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Wie ist das mit dem falschen Ehrgeiz und dem Übertraining wirklich?

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jojo385 hat geschrieben:Könnte es bei mir Übertraining sein:
ich habe gefühlt dauerhaft Schmerzen in den Beinen - vor allem vorne am Schienbein... Immer wenn ich auftrete, gibt es mir vorne einen leichten Stich. Des weiteren habe ich so starken Muskelkater in den Oberschenkeln, dass er gefühlt gar nicht mehr weg geht.
Danke für eure Hilfe und über Tipps würde ich mich sehr freuen.
Grüße, Johannes :)
Abgesehen davon, dass deine Anfrage zu wenig genau darstellt, was und wie du trainiert hast, schließe ich mich der Auffassung von bones an.

Übertraining ist ein krankhafter Zustand, den ein Athlet durch vielfache Überlastung seines Körpers über längere Zeit erleidet. Und er äußert sich weniger in Schmerzen, als in rätselhafter Schwäche und für Infektionen typischen Körperreaktionen. Übertraining ist 1) nicht leicht zu diagnostizieren und 2) wenn eingetreten auch nur über längere Zeit wieder zu beheben.

Wenn Läufer davon sprechen, dass sie "übertrainiert" sind, dann meinen sie üblicherweise damit den Umstand ein paar Trainingseinheiten lang zu viel von sich verlangt zu haben. Das ist aber nicht weiter dramatisch, wenn man richtig darauf reagiert und sich in den folgenden Tagen zurückhält. In diesem - und nur in diesem - Sinne, hast auch du dich "übertrainiert". Vermutlich ...

Gruß Udo
"Faszination Marathon", die Laufseite von Ines und Udo auch für Einsteiger. :hallo:
Mit Trainingsplänen für 10 km, Halbmarathon, Marathon und Ultraläufe

PB: HM: 1:25:53 / M: 3:01:50 / 6h-Lauf: 70,568 km / 100 km: 9:07:42 / 100 Meilen: 17:18:55 / 24h-Lauf: 219,273 km
Deutsche Meisterschaft im 24h-Lauf 2015: 10. Gesamtplatz, Deutscher Meister in AK M60 (200,720 km) / Spartathlon 2016: 34:47:53 h

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Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen Übertraining und Überlastung- leider werden die Begriffe häufig synonym verwendet. Das was die meisten Läufer kennen und was auch bei dir sicher der Fall ist, ist Überlastung- der Muskeln und passiven Strukturen.

Übertraining in der wirklichen Bedeutung dürften die wenigsten in diesem Leistungsbereich kennen
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Hallo Udo
spät aber doch - vielen lieben herzlichen Dank für diesen schönen und langen Beitrag, aus dem ich echt viel für mich mitnehmen kann!!!
U_d_o hat geschrieben:Ich hatte den Gedanken mal einen Marathon zu laufen und es ergab sich dann im zarten Alter von 48 Jahren die Chance diesen Wunsch zu realisieren ... weil mir jemand sagte wie das geht: Buch kaufen, Trainingsplan einhalten, nach 12 Wochen beim Berlin Marathon starten und ankommen.
Ok, in 12 Wochen zum Marathon find ich echt eindrucksvoll. Das ist dann wohl ein Zeichen für "Begabung zur Langdistanz", oder?
U_d_o hat geschrieben:Die magische Marke, an der ich mehrmals zerschellte.
Das finde ich spannend, dass es auf der einen Seite diese "Tempounüberwindbarkeitsmarke" gab, andererseits
U_d_o hat geschrieben:Der Versuch endete mit 219 km und einem Seniorentitel bei den deutschen Meisterschaften im 24h-Lauf. Da war ich aber schon 55 Jahre alt. Und ich wusste zu diesem Zeitpunkt: Man kann ohne Pause (von solchen, um zu essen, trinken, Toilette, ggf. umziehen mal abgesehen) weiter und länger laufen als 24 Stunden ...
dann in diesem Bereich so eine Top Performance stand. Ich denk es gibt wohl für Jeden sowas wie die "perfekte" Distanz, die auf der die Leistung den Hügelgipfel der individuellen Leistungsfähigkeit erreicht. Bei Dir scheint die irgendwo im Unendlichen zu liegen. 219 km, wenn ich das schon hör.....
Aber zugegeben, das längste was ich in meinem bisherigen Leben gelaufen bin, war die Halbmarathondistanz im Jahre Schnee. Und derzeit hätt ich zu viel Angst um meine Gelenke, um einfach so immer weiter zu rennen. Gemächlich steigern tu ich soweit es die Zeit zulässt sowieso. Ich wird ja sehen, was die Zukunft bringt....
U_d_o hat geschrieben:Da ich ins Ultralager wechselte und dort dann alles mögliche an Streckenlängen und Veranstaltungstypen ausprobierte, kann ich auch nicht sagen, wann sich die Kurve für mich spürbar gegen schlechtere Trainingbarkeit meines Körpers zu neigen begann. Definitiv abzubauen begann ich zwischen 60 und heute und zwar deutlich.
Das ist interessant. Ich glaube, gerade für diese Ultradistanzen gibt es nicht so viel Erfahrungswerte, wie da die Alterskurve verläuft. Jedenfalls bin ich beeindruckt, was da offensichtlich geht. Motiviert mich auch sehr.
U_d_o hat geschrieben: Ich bin Läufer und Läufer laufen.
Das find ich schön und griffig. Ja, wenn das mit dem Gehen anfängt, würd ich auch beginnen nachzudenken...
U_d_o hat geschrieben:Wenn ich dich richtig lese und verstehe, geht es dir darum derzeit eine Art "Basistraining" aller konditionellen Fähigkeiten zu betreiben, das so lange durchzuhalten bis du zeitlich frei bist und dann deinem Ehrgeiz die Zügel schießen zu lassen.
Exakt, das wäre der Plan. Meinen Körper in die Verfassung zu bringen, dass das möglich wird.
U_d_o hat geschrieben:Das ist möglich. Allerdings musst du auf dem Weg dahin wirklich so weit irgend möglich an dir arbeiten. Und wenn es so weit ist, dass du umfangreicher wirst trainieren können, dann darfst du nicht den Fehler begehen zu überziehen. Und du solltest dir schon heute darüber im Klaren sein, dass deine Leistungen in dieser noch 20 und mehr Jahre entfernten Zukunft - trotz allen Einsatzes - schlechter sein werden, als das, was du heute mit weit geringerem Aufwand erreichen kannst, vielleich auch jetzt schon erreichst.
Ja, das ist genau so. Das muss ich dann klar vor Augen haben. Aus jetziger Sicht kann das gerade für mich tendenziell eine problematische Zeit werden. Wenn der Arbeitsalltag zu Ende ist. Und dann schnell ein "andere Lebensmittelpunkt" hersoll (mein Kind wird dann auch schon eindeutig kein Kind mehr sein). Das immer gut im Kopf zu haben, ist definitiv wichtig.
U_d_o hat geschrieben:Marathon mit 80 ist nicht utopisch - einen gesunden und kontinuierlich trainierten Körper vorausgesetzt.
Das klingt für mich urschön - aber ich denk da gehört schon Glück und Genetik auch dazu.
U_d_o hat geschrieben:Ich wünsche dir Laufspaß, jetzt und "immerdar". :daumen:

Gruß Udo
Danke für diesen lieben Wunsch. Der ist genau richtig für mich
Liebe Grüsse
Das Kaffeekamel

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Zum Übertraining: auf die Gefahr hin gesteinigt zu werden, ich glaub, Übertrainingssymptome können beim Hobbysportler vorkommen. Übertraining kann aufgrund körperlicher Faktoren auftreten, das erleben wohl wirklich so nur die Leistungssportler, aber es hat auch eine mentale Komponente. Leistungssportler, die "perfekt" in ihrem Trainingsplan performen, deren Leistungskurve rein körperlich "passt", können davon auch betroffen sein - weil es eine mentale Komponente gibt. Belastende Ereignisse im Privatleben lösen zB die typischen Beschwerden aus, weil sie auf eine Belastung an der Grenze "draufgepackt" werden (zB Cadegiani FA, Kater CE (2019) BMJ Open Sport Exerc Med 5(1):e000542). Ebenso, würde ich jetzt meinen, kann ein Hobbysportler, der im Beruflichen an der oberen Grenze belastet ist, wenn er im Training ehrgeizig wird, durch dieses zusätzliche "Packerl" die Grenze überschreiten, und dann auch die gleichen Probleme bekommen. In diesem Fall ist das "Hauptpackerl" nicht der Sport, es ist mehr sowas wie "relatives Übertraining". Aber ich glaube, ganz prinzipiell reagiert der Organismus auf die Summe der Belastungen. Ich hoffe, es ist halbwegs verständlich was ich meine.
Schmerzende Schienbeine sind jedenfalls was anderes, da stimme ich uneingeschränkt zu.

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Hallo Kaffeekamel,

du hast dir die Mühe gemacht meinen Beitrag in Teilen zu kommentieren/hinterfragen, deshalb möchte ich darauf antworten.

Ich habe natürlich mit 48 Jahren nicht urprlötzlich angefangen zu laufen. Da lief ich schon ziemlich lange. Nur ohne Ambition. Mit 48 habe ich erstmals einen Trainingsplan für einen Marathon trainiert. Der dauerte 12 Wochen setzte aber auf der Fähigkeit Halbmarathon relativ flott zu laufen auf.

Ich bin mir und meinem Talent fürs Laufen mittlerweile ziemlich auf die Schliche gekommen, auch wenn ich nun auf dem absteigenden Ast arbeite. Ich kann mir über viele Kilometer Ausdauer sehr gut erarbeiten (bzw. konnte das in der Vergangenheit). Dazu kommt, dass ich über einen robusten Körper verfüge, eher nicht verletzungsanfällig. Das scheint der Tatsache zu widersprechen, dass ich durchaus ein paarmal relevant verletzt war. Das jedoch nur, weil ich immer den Grenzbereich auslotete. Das wars dann aber auch schon an physischem Talent. Was den Körperbau angeht, habe ich ein klares Manko zu verzeichnen: Zu groß, zu massiv gebaut, damit zu schwer. Der schnelle Langstreckler ist höchstens mittelgroß und ein Federgewicht (= Kenianer). Was meist vergessen wird: Fast noch wichtiger als physische Talente sind mentale. Gemeint ist Willenskraft den Härten in Training und Wettkampf zu widerstehen und Leidensfähigkeit. Gerade was Letzteres angeht verzeichne ich ein klares Plus. Ich bin defnitiv bei den Letzten, die aufgeben. Und bisher ist das nie nötig gewesen.

Es gibt jede Menge "Erfahrungswerte" wie die Leistungskurve für Ultras im Alter verläuft. Das liegt daran, dass der "typische Ultraläufer" ohnehin älter ist. Und wenn du dir die Einlauflisten von Ultraläufen anschaust, dann wirst du sehen, dass dort immer noch LäuferInnen M70/75 dabei sind. Dass es dann immer weniger wird, hängt - da spreche ich nun SEHR von mir selbst - meines Erachtens mehr von einer anderen Tatsache ab: Ich habe an mir beobachtet, dass ich immer bequemer werde. In dem Sinne, dass mir unschöne Begleiterscheinungen von Wettkämpfen und im Training zunehmend zuwider sind. Frühes Aufstehen zum Beispiel, Laufen bei miesem Wetter (das ist für mich nasse Kälte vor allem), usw. Ich bin mir sicher, dass mancher M70/75/80-Läufer/Läuferin durchaus noch könnte. Dass sie sich aber eher mit kürzeren Strecken bescheiden oder eben damit drei-viermal die Woche einfach ne Stunde zu joggen. Was ja auch superschön ist und wonach ich mich oft sehne, wenn mir mein Ehrgeiz gerade mal wieder auf den Wecker geht und das Training mich entsetzlich schlaucht ...

Ich wünsche dir das Beste :daumen:

Gruß Udo
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PB: HM: 1:25:53 / M: 3:01:50 / 6h-Lauf: 70,568 km / 100 km: 9:07:42 / 100 Meilen: 17:18:55 / 24h-Lauf: 219,273 km
Deutsche Meisterschaft im 24h-Lauf 2015: 10. Gesamtplatz, Deutscher Meister in AK M60 (200,720 km) / Spartathlon 2016: 34:47:53 h

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Hallo Kaffeekamel,

gestern saß ich mal wieder im Wartezimmer meines Sportarztes (irgendeinen Grund, um unsere gute Beziehung zu pflegen gibt es eigentlich ständig ... leider :wink: ). Der hat für seine laufende Kundschaft das Heft abboniert, dessen Namen du am oberen Rand deines Bildschirms, blau umrahmt eingeblendet siehst. Natürlich greife ich jedes Mal im Wartezimmer nach genau dieser Lektüre, wenn auch relativ distanziert. Unter anderem, weil darin das Rad immer wieder neu erfunden und dann mit neuer Dekoration präsentiert wird. Aber egal: In einem Artikel (aktuelle Ausgabe, Februar) war die Rede von der Trainierbarkeit des menschlichen Körpers. Es wurde auf eine (ich glaube) spanische Studie verwiesen, die eine Gruppe von Probanden zwischen jung und alt dahingehend untersuchte, welche Wirkung regelmäßiges Training auf deren Körper hatte. Das Ergebnis der Studie belegt, was ich in meinem Beitrag hier schon anmerkte, dass der Körper eines jeden Menschen unabhängig von seinem Alter trainierbar ist (welche Überraschung, das war doch schon vorher bekannt) Auch die ältesten Teilnehmer an der Studie konnten durch Training ihre spezifische Leistungsfähigkeit merklich verbessern. Es wurde aber auch betont, dass so etwas wie Training auf Vorrat, um eine Pause zu überbrücken, nicht möglich ist. Wessen Training aussetzt, der büßt seine Leistung ein (seltsam: auch das habe ich mehrfach schon anderswo gelesen und bedauerlicherweise immer wieder am eigenen Leib erfahren).

Aus der Trainierbarkeit in jedem Alter könnte man immerhin den Schluss ziehen, dass es sinnlos für dich ist in gebremstem Umfang zu trainieren, bis du dereinst mit mehr Einsatz und zu höheren Zielen hin dein Training intensivierst. Das hielte ich jedoch für einen Trugschluss. Wenn du am Ball bleibst, wirst du dereinst auf einem relativ hohen Niveau deinen Einsatz erhöhen können. Ich weiß aus Erfahrung, dass der Beginn bei "null", umso schwieriger und härter ist, je älter man wird. Ich musste nach Verletzungen und Auszeiten immer wieder einmal bei null beginnen und das war umso weniger "spaßig" je älter ich wurde.

Gruß Udo
"Faszination Marathon", die Laufseite von Ines und Udo auch für Einsteiger. :hallo:
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PB: HM: 1:25:53 / M: 3:01:50 / 6h-Lauf: 70,568 km / 100 km: 9:07:42 / 100 Meilen: 17:18:55 / 24h-Lauf: 219,273 km
Deutsche Meisterschaft im 24h-Lauf 2015: 10. Gesamtplatz, Deutscher Meister in AK M60 (200,720 km) / Spartathlon 2016: 34:47:53 h
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