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Achtsamkeit: Du bist, was du denkst

Achtsamkeit: Du bist, was du denkst

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Auf Zeit-Magazin ist ein Artikel erschienen, der sich mit der Kraft der positiven und negativen Gedanken und der eigenen Einstellung gegenüber bestimmten Tätigkeiten beschäftigt:

Grundlage ist ein Experiment der Harvard-Professorin Ellen J. Langer: Mind-set Matters: Exercise and the Placebo Effect

Ich zitiere einmal konkrete Beispiele aus dem Artikel:

[quote="Zeit-Magazin"]2007 untersuchte sie, ob es sich positiv auf die Fitness von Zimmermädchen auswirke, wenn man ihren Job zum sportlichen Training umdefinieren und ihnen dieses mitteilen würde. Das Aufschütteln von Betten und das Schrubben von Bädern sollten als eine Art Training an unkonventionellen Fitnessgeräten begriffen werden. Das Ergebnis: Nach vier Wochen hatten jene Teilnehmerinnen, deren Arbeit zum Sport erklärt worden war, durchschnittlich ein Kilo abgenommen – allein durch eine veränderte Einstellung zur Arbeit. Die Kontrollgruppe machte ihren Job mit derselben Haltung wie zuvor – und blieb gleich schwer.[/quote]
[/color]... oder, direkt auf Sport bezogen:
[quote="Zeit-Magazin"]Eine weitverbreitete unbewusste Annahme besteht zum Beispiel darin, dass Menschen glauben, bei Gymnastik grundsätzlich zu ermüden, wenn zwei Drittel der Übungen absolviert sind. Als Beweis für diese Regel ließ Langer drei Gruppen von Probanden unterschiedlich viele Hampelmannsprünge machen: Alle drei Gruppen kamen nach etwa zwei Dritteln der Übung aus der Puste – absolut unabhängig davon, ob sie hundert, dreihundert oder fünfhundert Sprünge absolvieren sollten.[/quote]

Gestern Abend waren die Hahners in der NDR-Talkshow bei Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt. Die gestellten Fragen hätten auch in den Faden "Ungefragte Tipps und komische Fragen von Nicht-Läufern" gepasst, aber auch dort die Antwort der Hahners, wie man denn bitte derartige Leistungen vollbringen könne: "Die Beine machen, was der Kopf sagt".
Auch hier im Forum wird von Ultraläufern immer wieder gesagt, dass Ultra hauptsächlich Kopfsache sei.Ich kann für meine bescheidene Leistungsklasse sagen, dass sich mit steigender Anzahl gelaufener Wettkämpfe ebenfalls die eine oder andere "Grenze" als Phantasie herausgestellt hat.
Beim Halbmarathon ist bei den meisten, die am Limit laufen, bei km17 der Ofen aus. Zumindest sagt der Kopf das. Was dann passiert, kommt auf die mentale Stärke an. Der Körper kann mehr.
Oder Intervalle: Warum ist bei 6 Intervallen immer der 3. und 4. am Schwersten? Warum bekomme ich nach versehentlich gelaufenen 3er-Paces bei 1000er-Intervallen gleich Angst?Viele wissen das, aber hat es auch praktische Konsequenzen? Wird etwas geändert?In dem Artikel wird empfohlen, grundsätzlich vermeintliche Wahrheiten in Frage zu stellen. Mädchen sind schlecht in Mathe? (Oder auf das Laufen bezogen: Intervalle sind eine Quälerei! 3er-Paces sind zu schnell für mich!)
Auch wenn er, wie bei den großen Online-Medien üblich, etwas diffus in viele Richtungen schaut, ohne die einzelne Frage wirklich tief zu betrachten, gibt er doch neue Denkanstöße.Vielleicht hilft das Wissen um die mentale Hürden, um mal wieder neue Impulse zu setzen und über vermeintliche Grenzen hinauszugehen.
Garmin

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Hallo Felix,

wieder einmal ein sehr umfangreiches Thema, das sehr leicht in Richtung weltanschauliche Diskussion abdriften könnte; ich schmeiße mal nur einen Gedanken dazu hier rein:

Ich kann mit einem ganzen Strauß von Geschichtlein zum Thema „Beugen der wahrgenommenen Wirklichkeit“ aufwarten - von Wunderheilungen, von naturwissenschaftlichen Wundern auf Bestellung, wie ich durch das Lesen eines Kapitels eines Buches von Dale Carnegie von meinen vorpubertären Schlafstörungen erlöst wurde, wie ich mal ein halbes Jahr lang jederzeit an jedem Ort einen Parkplatz herbeibeschwören konnte und nicht zuletzt, wie ich erst wieder letzten Freitagabend meinem nach Couch gierenden Körper auf raffinierteste Weise noch irgendwie 12 km Laufleistung abringen konnte.

Dennoch stört mich an der Diskussion über „Positives Denken“ sehr oft das Methodenhafte, vor allem in der amerikanischen Hurra-Ausprägung, die das Thema darauf reduziert, sich selbst zu einem perfekteren Menschen zu machen: bessere Fitness, bessere Beweglichkeit, bessere Verdauung, längeres Leben, besseren Sex, bessere Verkaufszahlen usw. usf..

Positives Denken – für mich eine lebensbejahende Einstellung, die nicht nur mich, sondern auch meine Mitmenschen und meine Mitwelt, aber auch Demut und die Einsicht in die eigene Begrenztheit einschließen sollte.

Ich schneide mal bewusst nicht den Aspekt an, dass wir alle nur Projektionen in einem holographischen Universum sein könnten und die Betreiber den ganzen Tag darauf warten, dass es einer merkt und ganz einfach über die nur virtuell existierenden Grenzen spaziert. :wink:

Gee

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geebee hat geschrieben:Hallo Felix,

wieder einmal ein sehr umfangreiches Thema, das sehr leicht in Richtung weltanschauliche Diskussion abdriften könnte
Ist ja ein Läuferforum :vertrag:
geebee hat geschrieben:Ich kann mit einem ganzen Strauß von Geschichtlein zum Thema „Beugen der wahrgenommenen Wirklichkeit“ aufwarten - von Wunderheilungen, von naturwissenschaftlichen Wundern auf Bestellung, wie ich durch das Lesen eines Kapitels eines Buches von Dale Carnegie von meinen vorpubertären Schlafstörungen erlöst wurde, wie ich mal ein halbes Jahr lang jederzeit an jedem Ort einen Parkplatz herbeibeschwören konnte und nicht zuletzt, wie ich erst wieder letzten Freitagabend meinem nach Couch gierenden Körper auf raffinierteste Weise noch irgendwie 12 km Laufleistung abringen konnte.
Davon kenne ich auch genügend Beispiele. Allgemeines Problem, wie ich finde: Bei Dritten fällt das sehr schnell auf. Vermeintlich.
Bei den eigenen mentalen "Wahrheiten" blickt man nicht so durch. Dafür müsste man sich selbst ja ständig hinterfragen. Das können oder wollen die Meisten nicht.
Es geht in dem Artikel auch weniger um das von Dir kritisierte "Positive Denken", das alles besser macht. Sondern darum, wie schon betitelt, durch Achtsamkeit und Hinterfragen vermeintliche Wahrheiten einzureißen.

Mich hat an der Studie, bzw. dem Experiment einmal aufs Neue überrascht, wie stark sich die mentale Einstellung auch direkt körperlich bemerkbar macht, zum Beispiel in der Form Erschöpfung.

Um wieder zum Laufen zu kommen:
Und ich werde in Zukunft versuchen, bei anstrengenden Trainings einmal mehr zu fragen: Bist du wirklich am Ende? Oder denkst Du das nur?

Parkplätze herbeibeschwören kannst du nun nicht mehr? Weißt du noch, wie das geht? :tuschel:
geebee hat geschrieben:Ich schneide mal bewusst nicht den Aspekt an, dass wir alle nur Projektionen in einem holographischen Universum sein könnten und die Betreiber den ganzen Tag darauf warten, dass es einer merkt und ganz einfach über die nur virtuell existierenden Grenzen spaziert. :wink:

Gee
Ich muss mal wieder Matrix schauen. :)
Garmin

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mtbfelix hat geschrieben:[...] Und ich werde in Zukunft versuchen, bei anstrengenden Trainings einmal mehr zu fragen: Bist du wirklich am Ende? Oder denkst Du das nur?
Bei einem meiner Marathons war bis km 40 alles exakt unter Kontrolle, Abweichung vom Plan ein paar Sekunden, dann kam eine idiotische Stelle, 40 km-Schild und 40 km-Matte ca. 50 - 100 m auseinander, Unsicherheit, wo jetzt wirklich die 40 km-Marke war. Da ich nach perfekter Vorbereitung unbedingt, unbedingt, unbedingt Zielzeit laufen wollte, machte es im Kopf einen Klick und der Turbo schaltete sich ein, gleichzeitig aber auch eine Stimme, die sagte "Scheißegal, wenn Dir jetzt die Lunge rauskommt oder Dein Herz stehenbleibst und Du tot umfällst, Du läufst jetzt, bis zu im Ziel bist !!!". Die letzten beiden km ca. 25 Sekunden schneller als die 40 vorhergehenden, Zielzeit erreicht, wohl war mit dabei nicht, war froh als ich Ziel war. Jeden Tag möchte ich so eine Reserve nicht anzapfen. Natürlich sind immer Puffer da und ganz sicher kann man lernen, solche Puffer bei Bedarf zu aktivieren, bei Profisportler oder Amateuren der gehobenen Klasse gehört dies sicher zum Rennalltag, man muss wohl aber wissen, was man tut.
mtbfelix hat geschrieben:[...] Parkplätze herbeibeschwören kannst du nun nicht mehr? Weißt du noch, wie das geht? :tuschel:
Doch, ganz einfach: Du fährst einfach hin, und weißt (kein Restzweifel !!!), da ist ein Parkplatz für Dich. Rationale Gedanken wie z.B. "Und wenn das alle machen, gehen da nicht irgendwann die Parkplätze aus ?", dürfen Dir nicht kommen. In dem Moment, wo Du anfängst, Dich zu wundern, warum das funktioniert, funktioniert es nicht mehr. :wink:

Gee

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mtbfelix hat geschrieben:Beim Halbmarathon ist bei den meisten, die am Limit laufen, bei km17 der Ofen aus. Zumindest sagt der Kopf das. Was dann passiert, kommt auf die mentale Stärke an. Der Körper kann mehr.
Ha, bei mir meldete sich gestern bei km 18 der Kopf mit eben diesem Signal, und ich war dann doch mehr als erstaunt, was auf dem letzten Kilometer resp. den letzten 100 m dann noch ging!

Gruß Frank

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geebee hat geschrieben:Jeden Tag möchte ich so eine Reserve nicht anzapfen. Natürlich sind immer Puffer da und ganz sicher kann man lernen, solche Puffer bei Bedarf zu aktivieren, bei Profisportler oder Amateuren der gehobenen Klasse gehört dies sicher zum Rennalltag, man muss wohl aber wissen, was man tut.
Klar. Aber was ist mit Training?
Wenn ich seit Monaten (oder sogar Jahren) mein "Wohlfühltempo" bei 6:00 habe, und ich laufe dann mal meine Hausrunde in 5:50: Ist der Unterschied der körperlichen Leistung so hoch, dass es nicht schaffbar ist? Oder ich erweitere die Hausrunde von 8,2 km auf 9,6 km. Ich wette, da spielt einem der Kopf die größeren Streiche. Da geht es auch nicht um das Anzapfen von Notfallreserven.
Ich habe in den letzten Wochen mal angefangen, kürzere Runden von teilweise nur 7 km zu laufen. Und das auch noch langsam. Und was soll ich sagen? Die Dinger haben mich währenddessen ähnlich gefordert wie ein 14-km-Lauf. Wenn ich mich zu 14 km aufmache, ist der siebte Kilometer nicht der Rede wert.
Ist der 7te Kilometer aber das Ende, schaue ich bei km4 tatsächlich auf die Uhr und wundere mich, dass es immer noch 3 zu laufen sind.
geebee hat geschrieben: Doch, ganz einfach: Du fährst einfach hin, und weißt (kein Restzweifel !!!), da ist ein Parkplatz für Dich. Rationale Gedanken wie z.B. "Und wenn das alle machen, gehen da nicht irgendwann die Parkplätze aus ?", dürfen Dir nicht kommen. In dem Moment, wo Du anfängst, Dich zu wundern, warum das funktioniert, funktioniert es nicht mehr. :wink:
Gee
Das hat was von diesem einem Gottesbeweis, der sinngemäß die Existenz Gottes darin begründet, dass man ihn sich vorstellen kann.
Man darf nur nicht rational werden oder zweifeln, dann bricht alles zusammen. Bis dahin funktioniert es wunderbar.
Garmin

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mtbfelix hat geschrieben:Klar. Aber was ist mit Training? [...].
Natürlich funktioniert es auch beim Training (am Freitag kam ich kaum die Stufen zur Umkleide hoch, wie also beschwatze ich mich: Nur paar Meter laufen, bis ich aus der Sichtweite der Arbeitskollegen bin, Gehpause ist erlaubt, wenn ich mehr als drei Mal gehen muss, darf ich nach Hause; natürlich bin ich dann 12 km durchgelaufen, der letzte Kilometer war der Schnellste), auch beim Kacken, bei der Pflanzensaat, bei der Arbeit und bei allem anderen funktioniert das. Aber eigentlich ist das ja eine Binsenwahrheit. Mich interessiert an dem Thema eigentlich weniger, wie es geht, sondern wo langfristig die gesunde Grenze ist (nicht nur beim Laufen).

Aber eigentlich wollte ich noch ein bisschen über den Zeitmagazin-Artikel lästern: Zimmermädchen ihren Job als Sport zu verkaufen, ist ja schon fast zynisch, und wenn Fr. Professor Langer auf die Idee gekommen wäre, den alten Herren ein paar flotte - na, sagen wir - 40-Jährige beizustellen, was wäre das dann für eine Hammer-Studie geworden, Diskussion über die kubanische Revolution, also Leute .... Ich versuche, das mal auf mich zu übertragen: Wieder im Wollpullover über den Nato-Doppelbeschluss debattieren, ja, super, da könnte ich wieder springen wie eins im Mai :wink: ) Sorry, aber ich verstehe nicht, wie sich das Zeit-Magazin zu diesem elementaren Thema auf dem Niveau von Men's Health abgeben kann. Und zu dem vorgebundenen Welpen fällt mir noch etwas so Böses ein ... nein, reicht jetzt.
mtbfelix hat geschrieben: Das hat was von diesem einem [...]
Ich sag' ja, weltanschauliche Diskussion :nick: , gerne zum Thema mehr per PN, hier bringt es nichts und verstößt zu Recht gegen die Forumsregeln.

Gee

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mtbfelix hat geschrieben:Klar. Aber was ist mit Training?
Wenn ich seit Monaten (oder sogar Jahren) mein "Wohlfühltempo" bei 6:00 habe, und ich laufe dann mal meine Hausrunde in 5:50: Ist der Unterschied der körperlichen Leistung so hoch, dass es nicht schaffbar ist? Oder ich erweitere die Hausrunde von 8,2 km auf 9,6 km. Ich wette, da spielt einem der Kopf die größeren Streiche. Da geht es auch nicht um das Anzapfen von Notfallreserven.
Natürlich nicht. Am einfachsten wird es, wenn du gar nicht auf die Uhr siehst. Das ist die einfachste Methode und hat sehr wenig mit Achtsamkeit (Nebenbei: Ernsthafte Konzepte zur Achtsamkeit werden seit langem in der Psychologie empirisch untersucht und häufig als mindestens potentiell nützlich eingestuft – das hat aber nicht so viel mit einer primitiven Idee von „Kraft des positiven Denkens“ zu tun. Bin kein Psychologe, aber so wie ich es verstanden habe geht es ganz allgemein mehr um Fokussierung und ein Bewusstmachen von dem was man tun will bzw tut.)

Also beim Laufen nicht auf die Zeit fokussieren (auf den Puls natürlich auch nicht). Sondern auf dich und deine Umwelt. Wenn du das tust, musst du nicht bewusst entscheiden, ob du 5'50 oder 6'/k laufen willst. Es passiert einfach.

Am einfachsten ist das bei den lockeren Läufen, und dann kann natürlich auch am wenigsten schief gehen, weil es noch weniger auf die sekundengenau passende Pace ankommt als bei Tempotraining.

Aber selbst Tempotraining ist (nach etwas Kalibrierung des „inneren GPS“) recht gut machbar, ohne dauernd auf die Uhr zu sehen, bis hin zu Intervalltrainings bei denen man nur für die Pausenlänge schaut und TDLs bei denen erst im Ziel geschaut wird. Und gerade Wettkämpfe enden nicht selten in besseren Resultaten, wenn nicht auf Zeit, sondern auf Platz gelaufen wird. Zur Umwelt gehören dann die Gegner, und es ist einfacher (und „energiesparender“) sich darauf zu konzentrieren als mit Zwischenzeiten rumzurechnen.

Man sollte sich auch mal klar machen, dass erst der technische Fortschritt möglich gemacht hat, dass sich so viele LäuferInnen zu Sklaven der Uhr machen. Eine anständige analoge Stoppuhr hat mal ca 200 Dm oder mehr gekostet … sagen wir vor 40 Jahren (Kaufkraft heute >=250 €??). Bis in die 70er gabs ja keine Alternativen dazu. Die Dinger waren sackteuer, ohne Speicher für Zwischenzeiten und im laufen schlecht trag- und ablesbar.

Also stand der Trainer auf der Bahn mit 1-2 dieser Uhren (in D meist Hanhart oder Junghans 3Kreis) um den Hals, und die LäuferInnen haben sich auf ihn verlassen. Was dem Trainer natürlich Möglichkeiten zu diversen „Psychotricks“ gab … er konnte immer einfach „ok“ oder „gut“ rufen und dann nachher dem erstaunten Sportler seine Liste von notierten Laufzeiten präsentieren: Alles schneller als erwartet! So konnten Trainer die Bremse im Kopf manchmal lösen … heute macht ein Greif das, in dem er den TeilnehmerInnen beim TDL im Trainingslager die Uhr verbietet.

Die Emanzipierung vom Zwischenzeitenterror habe ich persönlich zweimal durch: Eimal in der Jugend, als ich nach Jahren gelernt habe, dass man in 95% der Bahnrennen am besten damit fährt, auf Platz zu laufen – dabei kommen auch am leichtesten PBs raus.

Und später dann in der „zweiten Karriere“ , als ich einige Straßenwettkämpfe für mich gerettet habe, indem ich die Uhr umgedreht habe. Zur Zeit habe ich für lockere Läufe folgendes Prinzip: Ich schaue während dem Lauf nicht auf die Uhr und danach drücke ich Reset ohne mir Zeit und gemessene Strecke anzusehen. Ausgewertet wird dann viel später … im Moment denke ich so alle 2 Wochen reicht aus.

Gruß

C

"If a man coaches himself, then he has only himself to blame when he is beaten."
- Sir Roger Bannister

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Ich danke Dir für diesen wertvollen Input an dieser Stelle!
DerC hat geschrieben: Und später dann in der „zweiten Karriere“ , als ich einige Straßenwettkämpfe für mich gerettet habe, indem ich die Uhr umgedreht habe.
Kannst Du das an einem Beispiel vertiefen?
Garmin

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mtbfelix hat geschrieben: Kannst Du das an einem Beispiel vertiefen?
Es gibt zwei Beispiele die ich in guter Erinnerung habe. Das eine ist der Brüdder-Grimm-Lauf gewesen, glaube 2010 war ich dabei. Da habe ich in der ersten Etappe viel auf die Uhr gesehen. Und ich war dann sehr unzufrieden mit den Zwischenzeiten, im Ziel auch, keine gute Zeit und dennoch anstrengend, einfach ein Schrottlauf, und das auch noch auf der einfachsten Etappe.

Dann habe ich am nächsten Tag bei km1 auf die Uhr geschaut und sie dann rum gedreht (vielleicht auch bei km 2), als ich in etwa in der pace war. Ich habe viel überholt und war vor einigen, von denen ich am Vortag nur die Rücklichter gesehen habe. Bin fast nur nach Gefühl gelaufen und vor allem ab der 3. Etappe auch orientiert an den Konkurrenten, die ich mittlerweile kannte. Habe dann jede Etappe Plätze gut gemacht mit Ausnahme der letzten, da war dann wirklich Schicht und ich habe etwas motivationslos 1 Platz verloren.

Und dann ist mir klar geworden,. dass ich bei den lokalen Volks- und Straßenläufen auch immer Leute kenne und weiß was die in etwa laufen. Also bin ich noch viele Läufe so oder ähnlich gelaufen, manchmal ohne auf die Uhr zu sehen bis ins Ziel, manchmal beim HM alle 5k statt häufiger. Es entspannt mich und schützt vor Panik bei falschen Km Markierungen.

Auf der Bahn habe ich das eh schon lange so gemacht. Da laufe ich Richtung Platz 3-5 und schaue am Ende was nach vorne noch geht. (Das funktioniert natürlich am besten bei homogenen Feldern die gut passen. Wenn es einen Lauf mit einem heterogenen Feld gibt, muss man wieder ein wenig nach Leuten schauen die man kennt oder zumindest meint einschätzen zu können und natürlich vor allem: Nach Gefühl.)

2007 hatte ich ein anderes Erlebnis was meine Theorie stützt, allerdings habe ich damals nicht sofort die Konsequenzen gezogen. Da hatten irgendwelche Witzbolde beim HM die KM Schilder verstellt. Raus kamen Zwischenzeiten, die schwer zu interpretieren waren. Ein paar waren wirklich komplett falsch, andere waren, wie sich im Nachhinein heraus stellte, in etwa richtig. Ich war nur viel schneller unterwegs, als ich geplant hatte. (Damals hatte ich keine Uhr mit GPS - kann von Vorteil sein)

Und ich hatte einen Konkurrenten auf der Strecke kennengelernt, der ein ähnliches Ziel hatte, und so liefen wie einfach unseren Stiefel runter. Am Ende gut 3min schneller als erwartet. Wenn die Schilder richtig gestanden hätten, wäre ich vermutlich deutlich langsamer gewesen, weil ich mich mehr gebremst hätte. Aber so bin ich eben mehr nach Bauchgefühl gelaufen und habe mehr rausgeholt.

Meine rationale Erklärung dafür ist, dass oft es eben mehr stresst, nach Zeit zu laufen. Das kostet auch Energie und vor allem zehrt es an der Fähigkeit, die Reserven anzuzapfen. Vor gesundheitlichen Risiken muss man als gesunder Mensch da imo übrigens keine Angst haben – es sollte nur klar sein, dass man nicht beliebig häufig Wettkämpfe am Limit laufen kann.

Gruß

C

"If a man coaches himself, then he has only himself to blame when he is beaten."
- Sir Roger Bannister

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Noch eine Ergänzung.

Es gibt beim Laufen sogar scheinbare Paradoxien. Jack Daniels berichtet in der 2. Auflage der Laufformel eine Anekdote. Nach meinem Gedächtnis war es etwa so: Einem Läufer im Mittelfeld eines Collegerennen über 5000m wurde es zu hart und er kommunizierte mit dem Coach Daniels, dass er aussteigen wolle. Der rief ihm dann zu, er solle noch nach vorne laufen in die Spitze, dann dürfe er aussteigen.Der Läufer lief in die Spitze, blieb im Rennen und gewann dieses am Ende.

Ein ähnliches Phänomen habe ich schon in Straßenläufen festgestellt: Man läuft am Ende einer Gruppe, eigentlich sollte das Tempo passen. Führen will man nicht, denn das kostet ja zu viel Energie. Aber es wird gefühlt immer schwerer dranzubleiben. So, und jetzt der auf den ersten Blick absurde Ratschlag: Wenn das Tempo einigermaßen passen sollte, geh an die Spitze der Gruppe und versuch die Gruppe zu sprengen. Natürlich geht das nicht, wenn die Gruppe 4'30/k läuft und man als Tempo für diese Strecke nur 5'/k drauf hat. Aber es kann in vielen anderen Fällen funktionieren, und dann kann man evtl sogar zur nächsten Gruppe auflaufen oder deren Überreste aufsammeln. Oft bleibt auch mindestens einer erhalten, mit dem man dann gemeinsam weiter laufen kann.

Denn wenn man die Gruppe nach hinten verlässt, kann das so demotivierend wirken, dass man auch die nächste Gruppe nicht halten kann. Daher ist es in dem Fall u. U. sogar besser, im Niemandsland zu laufen und die vordere Gruppe als bewegliches Ziel zu benutzen, wieder mit dem Ziel, zumindest daraus zurückfallende zu überholen.

Natürlich ist das individuell sehr verschieden und auch von den Rennen und den Feldern abhängig, was wie gut funktioniert. Aber: Wettkämpfe sind eigentlich nicht dazu da, sein eigenes Rennen zu laufen. Das kann man auch im Training, und das bleibt im WK als Notlösung, wenn sonst gar nichts funktioniert.

Aber trotz aller individuellen Eigenheiten denke ich, dass diese Zeit- oder Zwischenzeitenmanie für viele kontraproduktiv ist. Wenn man sich von Zeiten und Pulswerten emanzipiert, kann man imo dahin kommen, dass man sich sowohl seltener unnötig bremst als auch - z. B. gerade bei lockeren Läufen - unnötig unter Druck setzt.

Gruß
C

"If a man coaches himself, then he has only himself to blame when he is beaten."
- Sir Roger Bannister

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Ich wollte die die sub50 Läufer mal von der Uhr wegbringen:
bones hat geschrieben:Im Wettkampf kann man lernen, was eigentlich in einem steckt. Mein Erweckungserlebnis war ein 5KM Lauf. Anfang Dezember bin ich einen Marathon gelaufen (schlecht, wie immer), war danach 10 Tage grippekrank, hatte Kniepobleme und ließ mich Anfang Januar zum Start überreden. Der Lauf wurde zusammen mit den 10KM gestartet und das Feld trennte sich nach ein paar hundert Metern. Gestartet bin ich mit einem Bekannten, der recht flott den 10er laufen wollte. Ich wollte nach dem Abbiegen auf die kurze Strecke eigentlich etwas Tempo rausnehmen. Da waren dann aber nur 2 Läufer vor mir, einer ca. 10 Meter, der andere eher schon 50 Meter. Ein 3.Platz wäre doch mal schön dachte ich und nahm mir vor, keinen mehr vorbei zu lassen. Also Tempo hoch statt runter. Und wärhend ich nach hinten um den 3.Platz kämpfte, kam mir vorne der 2. immer näher :zwinker5: . Der läuft aber am Limit, dachte ich mir und ein 2.Platz ist besser als der 3. - Tempo rauf und überholen. Ob das gut geht? Noch 2-3 KM über dem Limit? Erstaunlicherweise ja. Aber nicht beim Führenden. Auch der kam mir immer näher. Und nun? Dranbleiben? Nö, wenn schon, denn schon. Also die letzten Körner von der Resterampe zusammensuchen und zügig überholen und bloß nicht nachlassen, sind ja nur noch ein paar hundert Meter. Und was soll ich sagen....... :pokal:


Das war ein Lauf ohne auf die Uhr zu schauen. Sonst wäre ich bestimmt langsamer gewesen. In den meisten steckt wahrscheinlich mehr als sie selbst glauben. Man muß sich nur etwas zutrauen. No risk, no fun - besonders auf den kürzeren Strecken. Beim Marathon sollte man sich aber schon an seinen Fahrplan halten :zwinker5: .
"Ich habe es immer geliebt, zu laufen. Es war etwas was man einfach so machen konnte. Du konntest in jede Richtung laufen, schnell oder langsam, gegen den Wind ankämpfen wenn du wolltest, neue Umgebungen kennenlernen mit der Kraft deiner Füße und dem Mut deiner Lungen." (Jesse Owens)

Wichtiger Hinweis: https://joachim-zelter.de/wp-content/up ... /PDF.9.pdf

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Hallo Felix,

um nicht nur abzulästern:
bones hat geschrieben:Ich wollte die die sub50 Läufer mal von der Uhr wegbringen:
Wettkampf ohne Uhr - habe ich letztes Jahr im Rahmen meines Master-Plans mal gemacht, und es hat bei zwei Wettkämpfen perfekt funktioniert.

Beim ersten Mal war es wohl mehr oder weniger Zufall, dass ich nur eine Handvoll Sekunden unter 50 Minuten lag, ich ging völlig entspannt in den Lauf, die völlig überraschende Präsenz von jubelnden Kinderscharen im Zielbereich animierte mich dann irgendwie zu einem furiosen Endspurt, bei dem ich auf 200 m geschätzte 10 Sekunden rausholte.

Beim zweiten Lauf war es anders, da wusste ich, dass es knapp werden würde, zudem war die Strecke coupiert, und vor dem Ziel ging es 600 m bergauf. Ich habe mir dann beim Lauf ständig Druck gemacht, da ich unbedingt vermeiden wollte, in 50:02 min. oder etwas dieser Art im Ziel zu sein, die Ungewissheit trieb mich sozusagen vorwärts. Im Ziel hatte ich dann ca. 15 Sekunden Puffer.

Was hilft bei mir noch ? Ärger. Auch hier ein Beispiel aus dem letzten Jahr, dass aber auch im Training funktioniert: Ich lief bei einem Charity-Run Runden auf einer Laufbahn, nach einer Runde wurde gewechselt, auf der Bahn befanden sich immer ca. 100 Läufer. Meine Runden lagen alle so bei 1:30 min aufwärts , ich wollte unbedingt eine Runde unter 1:30 min laufen. Bei der vorletzten Runde sah es auf den ersten 200 m ganz gut aus, dann kam die zweite Kurve, alles von Bahn 1 - 7 belegt. Das hat mich richtig in Rage gebracht, innerhalb von Sekunden rot gesehen, auf der Außenbahn an dem Haufen vorbei, am Ende der Kurve wieder auf die Innenbahn zur Wechselzone, schnellste Runde 1:27 min trotz zusätzlicher Meter.

Klappt im Training z.B. nach unerfreulichen Treffen mit Hundebesitzern.

Was hilft noch im Wettkampf wie im Training:
> Ein Scheitern billigend in Kauf nehmen. Bin früher gerne 5 km im Wettkampf so gelaufen, wie man in kaltes Wasser springt, den ersten Kilometer einfach los ohne Sinn und Verstand, dann versucht, ins Ziel zu retten. Erstaunlich, wie sich das anfühlt, wenn man alle rationalen Renneinteilungen über Bord wirft, und wenn es dann wirklich klappt. Das kann man auch im Training mal versuchen.
> Ein Mantra, einen formelhaften Satz, draufhaben. Bei mir ist/war das der idiotische und schwer rhythmisierbare Satz "Ich lasse mir die Butter nicht vom Brot nehmen", der mich mal durch einen Marathon gezogen hat.
> Sich im Training angewöhnen, bei leichten Steigungen nicht nachzugeben, sondern mit Druck zu laufen; leichte Steigung ist kein Grund, langsamer zu werden. Wenn der Impuls mal gesetzt ist, kann man im Wettkampf gar nicht mehr anders, als an dieser Art von Steigungen den Turbo zuzuschalten, funktioniert bei mir heute noch im Kopf, nur die Beine können es nicht mehr richtig umsetzen :wink:

Gee

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geebee hat geschrieben: > Sich im Training angewöhnen, bei leichten Steigungen nicht nachzugeben, sondern mit Druck zu laufen; leichte Steigung ist kein Grund, langsamer zu werden. Wenn der Impuls mal gesetzt ist, kann man im Wettkampf gar nicht mehr anders, als an dieser Art von Steigungen den Turbo zuzuschalten, funktioniert bei mir heute noch im Kopf, nur die Beine können es nicht mehr richtig umsetzen :wink:

Gee
+1!
Gruß Frank

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Ein schöner Fred und den Artikel werde ich mir bei Gelegenheit in Ruhe zu Gemüte führen.
mtbfelix hat geschrieben:Gestern Abend waren die Hahners in der NDR-Talkshow bei Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt. Die gestellten Fragen hätten auch in den Faden "Ungefragte Tipps und komische Fragen von Nicht-Läufern" gepasst, aber auch dort die Antwort der Hahners, wie man denn bitte derartige Leistungen vollbringen könne: "Die Beine machen, was der Kopf sagt".
[/font][/size]Auch hier im Forum wird von Ultraläufern immer wieder gesagt, dass Ultra hauptsächlich Kopfsache sei.
Da kann ich den Hahners nur Recht geben und auch ich bin einer derjenigen Ultraläufer, die den Spruch gerne von sich geben. So oft hab ich genau das erlebt. Am Besten merkt man das, wenn man, aus welchen Gründen auch immer, in eine mentale Krise läuft. Kaum ein Ultra, der das noch nicht erlebt hat. Die meisten schaffen es dann trotzdem, irgendwie weiter zu laufen aber es läuft halt beschissen und oft geht das Tempo zurück. Ist man wieder raus aus dem Tief, läuft es wieder rund und fast wie von selbst. Auch eine Endbeschleunigung ist dann wieder möglich. Und bei alldem hat sich im grundlegenden Energiehaushalt des Körpers kaum etwas verändert, die Muskeln sollten eigentlich kontinuierlich müder geworden sein aber sind es nicht. Das sind keine Beweise aber schon deutliche Hinweise darauf, was die Gedanken in der Lage sind mit dem Körper anzustellen. Bei allem ist natürlich die grundlegende Voraussetzung, dass die Muskeln ausreichend trainiert und genügend Energie vorhanden ist. Wunder können Gedanken nämlich auch nicht vollbringen.
DerC hat geschrieben:Aber trotz aller individuellen Eigenheiten denke ich, dass diese Zeit- oder Zwischenzeitenmanie für viele kontraproduktiv ist. Wenn man sich von Zeiten und Pulswerten emanzipiert, kann man imo dahin kommen, dass man sich sowohl seltener unnötig bremst als auch - z. B. gerade bei lockeren Läufen - unnötig unter Druck setzt.
Das sind ganz tolle Überlegungen! Und das werde ich in Zukunft noch stärker und nicht nur im Training beherzigen.

Gruss Tommi
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Mein Tagebuch: forum/threads/96079-Die-dicken-Waden-der-dicken-Wade

"Unser Denken bestimmt unsere Wahrnehmung und unser Verhalten. Wenn wir uns nur auf das konzentrieren, was uns missfällt, werden wir auch viel Schlechtes sehen, dementsprechend über die Welt denken und unser Verhalten danach ausrichten. Menschen, die sich auf das Schöne konzentrieren, sind folglich zweifelsfrei glücklicher."

Thorsten Havener

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Tolle Beiträge.

Ganz einfaches Beispiel, zumindest ist es bei mir so. Nehmen wir die für mich langen langsamen Läufe -> egal wie lange die sind, lasst es 1,5h, 1,45h, 2h oder 2,5 Stunden sein -> immer die letzten 2-3 km werde ich müde...eigentlich absurd :-)
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