Kaffeekamel hat geschrieben:Jedenfalls (wenn wer mag), Frage: hat jemand von Euch Erfahrungen mit sowas wie "langatmigem Ehrgeiz", also so Leistungsziele für sehr viel später? Da oben war schon halbernst gemeint. Also ich kann mein Leben eh derzeit nicht rund um einen Sport planen, aber ich würd gern später noch die Möglichkeit haben, wenn es gehen sollte. Oder ist das eh völliger Schwachsinn?
Hallo Kaffeekamel,
warum auch immer - dein Faden ist meiner Aufmerksamkeit bis heute entgangen. Was aber auch wieder gleichgültig ist, wenn man die Langfristigkeit deiner Gedanken ins Auge fasst. Nun ist es so, dass ich mich durchaus berufen fühle zum Thema "ambitioniertes Laufen auch noch in fortgeschrittenem Alter" beizutragen. Weil es das ist, was ich tue und auch weiterhin tun will. Dazu solltest du wissen, dass ich zwar bereits mit etwa 30 Jahren begann zu laufen, anfangs eher sporadisch, dann zunehmend regelmäßig, jedoch nie ehrgeizig. Nie mit Zielen. Außer vielleicht dem den Hund zum Gassi auszuführen, was mich letztlich zum regelmäßigen Läufer werden ließ. Motto: Nass werde ich beim Gassigehen so und so, also kann ich auch laufen ...
Wie gesagt, alles ehrgeizlos und meist auch auf kurzen Strecken von vielleicht 5, 6 Kilometern. Bei schönem Wetter auch mal deutlich länger. Ich hatte den Gedanken mal einen Marathon zu laufen und es ergab sich dann im zarten Alter von 48 Jahren die Chance diesen Wunsch zu realisieren ... weil mir jemand sagte wie das geht: Buch kaufen, Trainingsplan einhalten, nach 12 Wochen beim Berlin Marathon starten und ankommen. Dieser Erfolg hat mich verändert. Marathon war von da an das Thema, um das mein Sehnen sich ohne Unterlass drehte. Ich war verrückt darauf den nächsten zu laufen, danach den nächsten und nächsten ... Zugleich schlug eine - lass es mich mal so nennen, mir fällt grad nix Besseres ein - Macke von mir durch, die ich an mir schon kannte, auf läuferischem Feld aber nun hemmungslos auszuleben begann. Das ist die Suche nach meinen Grenzen. Ich hatte auch davor schon diverse Unternehmungen hinter mich gebracht, um einfach mal zu testen was geht. Zum Beispiel lief ich als junger Kerl an einem Freitag einfach mal los (von Höhe Augsburg aus) Richtung Allgäu, um zu sehen wie weit ich komme ... Es endete im Allgäu am Samstagnachmittag mit völlig kaputten Füßen, keine Stelle ohne Blasen ...
Beim Marathon wollte ich dann wissen, wie schnell ich ihn laufen kann, wenn ich alles aufbiete, was ich zu geben hab. Ich vertiefte mich in Theorie und Praxis, trainierte zunehmend ehrgeiziger und drückte meine Zeit bis auf knapp über 3 Stunden. Die magische Marke, an der ich mehrmals zerschellte. Einmal denkbar knapp mit 3:01:50 Stunden. Jetzt wusste ich wo meine Grenze liegt, zeitlich beim Marathon. Dann wollte ich wissen, wie lange ich laufen kann bis es nicht mehr geht. Trainierte für 100 km und stellte überrascht fest, dass das noch lange nicht das Ende ist. Im Jahr drauf wollte ich wissen, ob ich 24 Stunden lang laufen kann und wie weit. Der Versuch endete mit 219 km und einem Seniorentitel bei den deutschen Meisterschaften im 24h-Lauf. Da war ich aber schon 55 Jahre alt. Und ich wusste zu diesem Zeitpunkt: Man kann ohne Pause (von solchen, um zu essen, trinken, Toilette, ggf. umziehen mal abgesehen) weiter und länger laufen als 24 Stunden ...
Jetzt bin 66 und habe mir in mehr als 250 Marathon- und Ultraläufen die Welt erlaufen. Nach dem Wechsel auf Ultrastrecken machte ich die beglückende Erfahrung, dass ich nun Marathons und zunehmend auch Ultras als Aufbautraining laufen kann. Letztes Jahr beispielsweise insgesamt 26 mal. In jedem Jahr plane ich einen bestimmten Lauf als Saisonhöhepunkt. Zu diesem Zeitpunkt möchte ich im Zenit meiner Leistungsfähigkeit stehen. Alle anderen Läufe haben sich in der Funktion Trainingsaufbau diesem Höhepunkt unterzuordnen. Ich bin also nach wie vor ehrgeizig und bescheide mich nicht damit nur anzukommen. Mir ist wichtig zumindest beim Saisonhöhepunkt meine bestmögliche Leistung abzuliefern.
Aber und hier wird es nun für dich interessant: Als ich begann Mararthon zu laufen und läuferisch Ehrgeiz zu entwickeln, neigte sich die Kurve meiner körperlichen Leistungsfähigkeit im Grunde schon talwärts. Das empfand ich nicht so, weil ich durch das Training meine Ausdauer immer weiter entwickelte. Die befand sich beim ersten Marathon natürlich noch weit unterhalb dessen, was ich zu jenem Zeitpunkt an Potenzial aufzuweisen hatte. Darum ging es immer weiter aufwärts. Da ich ins Ultralager wechselte und dort dann alles mögliche an Streckenlängen und Veranstaltungstypen ausprobierte, kann ich auch nicht sagen, wann sich die Kurve für mich spürbar gegen schlechtere Trainingbarkeit meines Körpers zu neigen begann. Definitiv abzubauen begann ich zwischen 60 und heute und zwar deutlich. Das, obschon ich weiterhin vehement gegen den Leistungsverfall antrainierte und meine Ambitionen nicht aufgab. Dennoch musste ich meine Ziele nach unten korrigieren.
Was ich dabei erreiche, kann sich auch im Vergleich zu Leistungen weit jüngerer Läufer noch sehen lassen. Vor allem beim Saisonhöhepunkt. Ich schreibe das, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich kurz vorm Rollator stünde. Wenn ich jammere (und ich jammere gern), dann immer noch auf ansprechendem Niveau. Stand heute habe ich nicht vor den Leistungsgedanken, den Ehrgeiz, irgendwann freiwillig aufzugeben. Es gibt einen Indikator, der mir jeweils sagen wird, welche Streckenlängen ich noch angehen werde. Beispiel: Ich werde meinen letzten Marathon dann laufen, wenn es mir trotz ambitionierten Trainings nicht mehr gelingt eine einigermaßen flache Strecke komplett durchzulaufen. Wenn es so weit sein wird, ergibt Marathonlauf keinen Sinn mehr für mich. Ich bin Läufer und Läufer laufen.
Zu dir: Es ist in jedem Alter möglich seinen Körper zu trainieren. Sowohl hinsichtlich der Ausdauer, als auch was andere Konditionsanteile (z.B. Kraft, Kraftausdauer, usw.) angeht. Der Körper bleibt bis zuletzt anpassungsfähig. Allerdings schwindet die Trainierbarkeit. Einerseits weil die für Ausdauer zuständigen Prozesse schwächer werden. Aber auch, weil man sich in höherem Alter keine beinharten Trainingsmethoden mehr zumuten sollte, die das Risiko der Verletzung in sich tragen. Man - ich zum Beispiel - kann immer noch "hart" trainieren, muss dieses Training allerdings anders gestalten als noch vor 5 Jahren. Wenn ich dich richtig lese und verstehe, geht es dir darum derzeit eine Art "Basistraining" aller konditionellen Fähigkeiten zu betreiben, das so lange durchzuhalten bis du zeitlich frei bist und dann deinem Ehrgeiz die Zügel schießen zu lassen.
Das ist möglich. Allerdings musst du auf dem Weg dahin wirklich so weit irgend möglich an dir arbeiten. Und wenn es so weit ist, dass du umfangreicher wirst trainieren können, dann darfst du nicht den Fehler begehen zu überziehen. Und du solltest dir schon heute darüber im Klaren sein, dass deine Leistungen in dieser noch 20 und mehr Jahre entfernten Zukunft - trotz allen Einsatzes - schlechter sein werden, als das, was du heute mit weit geringerem Aufwand erreichen kannst, vielleich auch jetzt schon erreichst.
Mit 75 und älter noch Halbmarathon zu laufen ist nicht unwahrscheinlich, wenn man läuferisch "dran bleibt". Wenn keine Erkrankung oder Verletzung dem Treiben ein Ende bereitet, geht das auch noch um einiges später. Um das nachgewiesen zu bekommen, brauchst du nur die einschlägigen Ergebnisse dieser Veranstaltungen anzusehen. Nimm dir einen großen Marathon, Berlin, Frankfurt, usw. mit vielen tausend Teilnehmern und schau dir an wie viele Opas und Omas da noch mitlaufen. Und nicht vergessen: Da stehen abertausende nicht drin, die das genauso könnten, nur keine Lust zum Laufen haben ... Marathon mit 80 ist nicht utopisch - einen gesunden und kontinuierlich trainierten Körper vorausgesetzt.
Auch Menschen über 60 können noch zu laufen beginnen und Beachtliches erreichen. Diese Feststellung machen Menschen, die nach bösen Krankheiten zum Beispiel in der Reha dazu animiert werden und feststellen, dass Laufen etwas Schönes sein kann. Ich kann mich da nur wiederholen: Die Trainierbarkeit des menschlichen Körpers bleibt bis ins hohe Alter erhalten. Und mit klugem Training kann man auch in diesen Lebensabschnitt zu guten Leistungen vorstoßen.
Ich wünsche dir Laufspaß, jetzt und "immerdar".
Gruß Udo