leviathan hat geschrieben:Ganz so würde ich es nun nicht sehen. Was mich mal wieder stört, ist das Ausbleiben der Berichterstattung zu diesem Weg. Und wenn man dann doch mal etwas findet, wird die Made gesucht. Den Versuch daraus positives abzuleiten oder zu lernen, konnte ich noch nicht erkennen. Warum?
Tatsächlich ist der Blick der Presse sehr einseitig, gipfelnd damit, dass z.B. die Welt (und nicht etwa Prof. Wieler, wie in dem FB-Link behauptet) auf die Todesrate von 10% in Schweden hingewiesen hat. Das ist aber am Wahrscheinlichsten der sehr niedrigen Testrate (10-30k pro Woche gegenüber mehr als 300K pro Woche in z.B. Deutschland ) geschuldet und deshalb wissenschaftlich nicht sehr interessant.
Das Problem ist halt die Übertragbarkeit der Ergebnisse. Der wichtigste Parameter dürfte dabei die sehr geringe Bevölkerungsdichte sein, Schweden liegt dabei auf dem vorletzten Platz der EU und im Vergleich zu Deutschland um den Faktor 10 geringer.
Schaut man sich z.B. Städte an, die noch am ehesten Vergleichbar wären, finde ich die Zahlen auf den ersten Blick alles andere als überzeugend:
Berlin:
3,6 Mio Einwohner
5265 Infizierte
97 Tote
Hamburg
1,8Mio EW
4368 Infizierte
91 Tote
München
1,4 Mio EW
5037 Infizierte
75 Tote
Stockholm:
1 Mio Einwohner
5826 Infektionen
921 Tote
Natürlich muss man auch hierbei die geringe Bevölkerungsdichte beachten, die dazu führen könnte, dass Stockholm deutlich mehr Patienten aus dem Umland versorgt, als die deutschen Großstädte und folglich mehr Tote aufzuweisen hat. Aber der Faktor 10 erschiene mir schon sehr hoch.
Andererseits machen wir mal eine Überschlagsrechnung. Wir wissen, dass Deutschland in den letzten Wochen mindestens um den Faktor 10 mehr Tests durchgeführt hat als Schweden, nämlich 10-30K pro Woche Tests in Schweden vs. 300-450K in Deutschland. Also schätzen wir mal, was ein "deutsches" Testschema in Stockholm nachweisen könnte, nämlich ca. 58260 Infizierte.
Wenn man jetzt die Toten durch die Infizierten teilt, was natürlich für eine aussagekräftige Todesrate Blödsinn ist, für einen groben ersten Vergleich aber hilfreich, kommt man auf:
Berlin: 0,018
Hamburg 0,02
München: 0,014
Stockholm: 0,015
Das zeigt, dass das Verhältnis Infizierte zu Tote dann doch sehr nahe beeinander liegt (Hamburg ist der Ausreißer nach oben, hat aber auch bekanntermaßen eine der höchsten Infektionszahlen pro Einwohner, insofern auch wieder stimmig).
Insofern ist für mich leider sogar fraglich, ob prinzipiell der "schwedische Weg" eine Möglichkeit wäre, über den Sommer zu kommen in einem Land unserer Bevölkerungsdichte, obwohl ich das eigentlich sehr gehofft habe. Andererseits könnte es natürlich sein, dass in Schweden zukünftig aufgrund größerer Immunität weniger Menschen sterben, und die Zahlen am Ende gleich oder sogar besser sind, das wissen wir leider nicht.
Aus den schwedischen Zahlen ist das aus meiner Sicht schlicht nicht ableitbar, insofern wird es extrem wichtig sein, endlich valide deutsche Zahlen zu haben. Wenn es aus Heinsberg wirklich mal publizierte Ergebnisse zumindest in Form eines Preprints gibt, wäre das ja schon viel. Dann hat man zumindest mal eine Zahl und kann mit ihr arbeiten.
Selbst wenn es dann Fragezeichen bezüglich Studiendesign und Analysemethodik gibt, kann man ja dennoch damit Arbeiten. Die aktuellen Maßnahmen basieren ja auf viel viel weniger verlässlichen Daten.
Meine größte Hoffnung wäre tatsächlich eine deutlich größere Bevölkerungsimmunität aufgrund der doch wohl sehr hohen Anzahl asymptomatischer Infektionen. Da gibt es jetzt erfreuliche Hinweise, aber leider auch nicht mehr. Wobei der Rückgang der Fälle in einem Land wie Schweden auch ein Hinweis sein könnte. Wir dürfen aber nicht vergessen, auch da gibt es social Distancing, keine Treffen über 50 Personen, keine Schulen ab Klasse 9 und Unis und viel Homeoffice.