[font=&]Das ist beim Läufer anders. Der kann sich vor Meisterschaften gar nicht retten. Vom 800 m-Lauf auf der Bahn, 1.000 m, 1.500 m, 3.000 m, 5.000 m und 10.000 m geht es über 5 km Straße, 10 km, Halbmarathon, Marathon, 50 km, 100 km, 6 Stunden, 24 Stunden, bis zu Cross Mittel- und Langstrecke sowie Trail und das Ganze als Matrix mit der regionalen Ausprägung Stadtmeisterschaft, Kreis-, Bezirk-, Gebiets-, Deutsche, Europa- und Weltmeisterschaft, wobei Medaillen vergeben werden für Einzel, Mannschaft und Staffel. Wer da alles mitnehmen will, kommt ohne App überhaupt nicht zurecht.[/font]
[font=&]Wenigstens was die regionale Ausprägung anbelangt, habe ich im Laufe der Jahre schon alles mitgemacht und die entsprechenden Titel eingeheimst. Alles – bis auf eines: eine Europameisterschafts-Medaille war mir noch nicht vergönnt. Warum das so ist, bedarf keiner umfangreichen Ursachenforschung: Es gibt, wie der Mathematiker sagt, eine notwendige (wenngleich nicht hinreichende) Bedingung, und die lautet: Dabei sein! War ich bisher noch nicht. Zugegebenermaßen stand das auch nicht auf meiner DOBEDY-Liste, auch wenn der Sensenmann bald sein Buhlen beginnen mag. (DOBEDY = Do before dying). Ein Fori war’s, ein Jüngling gar, der den Anstoß zur Änderung gab mit dieser unspektakulären Äußerung:[/font]
[font=&]Hast du Seniorenmeisterschaften geplant?[/font]
[font=&]Ne, hatt‘ ich nicht! Aber warum eigentlich nicht? [/font]
[font=&]So kam ich zu meiner ersten Europameisterschaft und einem ziemlich langen Bericht darüber.[/font]
[font=&]WARNUNG:[/font]
[font=&]Wer sich nun denkt: „Ach nö! So viel lesen, und dann sagt der selbst schon ‚lang‘!“, der finde am besten einen Direktausstieg aus diesem Elaborat. Das muss sich ja keiner antun![/font]
[font=&]Wer eher in die Richtung denkt: „Europameisterschaft? Könnt ja vielleicht interessant sein“, den lade ich ein, mich auf dem Abenteuer hin zu und bei der Veranstaltung in Portugal zu begleiten und Eindrücke vom Laufen, aber auch vom Drumherum zu gewinnen. [/font]
[font=&]Weil das wie gesagt länger geworden ist, habe ich es diesmal unterteilt. Es beginnt, wie sollte es anders sein, mit:[/font]
[font=&]Teil 1: Der gar holprige Weg zur emacns 2016[/font]
[font=&]Genau so sperrig stellte sich der Veranstalter auf seiner Homepage vor und warnte eindringlich davor, den Anmeldeprozess ohne vorheriges Durcharbeiten des Instruktions-Videos zu beginnen. Die Warnung war durchaus berechtigt, aber es gibt Dinge, die sind per se nicht einfach (Als Gott dem Menschen die Relativitätstheorie schenkte, musste er schon einen Einstein schicken, um das Geheimnis zu lüften.), und es gibt Dinge, die sind an sich einfach, werden aber durch die Darstellung kompliziert. So musste denn die Anmeldefrist verlängert werden, da weniger tüftel-affine Athleten mit der Anmeldung überfordert schienen. Ach ja: emacns steht für European Masters Athletics Championships NON Stadia.[/font]
[font=&]Auf gut deutsch bedeutet das Senioren-Europameisterschaften, und die wurden ausgetragen im 10 km-Lauf und im Halbmarathon, dazu mehrere Geh-Wettbewerbe. Damit es den Läufern zwischen Freitagabend (10 km) und Sonntagmorgen (Halbmarathon) nicht zu langweilig würde, fanden am Samstag zusätzliche Staffelläufe statt. Austragungsort war Monte Gordo, Portugal, ganz im Süden, kurz vor der Grenze zu Spanien und direkt am Meer gelegen. Das war gut, denn mit der Aussicht auf einen der sportlichen Anstrengung folgenden Strandurlaub wusste ich meine Frau für diesen Ausflug zu ködern. [/font]
[font=&]10 oder 21: das ist hier die Frage![/font]
[font=&]Vor der Anmeldung geriet ich ins Grübeln, wofür ich mich anmelden sollte. Beide Läufe in so kurzem Abstand? Oder Konzentration auf einen? Bei Meisterschaften zählt nur eines, und das ist die Platzierung. Ich hatte die Ergebnislisten der letzten Europa-Meisterschaften studiert. Im Halbmarathon, meine stärkere Strecke, wäre ich immer gut für eine Medaille gewesen, auch mit Chancen für ganz vorne. Selbst beim Zehner hätte es nicht schlecht ausgesehen. Aber in so kurzem Abstand kann ich nicht die jeweilige Bestleistung abrufen, da macht sich das Alter mehr und mehr bemerkbar. Also nur Halbmarathon? Oder doch beides versuchen?[/font]
[font=&]Ich fällte einen weisen Entschluss und meldete mich für beide Läufe an. Das ließ mir die Option, erst nach Vorliegen der Teilnehmerliste die aussichtsreichste Wahl zu treffen. Die Liste ließ, bedingt durch die Meldeverlängerung, auf sich warten. Als nächstes sei eine Episode aus dem Kuriositätenkabinett geschildert, der noch einige weitere folgen werden.[/font]
[font=&]Ich erhielt eine Nachricht des DLV. Man wolle die Teilnehmer an der EM unterstützen und beabsichtige, eine Teilnehmerliste herauszugeben. Dazu möge man bitte sein Einverständnis mit der Veröffentlichung erklären. Nichtreaktion würde als fehlendes Einverständnis gewertet. Übersetzt also: Wer die Antwort verpennt, fehlt in der Liste! Ich antwortete, dass das doch ungewöhnlich und hinderlich sei. Sinnvollerweise solle doch der, der NICHT einverstanden sei, das bewusst mitteilen. Auf diesen Einwand erhielt ich keine Antwort.[/font]
[font=&]Nicht ganz unerwartet erschien dann auf der Internetseite des DLV eine Mini-Liste mit nur wenigen deutschen Teilnehmern. Was das Ganze dann aber vollends zur Farce machte, war, dass direkt unter der spezifisch deutschen Liste der link zur offiziellen Teilnehmerliste des Veranstalters stand. Diese offizielle Liste enthielt selbstverständlich sämtliche Teilnehmer: alle 95 deutschen und auch die aller anderen Nationen, insgesamt 1.041 Teilnehmer aus 23 Nationen.[/font]
[font=&]Der Unterschied zwischen deutscher, das Herz eines jeden Datenschützers ins freudige Hüpfen versetzenden Liste und der pragmatischen offiziellen: Die deutsche enthielt zusätzlich die Vereinszugehörigkeit und war optisch bunt aufgehübscht. – Ich beginne zu verstehen, warum der DLV von jeder Laufveranstaltung pro Läufer 1 € Frongeld eintreiben will.[/font]
[font=&]Wer sind die Mitstreiter?[/font]
[font=&]Mich interessierte sowieso nur die offizielle Liste. Wer waren die Konkurrenten in den Läufen? Ich begann mit dem Halbmarathon und googlete:[/font]
[font=&]- [/font][font=&]Läufer aus Deutschland, 1:22 h gelaufen in 2015[/font]
[font=&]- [/font][font=&]Läufer aus Großbritannien, 1:22 in 2015[/font]
[font=&]- [/font][font=&]Läufer aus Spanien, 1:23 in 2016[/font]
[font=&]Upps!!! Das waren ja Granaten. Eine 1:27 traute ich mir zu, eine 1:26 auch und, wenn alles perfekt passte, vielleicht eine hohe 1:25, aber das dürfte auch das Ende der Fahnenstange sein. Keine Chance gegen die 3 da oben! Was’n Pech auch! Ich laufe mittlerweile durchaus recht weit vorne. Es sind wenige, die da noch deutlich schneller sind, aber es gibt sie, und ausgerechnet in diesem Jahr sollten mehrere davon zusammenkommen.[/font]
[font=&]Wie sah’s beim Zehner aus? Es ergab sich ein ähnliches Bild. Mindestens 2, wenn nicht 3 Läufer, gegen die ich chancenlos war. Darüber hinaus, ähnlich wie beim HM, einige, mit denen ich in etwa eine Leistungsklasse bilden dürfte.[/font]
[font=&]Ich analysierte die Liste, die ich mir zur Bearbeitung nach Excel gezogen hatte, und nahm folgende Klassifizierung vor: [/font]
[font=&]ORANGE bedeutete: deutlich schneller, null Chance[/font]
[font=&]GELB: schlagbar, Achtung, Kampf angesagt[/font]
[font=&]DUNKELGRAU: langsamer, keine Gefahr[/font]
[font=&]Und dann gab es da noch eine vierte Kategorie, nämlich:[/font]
[font=&]HELLGRAU: Nicht über alle Teilnehmer war beim Googlen etwas zu finden. Ich mutmaßte, dass über die richtig Schnellen immer irgendwelche Sachen zu finden sein würden. Gab es nichts, waren die wahrscheinlich eher ungefährlich. Allerdings war das nur eine nicht verifizierbare Mutmaßung.[/font]
[font=&]Unter dem Medaillenaspekt sah die Chose nicht rosig aus, und ich wusste immer noch nicht, ob ich einen oder beide Läufe mitmachen sollte. Allerdings hatte ich einen Aspekt noch gar nicht bedacht, und der betraf die Mannschaftswertung. Die 3 Zeitschnellsten pro Lauf und pro Altersklasse werden automatisch als Mannschaft gewertet, und da sollten die Aussichten doch deutlich besser ausschauen, und zwar in beiden Läufen. Das würde dafür sprechen, beide Läufe mitzunehmen. Ich war ganz froh, dass ich für beide gemeldet hatte.[/font]
[font=&]Chaos vor Ort[/font]
[font=&]Am Mittwoch reisten wir an. Am Donnerstag konnten die Startnummern empfangen werden, und es sollte eine Mannschaftsbesprechung mit 2 DLV-Betreuern stattfinden. Der DLV hatte sich richtig ins Zeug gelegt und noch in Deutschland eine A-Z-Broschüre verteilt. Die hatte mich noch einmal in Angst und Schrecken versetzt, wurde doch die Disqualifikation angedroht, falls Athleten nicht im offiziellen DLV-Trikot der neuesten oder der vorletzten Kollektion antreten würden. Da berühren sich übrigens Lauf und Fußball, denn die haben ja auch ständig was Anderes. Ein Anruf bei einem der Betreuer entpuppte das jedoch als Bangemachen mit dem Schwarzen Mann, denn er (der Betreuer, nicht der Schwarze Mann) versicherte mir, dass ich ohne weiteres mein Trikot von der 100 km-WM 2007 anziehen könnte. Ein ehemaliger Olympia-Teilnehmer trage sogar stets und immer noch sein verblichenes Hemdchen aus den 70-er Jahren.[/font]
[font=&]Die Ausgabe der Unterlagen sollte im Stadion von Vila Real de Santo António vorgenommen werden. Das schließt sich gleich an Monte Gordo an und wird eigentlich sogar als Austragungsort angegeben, obwohl alles rund um die EM in Monte Gordo angesiedelt ist, inkl. Start und Ziel. Als wir im Stadion ankamen, war da praktisch keiner. Nach einigem Durchfragen konnte ich schließlich ermitteln, dass die Ausgabe entgegen der Broschüren-Info nicht im Stadion, sondern, na, wo wohl? richtig: in Monte Gordo stattfand. Ich ärgerte mich, dass nutzlose Mails zur Erstellung überflüssiger Listen verschickt wurden, anstatt eine solche, doch wichtige Änderung per Mail zu kommunizieren. [/font]
[font=&]Also sind wir zum Yellow Hotel gefahren. Dort sollte das nämlich sein. Die angegebene Zeit stimmte aber, nämlich 15 Uhr. Als wir das Hotel betraten, das sicherlich größer ist als die 3 folgenden in Monte Gordo zusammen genommen, fiel mir sofort ein Flipchart ins Auge. (Hat aber nicht weh getan, ist ja nur so eine Redensart.) Es enthielt eine Nachricht an die deutschen Teilnehmer: Die Mannschaftsbesprechung, laut A-Z-Broschüre vorgesehen für 20 Uhr, sollte um 15 Uhr stattfinden, also zeitgleich zur Startnummernausgabe. Der Ort der Mannschaftsbesprechung war auch angegeben: „Yellow Hotel“, wie gesagt das bei weitem größte Hotel am Ort, welches wir soeben betreten hatten. Damit war die Ortsangabe ähnlich hilfreich wie beim Berlinmarathon die Angabe „Berlin“ für den Startort.[/font]
[font=&]Nachdem meine Frau und ich einige Zeit wie Zombies hin und her geirrt waren, ohne dass auch nur irgendeiner einen Hinweis geben konnte, wo sich die Deutschen träfen, begab ich mich zur Startnummernausgabe, die mittlerweile geöffnet hatte. Dort wartete bereits eine kleine Schlange, und nach einiger Zeit wurde ich gewahr, dass nur Läufer in den Raum gelassen wurde, wenn andere ihn verließen. Nach einer Weile durfte ich eintreten.[/font]
[font=&]Das sah sehr ordentlich aus. Für jedes Land gab es ein eigenes Hinweisschild und für je etwa 2 – 4 Länder einen Helfer, der die Ausgabe vornahm. Jeder Helfer machte das aber nur für sein zugewiesenes Kontingent. Zusammen mit mir hatte ein Landsmann den Raum betreten. Der wurde nun also am „Schalter“ GER verarbeitet. Das führte dazu, dass ich naturgemäß hinter ihm warten musste, während gleichzeitig links und rechts das Gros der Helfer nichtsnutzig herum lungerte, da ja – es gab ja nur begrenzten Zugang –aus diesen Ländern keiner zur Abfertigung anstand. [/font]
[font=&]Kurz bevor ich schließlich meine Unterlagen erhielt, betrat eine diesmal etwas größere Gruppe Letten die „Bib-Ausgabe“, von denen selbstredend immer nur einer bedient wurde, die anderen brav anstanden und alle Helfer sich langweilten – bis auf den für LAT Eingeteilten natürlich. Ich glaube, bei jedem kleineren deutschen Volkslauf hätte man den Verantwortlichen für solch eine stau-garantierende Organisation gesteinigt. Aber das sollte nicht das letzte Kleinod südländischen Organisationstalents darstellen. [/font]
[font=&]Eines allerdings muss ich mit großer Anerkennung positiv herausheben. Jeder Läufer bekam eine Startnummer für vorne und eine für hinten und – was noch wichtiger war – deutlich erkennbar mit der jeweiligen Altersklasse gekennzeichnet. In allen Rennen konnte man somit sofort erkennen, wer direkter Konkurrent war, ja, sogar wer es namentlich war, denn auch der Namensaufdruck fehlte nicht. Das war wirklich vorbildlich.[/font]
[font=&]Erste Entscheidung[/font]
[font=&]Während ich nun meine Startunterlagen in der Hand hielt, hatte meine Frau – wiewohl orientierungsmäßig eine Analphabetin, selbiges aber mit weiblicher Intuition wettmachend – irgendwie doch den Ort des Geheimtreffens „Mannschaftsbesprechung“ ausfindig gemacht, und wir fanden uns dort ein. So konnte ich wenigstens diejenigen, die meine deutschen Mitbewerber und Mitstreiter gleichermaßen sein sollten, in Augenschein nehmen. [/font]
[font=&]Nach einer Reihe eher belangloser Themen ging es später um die Zusammenstellung der Teamstaffeln – wie erwähnt die samstägliche Einlage zur Verhinderung von Läuferlangeweile, allerdings mit maximal einer Staffel pro Nation. Hierzu war in der A-Z-Broschüre ein hochkomplexes Auswahlverfahren kommuniziert wurden, das besagter Anmeldeprozedur in nichts nachstand (in diesmal nationaler, also DLV-Zuständigkeit). Weil das anscheinend zu komplex geraten war, wurde es kurzerhand abgelöst durch die Fragen, wer hätte Chancen und wer will. [/font]
[font=&]Als bei der 3 x 2 km-Staffel der M65 die Frage an mich gerichtet wurde, ob ich wolle, verneinte ich. Die Entscheidung, beide Läufe, nämlich 10 km und Halbmarathon, hatte ich zwar nicht nach rationaler Abwägung getroffen, aber sie war irgendwie im Inneren gewachsen. Einen dritten Lauf wollte ich mir aber nicht auch noch zumuten. [/font]
[font=&]Damit war die Marschrichtung klar: Freitag 19 Uhr 10 km, dann samstags relaxen und am Sonntag 8:30 Uhr nochmal Halbmarathon. Ich muss gestehen, ich war nervöser als bei jeder anderen Laufveranstaltung. Ich war extrem unsicher, wie ich die Energie auf beide Läufe verteilen sollte und wie gut ich mich zwischendurch erholen würde. Besonders der Zehner am Freitag sorgte für Grübeleien. In welcher Intensität und Zielzeit ich den angehen sollte, hatte schon etwas von Zockerei, und ich bin absolut nicht der Spieler-Typ. Für diesen ersten Lauf war außerdem Sonne pur angesagt, und es sollte der heißeste Tag unserer 11 Tage in Portugal werden. Um es vorweg zu nehmen: Es WURDE der heißeste Tag![/font]
[font=&]… [/font]
[font=&]Josef[/font]