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Radsport im TV

Radsport im TV

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Ich war schon kurz davor über diese Thematik im „Mal wieder Doping...“-Thread zu schreiben, habe es mir dann aber anders überlegt.
Bis jetzt habe ich keinen Thread gefunden, der sich auf den professionellen Radsport fokussiert und mach deshalb hier mal einen auf.

Kurz zu mir in diesem Bezug:
Meine Radsport-TV-Verfolgungsvita begann im Grunde mit der Tour de France 1993 und dem Duell zwischen Miguel Indurain und Tony Rominger und so richtig fieberte ich dann zum ersten Mal mit Ulle bei der TdF 1996 mit.
Die Ullrich-Armstrong Jahre bildeten meinen Höhepunkt und spätestens gemeinsam mit der ARD stieg ich komplett aus, hatte die Jahre zuvor aber auch nur noch am Rande verfolgt.

Das lag zu großen Teilen, wenn auch nicht ausschließlich, an der Dopingproblematik im Radsport. Aber auch an der mangelnden Identifikation mit den Protagonisten.
Bei der TdF 2017 gab es dann mit Emu Buchmann bei Bora wieder einen Fahrer, der mir sehr sympathisch war und mich dazu brachte den professionellen Radsport wieder aktiver zu verfolgen und auch wieder mitzufiebern und mit Joao Almeidas 15 Tagen in Pink beim Giro 2020 wurde Fußball für mich dann vom Radsport als TV-Konsumsport Nr.1 abgelöst.

In dem Thread soll es also um alles gehen, was den professionellen Radsport betrifft und vielleicht kommt ja die ein oder andere interessante Diskussion zustande.

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Ich mache mal den Anfang mit der Performance des Jahrhunderttalents Tadej Pogacar bei der diesjährigen TdF.

Zunächst mal: Kann man einen 23jährigen, der gerade mal seine vierte Grand Tour (2 Siege, 1x3., 1x?) fährt und an 7 Klassikern (2 Siege, 5x Top 5) teilnahm schon als Jahrhunderttalent bezeichnen ?
Ich denke schon. Zumindest in den 20 Jahren, in denen ich den Radsport verfolge, habe ich noch nie einen Fahrer gesehen, der so vielseitig ist und bei fast allen Rennen um den Sieg mitfahren kann.
Da muss man wohl bis Eddy Merckx zurückgehen, um vergleichbares zu finden:
Bärenstark am Berg, egal ob lang, kurz, moderat oder richtig steil, sehr guter Abfahrer, sehr gut auf Gravel, richtig starker Punch für einen GC-Fahrer, sehr guter Zeitfahrer, taktisch unglaublich clever, sehr aggressiver Fahrstil.
Ein überragender Fahrer, dessen Fahrweise mir sehr gefällt.
Ich könnte geradezu Fan sein...würde da nicht der ständige Dopingverdacht über ihm stehen.
Hier muss natürlich eigentlich die Unschuldsvermutung gelten und fast unglaubliche Leistungen machen nun mal ein Jahrhunderttalent aus...aber die Zweifel sind bei ihm einfach groß.

In diesem Jahr ist es in der Öffentlichkeit diesbezüglich noch ausgesprochen ruhig, aber das könnte sich ändern, wenn er in den hohen Bergen allen wegfährt.
Die Frage ist, ob er dies tun wird ?

Vor der gestrigen Etappe sagte ich im Halbspaß: “Wenn er heute wieder allen davonfährt, ist das für mich ein sicheres Zeichen, dass er NICHT gedopt ist. Denn das würde den Verdacht einfach wieder ganz stark aufkommen lassen und wenn er gedopt wäre, will er sich natürlich nicht noch verdächtiger machen. Ist er dagegen sauber, sollten ihm die Verdächtigungen ganz egal sein und wenn er dazu in der Lage ist, sollte er einfach alle stehen lassen.“

Er hat die Etappe ja dann gestern ganz knapp vor Jonas Vingegaard gewonnen und die meisten Kommentatoren sahen darin sogar ein Anzeichen, dass er angreifbar ist und die Tour noch richtig spannend wird.
Für mich sah es dagegen sehr nach Show aus und ich frage mich wieso ein sauberer Fahrer das nötig haben sollte.

Meine Prognose – er wird auch in den Bergen keine verrückten Vorsprünge herausfahren, obwohl er es vielleicht könnte, die Tour aber mit einem Abstand gewinnen, der für ein sauberes Jahrhunderttalent angemessen ist.

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Der TV-Reporter inviewt nach einer Etappe einen Fahrer. Kommt der Co-Kommentator Rudi Altig hinzu, reicht eine Flasche Wasser. Der fix und fertige Athlet bedankt sich mit den Worten: "Der Rudi ist der Einzige hier, der Ahnung vom Radsport hat".

Knippi

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LaufSteff hat geschrieben: Er hat die Etappe ja dann gestern ganz knapp vor Jonas Vingegaard gewonnen und die meisten Kommentatoren sahen darin sogar ein Anzeichen, dass er angreifbar ist und die Tour noch richtig spannend wird.
Für mich sah es dagegen sehr nach Show aus und ich frage mich wieso ein sauberer Fahrer das nötig haben sollte.

Meine Prognose – er wird auch in den Bergen keine verrückten Vorsprünge herausfahren, obwohl er es vielleicht könnte, die Tour aber mit einem Abstand gewinnen, der für ein sauberes Jahrhunderttalent angemessen ist.

Aus meiner Sicht ist es noch viel zu früh, da wirklich ein Urteil zu fällen. Bei den großen Rundfahrten trennt sich in der Regel in den letzten 7-10 Tagen die Spreu vom Weizen. Natürlich kann man jetzt auch schon Leistungsunterschiede sehen und Pogacar gehört sich zu den stärksten Fahrern, aber es macht einfach jetzt wenig Sinn, heftig anzugreifen und alles in die Waagschale zu werfen. Das ist Am Ende viel besser angelegt. Die nächsten Wochen werden auch für den stärksten Fahrer hart, egal ob nun gedoped oder nicht. Und da kann man einfach an einem Anstieg in der letzten Woche mit großer Wahrscheinlichkeit viel effizienter seiner Körner einsetzen als jetzt schon. Die Etappe so ökonomisch wie möglich zu gewinnen ist somit aus meiner Sicht nicht Show sondern einfach cleverness.

Das ist halt, wir sind ja ein Läuferforum, in der Analogie zum Marathon, wenn man drüber philosophiert, wie souverän die Topläufer um Km 15 herum aussehen und was für eine tolle Pace die Laufen und welche Tempoverschärfung es gerade gibt. Alles natürlich super aufregend, aber wenn man ehrlich ist, könnte man auch erstmal was essen gehen und so ab km 32-35 wieder einschalten.

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Antracis hat geschrieben:Aus meiner Sicht ist es noch viel zu früh, da wirklich ein Urteil zu fällen.
Klar ist es zu früh für ein Urteil. Meine Erwartung an die Tour war vor dem Start: Pogi wird absolut dominieren und es kommt zu keinem Zeitpunkt wirkliche Spannung auf, wer am Ende Gelb trägt.
Mögliche Stürze und mechanicals mal außen vor, aber auch da hat er neben seinem fahrerischen Können einfach auch das Glück gepachtet.
7 der letzten 8 Rundfahrten an denen er teilnahm, hat er gewonnen. Dazu in diesem Jahr bei allen Eintagesrennen, an denen er teilnahm, vorne dabei.
Dazu der größte Konkurrent mit Primoz Roglic nicht in absoluter Topform und eh regelmäßig in Stürze verwickelt. Ja, er hat die Dauphine gewonnen, aber schon da war Vingegaard teilweise stärker.
Vingegaard also jetzt der größte Konkurrent (für den ein Toursieg der erste UWT-Rundfahrtsieg überhaupt wäre) + das Ineos-Trio und bis gestern Vlasov.

Meine Prognose bleibt: Es wird um Gelb keine Spannung aufkommen.
Ich hoffe natürlich, dass ich falsch liege!
Antracis hat geschrieben: Bei den großen Rundfahrten trennt sich in der Regel in den letzten 7-10 Tagen die Spreu vom Weizen.
Das ist zumindest in den letzten Jahren so nicht unbedingt richtig.
Letztes Jahr bei der TdF übernahm Pogi Gelb auf Etappe 8, fuhr bis Etappe elf 5:18min Vorsprung heraus (okay, da sind wir dann bei den noch 10 verbleibenden Tagen) und siegte dann mit 5:20min. Vorsprung.
Bei der Tour 2020 übernahm Roglic früh Gelb und verlor es auch nur beim letzten Zeitfahren durch Pogacars Performance.
Vuelta 2019, 2020 + Giro 2021 wurden zu Beginn der zweiten Woche entschieden.
Oft ist die Ente hinten fett und die Rundfahrten werden in der letzten Woche entschieden, aber das ist halt kein eisernes Gesetz und was man hat, das hat man.
Antracis hat geschrieben: Die Etappe so ökonomisch wie möglich zu gewinnen ist somit aus meiner Sicht nicht Show sondern einfach cleverness.
Persönlich war das schon genau getimet und sehr effizient, ja. Als Team war die Etappe wohl nicht ganz so effizient.
Mit „Show“ meinte ich auch nicht, dass er zu Beginn des Gravelabschnitts nicht voll durchgezogen hat, nachdem Majka ihn nach getaner Arbeit losschickte, sondern wirklich die letzten Meter, als es kurz so aussah, als könnte er Vingegaard nicht folgen.
Klar, sieht absolute Anstrengung bei jedem anders aus, aber er wirkte auf mich einfach überhaupt nicht am Limit.

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hardlooper hat geschrieben:Pogacars Interwiew von gestern gerade im TV erlebt: Seine Freundin und seine Familie am Ziel. Das konnte und musste er sich besonders viel Mühe geben.

Knippi
Ich glaube halt einfach nicht, dass er sich besonders viel Mühe geben musste.
Die Gründe diese Etappe überhaupt auf Sieg zu fahren, waren eventuell tatsächlich familiärbedingt und mehr noch um seine neue Stiftung zur Krebsforschung zu promoten, was er schon vor dem Start gestern mit Teaser auf seine neuen Schuhe vorbereitete. Sicher eine gute Sache und schön, wenn man das mal bei der Tour so nebenbei machen kann.

Auch die unmittelbare Regeneration im Ziel ist halt bei jedem anders. Während der eine genug Luft hat mit seiner Feundin zu scherzen und munter Küsschen zu verteilen, fällt der andere halt fast vom Rad und lechzt im Interview nach einer Flasche Wasser von Rudi Altig.

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hardlooper hat geschrieben:Tja, auf einmal ist der Stecker raus. Jetzt sind nur noch zwei 2 Min. voraus.

Knippi
Is this about the break ? Gimme a break, this break didn't have a chance to get a break today.

Bei dieser Nachführarbeit von Jumbo,
wusste ja selbst Dumbo,
dass der gute Wout
heute einen raushaut.
Mindestens 4 Sekunden für Pogacar,
waren dann halt auch früh klar.

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hardlooper hat geschrieben:Bei Eurosport sitzt übrigens einer, der nicht weiß, dass dieses "van" klein geschrieben werden muss.

Knippi
Bei Eurosport (DE) sitzen vor allem auch viele, die entweder keine Ahnung oder keine Lust haben. Manche auch beides nicht. Eine Wohltat ist da bei Eurosport (EN)/GCN+ Sean Kelly, die coolste Kommentatorensocke überhaupt und auch Rob Hatch macht das gut.

Auf deutsch läuft das bei mir nur wenn die Kinder mal ein bisschen mitschauen wollen.

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Bob „Lenny“ Jungels hatten heute wohl nur die wenigsten auf dem Schirm und noch weniger kannten seinen Spitznamen, der ihm aufgrund seiner frappierenden Ähnlichkeit mit Lenford Leonard schon in frühster Kindheit verpasst wurde.
Wieder richtig getippt. Extrem hohe Trefferquote bei dieser Tour. Da kann ich mich in aller Bescheidenheit nur selbst loben und gönne mir darauf einen leckeren Pinot von Jonathans Weingut in Verona.

Auch wenn ich allen anderen kräftig die Daumen drücke, kann es morgen leider wohl nur einen Sieger geben: COVID.
Hoffentlich nicht.

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hardlooper hat geschrieben:Dagegen hilft ein bewährtes Hausmittel :teufel: .

Knippi
Desillusionstee aus Feigen für die Ohren ?
Das hilft schon, verursacht bei mir aber als Nebenwirkung Rotbäckchen.

Morgen gewinnt wieder Lenny. Wenn ich nur oft genug auf ihn setze, erhöht das zwar nicht seine Siegchancen, aber meine Chance richtig zu liegen. Blindes Huhn und so.

Da Vlasovs Chancen im GC was zu reißen, nur noch minimal sind, braucht Bora jetzt mal einen Etappensieg und wenn Pogis Familie morgen nicht gerade in Megeve ist und er kein neues Projekt startet, dann könnte Lenny in einer Ausreißergruppe gute Chancen haben.

21
10 Sekunden sind 10 Sekunden. Hatte was von Zeitfahren. Tadej ist nur so hoch gesprungen, um nicht mit den Hufen anzustoßen.
Erinnert mich an den 17.2.1980: "Wassberg gewinnt Gold um eine Hundertstel - mein Gott, wie muss das Mieto treffen!".

Knippi

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LaufSteff hat geschrieben: Pogi wird absolut dominieren und es kommt zu keinem Zeitpunkt wirkliche Spannung auf, wer am Ende Gelb trägt.
Mögliche Stürze und mechanicals mal außen vor, aber auch da hat er neben seinem fahrerischen Können einfach auch das Glück gepachtet.
7 der letzten 8 Rundfahrten an denen er teilnahm, hat er gewonnen. Dazu in diesem Jahr bei allen Eintagesrennen, an denen er teilnahm, vorne dabei.
Dazu der größte Konkurrent mit Primoz Roglic nicht in absoluter Topform und eh regelmäßig in Stürze verwickelt. Ja, er hat die Dauphine gewonnen, aber schon da war Vingegaard teilweise stärker.
Vingegaard also jetzt der größte Konkurrent (für den ein Toursieg der erste UWT-Rundfahrtsieg überhaupt wäre) + das Ineos-Trio und bis gestern Vlasov.

Meine Prognose bleibt: Es wird um Gelb keine Spannung aufkommen.
Grau ist alle Theorie bzw. die Wahrheit liegt auf dem Platz. :D

"Das Internet ist der dümmste Ort der Welt." Jan Gorkow

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Santander hat geschrieben:Grau ist alle Theorie bzw. die Wahrheit liegt auf dem Platz. :D
Ick hau ooch noch eenen raus: nach der 11. Etappe ist vor der 12. Etappe --> Ober- :D

Schaun wir mal, wie dieser Winzer aus Dänemark, dieser Vingegaard, über die Nacht gekommen ist. Hoffentlich haben ihm gestern die Hühner nicht alle Körner hinweggepickt. Beim Berlin-Marathon heißt es ja nicht umsonst: Die Hühner picken am Potsdamer Platz.

Knippi

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Santander hat geschrieben:Grau ist alle Theorie bzw. die Wahrheit liegt auf dem Platz. :D
War mir ganz klar, dass der ca. 7 KG schwerere Pogi gegen den Geflügelfarmer aus Dänemark bei den langen steilen Anstiegen das Nachsehen hat. Trainingsschwerpunkte falsch gelegt. Spritzig muskulös, kann er sich ja fast schon mit den Sprintern messen und hat mit großem Abstand den besten Punch der GC-Fahrer. Aber die Muskeln müssen halt auch die steileren Berge hoch...frei nach dem Motto – was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!...bei dem ich aber wirklich komplett daneben lag.

Abseits dieser Albernheiten, ziehe ich den Hut vor Pogacars Verhalten nach seiner bis dato größten sportlichen Niederlage. Direkt zum Konkurrenten hin und herzlich gratuliert, danach auf der PK keine Ausreden und kein Lamentieren, sondern Anerkennung der taktischen und fahrerischen Leistung der Konkurrenz und dann auch direkt wieder optimistische Kampfansage – das hatte schon ganz viel Stil und ist für einen jungen Menschen, für den es sportlich bis jetzt nur steil nach oben ging mMn keine Selbstverständlichkeit. Chapeau!

Würde mich freuen, wenn er morgen durch eine Attacke einige Sekunden zurückgewinnen kann und wir dann in den Pyrenäen einen offenen Schlagabtausch ums Gelbe Trikot sehen.

Tagessieg geht aber morgen an einen Berliner Jung. Hoffentlich.
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