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Erst Chemotherapie, dann deutscher Vizemeister!

Meine kleinen sportlichen Ziele

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Ich freue mich auf das Jahr 2017! Das Thema Mittelstrecke und kurze Langstrecke werde ich weiter forcieren, ohne speziell dafür zu trainieren. Auch ohne spezifisches Training habe ich die Chance, mich für verschiedene deutsche Meisterschaften zu qualifizieren, ein großartiges Gefühl. Die geforderten Qualizeiten:

800m: 2:21,0min, diese Zeit erscheint mir noch unerreichbar
1500m: 4:51min, zu dieser Zeit fehlen mir noch 4 Sekunden
3000m: 10:25min, noch nicht voll austrainiert, bin ich Ende 2015 in 10 Minuten 2850m gelaufen, das wird knapp, die 10:25min ist aber durchaus in Reichweite
5000m: 17:40min, 17:45min bin ich schon bei einem nicht vermessenen 5er gelaufen, ebenfalls eine knappe Sache!
10000m: 37:00min, ich bin qualifiziert

Auch wenn ich bei den deutschen Meisterschaften unter ferner liefen einlaufen werde, ist es für mich eine große Ehre, bei den Meisterschaften starten zu dürfen. Vor 6 Jahren hatte ich eine ganz andere Perspektive vor Augen, das Leben ist wie eine Pralinenschachtel...

Wie ist mir der Einstieg ins Laufen gelungen?

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Ganz einfach: Ich habe 4 Wochen, bevor ich die ersten Medikamente bekam, angefangen und zwar mit einer Art Intervalltraining: Laufen, Gehen, Laufen, usw. Obwohl ich 24 Jahre nicht mehr in Laufschuhen unterwegs war, hat sich mein Körper relativ schnell wieder an frühere Zeiten erinnert. Zeitgleich mit Beginn der Medikation konnte ich 5km am Stück in einem Tempo von 5:30 bis 6:00min/km durchlaufen. In den folgenden Wochen konnte ich zwischen 20 und 35 km pro Woche, verteilt auf 3 bis 4 Einheiten trainieren, mal mehr, mal weniger, je nachdem wie ich mich gefühlt habe.

Kaum hatte ich das erste Mal meine Drogen bekommen, konnte ich es kaum abwarten. Ich fühlte mich unter dem Einfluß der Medikamente, als hätte ich einen fetten Joint geraucht. Einen Tag später schnallte ich mir Inlineskates unter und lief 14km am Stück. Das ging sogar relativ easy, doch dann kam die Übelkeit, vier Tage ohne Unterbrechung. Am Ende war mein Körper fast komplett ausgetrocknet und ich musste Infusionen bekommen. Also musste ich in Zukunft vorsichtiger vorgehen, habe mir nach dieser ersten negativen Erfahrung erst am zweiten Tag nach Verabreichung meiner Drogen die Laufschuhe angezogen.

Auf einmal stellte es sich ein: dieses großartige Glücksgefühl, das ich auch heute immer wieder beim Laufen habe. Aus der Drogenküche kam ich jedesmal matt und müde und legte mich danach regelmäßig auf die Couch. Als ich am zweiten Tag auf die Piste gegangen bin, war die Müdigkeit auf einmal wie weggeblasen. In der Folgezeit wurde ich nicht krank, ich bemerkte kaum, dass ich unter Drogen stand. Der Sport verhalf mir zudem dazu, dass mein Immunsystem relativ intakt geblieben ist. So trainierte ich auf meinen ersten Wettkampf, einen 5 km-Lauf zu Sylvester 2010 hin, 4 Tage vor meiner letzten Sitzung bei meinem Chemo-Dealer...

Mein erster richtiger Wettkampf im April 2011

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Ich hieße nicht (Iron-) Lemmy Schmidt, hätte ich mir nicht gleich bei meinem ersten ernstzunehmenden Wettkampf hohe Ziele gesetzt. Den Winter über konnte ich gut trainieren und so sollte es gleich eine U40min bei meinem ersten 10er nach 25 Jahren werden. Das Tempo hatte ich schon damals drauf und ich hatte es noch in Erinnerung, wie es sich anfühlt.

Eine Woche vor dem Tag x lief ich einen Probe-5er auf der Bahn. Ich weiß nicht mehr, wie schnell ich war, aber es musste eine Zeit zwischen 21 und 22min gewesen sein. Auf jeden Fall war ich danach total am Ende.

Der große Tag war gekommen, vor dem Wettkampf lernte ich meinen späteren langjährigen Trainer kennen. Ich lief mich mit ihm zusammen ein und wollte auch beim Lauf-ABC mitmachen, er musterte mich und empfahl mir, es sein zu lassen. Er muss mich für einen Spinner gehalten haben, weil ich ihm von meinem kühnen Plan erzählt habe.

Dann war es endlich soweit, der Startschuss fiel und ich stürmte gleich im 3:45er-Tempo los, ein irrwitziges Tempo zum damaligen Zeitpunkt. Einen Kilometer hielt ich das hohe Tempo durch, dann kam es, wie es kommen musste, ich brach ein und wurde nach hinten durchgereicht. Ein Tempo von ca. 4:50min/km konnte ich aber halten und so wurde es am Ende eine Zeit knapp über 45min. Natürlich war ich erstmal enttäuscht, habe aber übersehen, dass noch viele Giftstoffe von meiner Chemotherapie in meinem Körper waren. Unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunkt war es eine sensationelle Leistung. Und ich war sogar noch vor meinem gut trainierten Kumpel ins Ziel gekommen.

Fortsetzung folgt...

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alcano hat geschrieben:Sind das Auszüge aus deinem Buch-Entwurf? Oder einfach Hintergrundinfos zu dir?
Das habe ich gerade aus meinem Gedächtnis auf dem Smartphone getippt.
Beste Grüße
Lemmy

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@all

Wollt Ihr von Lemmy lieber in der ersten, oder in der 3. Person lesen? In der 1. Person kann ich nur nicht so schnoddrig formulieren.

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Ich mache schnell ein Häkchen hinter den gerade zurückliegenden Wettkampf und schloss mich dem Verein an mit dem Trainer, der mich so belächelt hatte. In meinem neuen Verein trainierte ich das erste Mal Intervalle. Der Trainer rief mir zu: Mach den Rücken gerade, Lemmy! Ich gehorchte so gut ich konnte, ich musste das Laufen ganz neu lernen. Dennoch war mein Tempozuwachs enorm. Am 30.7.2011 hatte ich einen richtig guten Wettkampf, einen Berglauf. 5 Kilometer ging es mehr oder weniger steil bergauf, 5 Kilometer ging es mehr oder weniger steil bergab. Schon bergauf kann ich nicht so langsam gewesen sein, bergab bin ich geflogen. 42:21,8min war meine Zeit, Platz 20 in der MHK.

Am 28.082011 folgte der nächste Versuch, die 40min-Schallmauer bei einem schnellen Straßenlauf zu knacken. Diesmal startete ich nicht in 3:45min/km, sondern in 4:00/km. Ganz halten konnte ich das hohe Anfangstempo nicht, ich wurde immer langsamer. Mein großes Ziel hatte ich wieder verfehlt, habe mich aber dennoch sehr über die 41:54min gefreut. Es war eine neue persönliche Bestzeit in meinem 2. Leben.

Der Marathon im Oktober konnte kommen.

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Lemmy66 hat geschrieben:@all

Wollt Ihr von Lemmy lieber in der ersten, oder in der 3. Person lesen? In der 1. Person kann ich nur nicht so schnoddrig formulieren.
Ich finde die 3. Person ok für Deine Kunstfigur und was Du aktuell machst; die Idee finde ich ziemlich gut, ist nicht so trocken. Wenn Du aber von Deiner Lebensgeschichte erzählst, ist es viel authentischer in der 1. Person. Oder vielleicht sogar Perspektivenwechsel - mal die Lemmy-Sicht und dann, etwas ernster, die wahre Geschichte, aus einem anderen Blickwinkel (für's Buch).

Meinen größten Respekt vor dem, was Du geleistet hast. Bist schon ein harter Hund :zwinker5: und das sage ich ganz ohne Ironie. :respekt:

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Lemmy66 hat geschrieben:Wollt Ihr von Lemmy lieber in der ersten, oder in der 3. Person lesen? In der 1. Person kann ich nur nicht so schnoddrig formulieren.
Und da sind wir wieder bei der Frage, was denn dein eigentliches Anliegen sein soll mit diesem Buch. Wenn du schildern willst, wie es dir mit der Krankheit und auf dem Weg da heraus ergangen ist, dann wirst du nicht drum herumkommen, auch von deinen wahren Gefühle in jener Zeit, von Scheißangst und Verzweiflung, von Hoffnung und Mut etwas unkaschiert preiszugeben. Und da würde mir persönlich die erste Person "authentischer" erscheinen.

Wenn du hingegen ein paar coole Geschichten aus dem Regal der Beliebigkeit zum Besten geben willst, die mit deiner eigenen Person zu verbinden dir schwerfällt, dann befürchte ich als Ergebnis irgendetwas zwischen cooler Fiktion und makabren Geschmacklosigkeiten. Nein, eine Fiktion zu dem Thema würde ich wohl eher nicht kaufen, da ich nie wüsste, wann ich verarscht werde und wann nicht.

LG Christoph

mein Blog: Die Rennkartoffel will's nochmal wissen.

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Danke für die wertvollen Tipps. Ich werde in der 1. Person schreiben, das ganze soll aber einen schnoddrigen Unterton von Lemmy haben. Bestimmte Sachverhalte kann ich besser und unbeschwerter in der 3. Person zu Papier bringen. Es soll auch keine Betroffenheitsgeschichte werden, sondern eine Geschichte zum Schmunzeln, ganz im Sinne von Lemmy Schmidt.

Ich habe 80 % meines Buches fertig gestellt, die letzten 20 % sind aber die schwersten.

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Am Wichtigsten ist, dass du dich mit dem Erzähler wohlfühlst - ob erste Person oder dritte Person. Der Erzählfluss ist wichtiger als alles Andere - man spürt, ob der Sound passt oder nicht. Sonst klingt es am Ende wie das neue Opeth-Album - bassd scho, wie es in meiner Heimatstadt heißt - aber ich hatte das Gefühl einer merkwürdigen Sterilität beim ersten Reinhören - irgendwie lebt es nicht...

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Durchbeißerin hat geschrieben:Am Wichtigsten ist, dass du dich mit dem Erzähler wohlfühlst - ob erste Person oder dritte Person. Der Erzählfluss ist wichtiger als alles Andere - man spürt, ob der Sound passt oder nicht. Sonst klingt es am Ende wie das neue Opeth-Album - bassd scho, wie es in meiner Heimatstadt heißt - aber ich hatte das Gefühl einer merkwürdigen Sterilität beim ersten Reinhören - irgendwie lebt es nicht...
Meinst Du mit Sterilität das neue Opeth-Album? Den Eindruck hatte ich auch! Aber ich bin Fan und diese Band kann veröffentlichen, was sie will, ich liebe jedes Album.

Hier im RW-Forum veröffentliche ich selbstverständlich keine Buchpassagen, sondern schreibe im Schnellverfahren und auch etwas schludrig ein paar Gedanken auf, mehr nicht. Mit meinem Manuskript habe ich mir natürlich mehr Mühe gegeben. Der Stoff gibt auch genug her. Natürlich ist Schreiben generell ein schwieriges Kapitel, das man aber lernen kann. Schreiben ist auch ein Prozess.

Im Kern hast Du recht, aber es kann sehr schmerzhaft sein, wenn man in alten Wunden bohrt, es hilft manchmal, wenn man seine Emotionen ein Stück weit bändigen kann, beim Schreiben allerdings sind Emotionen das Salz in der Suppe.

Das ist nur ein Erklärungsversuch. In meinem Manuskript habe ich jede Passage mehrfach überarbeitet, umstrukturiert, aber bei einigen Passagen habe ich noch gar nicht die Kraft gehabt, ins Detail zu gehen.

Ohne Lektorat geht es nicht, dafür spare ich gerade, damit erst einmal meine Leseprobe überarbeitet wird. Dann wird mein Projekt wieder Fahrt aufnehmen. Bis dahin benötige ich Geduld.

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Dieses Wunder, das geschehen ist, kann ich mir selbst nicht erklären. Am 4. Januar 2011 hatte ich meine letzte Sitzung bei meinem Chemodealer und im August 2011 habe ich, nach effektiv nur 6 Monaten Training (die Monate Januar und Februar rechne ich nicht mit) die Schallmauer von 42 Minuten über 10km durchbrochen.

Mein Training war aber auch ein Ritt auf der Rasierklinge, aus medizinischer Sicht, und gerade noch machbar. Über 1700km habe ich von Januar bis August 2011 trainiert. Zu der Zeit wurde ich alle 3 Monate gründlich und engmaschig untersucht: Herzecho, Blutuntersuchung, usw. Besonders beunruhigt und mir schlaflose Nächte bereitet hat mir der Umstand, dass eins meiner Medikamente herztoxisch wirkt und bei 20 % der Patienten zu einer dilatativen Kardiomyopathie, einer Größenzunahme des Herzmuskels, führen kann, sobald eine kumulative Gesamtdosis überschritten wird. Bei mir wurde diese Dosis überschritten. Ich trainierte damals mit der Angst im Hinterkopf, dass mein vorgeschädigtes Herz mir irgendwann einen Strich durch die Rechnung machen würde und ich nicht mehr trainieren könnte.

Heute weiß ich, dass ein positiver Effekt von Sport während einer Chemotherapie dazu führen kann, dass die Medikamente schneller verstoffwechselt werden und ihre zerstörerische Wirkung auf den Körper so verringert wird. Auch deshalb wachte ich in manchen Nächten schweißgebadet auf. Wäre aufgrund der Ausübung meines Sports auch die erwünschte Wirkung meiner Drogen, den Krebs zu bekämpfen, verringert?

Diese Gedanken und die gut gemeinten Ratschläge meiner Ärzte, mich nur nicht zu überanstrengen, belasteten mich damals sehr, aber ich wischte alle Bedenken vom Tisch und trainierte weiter.

Zur Sicherheit unterzog ich mich an der Universitätsklinik Heidelberg einer spiroergometrischen Untersuchung auf dem Laufband. Der Professor, der mich untersuchte, war erstaunt über meinen Fitnesszustand und gab mir grünes Licht für meinen Marathon im Oktober.

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Lemmy66 hat geschrieben:Meinst Du mit Sterilität das neue Opeth-Album? Den Eindruck hatte ich auch! Aber ich bin Fan und diese Band kann veröffentlichen, was sie will, ich liebe jedes Album.
Ja - ich mag die Band auch - lieben kann ich nicht sagen, denn (leider) ist es bei mir zur Berufskrankheit geworden, dass mir Musik zwar gefällt - manchmal haut es mich auch weg - aber eine gewisse innere Distanz bleibt immer - sonst könnte ich nicht darüber reflektieren.
Ich hab länger nachgedacht über dieses Phänomen mit der Sterilität - es scheint da so, als ob die gemeinsam erarbeitete musikalische Struktur die Spontaneität frisst.
Lemmy66 hat geschrieben:Hier im RW-Forum veröffentliche ich selbstverständlich keine Buchpassagen, sondern schreibe im Schnellverfahren und auch etwas schludrig ein paar Gedanken auf, mehr nicht. Mit meinem Manuskript habe ich mir natürlich mehr Mühe gegeben. Der Stoff gibt auch genug her. Natürlich ist Schreiben generell ein schwieriges Kapitel, das man aber lernen kann. Schreiben ist auch ein Prozess.
Ich wollte mehr darauf hinaus, dass das, was du Schludrigkeit nennst, eine echte Qualität darstellt! :daumen:
Gute Texte haben eine durchaus musikalische Qualität - mir hat z.B. vor vielen Jahren ein befreundeter Rundfunkjournalist einen ganz einfachen Tipp gegeben, der mir schon oft sehr geholfen hat beim Redigieren: Lies dir das Zeug immer laut vor. Wo du hängenbleibst und dir schwer tust - genau da ändere, solange bis es so klingt, dass du es gerne vorlesen magst.
Das war ein Quantensprung für mich damals...
Lemmy66 hat geschrieben: Im Kern hast Du recht, aber es kann sehr schmerzhaft sein, wenn man in alten Wunden bohrt, es hilft manchmal, wenn man seine Emotionen ein Stück weit bändigen kann, beim Schreiben allerdings sind Emotionen das Salz in der Suppe.
Beides denke ich - man kann schreibenderweise quasi an den Beckenrand schwimmen und durch die Distanz, die sich aufbaut währenddessen, Luft holen, um wieder einzutauchen in das Nacherleben. Und man kann ausgraben während des Schreibens - dann ist man danach erst mal platt.
Lemmy66 hat geschrieben: Das ist nur ein Erklärungsversuch. In meinem Manuskript habe ich jede Passage mehrfach überarbeitet, umstrukturiert, aber bei einigen Passagen habe ich noch gar nicht die Kraft gehabt, ins Detail zu gehen.

Ohne Lektorat geht es nicht, dafür spare ich gerade, damit erst einmal meine Leseprobe überarbeitet wird. Dann wird mein Projekt wieder Fahrt aufnehmen. Bis dahin benötige ich Geduld.
Ich bin skeptisch, wenn wer gleich so einen Batzen Kohle verlangt. Denn irgendwer muss doch verantwortlich sein, dass Neuveröffentlichungen oft so geisterhaft gesichtslos wirken... ich seh die teuflische Szenerie direkt vor mir - Tatort Verlag x-beliebig - der Konferenzraum: Wir sollten was mit xxxx machen - das zieht zur Zeit, sagt der Pressespiegel. Okay - klingt ganz gut - Team xxxx recherchiert die Fakten - Team yyyy skizziert den Plot (bitte nicht wieder so zerfranst - unser Leser will keine Experimente - denkt daran) - wer malt aus - nein - nicht der XXXX - der ist völlig übergeschnappt inzwischen - der verlangt xxxxx Euro pro Seite - hör mit dem Idioten auf - haben wir nicht noch einen Youngster in der Warteschlange - genau - dem bieten wir das an - so wird das gut.
Und dann noch diese komische Nummer - der Typ mit dem Eigenbau - neee... das muss man komplett überarbeiten - so kann man das nicht drucken - das widerspricht allen Standards. Hedi - genau - ja - Hedi macht das - die macht ein Buch daraus, das weggehen wird im Weihnachtsgeschäft.

Ein grobes Foul

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Ärzte sind auch nur Menschen, sie machen Fehler. Wegen eines Fehlers eines Arztes hätte ich 2013 beinahe meine Karriere als Läufer beendet. Was war passiert?

Wie so oft war ich mal wieder beim Kardiologen zur Nachsorge zur Ultraschalluntersuchung meines Herzens. Die Diagnose traf mich wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Verdacht auf hypertrophe Kardiomyopathie.

Fortsetzung folgt...

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Das Ticket für den Berlin Marathon war gebucht, die Vorleistungen, eine 37:30min über 10km und eine 1:25h im Halbmarathon passten für eine Zeit unter 3 Stunden. Trotz meiner Vorleistung von 3:27:45h beim Marathon von Dartmoor im Oktober 2011, durfte ich aus Startblock C starten. Und dann diese Diagnose.

Diagnostiziert wurde eine Zunahme der Wandstärke meines Herzens von 11mm im Herbst 2010 auf 13mm im Sommer 2013. Ich dachte mir: Arsch lecken. Du läufst den Berlin Marathon mit und beendest dann Deine Karriere. Wenn Du im Wettkampf tot umfallen solltest - Pech gehabt. Und so ignorierte ich die Diagnose meines behandelnden Kardiologen und trainierte einfach weiter. Ich war in einer phantastischen Form für meine damaligen Verhältnisse. Selbstverständlich holte ich mir eine zweite Meinung ein, bei einem der renommiertesten Kardiologen Deutschlands, Prof. Thum von der Medizinischen Hochschule Hannover. Ich erzählte seiner Sekretärin von der üblen Diagnose und meiner Vorbereitung auf den Berlin Marathon und bekam nur 4 Wochen später einen Termin. Prof Thum hat ein Herz für Sportler! Solange musste ich zittern und ich hatte eine Scheißangt! Dennoch habe ich weiter trainiert.

Fortsetzung folgt...

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Wenn jemand Fragen hat, dann frage er.

Objektiv betrachtet gab es noch keinen Anlass, mein Training zu unterbrechen. Bei einer Wandstärke von 13mm spricht man von einer leicht verdickten Herzwand, die Gefahr, den plötzlichen Herztod zu erleiden, hätte in dem diagnostizierten Stadium auf keinen Fall bestanden.

Dieser Kardiologe hatte mein Training mit besonderem Argwohn beobachtet und seine Diagnose schien ihm Freude zu beteoten. Übernehmen Sie sich nur nicht, riet er mir immer wieder.

Vier Wochen später bei der Kontrolluntersuchung bei Professor Thum wurde eine Wandstärke von 10,5mm bei meinem Herzen gemessen. Dieser Wert wurde bei Nachuntersuchungen mehrfach bestätigt. Ich hatte nicht einmal im Ansatz ein Sportllerherz, wohl aber ein sehr muskelstarkes Herz mit einer leicht vergrößerten rechten Herzkammer, wie es bei Sportlern häufig vorkommt. Ein ganzer Steinbruch fiel von meinem Herzen.

Wieso kam es zu der Fehldiagnose? Der Kardiologe konnte das Ultraschallgerät nicht richtig bedienen und hat den Messkopf verkantet, so der Erklärungsansatz von Prof. Thum.

Fortsetzung folgt...

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Ende 2010, noch zu Chemo-Junkie-Zeiten, hatte ich mir vorgenommen, einen Marathon unter 3 Stunden zu laufen, damals ein irrwitziger Plan. 2013, ich war seither clean geblieben, hatte ich das Ziel endlich vor Augen. Und ich war gut vorbereitet.

Der Berlin Marathon wurde ein einziger Triumphzug.

Ich lief ein gleichmäßiges Rennen, die erste Hälfte in 1:29:25h, die zweite Hälfte in 1:31:56h. Hätte ich etwas mehr Wettkampferfahrung gehabt und nicht so viel Zeit bei den Verpflegungsstopps verloren, wäre ich in der Endabrechnung noch deutlich schneller gewesen. Schwamm drüber. Es hat bis 2015 gedauert, bis die magische 3 endlich gefallen ist und das sehr deutlich. Nach dem Berlin Marathon war ich bereit für neue Heldentaten.

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Es gab viele Fallstricke auf meinem Weg zu meiner heutigen Form. Der "kardiale Zwischenfall" 2013 war der letzte Knüppel, den mir ein Arzt zwischen die Beine geworfen hatte. Seither gab es keine Vorfälle dieser Art mehr und ich konnte konzentriert weiter trainieren. Ich kenne Patienten, die nach ihrer Krebstherapie nie mehr richtig auf die Beine gekommen sind. Und ich darf trainieren wie ein junger Hirsch. Welch ein Geschenk!

Es dürfte nur seeeehhhhr wenige Patientengeschichten dieser Art geben mit einer derartigen sportlichen Entwicklung. Man sollte auch mein Alter nicht vergessen. Ich war 45 Jahre alt, als ich krank wurde und mit dem Laufsport überhaupt erst angefangen habe. Die Geschichte von Lance Armstrong ist natürlich noch eine Steigerung meiner Geschichte. Aber Lance war schon Hochleistungssportler, bevor er krank wurde und er war bedeutend jünger als ich. Seine Dopingpraktiken möchte ich nicht schönreden, vielleicht besteht sogar ein Zusammenhang mit seiner Krebserkrankung. Wie er aber seine Krise bewältigt hat, ist aller Ehren wert.

https://www.amazon.de/Lebens-Krebs-besi ... 3404614704

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Es gab viele Fallstricke auf meinem Weg zu meiner heutigen Form. Der "kardiale Zwischenfall" 2013 war der letzte Knüppel, den mir ein Arzt zwischen die Beine geworfen hatte. Seither gab es keine Vorfälle dieser Art mehr und ich konnte konzentriert weiter trainieren. Ich kenne Patienten, die nach ihrer Krebstherapie nie mehr richtig auf die Beine gekommen sind. Und ich darf trainieren wie ein junger Hirsch. Welch ein Geschenk!

Es dürfte nur seeeehhhhr wenige Patientengeschichten dieser Art geben mit einer derartigen sportlichen Entwicklung. Man sollte auch mein Alter nicht vergessen. Ich war 45 Jahre alt, als ich krank wurde und mit dem Laufsport überhaupt erst angefangen habe. Die Geschichte von Lance Armstrong ist natürlich noch eine Steigerung meiner Geschichte. Aber Lance war schon Hochleistungssportler, bevor er krank wurde und er war bedeutend jünger als ich. Seine Dopingpraktiken möchte ich nicht schönreden, vielleicht besteht sogar ein Zusammenhang mit seiner Krebserkrankung. Wie er aber seine Krise bewältigt hat, ist aller Ehren wert.

https://www.amazon.de/Lebens-Krebs-besi ... 3404614704

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Der ist auch nicht mehr auf die Beine gekommen, hat aber viel(e) bewegt:

https://de.wikipedia.org/wiki/Terry_Fox_(Leichtathlet)
"Ich habe es immer geliebt, zu laufen. Es war etwas was man einfach so machen konnte. Du konntest in jede Richtung laufen, schnell oder langsam, gegen den Wind ankämpfen wenn du wolltest, neue Umgebungen kennenlernen mit der Kraft deiner Füße und dem Mut deiner Lungen." (Jesse Owens)

Wichtiger Hinweis: https://joachim-zelter.de/wp-content/up ... /PDF.9.pdf

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bones hat geschrieben:Der ist auch nicht mehr auf die Beine gekommen, hat aber viel(e) bewegt:

https://de.wikipedia.org/wiki/Terry_Fox_(Leichtathlet)
Er ist ein Held des Alltags und ich werde bei solchen Geschichten ganz demütig. Besonders auch deshalb, weil meine Diagnose vor 40 Jahren ebenfalls ein sicheres Todesurteil gewesen wäre.

Vielleicht sollte ich meinen Spendenmarathon umbenennen in Marathon of Hope.

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Erst Chemotherapie, dann Europameisterin:

Leichtathletik-EM: Antje Möldner-Schmidt hatte Krebs, jetzt ist sie Europameisterin - Sport News - Aktuelle Sportnachrichten - Augsburger Allgemeine
"Ich habe es immer geliebt, zu laufen. Es war etwas was man einfach so machen konnte. Du konntest in jede Richtung laufen, schnell oder langsam, gegen den Wind ankämpfen wenn du wolltest, neue Umgebungen kennenlernen mit der Kraft deiner Füße und dem Mut deiner Lungen." (Jesse Owens)

Wichtiger Hinweis: https://joachim-zelter.de/wp-content/up ... /PDF.9.pdf

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Lemmy66 hat geschrieben:Vielleicht sollte ich meinen Spendenmarathon umbenennen in Marathon of Hope.
Auf jeden Fall. Bescheidenheit ist völlig fehl am Platz. Heutzutage ist Selbstvermarktung sehr wichtig. Das kann man jeden Tag in den privaten TV-Sendern beobachten.
"Ich habe es immer geliebt, zu laufen. Es war etwas was man einfach so machen konnte. Du konntest in jede Richtung laufen, schnell oder langsam, gegen den Wind ankämpfen wenn du wolltest, neue Umgebungen kennenlernen mit der Kraft deiner Füße und dem Mut deiner Lungen." (Jesse Owens)

Wichtiger Hinweis: https://joachim-zelter.de/wp-content/up ... /PDF.9.pdf

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bones hat geschrieben:Auf jeden Fall. Bescheidenheit ist völlig fehl am Platz. Heutzutage ist Selbstvermarktung sehr wichtig. Das kann man jeden Tag in den privaten TV-Sendern beobachten.
Ich habe die Ärmel hochgekrempelt, einfach gehandelt und um Spenden geworben. Bei den großen Firmen habe ich bisher keinen Erfolg gehabt, wohl aber bei den kleinen Firmen in meiner Nähe, bei Autohäusern, Küchenfachgeschäften, Geschäftspartnern. Ganz bescheiden, dafür aber erfolgreich. Ich habe schon viele Stunden meiner Freizeit investiert und werde es weiter tun. Aus Dankbarkeit!

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Etwas ausführlicher:

Antje Möldner-Schmidt über ihren Lymphdrüsenkrebs - SPIEGEL ONLINE
"Ich habe es immer geliebt, zu laufen. Es war etwas was man einfach so machen konnte. Du konntest in jede Richtung laufen, schnell oder langsam, gegen den Wind ankämpfen wenn du wolltest, neue Umgebungen kennenlernen mit der Kraft deiner Füße und dem Mut deiner Lungen." (Jesse Owens)

Wichtiger Hinweis: https://joachim-zelter.de/wp-content/up ... /PDF.9.pdf

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Diese Geschichten kenne ich alle und Lemmy Schmidt gehört ebenfalls zu diesem Personenkreis. 5 Jahre lang habe ich geschwiegen, jetzt schreibe ich ein Buch. Der Unterschied: ich bin ein mittelalter, zuvor völlig unsportlicher Normalo, der durch das Schicksal seine Liebe zu unserem schönen Sport entdeckt hat und neu durchgestartet ist - mit 45 Jahren.

Antje Möldner-Schmidt

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Antje Möldner-Schmidt über ihren Lymphdrüsenkrebs - SPIEGEL ONLINE

Das Tabuthema Krebs

"Bislang habe sie Anfragen von Reportern zu ihrer Krankheit immer abgelehnt, sagt sie. Auch ihrer Trainerin hat sie jahrelang verboten, mit Journalisten darüber zu sprechen."

Wie sich die Geschichten ähneln!

"Ich habe versucht, das Wort Krebs nicht in den Mund zu nehmen, nicht mal zu Hause gegenüber meiner Familie", sagt Möldner-Schmidt. "Das war mein Schutzschild, meine Art, damit umzugehen. Doch ich merke, dass es Zeit wird, darüber zu sprechen. Und jetzt habe ich die Kraft dazu."

Ganz typisch

"Die Nebenwirkungen der Therapie trafen sie hart: Ihre Haut bekam einen gelblichen Stich, wenn sie Essen roch, wurde ihr übel. Jeden Morgen beim Kämmen blieb ein Haarbüschel in der Bürste hängen, und auch ihre Augenbrauen wurden Tag für Tag dünner."

Auch die Kommentare der Ärzte

"Sie fragte ihre Ärzte, ob sie das Training wieder aufnehmen dürfe. Einige Mediziner rieten ihr davon ab, sie fürchteten, dass die Belastung das Immunsystem schwächen und der Krebs zurückkehren könnte. Andere Ärzte wiederum sahen keine Gefahr. Es gibt bislang kaum Studien oder Forschungsergebnisse zu krebskranken Leistungssportlern."

Wie sich die Geschichten ähneln!

"Beim Joggen brauchte Möldner-Schmidt jetzt knapp sechs Minuten für einen Kilometer - eine Zeit, für die Gymnasiasten im Abitur nicht mal einen Punkt bekommen würden. Doch das war ihr egal. Sie machte weiter, lief nicht nach der Uhr, sondern einfach nach Gefühl. Eine Trainingseinheit, zwei Tage Pause: Das war der Rhythmus, mit dem es Möldner-Schmidt und Conrad versuchten."

Ein Hoffnungsschimmer

"Es funktionierte. So schnell wie die Sportlerin zuvor ihre Ausdauer verloren hatte, so schnell kehrten nach der Krankheit die alten Kräfte wieder zurück."

(...)

"Sie hatte es nach dem Krebs zurück in die Weltspitze geschafft. Ein kleines Sportmärchen."

Aber es gibt auch eine Kehrseite der Medaille

"Als Läuferin war sie wieder die Alte, und dennoch merkte sie, dass sich etwas verändert hatte. Sie konnte nicht einfach weitermachen wie vor der Krankheit. Sie konnte nicht so tun, als wäre sie nur verletzt gewesen, als wäre Krebs so etwas wie ein Kreuzbandriss."

Das Leben wird neu bewertet

"Das Leben neben dem Sport ist Möldner-Schmidt wichtiger geworden. Sie hat sich ein Pferd gekauft, sie reitet fast jeden Tag. Und sie verschiebt jetzt auch mal ihr Training, um zum Geburtstag einer Freundin zu gehen."

Ein Schlußwort

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Dieses Tagebuch schreibe ich nicht, weil ich Mitleid erregen will. Ich möchte vielmehr meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, welches Wunder geschehen ist. Ich darf leben und ich kann laufen und das in einem sehr schnellen Tempo. Alle Zeiten, von denen ich geträumt habe, als ich in der Krebsstation meines Krankenhauses auf einerr Liege gelegen habe, während orangefarbene, ultramarinblaue und zitronengelbe Flüssigkeiten in meine Venen tropften, und ich mich fühlte wie ein Junkie im Opiumrausch, nur ohne Euphorie, habe ich weit unterboten.

den Marathon unter 3 Stunden
die 10km unter 40 Minuten
den Halbmarathon unter 1:30 Minuten

Die Zeiten, die ich im Alter von fast 50 Jahren gelaufen bin, sind für 98 % der Läufer aller Altersklassen unerreichbar. Bei dem Gedanken lehne ich mich entspannt zurück und muss grinsen.

Ich hatte großes Glück, dass ich "nur" eine Chemotherapie bekam, die ich gut vertragen habe. Das Thema Bestrahlung blieb mir erspart, es wurde aber diskutiert. Dieser Kelch ging an mir vorüber. So blieb mir die ganze Zeit meiner Krebstherapie ein gutes Stück Lebensqualität erhalten, auch wenn mir das Essen in der Zeit keine Freude bereitet hat. Es hatte keinen Geschmack und schmeckte metallisch, nach Heavy Metal. Das sind Nebensächlichkeiten.

Wie lange kann ich noch auf meine Art und Weise weiter trainieren? 10 Kilometer unter 40 Minuten zu laufen, geht noch mit 65 Jahren, wenn man gesund bleibt. Ob ich mit 65 Jahren noch am Leben bin, kann ich nicht versprechen. Aber ich hieße nicht Lemmy Schmidt, wenn ich kein Kämpfer wäre. Eins der großen Idole meiner Teeniezeit mit dem Namen Kilmister ist 70 Jahre alt geworden. Warum sollte mir das nicht auch gelingen?

Jetzt schließe ich Dich wieder, liebes Tagebuch.
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