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Gut, dass ich nicht beim Christopher Street Day war!

Gut, dass ich nicht beim Christopher Street Day war!

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[font=&amp]Als ich noch Tag um Tag morgens ins Büro fuhr, da hörte ich in einer Konferenz, wie so ein Klugscheißer meinte, es sei unsinnig, mit Gegenständen zu schimpfen. Wenn man sich beispielsweise am Stuhlbein stoße und dann „blöder Stuhl“ sage, sei das albern. Da bin ich aber anderer Meinung. Natürlich haben Gegenstände einen Willen und entscheiden listig, ob sie uns zu Diensten sein wollen oder nicht. [/font]

[font=&amp]So wie meine GPS-Uhr gerade wieder. Die war einfach nur bockig! Wollte nicht! Wollte partout nicht! Nach dem Einschalten kam sie über den Startbildschirm mit „Garmin“ und irgendwas Kleingedrucktem nicht hinaus. Nach einigen Minuten schaltete ich sie aus und wieder ein, das Ganze noch zweimal, und dann entschied sie sich, vom Startbildschirm selbständig auf AUS zu gehen. Bockig eben![/font]

[font=&amp]Na gut, dann würde ich eben ohne Uhr laufen. Es war Ostermontag, und ich wollte in der Stadt eines ehemaligen Rennfahrers und mehrmaligen Weltmeisters 10 km laufen. Das sind 4 Runden à 2,5 km. Am besten erstmal einlaufen, und dazu wollte ich die Streckenrunde abklappern. Schon nach wenigen Metern brannte mächtig die Sonne herunter, kein Lüftchen kühlte, und ich dachte bei mir: „Jetzt bist du doch tatsächlich zu warm angezogen, wärst du man bloß im Bikini gelaufen.“ Das ist allerdings mehr so als Metapher gemeint, denn erstens befinde ich mich nicht im Besitz eines solchen, dem weiblichen Teil der Menschheit vorbehaltenen Kleidungsstücks und zweitens würde das optisch sicherlich ein wenig seltsam anmuten. Schließlich wollte ich an einer Laufveranstaltung teilnehmen und nicht am Christopher Street Day.[/font]

[font=&amp]Es dauerte bei dieser Einlaufrunde aber auch nicht lange, bis ich die leicht ansteigende Gegengerade erreicht hatte, auf der mich heftigster Gegenwind erwartete und ich meinen Frieden mit der heute gewählten Bekleidung aus Kurzarm-T-Shirt und Kurz-Tight schloss. [/font]

[font=&amp]Es sollte aber noch besser kommen. Der Himmel hatte sich bereits beim Warten auf den Startschuss aus den „50 Versionen von Grau“ mit den düstersten von ihnen eingefärbt. Vorne erzählte irgendwer irgendetwas, was keiner verstand, und schaffte es, den Start solange hinauszuzögern, dass pünktlich zum Start der Regen einsetzte. Die nasse, dunkle Anfangsgerade erinnerte nun in nichts mehr an die friedliche Sonneninsel, die zuvor bei der Einlaufrunde das Bikini-Begehren ausgelöst hatte. [/font]

[font=&amp]Und dann ging es so richtig los! Hatte ich beim Einlaufen auf der Gegengeraden noch das Gefühl gehabt, gegen eine etwas weiter entfernte Windmaschine anrennen zu müssen, so schien sich nun eine ganze Armada von ihnen zusammen mit der „Mutter aller Windmaschinen“ vor den Läufern aufgebaut zu haben und ihnen den republikanischen Schlachtruf aus dem Spanischen Bürgerkrieg „No pasarán!“ entgegenzuschleudern. Ihr kommt hier nicht durch! [/font]

[font=&amp]In der weißgrauen Wand aus peitschendem Regen, versetzt mit Hagel, konnte ich nur in nächster Nähe die Schemen einiger Mitläufer ausmachen. Normalerweise nehme ich letztere als Wettbewerber oder Mitbewerber wahr, heute waren alle gleicherma0en Mitleidende. Vertrocknete Blätter, kleinere Äste und hochgewirbelte Abfallteile flogen durch die Gegend, erfasst von einer Bö, die eine Vorwärtsbewegung kaum erlaubte. Selbstredend, dass alles am Körper total durchnässt war und die Nässe Kälte erzeugte! [/font]

[font=&amp]Es schien mir eine kleine Ewigkeit, bis ich mich ans Ende der Straße vorgekämpft hatte, wo durch die vor mir liegende Häuserfront die Windmaschine gefühlt um vielleicht eine Stufe herunter geschaltet schien. Ich fragte mich ernsthaft, ob ich nicht am Ende dieser Runde dem Treiben ein Ende bereiten sollte. Mit einem Laufwettbewerb hatte das nichts mehr zu tun. Ich hatte ja noch nicht mal 2 km geschafft, und mich dann noch 3 weitere Runden diesem Chaos aussetzen? Es schien ja auch nicht ausgeschlossen, dass mir irgendetwas an den Kopf fliegen könnte. Ich sinnierte zudem, ob nicht der Veranstalter von sich aus unter diesen Bedingungen abbrechen würde. Ich entschloss mich zu einem Kompromiss. Ich wollte die erste Runde abschließen und dann weitersehen. [/font]

[font=&amp]Es schien nun allerdings so, als hätte ein ungezogener Nachwuchs-Wettergott sich genügend ausgetobt und der alte, besonnenere wieder das Ruder übernommen. Es regnete und stürmte weiterhin, aber das Schlimmste war überstanden. Also weiter! Auf der Gegengeraden musste ich mich erneut gegen den stürmischen Wind durchsetzen, aber diesmal hatte ich wenigstens nicht mehr das Gefühl, auf der Stelle zu treten oder gar zurückgedrückt zu werden.[/font]

[font=&amp]Beim erneuten Startdurchlauf lag bereits die Hälfte der Strecke hinter mir. Doch was war das? Der linke Schuh dünkte mich mit einem Mal unnatürlich locker. Folge der Nässe? Ich hatte doch beide Schuhe mit einer Doppelschleife gesichert. Aber das wurde immer lockerer, und ich konnte von oben sehen, wie der Schnürsenkel links und rechts immer länger hin und her flog. [/font]

[font=&amp]Mist! Aber da noch fast 2 Runden vor mir lagen, hielt ich an, um das Schnürband wieder zuzubinden. Doch das stellte sich als schwieriger dar als erwartet. Durch Nässe, Sturm und Kälte waren beide Hände so klamm, dass ich zwar den Knoten noch locker, die Schleife aber nur mit Mühe hinbekam und an der Doppelschleife schier verzweifelte. Links neben mir sah ich Läufer um Läufer vorbeiziehen. Das war doch ein Wettkampf, verdammt! Dann eben nix mit Doppelschleife! 2 Runden wird das doch auch einfach gebunden halten! [/font]

[font=&amp]Also wieder rauf auf die Piste! Natürlich hetzte ich erstmal richtig los, um den einen oder anderen wieder einzufangen. Nachdem ich dergestalt wenigstens einen Teil der vorher Enteilten wieder hinter mir gelassen hatte und ich mich endlich dem Ende der Gegengeraden näherte, würde ich gleich die größte Strapaze dieser Strecke ein drittes Mal hinter mir haben. – „Das trügt! Der Schnürsenkel hat sich nur etwas verteilt. Der ist nicht schon wieder offen. Nein, diesmal nicht!“ Doch das trog nicht, er hatte sich erneut geöffnet, die einfache Schleife nicht gehalten. Schon schlackerte der Schuh mehr noch als beim ersten Mal am Fuß hin und her. Verfluchter, verdammter Mist aber auch! Ausgerechnet![/font]

[font=&amp]Es half nichts. Wieder hielt ich an und zwang die klammen Finger, dem Schnürband zur natürlichen Funktion zu verhelfen. Wieder rannten all die Läufer an mir vorbei, und wieder wollte die Doppelschleife mit den klammen, gefühllosen Fingern nicht gelingen. Doch einen weiteren Zwangshalt wollte ich nicht riskieren und fummelte geduldig so lange herum, bis die sichernde zweite Schleife festgezurrt war. [/font]

[font=&amp]Angetrieben durch Frust und Ärger stürzte ich mich auf die Strecke und nahm diesen Antrieb mit in die letzte Runde, die ich gefühlt dann fast durchsprintete. Diesmal hielt alles, und nach Durchlaufen der Ziellinie eilte ich in die wärmende Halle. Alles war nass, alles am Körper klebte, und nun kroch die Kälte immer mehr von außen nach innen. Es half nichts, ich musste noch einmal nach draußen in die Kälte, um meine Tasche aus dem Auto zu holen und trockene Sachen anzuziehen. [/font]

[font=&amp]Als endlich die Ergebnisliste aushing, sah ich, dass ich für die 10 km heute netto 42:17 min gebraucht hatte, und fand das unter den Bedingungen beim diesjährigen Kerpener Stadtlauf noch recht ordentlich. Natürlich war die dritte, die „Schnürsenkel-Runde“ die langsamste, und in der letzten, der „Frust-Runde“ hatte ich mit 10:01 min nochmal einen rausgehauen. [/font]

[font=&amp]Um nun nochmal auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: Ich höre förmlich, wie einige mit dem Kopf schütteln und sagen: „Der Typ spinnt doch. Hat nicht aufgepasst und den Akku leer werden lassen, und nun faselt der da so’n Zeug zusammen.“ Ich sage nur: Ich weiß, was ich weiß! Als ich die Uhr nämlich zuhause ans Ladegerät hängte, da zeigte sie einen Ladestand von 39% an. 39%! Gegenstände als geist- und willenlose Wesen? Pphhh! Ich lasse mich nicht täuschen, ich nicht![/font]

[font=&amp]Bernd[/font]
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Herrlicher Bericht!
Könnte dir dies helfen?:
http://forum.runnersworld.de/forum/ausruestung/107591-laufschuh-selbstschnuerend.html
12.05.2007 / 12.05.2012 / 09.04.2013 / 27.05.2017
...an Tagen wie diesen, wünscht man sich Unendlichkeit
An Tagen wie diesen, haben wir noch ewig Zeit
In dieser Nacht der Nächte, die uns soviel verspricht
Erleben wir das Beste, kein Ende ist in Sicht
(Toten Hosen)
__________________________________________

BIG 25 Berlin 2015 HM 2:14:xx

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Schnürsenkel aufgehen bei einem kurzen Zehner, und das gleich 2 x – einer meiner Lauf-Albträume! Respekt fürs trotzdem Weiterkämpfen!



Gruß Frank

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Vielen Dank für den tollen Bericht!
burny hat geschrieben: [font=&amp]Und dann ging es so richtig los! Hatte ich beim Einlaufen auf der Gegengeraden noch das Gefühl gehabt, gegen eine etwas weiter entfernte Windmaschine anrennen zu müssen, so schien sich nun eine ganze Armada von ihnen zusammen mit der „Mutter aller Windmaschinen“ vor den Läufern aufgebaut zu haben und ihnen den republikanischen Schlachtruf aus dem Spanischen Bürgerkrieg „No pasarán!“ entgegenzuschleudern. Ihr kommt hier nicht durch!
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Ich bin auch mitgelaufen. Auf dem Hinweg mopperte ich noch "Regen ist mir lieber als Wind". Als dann beides immer schlimmer wurde, wollte ich mich mit einer Jetzt erst Recht Einstellung durch den WK schlagen.[/font]
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burny hat geschrieben: In der weißgrauen Wand aus peitschendem Regen, versetzt mit Hagel, konnte ich nur in nächster Nähe die Schemen einiger Mitläufer ausmachen. Normalerweise nehme ich letztere als Wettbewerber oder Mitbewerber wahr, heute waren alle gleicherma0en Mitleidende. Vertrocknete Blätter, kleinere Äste und hochgewirbelte Abfallteile flogen durch die Gegend, erfasst von einer Bö, die eine Vorwärtsbewegung kaum erlaubte. Selbstredend, dass alles am Körper total durchnässt war und die Nässe Kälte erzeugte!
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Das war der Zeitpunkt an dem ich meinen Hochmut beiseite geschoben und mir ganz mädchenhaft die Hände schützend vor's Gesicht gehalten habe.

LG,
Sandra

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d'Oma joggt hat geschrieben: Könnte dir dies helfen?:
http://forum.runnersworld.de/forum/ausr ... erend.html
Hier wäre noch eine Alternative.
taeve hat geschrieben:Schnürsenkel aufgehen bei einem kurzen Zehner, und das gleich 2 x
Beim kürzeren Bahnwettkampf ist mir das auch schon (1 x) passiert. Da bin noch ohne zu stolpern durchgelaufen. Das eigentliche Problem diesmal war die Gefühllosigkeit in den Händen.
Mrs.Leo hat geschrieben: Das war der Zeitpunkt an dem ich meinen Hochmut beiseite geschoben und mir ganz mädchenhaft die Hände schützend vor's Gesicht gehalten habe.
Da hast du ja hautnah erlebt, wie heftig das war.
Was den "Hochmut" anbelangt: da bin ich absolut schmerzfrei. Wenn irgendetwas geholfen hätte, hätte ich darauf zurückgegriffen. Aber Schirm wär weggeflogen, und Taucheranzug war nicht verfügbar. :D

Bernd
Das Remake
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