leviathan hat geschrieben:Wir hatten hier vor ein paar Tagen die Diskussion über den sächsischen Innenminister und dessen Forderung, daß die Organisation dieser Gruppen über Telegram deutlich erschwert werden sollte. Diese Forderung wird nun noch deutlich verständlicher.
Nein, da die Forderung an sich aus vielerlei Hinsicht ziemlicher Unsinn und an der Realität vorbei ist. Wir haben die Diskussion leider nicht weitergeführt, das probiere ich mal jetzt. Hab ja Zeit, weil heute kein Sport mehr.
Nehmen wir mal den konkreten Fall aus dem (zugegebenermaßen reißerischen) Frontal-Beitrag. Diese Gruppe hat offen agiert und es war für die Reporter kein Problem, diese Gruppe zu unterwandern und sich sogar mit diesen Terroristen zu treffen. Sollte also für einen V-Mann auch null Problem darstellen. Klarnamenpflicht: nicht notwendig.
Exkurs: Klarnamenpflicht
Klarnamenpflicht ist ein Thema, was immer wieder hochkommt und das Kind mit dem Bade ausschüttet. Es gibt einerseits viele Aktivisten, die dadurch unnötiger Gefahr ausgesetzt werden (wer würde dann noch in Nazi-Foren gehen und dort mitdiskutieren bzw. aufpassen?) und andererseits wäre das auch ein empfindlicher Schlag gegen die Privatsphäre. Es gibt nun mal Menschen, die Themen wie z.B. ihre Krankheit Depression nicht unter Klarnamen für die Ewigkeit im Internet verewigen wollen. Und andererseits: die Hardcore-Kriminellen suchen sich dann einen Rückzugsraum und gehen aus dem Licht.
Wären wir technisch weiter was Self-sovereign Identities anginge, könnte man die Auflösung Pseudonym nach eindeutiger Identität vereinfachen. Da sind wir aber noch meilenweit entfernt. Vereinfacht: bei einem Dienst, der zur Auflösung Deiner Identität verpflichtet wäre (Soziales Netz o.ä.) wäre quasi ein eindeutiger und nur durch Gerichte auflösbarer Rückbezug zu Deiner digitalen Identität möglich.
Momentan müssen wir uns bei sowas auf die Zuarbeit der Plattform- und Netzwerkinfrastrukturanbieter verlassen (Rückverfolgung von IP-Adressen). Nicht schön, aber möglich.
Exkurs Ende.
Telegram ist nochmal ein ganz spezielles Thema, weil diese Plattform keinerlei Kontrollmechanismen durch Staaten unterworfen ist und sich auch einen absoluten Dreck um alle Anfragen von Behörden weltweit kümmert. Außer denen von Russland natürlich, die haben die wenigstens ein bisschen "an den Eiern". Liegt aber sowohl an der Nationalität der Betreiber als auch daran, dass Rechtsstaatlichkeit nicht sooo das Thema der Russen ist.
Die einzigen Fälle, in denen Telegram Kanäle gesperrt hat, war, als Google und Apple angedroht haben, dass sie die App aus den AppStores werfen. Keine wirklich gute Lösung, wir sollten uns hier nicht eigentlich unbeteiligter Technologiefirmen andienen müssen.
Ist das jetzt ein Problem? Nein. Weil wir so viele low-hanging Fruits bei Telegram haben, um die kann man sich kümmern, bevor man tiefer ins Getriebe greifen muss.
Das kann man durchaus Top-down angehen, die größten Kanäle entsprechend überwachen, Inhalte gerichtsfest dokumentieren, die Rädelsführer ermitteln (in den meisten Fällen sogar schon per Klarnamen unterwegs/bekannt, ansonsten meist easy per OSSEC ermittelbar), Anfangsverdacht aussprechen, Hausdurchsuchungen durchführen, etc. Das ganze Besteck hab ich immer wieder papageienhaft gebracht. Anschließend Kanal nach Hinweis dichtmachen, sprich Deplatforming. Bin kein Jurist, aber ich kann mir gut vorstellen, dass bei entsprechender Strafbarkeit eine Erzwingung zur Schließung durchsetzbar ist. Ist aber vermutlich gar nicht so wichtig, da wenn die Rädelsführer erstmal aus dem Spiel sind, der Kanal quasi austrocknet. Was meinst Du, was bei Lieschenmüller los ist, wenn sie in ihrem Favoritenkanal die Botschaft der Staatsanwaltschaft liest, dass der Kanalbetreiber verhaftet wurde, alle Inhalte und Teilnehmerdaten gesichert sind? Genau, *kreisch*
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Hatte die Tage noch geschrieben, dass ich mir von der neuen Regierung Initiativen wünsche und die haben auch Ideen. Beispielsweise Schwerpunktsstaatsanwaltschaften, die genau solche Themen bündeln. Macht absolut Sinn, nicht überall (vorsichtig formuliert) sitzen die Cracks, die wissen, wie man Skripte schreibt um die Inhalte eines Telegram-Kanals bequem runterzuladen und auszuwerten.
Von daher: ist auf dem Weg, wir sind aber zu langsam und schlagen viel zu selten viel zu wenig hart zu. Bin trotzdem positiv gestimmt, die Telegram-Jungs haben den Bogen jetzt überspannt, es wird ungemütlich werden.
Telegram als Social Media Plattform sollte sich meiner Meinung nach aber - wie die anderen Plattformen hoffentlich auch - einer Regulierung unterziehen müssen. Tun sie das nicht, wird kein anderer Weg möglich sein, als die netzwerkseitig von der EU abzuklemmen. Ja, technische Cracks werden Wege finden, das zu umgehen, die Reichweite werden sie damit aber nicht bekommen. Und sie können sich sicher sein, wir finden die auch dort in ihren Erdlöchern. Dauert nur bisschen länger.
Fazit: Klarnamen lehne ich aus diversen Gründen ab und für das akute Problem mit Telegram als Mobilisierungsplattform für antidemokratische und terroristische Gruppen auch keine Lösung.