noch nicht erreicht ist.

4
meissner hat geschrieben:Vielen Dank für den klasse Bericht! Großes Kino.
Respekt vor Deiner Leistung. :daumen:
Deine Berichte geben mir immer wieder Zuversicht, dass auch im fortgeschrittenen Alter das Ende der läuferischen Fahnenstange noch nicht erreicht ist.

So isses! :daumen:


Glückwunsch zu der Klasseleistung! :daumen:

Gruß Frank

Bild
Bild

5
Lieber Bernd,

super Leistung und wie gewohnt ein toller Bericht. :daumen:
Heißt das nun, dass die herkömmlichen Trainingspläne plötzlich alle hinfällig sind? Nein, sicher nicht! Wer Leistung bringen will, muss entsprechend trainieren, und dazu gehört auch Tempotraining. Was mir der heutige Tag aber erneut gezeigt hat, ist die Unsinnigkeit, sowas in mathematische Gleichungen zu packen à la „Wenn ich so und so trainiere, dann kommt folgende Zeit heraus.“ Man kann super trainieren und scheißig laufen, und man kann, siehe heutiges Beispiel, mäßig trainieren, und es springt eine Bombenzeit heraus.
Auf ein möglichst konkretes Ziel zu trainieren, hilft sicher ungemein, aber am Wettkampftag muss man halt mit den "Beinen" zurecht kommen, mit denen man aufgewacht ist. :)

7
Ich konnte beim Lesen die Stimmung einatmen, dieses Gefühl, wenn die Beine leicht sind und wie von selbst laufen...echt Klasse!

9
Herzlichen Glückwunsch Bernd! Ein ganz toller Lauf und ein nicht minder toller Bericht! Vielen Dank dafür :)

Gruss Tommi
Bild


Bild


Mein Tagebuch: forum/threads/96079-Die-dicken-Waden-der-dicken-Wade

"Unser Denken bestimmt unsere Wahrnehmung und unser Verhalten. Wenn wir uns nur auf das konzentrieren, was uns missfällt, werden wir auch viel Schlechtes sehen, dementsprechend über die Welt denken und unser Verhalten danach ausrichten. Menschen, die sich auf das Schöne konzentrieren, sind folglich zweifelsfrei glücklicher."

Thorsten Havener

12
Toller Bericht und beeindruckende Leistung :daumen:

Zum Titel des Fadens, habe ich nochmal den passenden Untertitel rausgesucht :zwinker5:
burny hat geschrieben:Heute habe ich sicher körperlich auch die Dividende langjährigen Trainings kassiert, und der Kopf konnte die positiven und negativen Erfahrungen von Hunderten von Wettkämpfen zum Einsatz bringen
Diese Dividende war nicht nur kassiert. Sie vor allem verdient und hart erarbeitet.

13
Gratulation, (von wegen) alter Mann :D ! Als Du mich überholt hast, dachte ich noch, nee, das ist doch nicht Bernd, der tut sich das hier doch nicht an?! Als ich dann gelesen habe, dass Du Dir 2 (?) Liter Wasser + abgelaufenes Gel reingepfiffen hast, dachte ich nur, ja, da hätte ich auch gekotzt ....
Erhol Dich gut.
Renn-Schnecke

... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...

15
Herzlichen Dank für den tollen Bericht und herzlichen Glückwunsch zur tollen Leistung :daumen: :daumen: :daumen:
Start: 08/2015. 10 km: 46:59,8 min (03/2016) HM: 1:44:40 (06/2016)

17
:respekt: Herzlichen Glückwunsch :respekt:

Hallo Bernd,

einfach super :geil: , viel mehr kann ich nicht sagen... :daumen: :daumen: :daumen: :daumen: :daumen: :daumen: :daumen: :daumen:

:winken:
Viele Grüße

Jürgen

"... its aint over till
it's over ..."
"... es ist nicht vorbei,
bevor es vorbei ist ..."

-Zitat: Rocky Balboa- :wink:

18
Danke an alle für euer zahlreiches Feedback!
Renn-Schnecke hat geschrieben: Als ich dann gelesen habe, dass Du Dir 2 (?) Liter Wasser + abgelaufenes Gel reingepfiffen hast, dachte ich nur, ja, da hätte ich auch gekotzt ....
Wie kommst du auf 2 Liter? 4 halb gefüllte 0,5 l-Flaschen + 4 x 1 Becher Wasser dürften eher so 1,5 l Flüssigkeit ergeben, das ist nicht zu viel für den Zeitraum. Die Kotzerei ist eine Folge der Belastung vor allem beim Hochhalten des Tempos zum Ende hin. Das kommt bei harten Wettkämpfen von Zeit zu Zeit vor.

Eigentlich hatte ich vorgehabt, nun auch die 6 h-Meisterschaft (2.4.) mitzunehmen, musste aber feststellen, dass es nur eine begrenzte Zahl an Plätzen gibt, die nach dem Prinzip "First come, first serve" alle vergeben sind. Merkwürdige Regelung für eine Meisterschaft! Mal sehen, was es an Alternativen gibt.

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de
Antworten

Zurück zu „Laufberichte“