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10 Teiche Marathon in Hahnenklee im Oberharz

10 Teiche Marathon in Hahnenklee im Oberharz

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Der Herbst hat beschlossen, dass es noch nicht Zeit ist. Er hat zwar schon einmal eine Stippvisite eingelegt, aber extra für heute, für diesen Samstag den 12. September, hat er den Spätsommer noch einmal eingeladen. Gut, der wird noch ein paar Tage länger bleiben, aber heute ist er da, das ist wichtig!

Ich bin müde und habe nicht gut geschlafen. Auf dem Beifahrersitz döse ich immer mal wieder weg, während die beste Frau der Welt einen Arbeitskollegen und mich in den Harz chauffiert.
Vor rund einem Jahr hatte ich die Idee, dass die Zeit reif ist einen Marathon anzugehen. Berlin sollte es sein, da mich mit der Stadt viel verbindet. Damals im Oktober angemeldet, gelost worden und direkt mit dem Training gestartet. Der Halbmarathon in Hannover im Frühjahr als Zwischenstopp, dann Berlin als Abschluss.
Nun, wir wissen, dass sowohl Hannover als auch Berlin Corona zum Opfer fielen.
Ich laufe gerne. Des Laufens wegen. Alleine durch den Wald. Oder mal auf Fahrradwegen. Ungern auf Straßen. Nie mit jemanden zusammen. Ich laufe ja für mich - in meinem kleinen Tunnel. Aber das Erlebnis mit recht vielen Leuten sehr weit zu laufen, das hätte ich schon gerne gehabt. Einfach um es einmal erlebt zu haben.
Also suchte ich nach der Absage von Berlin nach Alternativen. Frankfurt? München? Magdeburg? Na, ob da etwas stattfinden wird? Und dann, fast direkt vor meiner Nase, der “10 Teiche Marathon” in Hahnenklee im Oberharz. Von vornherein limitiert auf eine maximale Teilnehmerzahl von 400 Läuferinnen und Läufern und mit vielversprechenden, weil landschaftlich wunderschönen, Fotos der Strecke. Das wollte ich!
Also meldete ich mich an und hoffte einfach, dass er stattfinden würde.

Und nun sitze ich in dem Auto, während die Fahrerin lachend auf das Navigationsgerät zeigt: “Guckt euch die Straße an. Bei den Serpentinen sind das Luftlinie 2 km und tatsächlich fahren wir 10. Und hier wollt ihr laufen?”
Ich mache die Augen lieber wieder zu. Bei den vielen Serpentinen muss ich sonst noch ein Gespräch mit dem Haferschleim von heute morgen führen.

Vor Ort erwarten uns Ordner und die Polizei. Parkplätze sind ausreichend vorhanden, wir sind aber auch reichlich früh, weil ich gerne mit einem Puffer unterwegs bin. Startunterlagen werden mit Maske und Sicherheitsabstand abgeholt. Das Hygienekonzept des Laufs hängt überall aus und die Verhaltensregeln beim Start und im Ziel werden noch einmal kurz erklärt, als ich meine Startnummer in Empfang nehme. 2-stellig. Hier ein Zeichen dafür, dass ich heute die Marathon-Distanz laufen möchte, mein Kollege wird den Halbmarathon laufen. Zusätzlich wird noch ein Einsteigermarathon über 11,5 km angeboten.
Die Strecke scheint nicht einfach zu sein. Die Fotos haben bereits angedeutet, dass es viel durch den Wald geht. Ausgebaute Schotterwege aber auch Trails. Und offiziell sind für die Marathonstrecke 550 Höhenmeter aufgerufen. Mir war also vorher klar, dass das hier nicht mit dem Pizzateller Berlin zu vergleichen ist. Aber eigentlich, nun ja, eigentlich… hatte ich keine Ahnung.

Wir folgen den Weg zum Start. Die meisten Läufer tragen auch jetzt eine Mund-Nasen-Maske, auch wenn sie erst in der Startbox wieder vorgeschrieben ist.
Startbox? Wie beim Pferderennen?
Ja, irgendwie schon. Im Startbereich sind Boxen mit Band abgesperrt. Darin sind durch Bodenmarkierungen Flächen für die einzelnen Läufer gekennzeichnet. In jede dieser Flächen darf nur ein Läufer - es gibt also keinen Massenstart. 4 Boxen, je Box 16 Läufer. Die Boxen starten nacheinander, danach wird aufgefüllt. So ist der Plan. Wie sich das mit Adrenalin im Blut entwickeln wird?

Die Stimmung ist, im Gegensatz zu mir, entspannt. In mir macht sich ein mulmiges Gefühl breit. Vorsichtshalber gehe ich mich noch einmal in die Reihe für das Klo stellen. Man weiß ja nie. Die Unsicherheit kommt. Ich laufe heute ohne Trinkrucksack. Sonst habe ich den bei langen Läufen immer dabei. Schaffe ich den Lauf wirklich ohne etwas zu essen, wie ich es mir vorgenommen habe? Und wird es genug Versorgungsstationen mit Wasser geben?

Kurz vor 10 Uhr. Auf in die Box. Ich bin überrascht, wie diszipliniert das funktioniert. Jeder scheint so froh, mal wieder an einem Rennen teilnehmen zu können, dass jeder sein kleines Fleckchen zum Starten sucht. Kein Gerangel, keine Aufregung - ich hatte ja immer eine Klasse Vorschulkinder vor Augen. Nein, das hier läuft unglaublich gut. Und es ist schon ein besonderer Anblick: diese Menschen in Laufklamotten, in Reih und Glied, jeder trägt einen Mund-Nase-Schutz.
Dann der Countdown und schon geht es los. Die erste Box geht auf den Kurs, dann die zweite. Darin stehe ich. Irgendwo ganz hinten. Die Startlinie, ich ziehe das MNS vom Gesicht und versuche das Adrenalin unter Kontrolle zu bringen.

Das Wetter ist herrlich. Um die 16°C, der Himmel ist blau. Die asphaltierten Wege verlassen wir recht schnell und stehen direkt den ersten Anstiegen gegenüber, bevor es an den ersten Teichen vorbei geht. Es ist wunderschön. Wald wechselt sich mit offenem Gelände ab. Schotterwege mit Trails, die sprichwörtlich über Stock und Stein führen.
Ich starte viel zu schnell. Ich weiß das. Jeder sagt, dass man sich die Kraft einteilen muss. Aber … ich fühle mich gerade gut. Richtig gut. Dann zahle ich halt nachher den Preis.
Ich renne nicht wie ein Verrückter, aber ich bin schon schneller als bei den Dauerläufen. Berge nehme ich mit einem Lächeln. Noch.
Irgendwann rasen Teilnehmer mit unglaublicher Geschwindigkeit an mir vorbei. Der Halb- und Einsteigermarathon sind nach den Marathonis gestartet. Ich schaue ihnen respektvoll nach. Selbst wenn ich wüsste, dass es nach 11,5 km endet, würde ich wohl nicht die Geschwindigkeit auf das Parkett bringen.

Wegen den Versorgungsstationen habe ich mir unnötig Sorgen gemacht. Die sind gut verteilt und ich lasse keine aus. Ich trinke nur Wasser. So bin ich es aus dem Training gewohnt. Alles was sonst bereit liegt, ignoriere ich. Keine Bananen, keine Schokolade. Brauche ich nicht. Fluffig und leicht fühle ich mich nur, wenn ich ich nichts habe, was gerade verdaut werden muss.

Irgendwann ist die erste Runde vorbei. Und langsam merke ich, dass es schwierig wird. Landschaftlich wunderschön hilft wenig, wenn man sich ein weiteres Mal auf die Strecke begibt und jeden bescheidenen Berg, der gleich kommt, schon kennt.
Ich ahnte, dass es anstrengend wird. Ich hatte eine Ahnung. Die Realität ist hart.
Dann fange ich an die fiesen Anstiege zu gehen. Zügig, aber darauf bedacht das Laktat nicht zu sehr in die Muskeln schießen zu lassen. Ich bin damit nicht alleine. Erschöpfung stellt sich ein. Manchmal überhole ich Teilnehmer, manchmal werde ich überholt. Ich habe Spaß!

Und dann ist der Augenblick da, vor dem ich immer Angst hatte: Ich bin ziemlich tief im Tunnel und die Erschöpfung fordert längst ihren Tribut. Und die verdammten Steine und Wurzeln auf dem Boden sind da wenig hilfreich.
Es ist die rechte Fußspitze, die gegen die Wurzel knallt. Kein Streifen - ein Volleinschlag. Keine Chance den Fuß nach vorne zu bringen. Der Ausfallschritt fühlt sich ewig lang an. Aber er verhindert, dass das Stolpern zum Sturz wird. Der Schmerz fährt vom linken Knöchel bis in den Oberkörper, als die eh schon geschundenen Muskeln versuchen die Stabilität aufzubauen um die Bänder und Gelenke zu schützen. Für einen Moment sehe ich sicherlich aus wie der sterbende Schwan - und so fühle ich mich auch. Dann kommt der rechte Fuß wieder nach vorne und nimmt mit seinem Schwung den Körper mit.
Das war knapp. Ich möchte gesund und gut gelaunt ins Ziel kommen. Nicht mit Schürfwunden. Also nehme ich an den Stellen mit schwierigem Untergrund Tempo raus.

Inzwischen gibt es auch etwas mehr Verkehr auf der Strecke. Fußgänger, ab und zu ein Radfahrer. Das ist für mich zumindest ungewohnt und auf den schmalen Stücken leicht hinderlich.

Ich passiere den Start zum zweiten Mal. Nun noch einmal 5 km bis zum Ziel. Zwei Mal bin ich sie schon gelaufen und ich weiß: Das ist das fieseste Stück auf dem ganzen Kurs. Noch einmal der Aufstieg bis zum höchsten Punkt über Wurzeln und Steine auf Trails. Ich beiße die Zähne zusammen, aber irgendwann ist die Luft raus. Gefühlt ist mehr ein Schleppen als ein Vorwärtskommen bis zum Versorgungspunkt. Ab hier geht es nur noch bergab. Oh yeah, das kriege ich hin.
Also zurück in den Laufschritt. Das Gemüt hellt sich auf und passt nun wieder zum Wetter. Dass die letzten Kilometer keine Glanzleistung waren ist nun egal. Ein drittes Mal die Abfahrtspiste der Biker herunter laufen, dann Hahnenklee und endlich der Zieleinlauf. Und auf den letzten Metern konnte ich tatsächlich noch jemanden zu einem Spurt überreden, damit das Zielbild schön dramatisch aussieht.

Es war ein großartiger Lauf, den ich genossen habe. Den Schmerz habe ich mir verdient. Es war … möglicherweise nicht der erste Marathon, wie ich ihn mir vorgestellt habe - aber möglicherweise war es der beste erste Marathon, den man haben kann.

Ich ziehe meinen Hut vor den Veranstaltern, die es geschafft haben ein tragbares Konzept vorzulegen und umzusetzen. Und vor jedem einzelnen, der dort durch den Harz gelaufen ist.

Oh Hahnenklee, ich glaube, wir werden uns wiedersehen.
Wie das heute so ist, jemand hat den 11,5 km mitgefilmt und veröffentlicht. Wenn man sich das wirklich großartige Ambiente ansehen möchte, findet man das Filmchen hier.

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Schöner Bericht, danke.

Und natürlich herzlichen Glückwunsch zum Finish. Ja, die Strecke ist gemein an manchen Stellen, aber auch sehr schön.
Als „immer im Harz“-Läuferin genieße ich die flachen Strecken in Hannover und Berlin, abbinden an ist aber so eine hügelige Strecke einfach toll.
Das größte Vergnügen im Leben besteht darin, das zu tun, von dem die Leute sagen, du könntest es nicht. (Walter Bagehot)

"Ist der Marathon für Frauen etwa auch 42,2 km lang?" (Überraschter Kollege im Büro)
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