Ich schwebe.
Selten habe ich mich so pudelwohl gefühlt und kann es kaum fassen.
Wie kam es dazu?
Gestern, Sonntag, war der 10k hier im Ort … aber jetzt fange ich mal ganz von vorne an.
Vorgeschichte: Lange habe mir überlegt, ob ich an dem hiesigen 10k teilnehmen soll, da ich mit dem Veranstalter nicht ganz grün bin. Es gab leichten Pfusch bei der Auswertung der vorigen Läufe und bei der Vorbereitung damals, sowie bei der Siegerehrung musste stark improvisiert werden. Betroffen war ich davon nicht, jedoch hatte es mich für einige nicht korrekt behandelte Sportler geärgert.
Der Termin für das diesjährige Event kam näher und der Veranstalter wurde nicht müde, auf seiner Facebookseite immer wieder mit Erfolgsmeldungen zu prahlen, welche Sponsoren er für die Geschichte gewinnen konnte. Es waren einige überregional bekannte Namen dabei. Schön. Irgendwie hatte ich den Eindruck er wolle das Pferd von hinten aufzäumen, soll heissen: Erstmal holen wir jede Menge Sponsoren und dann suchen wir ein paar Läufer, um die Sponsorengelder zu rechtfertigen.
Dreimal wies ich ihn darauf hin, er solle doch das Event in der einzigen funktionierenden Läuferseite im Internet listen (gratis), schliesslich richten sich die meisten Interessierten nach diesem Laufkalender.
Es hiess immer: „Ja, ja, das machen wir noch, danke fuer den Tipp, bla bla“. Nichts geschah.
Ein grosses Schild im örtlichen Supermarkt wurde aufgestellt.
Genau vor einer Woche kam dann die Assistentin des Veranstalters bei mir im Laden vorbei und jammerte rum, es hätten sich kaum Leute angemeldet, und sie wisse nicht warum…
Ich zeigte auch ihr den Laufkalender, in dem alle nationalen Ereignisse gelistet waren, ausser einem.
Grosses Staunen. Allerdings erklärte ich gleich, sie brauche sich nicht all zu viele Hoffnungen machen, wenn sie ihren Termin eine Woche vorher postet. Egal.
Sie liess mich wissen, dass sie ab Montag durch sämtliche Schulen in alle Klassen gehen würde, um die jungen Leute für den Lauf zu animieren, was sie dann auch mit Erfolg tat, wie ich dann sehen konnte.
Donnerstag entdeckte ich tatsächlich einen Vermerk bei santodomingocorre.com und ich entschloss mich, die Kinder und mich anzumelden, schliesslich machten deren genauso untrainierte Klassenkameraden auch mit. Die umgerechnet 2Euro Startgeld (inclusive T-Shirt) für Schüler konnte wohl jeder aufbringen. Klar dass dieser Lauf nicht über Startgelder finanziert werden musste.
Dass der Start auf manchen Publikationen für 7Uhr, auf anderen wieder für 7:30 angekündigt war sollte uns nicht weiter beunruhigen. Man ist ja froh wenn in dem Örtchen wo ausser Saufen & Fi____ nicht viel stattfindet, endlich mal was geboten wird.
Samstagabend. Die Startnummernausgabe zog sich ewig hin, ein schönes Baumwollshirt gab es dann endlich, (40(!) Sponsoren waren drauf vermerkt ), und den Chip, wir waren guter Dinge. 340Meldungen hatten sich angesammelt, ich war sehr positiv überrascht.
Sontagmorgen.
Gegen 7:15 waren wir am Start. Hier war alles im Aufbau. Es würde also die übliche Verspätung geben. Nicht überraschend, doch immer wieder nervig. Ich traf Jo, meinen neuen Läuferkumpel, und Ruben, einen jungen, lokalen Läufer der immer überall vorne mit dabei ist. Ein paar andere die ich mittlerweile des öfteren bei WKs gesehen hatte begrüssten mich freundlich. Sehr fröhliches, buntes Treiben, sehr viele Schüler und über den Daumen gepeilt 50% der Teilnehmer ohne jegliche sportliche Vorbelastung.
Wasser, Gatorade, Joghurt und Kaffe flossen in Strömen. Endlich, die Nationalhymne. Ich nutzte sie mal wieder zum weg/warmlaufen aus, während alles still stand. Einen konkreten Plan hatte ich nicht. Sub 55 müßte drin sein, alles darunter nehme ich gerne mit, dachte ich.
Der Kinderlauf, 1km, war schnell vorbei, dann wurde es Ernst. Mittlerweile war es 8Uhr, geschätzte 26Grad, alles drängte nach vorne, 10, 9, 8….Start!
Es wurde von hinten gedrängelt, alle rannten mit einem Affenzahn los. Kurz liess ich mich mitnehmen schaute dann mal auf meine Uhr: Pace 4’35, au weia, das geht nicht gut. Zog erst mal die Reissleine, drosselte auf etwa 5’15 und liess den grössten Teil des Feldes an mir vorbei ziehen, wobei ich auch noch ein paar Rempler ab bekam.
Es fühlte sich seltsam an die ganze Meute an mir vorbei laufen zu lassen, aber meine Uhr konnte doch nicht so falsch liegen, und mein Gefühl sagte mir auch, daß ich richtig war. Also weiter in meinem Tempo, wir sehen uns schon noch. Nach ca 800m das erste Schild das 1km sagte, dann der erste Erfrischungsstand, dicht belagert. Überhaupt war die Kühlung sehr gut organisiert, Erfrischung gab es jeden km auf der 5km Runde. Ein Tütchen Wasser konnte ich im vorbeilaufen erhaschen und besprenkelte mich gleich mit dem kalten Wasser. Kurz darauf ein 4km Schild(!?). Gut, daß ich die Strecke kenne wie meine Hosentasche. Noch vor Ende des zweiten km fing ich an die ersten Sprinter, die mittlerweile in den Schlurfgang umgeschaltet hatten, ein zu sammeln. Dann immer wieder welche, die bereits gehen mussten. Immer wieder kontrollierte ich die Pace und bekam meist was zwischen 5’10 bis 5’30 zu sehen, was mir gefiel, und es fühlte sich gut anstrengend an, ohne daß ich mich überfordert fühlte. Dann am Ende der ersten Runde: Ich lief auf den Startbogen zu und sah 26’XX. Das gab Antrieb. Bei 26’30 durchquerte ich den Bogen und fing an zu grübeln... „die Hälfte habe ich, Reserven sind noch genug da, könnte also `ne recht ordentliche Zeit werden“. Förmlich beflügelt wetzte ich weiter und ließ immer mehr Schnellstarter hinter mir. Bei ca km7 ein 18jähriger Junge aus der Nachbarschaft in Basketballstiefeln, die über die Knöchel reichten, beim Gehen.
„Was ist los Saul?“ rief ich ihm zu.
„Bin K.O“ jammerte er. Dann zog er plötzlich an, wollte sich wohl von mir altem Knacker nicht abziehen lassen, lief rund 300m vor mir her und brach wieder ein. Beim vorbeilaufen gab ich ihm den Rat „Nicht so schnell...“.
Wenig später fast das gleiche. Ein 15jähriger Freund meines Sohnes, gehend. Ich konnte es nicht fassen, daß er schon so weit war, verbrachte er doch einen Großteil seines bisherigen Lebens vor dem PC sitzend. „Ist das deine erste oder schon die zweite Runde?“ fragte ich.
„Die Zweite, aber jetzt kann ich nicht mehr“.
„Immer schön ruhig laufen“ empfahl ich auch ihm. Er begleitete mich wenige Meter, dann ließ ich auch ihn hinter mir. Erstaunlicherweise sollte er die 10km in 57Minuten beenden. Talent ist wohl bei vielen reichlich vorhanden, nur mit der Förderung klappt es halt leider nicht so richtig.
Das Feld war jetzt sehr weit auseinander gezogen.
Obwohl es ja meine Hausstrecke ist, wollte ich jetzt Zahlen sehen, um die fehlende Distanz besser abschätzen zu können und bemerkte, daß ich vergessen hatte die Uhr zu starten. Ok, muß auch so gehen. Noch etwa 2km mußten es sein und ich versuchte das Tempo leicht an zu ziehen. Ein Läufer ca 30 m vor mir würde noch dran glauben müssen, dann noch eine Dame mit dem Shirt des Puerto Plata Laufclubs 50 m vor mir war mein Ziel, davor war weit niemand mehr zu sehen. Mit einem Spurt bei etwa km 9 schaffte ich sie, aber merkte bald, daß ich etwas zu weit gegangen war. Leichter Brechreiz kam auf, ich mußte etwas nachlassen, aber das Mädel kam trotzdem nicht mehr an mir vorbei.
Dann etwa 400m vor dem Ziel, ich schwächelte nochmal leicht, kam mir Carlos aus Puerto Plata, der ewige Sieger der M50 (heute 38’31) entgegen, er drehte, dann begleitete er mich und schüttete mir gleichzeitig eine Flasche kaltes Wasser über Kopf und Rücken, dann noch Eine. Einfach herrlich. Das gab nochmal Kraft für den Endspurt und in unter 52’XX Minuten passierte ich die Ziellinie.
Netto 52’51, also PB um 1 Sek verbessert.
Ergebnis dann:
45. von 304 Startern
40. von 158 bei den Männern
5. von 10 in meiner AK
Erstmal setzen, kaltes Wasser& Joghurt trinken, Fotos machen, Medaille abholen.
Dann kam meine Tochter mit für mich überraschenden 1:07 ins Ziel, Sieg in ihrer Kategorie 15-19.
1:15 mein Sohn, ich hätte es fast nicht geglaubt. Medaillen gab es jetzt nicht mehr, da viele Teilnehmer, sich den Umweg über die zweite Runde gespart hatten und sich lieber gleich nach den spazierten 5km die Medaille holten. Mittlerweile liefen auch etliche Leute die nicht teilgenommen hatten mit Medaillen rum. Es wurde dann eine Liste angefertigt, von allen, die ehrlich, aber zu spät kamen, damit sie irgendwann ihre Umhänger erhalten werden.
Die Siegerehrung verzögerte sich leider wieder mehrmals, so daß bei der Bekanntgabe der Namen viele die das Treppchen besteigen sollten, nicht mehr anwesend waren. Und der verdiente Applaus war auch sehr spärlich, da nur noch wenige Leute vor Ort waren.
Ok, nach hause, Mittagessen machen, aufräumen, Wäsche waschen und plötzlich merke ich:
Ich muß nochmal los! Strandlauf, Cabarete, barfuß!
„Ok, Leute“ verkünde ich meinen Zweien die über ihren Tablets gammeln: „Wir hängen jetzt zusammen die Wäsche auf, dann fahre ich nach Cabarete und laufe nochmal 5km am Strand“
„Drehst zu jetzt komplett durch?“ fragte meine Tochter, und meinen Sohn hörte ich nur nuscheln: „Papi hält sich wohl für Supermann...“ und ich muß zugeben, ähem, er lag in diesem Moment nicht so ganz falsch.
Gesagt, getan, hüpfte ich in der Badehose ins Auto und fuhr los, parkte am Ende der Bucht die genau 2,5km lang ist, ein Foto und los.
13:30Uhr, fast keine Sau am Strand , Ebbe, also harter nasser Sand, rund 32Grad und wenig Wind, so lief ich mit Mütze und Sonnenbrille, T-Shirt über die Schultern gelegt und war einfach seelig. Immer wieder fragte ich mich, ob das jetzt ein Traum oder Wirklichkeit ist. Bis zum Ende der Bucht, Wende, noch ein Foto.
Was mich gepackt hatte weiß ich nicht, aber ich war euphorisch (und bin es immer noch ein bissle).
Glücklich wie ein kleines Kind an Weihnachten fuhr ich nach Hause, kein bisschen müde und dachte so vor mich hin, „wenn nur alle Bereiche in meinem Leben so gut klappen würden wie das Laufen in letzter Zeit“. Weiter will ich aber jetzt nicht ins Detail gehen.
Jetzt gehts in die Erholungswoche.