Ich tue mir schwer die richtigen Worte für die heutige zweite Etappe des Trailcups, den Himmelsleiter-Trail im Rahmen des Gelita Trail-Marathon zu finden. Zu viele unterschiedliche, teils widersprüchliche, Gefühle sind heute in knapp 2 Stunden auf mich hereingeprasselt.
Doch erst einmal zu den Rahmenbedingungen. Im Vergleich zu den letzten Jahren gab es einige kleine Änderungen. Neben den bekannten Distanzen über 42km, 30km, 9km und den Kinderläufen wurde dieses Jahr erstmals auch eine Long-Distance-Wertung über ca. 50km und ca. 2.000Hm angeboten, weitesgehend identisch mit der Marathon-Distanz jedoch mit einer zusätzlichen Schleife im Bereich des NSG Felsmeer, einer landschaftlich äußerst reizvollen Passage an der Nordseite des Königstuhls.
Aber auch Marathon und Half-Trail bekamen ein Update in Form einer leicht veränderten Streckenführung vom ersten Peak hinab zurück zum Neckar.
Beim Himmelsleitertrail ging man wieder auf das Streckenprofil von 2017 zurück, welches auf den ersten beiden Kilometern in, durch und aus dem Schlosshof zur Himmelsleiter hin führt. Läuferisch und optisch sicherlich die bessere Variante für die Veranstaltung, mir persönlich sagte die letztjährige Streckenführung mehr zu.
Der Tag beginnt für mich erstmal recht unspektakulär. Zwar hatte es bei uns die Nacht hindurch stark gewindet, was mich mehrmals aus dem Schlaf geholt hat, doch fühle ich mich eigentlich recht gut und freue mich, nachdem ich erstmal richtig wach geworden bin, auf den Lauf.
Für den Vormittag ist Regen angesagt bei ca. 9-10°C. Dazu weht weiterhin ein kalter, teilweise stark böiger Wind, was mir die Entscheidung etwas wärmere Kleidung einzupacken recht leicht macht.
Wie üblich parke ich etwa 2 Stunden vor Beginn oberhalb des Schlosses, wandere noch etwas durch den Wald, sammle Kastanien und begehe den für mich kritischsten Streckenabschnitt ca. 3km vor dem Ziel.
Mein Hauptproblem ist zu diesem Zeitpunkt die Schuhwahl. Trailschuhe mit Hinblick auf den technischen Trails bergab mehr Grip zu haben, dafür deutliche Nachteile auf Kopfsteinpflaster und Asphalt, besonders wenn feucht oder nass, oder Straßenlaufschuhe, mit der Gefahr auf den Trails etwas weniger Grip zu haben?
Es tröpfelt zwar ein wenig aber trotzdem ist der Boden trocken und die Streckenbeschaffenheit der letzten Tage lässt beide Varianten zu. Aus einem Bauchgefühl heraus entscheide ich mich für die Trailschuhe, den Vorteil im Wald sehe ich größer, als den Nachteil auf Asphalt.
Eine Stunde vor dem Start mache ich mich auf den Weg hinunter zum Veranstaltungsgelände am Karlsplatz. Warme Tight, Shorts drüber, langärmliges Baumwollshirt, Singlet und zur Sicherheit eine Regenjacke und Schirmmütze im Gepäck. Auf halben Weg hinunter beginnt es langsam stärker zu regnen.
Um 11 Uhr starten die anderen Distanzen auf ihre Reise und wir schlagen uns noch eine halbe Stunde mit Aufwärmen um die Ohren.
Mittlerweile habe ich mich entschieden, dass sowohl Regenjacke als auch Mütze mich auf den anstehenden 9 Kilometern begleiten werden, denn Wind und Regen haben nunmehr eine Intensität angenommen, die sich nicht mehr mit meiner Brille verträgt. Zur Sicherheit plünder ich auch noch ein Dixi-Klo und stopfe sicherheitshalber eine beachtliche Menge Klopapier zum Brilleputzen mit ein.
Dann geht es auch schon endlich los.
Rund 200 LäuferInnen bahnen sich einige flache Meter auf der Hauptstraße stadtauswärts und biegen dann nach rechts auf den Weg hinauf in den Schlosshof ein, zuerst ein Stück geradeaus, dann zickzack bis an die beeindruckenden Mauern des Heidelberger Schlosses, weiter nach oben und nach links Richtung Schlosspark. So sind gleich mal auf ca. 500m etwas mehr als 80Hm zurückgelegt.
Im Schlosspark angekommen ahnt man schon ein wenig, was uns noch erwarten wird. Der sandige Boden ist zwar noch recht hart, doch überall bilden sich große Pfützen und ruckzuck beginnen die ersten Schwimmhäute an den Zehen zu wachsen.
Über eine Rampe geht es eine Ebene weiter nach oben und wieder raus aus dem Schlosspark über die Straße Richtung Himmelsleiter.
Da ich Kraft für die Treppe sparen will gehe ich alles noch recht gemäßigt an und laufe nur nach Gefühl. Noch fühlt sich alles ok an. Als es nach 2km und 170Hm auf die Leiter geht, schaue ich das erste Mal auf die Uhr und bin geschätzt eine Minute hinter meiner Zeit von 2018. 2017 war ich rund 6 Minuten langsam als 2018 insofern halte ich diese Zeit noch für akzeptabel.
Das erste Stück auf der Leiter ist rund 170m lang aber schon nach wenigen Metern zweifle ich an mir selbst. Waden und Oberschenkel meckern. WTF? denke ich mir. Zwar hatte ich schon in der letzten Trainingseinheit an der Treppe Mitte dieser Woche in paar Probleme, suchte die Ursache aber eher in der relativ stressigen Arbeitswoche.
Kurz vor der ersten Kreuzung nimmt das Elend endgültig seinen Lauf. Meine Brille beschlägt. Ich nutze die Ausrede, die Brille putzen zu müssen und bleibe kurz stehen, will die Tücher aus der Tasche holen und stelle fest... sie sind bereits völlig durchgeweicht. Also geht es erstmal im Blindflug weiter.
An der zweiten Kreuzung verlassen wir die Leiter kurzzeitig nach links auf einen Waldweg. Glücklicherweise stehen dort zwei Zuschauer, die mir ein Tempo leihen können und so habe ich zumindest für wenige Meter etwas mehr Durchblick.
Allerdings kann ich nicht mehr anlaufen. Mir fehlt die Kraft dazu. Die Strecke über den Weg und dann nach rechts auf einen kurzen Trail zurück auf die Treppe muss ich komplett gehen. Eine Strecke, die ich normalerweise im Training locker jogge zwingt mich in die Knie. Es ist frustrierend. Kurzzeitig überlege ich sogar aufzugeben.
Dass die Brille schon wieder beschlägt macht die Sache nicht besser.
Mittlerweile haben mich unzählige Läufer überholt und ich wähne mich irgendwo im letzten Drittel des Feldes. Bevor ich zurück auf die Himmelsleiter komme, bleibe ich nochmal stehen, putze so gut wie möglich die Brille und entschließe mich den Lauf abzuschenken. Die restlichen rund 400m auf der Himmelsleiter werden zum halbblinden Spaziergang. Interessanterweise merke ich so gar nicht, dass ich vorankomme. Das einzige was ich wirklich wahrnehme ist der Regen, der sich unablässig durch das Blätterdach bahnt.
Eigentlich das perfekte Wetter, denke ich mir, wäre nicht der Mist mit der Brille. Ich rechne damit ungefähr 5-6 Minuten hinter meiner Zeit von 2017 zu liegen, schaue aber bewußt nicht auf die Uhr, irgendwann wird die Treppe schon zuende sein und dann schauen wir weiter.
Plötzlich bin ich oben. Ich hatte gar nicht damit gerechnet, aber vor mir wird es hell und die letzten Stufen sind überwunden. Der Gipfel liegt in den Wolken und ein Blick hinunter ins Tal offenbart grau in grau. Die Stadt selbst ist nicht zu sehen. Kurzzeitig überkommt mich dann doch die Neugier und ich schaue auf die Uhr.
Gerade einmal ca. zweieinhalb Minuten bin ich hinter meiner Zeit von 2018. Obwohl eigentlich unwichtig hebt es meine Laune ein wenig und bevor ich mich an den Abstieg mache, schnappe ich mir Tücher aus einem Dixi-Klo, putze die Brille und gehe los in die Kammerforster Hohle.
Vor 4 Tagen hatte ich den Weg im Training nochmal inspiziert, viel Geröll, Wurzeln, Steine, aber recht hart und gut zu laufen. Ich bin mir sicher, dass es heute morgen noch genauso war, doch jetzt hat sich der Hohlweg in einen Bach verwandelt. Ich bin unendlich froh mich für die Trailschuhe entschieden zu haben. Der Weg, der in der Ausschreibung nicht umsonst als einer der gefährlichsten Abschnitt der Strecken, benannt ist, ist von Anfang an schmierig und schlammig, an manchen Stellen tief, an anderen ist der Untergrund noch hart, die Oberfläche jedoch bereits aufgeweicht. Und zu allem Überfluss beschlägt das rechte Brillenglas.
Es wäre vermutlich vernünftiger irgendwo kurz stehenzubleiben aber hab' ich keine Lust. Jetzt ist auch eine Spur Trotz dabei. Solange ich noch was sehe, wird auch gelaufen.
Auf der Hälfte der Hohle kreuzen wir nochmal einen Weg und ich muss letztlich doch noch einmal kurz anhalten, um wieder den Durchblick zu erhalten. Vermutlich nicht das letzte Mal, denke ich mir. Und wieder gehen ein paar Plätze flöten.
Aber jetzt macht mir der Lauf richtig, richtig Spaß. Der technische Trail ist herausfordernd und jeder Schritt wirft die Frage auf, ob der übernächste sicher sein wird. Die Füße schwimmen, mit jedem Aufsetzen spritzt das Wasser in alle Richtungen, Schlamm klebt an den Schuhen, ich rutsche, Steine rollen... es ist einfach nur geil.
Als der Trail zuende ist, gibt es erst einmal einen Kilometer Waldweg zum Erholen. Aber nicht für mich. Jetzt will ich mal ein wenig Gas geben. Leicht bergauf geradeaus, dann in einer weiten Linkskurve hole ich mir wieder einige Plätze zurück bevor es nach links in den letzten Trailabschnitt geht. Ruckzuck sind die Plätze wieder weg, aber jetzt kann ich wenigstens noch etwas flüssig laufen. Ich könnte schneller aber will das Risko nicht eingehen.
Den kurzen Trail hinunter, nach links auf ein weiteres kurzes Stück steinigen Waldweg und um 180° nach rechts leicht profiliert auf einem schmalen, seitlich geneigten Pfad parallel zur Zufahrtsstraße Richtung Molkenkur.
Ich weiß es bis dato nicht, aber - obwohl die Bedingungen deutlich schlechter sind - habe ich im Vergleich zu 2017 vom Gipfel bis hierher fast anderthalb Minuten gutgemacht.
Etwa 2.5km vor dem Ziel wird es nochmal etwas tricky. Eine kurze, äußerst rutschige Steintreppe hinunter und dann abwärts um das Teufelsloch herum auf einer Mischung aus Waldweg, Kopfsteinpflaster und großen Steinplatten. Jetzt ist es mit den Trailschuhen dort sehr schlüpfrig und ich muss am äußersten Rand laufen, damit ich mich nicht auf dem nassen Pflaster der Länge nach hinlege.
Nachdem das kurze Stück vorbei ist, bekomme ich nochmal Lust auf etwas Tempo und damit meine ich dieses Mal nicht das Taschentuch. Für einen richtigen Schlussspurt ist es mir zu nass aber ein vernünftiges Mittelmaß ist schnell gefunden. Das letzte Stück auf dem Waldweg und die Zufahrtsstraße zum Schlosshof sind leicht abschüssig, so dass ich etwas aufpassen muss, aber auf dem sandigen, aufgeweichten Boden des Schlossparks kann ich es nochmal kurz fliegen lassen.
Den letzen rund 800m über Asphalt und Kopfsteinpflaster lasse ich es dann austrudeln. Sicher ist sicher, bevor es mich auf dem abschüssigen Weg vielleicht doch noch zerlegt. In der letzten Kurve vor dem Ziel schau ich nochmal auf die Uhr, erwarte eine Zeit so etwa zwei bis drei Minuten schlechter als 2017 und sehe stattdessen, dass ich fast zeitgleich mit der Zeit von vorletztem Jahr bin. Noch rund 20 Sekunden, durch das Zelt auf den Karlsplatz und ins Ziel.
Der Dauerregen läd leider nicht dazu ein noch auf dem Gelände zu bleiben und so geht's nach dem Umziehen direkt nach Hause zu einem warmen Bad.
Fazit: So herrlich die Strecke bei diesem Wetter zu laufen war, so ungeeignet finde ich das Veranstaltungsgelände, da letztendlich viel zu beengt für alle Teilnehmer, nur ein kleines Zelt zum Unterstellen ist einfach zu wenig. Startnummernausgabe und Maultaschenparty am Vortag liefen einwandfrei. Was mich auf dem Lauf ein wenig verwundert hat, war, dass an der Treppe gleich an zwei stellen Sanitäter bereitstanden, hinunter an den technischen Passagen jedoch gar keine.
Auch wenn ich mit meinem Lauf nicht zufrieden bin, hab' ich's letztendlich doch noch richtig genossen.
Die Zeit mit 1:05:22 und am Ende Platz 82 von 212 ist mir relativ egal. Als wichtigste Erkenntnis nehme ich mit, dass ich bei kaltem Regenwetter unter Umständen besser wieder mit Kontaktlinsen statt mit Sportbrille laufen sollte. Für kommendes Wochenende, zum Abschluss des Trailcups ist zum Glück wieder besseres Wetter angesagt.