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Kazbegi-Marathon und Wandern in Georgien

Kazbegi-Marathon und Wandern in Georgien

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Eine Reise nach Georgien mit Wanderungen im Großen Kaukasus, Teilnahme am 7. Kazbegi-Marathon in Stepantsminda und Bustour quer durch´s ganze Land

Bericht von einem Teilnehmer am Halbmarathon

In diesem Jahr hat der Hänigser Spargelsprinter seine Sport-Reise nicht wie üblich bei einem Laufreise-Veranstalter, sondern bei Schulz Aktiv-Reisen gebucht. Das Unternehmen aus Dresden bietet Natur- und Erlebnisreisen für Wanderer, Radfahrer, Skiläufer und neuerdings vermehrt auch für Langstreckenläufer an. Besonders interessant schien dem Berichterstatter eine Reise nach Georgien, einem Land, das sich erst jetzt langsam dem Tourismus öffnet. Nach einiger Überlegung ließ er sich auch nicht mehr von Teilen im Ausschreibungstext wie „2-Sterne-Hotel“, „Komfortverzicht in privaten Gästehäusern“, „Gemeinschaftsbad“, „teilweise WC außerhalb“ abschrecken und buchte das Abenteuer im Großen Kaukasus.

In Empfang genommen wurde die 12-köpfige Reisegruppe am Flughafen Tiflis von der Reiseleiterin Nino Samkharadze und dem Fahrer eines Kleinbusses. Nino betreute in den nächsten 14 Tagen die Gruppe und versorgte sie mit allen möglichen Informationen auf der 2.400 Kilometer langen Rundreise durch das Land. Der Fahrer Sura hatte das Steuer immer fest in der Hand und versetzte häufig auf Land- und Paßstraßen seine Passagiere in Angst und Schrecken. Mal durch Überholmanöver, dann wieder durch Umkurven der allgegenwärtigen freilaufenden Kühe oder gern auch mit Geschwindigkeiten talwärts.

Sieben Wanderungen haben die Aktiven in der Bergwelt des Großen Kaukasus unternommen. Bei den Touren waren sie sechs bis sieben Stunden unterwegs und haben 600 bis 800 Höhenmeter in Angriff genommen. Alle, bis auf den Berichterstatter, waren ziemlich erfahrene Bergwanderer. Sechs Teilnehmer der Gruppe wollten beim Marathon bzw. Halbmarathon an den Start gehen.
Meine Kompetenz für die Bergtouren hatte ich mir vor Jahren auf einer Wanderung durch die Lüneburger Heide angeeignet. Also fast in Meereshöhe, auf breiten, gemütlichen Wegen mit maximal fünf Höhenmetern. Und war nun – auch wenn ich die Fakten vorher erfahren hatte – von der Realität sehr überrascht.

Streckenabschnitte mit enormen Steigungen gehörten zum Repertoire. Der Pfad war meist schmal und von unterschiedlichem Aufbau. Der konnte aus Steinen bis Fußballgröße in lockerer Schüttung oder Teilen bis runter zu Sandkorngröße bestehen. Kam größere Steigung hinzu, löste sich schon mal ein Stein und kam dann dem nächsten Wanderer entgegen gesaust. Was die Begriffe „Trittsicherheit“ und „Schwindelfreiheit“ in diesem Zusammenhang bedeuten, weiß ich erst jetzt. So konnte auf einem Abschnitt der Pfad auch mal derart beschaffen sein, dass der Hang auf der Talseite steil abfiel. Ohne Chance bei einem Fehltritt auf den nächsten Metern die Talfahrt zu beenden. Diese Beschreibung der Einzelheiten ist natürlich subjektiv. Mehr noch dadurch, dass ich einige Jahre als Sicherheitsbeauftragter im ITEM tätig war.

Die Bergwelt in Georgien ist einfach grandios. Die Dörfer in der Abgeschiedenheit und Höhenlage wirken archaisch. 44 Prozent des Landes sind von Wald bedeckt, 5 Prozent von Urwald. Da das Land noch nicht vom Touristenrummel erfasst ist, kann man die Natur und ihre Schönheit überall in aller Ruhe genießen.

Auf den Wegen zu den Gletschern können einem da schon mal mehr Menschen begegnen. Das wird den Besuchern aber weniger durch die Anzahl, sondern durch die Begegnung auf schmalen Pfaden bewusst. In den meisten Fällen handelt es sich dann um einheimische Wanderer.
Gletscher finde ich faszinierend. Es ist ein seltsames Medium, das da gemächlich durch die Berge fließt. In den Alpen ist es mit einer Geschwindigkeit von 3 bis 8 cm/Tag unterwegs. Auf den ersten Blick sehen Tal-Gletscher nicht so spektakulär wie Schelfeis-Gletscher aus. Das liegt einfach daran, dass ständig Felsgestein jeder Größe auf dem Gletscherende und der Abschmelzkante abgelagert wird und das Eis überwiegend steingrau aussieht. Aber es ist trotzdem beeindruckend, sich den Eismassen am Gletscherfluss entlang zu nähern. Voll unter die Haut geht es dann, wenn man noch weiter geht – als es eigentlich erlaubt ist – und schon die Kälte vom Eis deutlich spürt. Hier kann man dann über der gurgelnden Wasserfläche in den Gletscher schauen.

Auch geschichtlich hat das Land einiges zu bieten. Im Areal des heutigen Georgiens befand sich das antike Königreich Kolchis, das seit 1700 v. Chr. nachweisbar ist. Erstaunlicherweise sind die Kolcher ägyptischer Herkunft und Soldaten des Herrschers Sesostris gewesen. Der Name Swanetien (Region Mestia) taucht heute noch auf den Landkarten auf. Das antike Kriegervolk der Swanen wurde schon vor 2500 Jahren von Griechen und Römern erwähnt. Erst durch die Einigung (oder Kriege) der Fürstentümer im zehnten Jahrhundert entstand Georgien. Unter König Dawit und Königin Tamar erreichte das Land seinen Höhepunkt - bis im 16. Jahrhundert alles wieder zerfiel.

Ganz anschaulich – genauer gesagt mittendrin – konnten die Reiseteilnehmer im Dorf Uschguli das Mittelalter erleben. Die Ansiedlung in Oberswanetien mit seinen 250 Menschen gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Sie war für mich neben der Laufveranstaltung in Stepantsminda das Highlight der Reise. Der Ort liegt 2.200 m über dem Meeresspiegel am Ufer des Gletscherflusses Enguri, der acht Kilometer weiter oben aus einem Gletscher des Schchara entspringt. Charakteristisch für das Dorf sind die Wehrtürme, fast immer in Verbindung mit einem Gehöft, das Wegesystem und der archaische Zustand desselben. Kühe laufen hier - wie fast überall - frei herum und seit der Zeit der Königin Tamar vor 800 Jahren hat sich wohl niemand um den Zustand der Wege zwischen den Häusern gekümmert. Für die Kombination von Gehöft und Wehrturm finden sich in der Literatur zwei Erklärungen: Blutrache bei Sippenfehden und Angriffe von äußeren Feinden.
Drei Tage haben die Aktiv-Reisenden in diesem Mittelalterort, in dem sich auch der Sommerpalast der Königin Tamar befindet, verbracht. Der Weltkulturerbe-Ort Uschguli hat den Berichterstatter derart fasziniert, dass er ein Flickr-Extra-Album „Uschguli“ (mit Bildunterschriften) angelegt hat.

Auch wie hier in der Aufeinanderfolge im Bericht hat die Kazbegi-Laufveranstaltung erst am Ende der Reise stattgefunden. Mit einer schönen Pastaparty in der eindrucksvollen Empfangshalle des Rooms Hotels wurden Läufer am Vortag auf das Rennen eingestimmt. Weniger beeindruckend war die Ausgabe der Startunterlagen. Bei der 7. Auflage dürfte der Ablauf schon geordneter über die Bühne gehen. Man sollte dabei aber nicht außer acht lassen, dass der Laufsport in Georgien wenig Bedeutung hat und dass „Visit Georgia“, ein Tourenveranstalter aus Tiflis, der Organisator des Kazbegi-Marathons ist.

Für einen Trailrun in den Bergen ist natürlich das Wetter von elementarer Bedeutung. In einer Klimatabelle (Schulz) wird die max. Temp. mit 26 °C und die Anzahl Regentage mit 8 pro Monat angegeben. Das ist alles andere als beruhigend. Aber so sind die Fakten. Nach wenig erholsamen Schlaf geht am nächsten Morgen mein erster Weg zum Fenster und - Erleichterung macht sich breit. Alles trocken. Kaum Wolken. Prima. Tagsüber werden es dann gefühlte 20 °C sein.

Vom Hotel Stepantsminda (42.657688, 44.640318) bis zum Startbereich sind es fünf Gehminuten. Hier herrscht eine ausgelassene, quirlige Stimmung und das Wetter konnte am 5. September 2016 gar nicht besser sein. Auch drei Schweine stolzieren an der internationalen Flaggenparade entlang und grunzen zufrieden in die Morgensonne. Was für ein großartiger Tag. Auf der östlichen Straßenseite bildet die 500 m höhere Gergeti Trinity Church einen besonderen Hintergrund für Gruppenfotos. Der Weg zur Kirche hinauf ist eine von zwei Pendelstrecken der Marathon- und Halbmarathonläufer. Der Moderator ruft pünktlich die 42-, 21- und 8-km-Läufer zum gemeinsamen Start in 1.700 m Höhe auf. Ich fotografiere noch die Athleten unter dem Startbanner und tauche rasch im hinteren Drittel des Starterfelds unter. Das Startsignal erfolgt – und ab geht die Post. Für mich über 21 km durch den Großen Kaukasus.

Zum Warmlaufen bietet der Parcours erst einmal 1,5 km Asphaltstraße an (am Ende kann sich der Aktive noch einmal über 1 km freuen). Dazwischen geht es auf Feld- und Schotterwegen, einer Geröllschüttung, festgefahrenen Fahrspuren und Wiesen überwiegend rauf und runter. Einzige nennenswerte Ausnahme bildet zwischendurch die Terekebene. Eine Übereinstimmung mit dem Höhenprofil in der zweiten Hälfte konnte ich kaum feststellen. Das war besonders misslich, da ich für mich abgespeichert hatte, dass nach den 500 Höhenmetern die gröbste Kletterei geschafft war.
Welche Eindrücke den 21-km-Ausdauerathleten erwarten, sieht man am besten im Flickr-Album „Kazbegi-Marathon 2016“. Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Strecke außergewöhnlich und attraktiv ist. Wenn aber Regen dazukommen sollte, sieht meine Meinung anders aus. Unbedingt sollte der Veranstalter darauf hinweisen, dass es sich um einen Trailrun handelt und ein genaues Höhenprofil liefern.

Einige Fakten aus der früheren Geschichte habe ich bereits erwähnt. Nicht minder aufregend gestaltet sich die jüngere Geschichte. Georgien hat abtrünnige Gebiete, die auch nicht betreten werden dürfen. Im Nordwesten Abchasien, im Südwesten Adscharien und im Norden Südossetien. Und dieses abtrünnige Gebiet Südossetien beansprucht wiederum Territorien südlich von Gori (Geburtsstadt von Stalin) und westlich der alten Heerstraße im Raum Kazbegi. Kazbegi liegt 10 km Luftlinie von der russischen Grenze entfernt.
In Georgien wird oft und gern von Europa gesprochen und in Deutschland häufig vermittelt, dass Georgien in Europa liegt. Richtig ist jedoch nur, dass der deutsche Leichtathletikverband das Land zu Europa zählt. Wer mehr zum Beitrittswunsch der Georgier zur EU erfahren möchte, kann in dem Zeit-Artikel „Wo die Grenzen wandern“ Georgien: Wo die Grenzen wandern |*ZEIT ONLINE
aufschlussreiche Informationen finden.

Für mich war der Kazbegi-Marathon die 28. Laufreise und ein voller Erfolg. Das Wetter konnte gar nicht besser sein, Georgien ist ein spannendes Land, das erst noch vom Tourismus entdeckt wird und die Reisegruppe war ein fröhlicher Haufen. Der Fahrer tat sein Bestes auf der 2.400-km-Tour durch Grusinien, den Adrenalinspiegel der „Germanuli“ immer wieder an den Maximalwert zu bringen. Mit ihrem Charme war Reiseleiterin Nino unermüdlich im Einsatz, den Gästen viel über Geschichte, Menschen und das Land zu vermitteln. Georgien ist ein tief religiöses Land, in dem 84 % der Bevölkerung der Georgisch Orthodoxen Kirche angehören und in dem in den 1990er Jahren Kirchenbauten religiöser Minderheiten (auch Katholiken) enteignet wurden. Und da war es für Nino auch manchmal ein hartes Geschäft zwischen einer ungezügelten Wandergruppe aus dem Westen und den religiösen Empfindungen der Georgier zu vermitteln. So im Georgischen National Museum in Mestia, als die Museumsführerin lauf schimpfend (georgisch) die Gruppe erst einmal verließ, da sie in der Nähe von religiösen Schriften andächtiges Schweigen erwartete. Diese und andere Situationen meisterte Nino mit stoischer Ruhe und freute sich, nach zwei Wochen endlich ihre zwei schulpflichtigen Kinder und ihren Mann zu sehen.

Das Essen in Tiflis mit Livemusik war ein schöner Abschluss der erlebnisreichen zwei Wochen in Georgien. Eine Laufveranstaltung auf den letzten (vollständigen) Tag einzubinden, ist weniger optimal. Bei Planungsarbeiten für den Zeitraum „Lauftag“ sollte auch ein Läufer hinzugezogen werden, der abschätzen kann, wann der letzte Schulz-Läufer in´s Ziel kommt und dass der Bus dann noch lange nicht abfahren kann. Auch, wenn dann noch eine nicht unerhebliche Fahrt Kazbegi – Tiflis, das Aufsuchen der Gaststätte für das Abschiedsessen und die Fahrt zum Hotel auf dem Plan steht. Um 03:00 h klingelte dann der Wecker für die Rückreise. Abgesehen von dieser „Kompression“ am Reiseende war ich mit den Leistungen von Schulz-Aktiv-Reisen (meine erste Reise) zufrieden.
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