Hauptmieter hat geschrieben:Lieber Udo
gerne habe ich deinen Jahresrückblick gelesen, diesmal mit besonderem Interesse und Genuss, da wir uns ja mehr als einmal über den Weg gelaufen sind. Besonders sind mir zwei Dinge deines Laufjahres hängen geblieben.
Zum Einen der Moment, in dem ich lesen musste, dass du einen Wettkampf vorzeitig beenden musstest. Ich konnte es nicht glauben, musste zwei Mal lesen. Wer dich und deinen Ehrgeiz kennt, weiß, was das für dich bedeutet haben muss.
Der zweite Punkt ist die unfassbare Leistung, wie du den Mauerweglauf durchzogst, erlittest, immer durchhieltet. Wir saßen vor dem Start zusammen, ich machte mir fast in die Hosen vor Nervosität, weil ich ahnte was mir bevorstehen würde und du angespannt, weil du ganz genau wusstest, was für Leiden vor dir stehen. Aber du bist deiner Natur gefolgt, bist jeden Schritt gelaufen, hast jeden Schritt erkämpft. Bei den Verpflegungsstationen schwanktest du vor Erschöpfung und liefst weiter. Am nächsten Morgen saßen wir ja zusammen und berichteten uns gegenseitig von unseren Erlebnissen. Diese Mentalität von dir ist ganz großes Kino. Ich habe versucht in Berlin immer weiter zu laufen, konnte es aber nicht, sei es Erschöpfung, sei es Kohlenhydrahtmangel, ich schaffte es nicht. Und in Sachen Mentalität sind du und Mike meine großen Vorbilder: Du, weil du wie eben beschrieben immer weiterläufst und Mike, weil er bei seinem Jahreshöhepunkt bis zum Umfallen gelaufen ist und ich glaube nur so bewältigt man solche Distanzen.
Richtig finde ich deine Entscheidung im nächsten Jahr kleinere Brötchen zu backen, einerseits sind diese groß genug, andererseits hätte der eine längere Lauf meiner Meinung nach nicht hereingepasst zu deinen sonstigen geplanten Wettkämpfen.
In Sachen Ines tut es mir leid, ich wünsche Dir bzw Euch, dass ihr bald wieder zusammen beschwerdefrei laufen könnt. Ein kleines bißchen beneide ich Euch auch um die Möglichkeit irgendwann wieder zusammen laufen zu können.
Hallo Cornelius,
vielen, lieben Dank für deine guten Wünsche, auch für Ines. Immerhin kann sie nun wieder Autofahren (also auch Arbeitengehen), mit Roxi Spaziergänge unternehmen, ins Fitnessstudio gehen und all die großen und kleinen Dinge selber regeln, die über Wochen ich für sie erledigt hab. Es geht also vorwärts aufwärts. Bis zum ersten Läufchen ... na ja, das wird noch dauern. Dazu muss sie dann wohl auch den Mut aufbringen und der Fuß muss völlig beschwerdefrei sein.
Was mich angeht, so werde ich sehen, was das Jahr bringt. Damit meine ich vor allem mein Leistungsniveau. Es ist klar, dass es sich kontinuierlich in Richtung weniger bewegen wird. Nur wann und wie, darüber traue ich mir keine Aussage zu. Es ist auch schwierig das rückblickend richtig einzusortieren. Zum Beispiel war es so, dass ich nach Verletzungen jeweils beträchtlich an Leistung einbüßte. Inwieweit das dann dem Alter und welcher Anteil auf die Verletzung zurückgeht, kann ich nicht sagen. Ich habe allerdings den Eindruck, das in den Lebensjahren mit der "6" in der Dekade, die Rate der Leistungseinbuße deutlich höher war, als in den 10 Jahren davor. Und speziell beim Wechsel von M60 nach M65 gibt es einen Knick. Es scheint sich also zu bewahrheiten, was ich mal irgendwo las, dass die Ausdauerleistung nicht kontinuierlich abnimmt (genauer gesagt die Trainierbarkeit des Körpers) sondern in Schüben, wobei ein markanter Mitte 60 stattfinden soll. Nachdem ich Mitte 60 nun überschritten habe, hoffe ich, dass es sich tatsächlich so verhält und ich das zuletzt erreichte Niveau auch dieses und noch ein, zwei, drei (?) Jahre länger werde halten können.
Es überrascht mich immer wieder, wie mich und das, was ich läuferisch tue, wie ich es tue, andere Läufer einschätzen. Natürlich geht mir wie Öl runter, was du schreibst, doch empfinde ich meine Art Wettkämpfe zu bestreiten nicht als außergewöhnlich. Ich habe halt meine Grundsätze und nach denen laufe ich. Der wichtigste ist nun mal der alles, jeden Meter, laufen zu wollen. Also laufe ich und wenn es sein muss - so wie in Berlin - als Zombie durch die Nacht. Ich weiß nicht, ob ich in der Spätphase eines so brutal harten Wettkampfs noch Herr meiner Entscheidungen bin oder einfach nur Sklave meiner Prinzipien. Ich würde jedenfalls in Berlin (ohne harte Anstiege) so lange laufen, bis die Beine mir diesen Dienst versagen. Nach meiner Einschätzung war dieser Punkt, obschon ich völlig ausgelaugt war und nur noch von dem "lebte", was ich mir immer wieder an Gel-Energie einwarf, noch eine ziemliche Ecke entfernt gewesen. Und wenn man sich 22 Stunden bis aufs Blut quälen kann, dann wäre es sicher möglich weitere Stunden anzuhängen. Also physisch und psychisch war das Ende noch nicht da. Keine Ahnung wann es gekommen wäre. Ich weiß, dass ich ihm nie zuvor näher war. Nicht mal beim Spartathlon oder dem für mich noch härteren Olympian Race. Und - ich hab das im Laufbericht glaub ich auch so geschrieben - ich will das Ende eigentlich nicht erleben. Am Anfang wollte ich meine Grenzen finden und war überascht, dass sie nicht kamen. Weder nach Marathon, 6h, dann 100 km und erstmals 24 Stunden mit 219 km. Ich suchte weiter und fand die Grenze nicht. Weil ich jeweils umso intensiver, härter, umfangreicher trainierte, je anspruchsvoller ich mir mein Ziel steckte. Eigentlich trainierte ich immer so, dass ich sicher war auch ins Ziel zu kommen. Das galt auch für den Spartathlon. Natürlich kann immer was passieren (besonders auf einer Strecke von weit mehr als 200 Kilometer), das einen aus dem Bewerb kegelt. Aber unter einigermaßen kontrollierten, "normalen" Umständen war ich immer sicher auch anzukommen. Dieses Selbstvertrauen ist mir stets Garant fürs Finish gewesen. Um solche Sicherheit heute noch zu schaffen, müsste ich nun, im zarten Alter von 66 Jahren für einen Spartathlon in einem Maß trainieren, vor dem ich Angst hätte. Und deshalb - fast nur deshalb - kommen solche Wettkämpfe für mich nicht mehr in Frage. Ansonsten bin ich weiterhin zu jeder "Torheit" bereit.
Mal sehen, was ich 2020 alles falsch machen werde. Irgendwas machte ich in jeden Jahr falsch. Also wird auch 2020 keine Ausnahme bilden ...
Dir wünsche ich ein Lauftraumjahr 2020 und vor allen Dingen das nötige Glück für den Olympian Race.
Auch wenn ich nicht nur schöne Erinnerungen an diese "Mörderstrecke" habe - wie gerne wäre ich 10 Jahre jünger und würde sie noch einmal angehen ...
Wir sehen uns lieber Cornelius, irgendwann, irgendwo, in Läuferklamotten
Gruß Udo