leviathan hat geschrieben:Du hast aber schon wahrgenommen, worauf ich mich bezogen hatte? Natürlich brauchen wir Regeln. Nur haben wir die Regeln hier außer Kraft gesetzt und haben auf relevante Freiheitsrechte gepfiffen. Dabei haben wir permanent den Wert des Lebens als Begründung vorgeschoben. Wir haben zu Beginn nahezu völlig unterlassen, den Preis zu bewerten. Dann haben wir ihn über sehr lange Zeit kleingeredet.
Nein, wir haben auf Freiheitsrechte eben nicht "gepfiffen". Wir haben sie, aus heutiger Sicht, in bestimmten Bereichen unnötig stark eingeschränkt.
Damals rollte etwas auf uns zu, das wir beim besten Willen nicht wirklich haben einschätzen können. Wir konnten aber sehen, wie Menschen sehr schnell sehr krank wurden, viele von ihnen auch starben. Ich bin ja gerade in den USA (habe übrigens trotz aller Vorsicht erfolgreich meine Gastgeber eingeseucht
), einem leider sehr unschönen Beispiel dafür, dass die Freiheit, andere zu infizieren und sterben zu lassen, nur damit meine Freiheitsrechte uneingeschränkt bleiben, in einer solchen Situation nicht der Weisheit letzter Schluss sein darf. Ja, ich polemisiere natürlich, aber hier hat es in der Tat zeitweise "Leichenberge" gegeben, oder schwer erkrankte Menschen, die nicht ins KH aufgenommen werden konnten.
Solche Notsituationen (nochmal: sowohl "das Virus" als auch unser Wissen über seine Verbreitung usw. haben sich in all dieser Zeit immer wieder verändert) rechtfertigen aus meiner Sicht Einschränkungen. Diese müssen zeitlich begrenzt sein, ganz besonders wenn Parlamente ihre Kompetenzen an die Exekutive abtreten. Und Gerichte müssen sie auf Verfassungskonformität kontrollieren können. Natürlich ist es mit dem Kenntnisstand von heute unsinnig gewesen, etwa die EU-Binnengrenzen zu schließen. So manche Kontaktbeschränkungen aus den ersten Pandemiephasen waren aus heutiger Sicht überzogen, doch es ist ja auch nicht so, als seien sie ungeprüft ad infinitum verlängert oder gar ausgedehnt worden.
Randnotiz #1: Ich komme ja aus NRW; hier hat es mancherorts dämlich groß gezogene Maskenpflichtbereiche gegeben, aber nie nächtliche Ausgangsbeschränkungen. Eine Kollegin, die damals in Madrid gearbeitet hat, durfte ganz andere Erfahrungen machen.
Randnotiz #2: Ein Ehepaar hier in der Nähe (ich kenn' die persönlich, aber nicht so gut) lässt seit 2 1/2 Jahren die Post immer erst einen Tag in der Garage liegen. Weil sie irgendwann im März '20 gehört haben, dass das sofortige Anfassen eines Briefs, den der Zusteller vorher in den Händen hatte, ihnen womöglich das tödliche Virus bringt ...
Über das zweite Beispiel kann man lachen (OK, Wichtiges kommt eh per E-Mail), aber es macht deutlich, wie wichtig das permanente Anpassen unseres Verhaltens an das, was wir über ein bestimmtes Risiko wissen, in solchen Situationen ist. Und das gilt auch für die Frage, inwieweit wir individuelle Freiheitsrechte einschränken dürfen oder müssen, um menschliches Leben nicht leichtfertig und womöglich massenhaft aufs Spiel zu setzen.