Das schönste Ziel der Welt ist Schmiedefeld...
Ich muss ehrlich gestehen: Als gebürtiger Thüringer hat man schon als Schüler die Berichte vom GutsMuths-Rennsteiglauf gelesen, voller Ehrfurcht darüber nachgedacht, was denn jemanden bewegen könnte, eine solche Strapaze, wie den langen Kanten des Rennsteiglaufes, in Angriff zu nehmen! „Marathon“ war schon ein Reizwort, doch über 70 Kilometer und ca. 1500 Höhenmeter Anstiege und knapp 1000 Höhenmeter Gefällestrecken laufend hinter sich zu bringen, war zumindest für mich in meinen Jugendjahren eine Sache, mit der man sich nicht identifizieren konnte, die einem aber jedes Mal, wenn man sich tiefer gehend damit beschäftigte, kräftige "Schauer" hervorrief! Wobei: geträumt hat man schon davon, einmal dabei zu sein. Allerdings war das eher so ein Traum, den man als Kind hatte, wie z. Bsp. wenn man gefragt wurde: "Was willst Du denn mal werden?" und man dann kindlich naiv geantwortet hat: "Na vielleicht Astronaut und zum Mond fliegen..."
Als ich vor zweieinhalb Jahren von den Fußgängern zu den Läufern "mutierte", war der Antrieb hierfür, etwas gutes für meinen Körper zu tun. Schnell erkannte ich, dass das Laufen eine Medizin ist, die scheinbar durch nichts zu ersetzen und doch ohne Rezept für jeden zu haben ist! Ich fühlte mich pudelwohl, sei es im Frühling, in eisiger Kälte oder im Hochsommer – selbst im Herbst bei Regen war ich nicht zu bremsen – es war für mich wie eine Droge! Schon bald war der Drang da, einen Marathon zu laufen. Schaffen das andere in ein paar Wochen Vorbereitungszeit (ob’s gut ist, sei mal dahingestellt!), kann ich das auch! Ohne Probleme und mit gutem Gefühl wurde dieses Ziel erreicht! Das war dann auch der Auslöser für größere Taten: Ein Lauftrefffreund war schon 10 Mal in Biel beim 100er dabei – unvorstellbar!
Unvorstellbar? Ha, leichtsinnigerweise meldete ich mich an und wer "a" sagt, muss ja bekanntermaßen auch "b" sagen. Das war dann zugegebenermaßen aber schon ein großes "B"... Mit nötigem Respekt wurde auch dieses waghalsige Unternehmen glücklich beendet. Nebenbei hat man sich mit dem "Biel-Virus" infiziert, der diejenigen, die jemals daran teilgenommen haben, immer wieder dorthin zurückkehren lässt...
Nun hatte sich doch tatsächlich mein Lauffreund letztes Jahr erstmals für den Rennsteiglauf gemeldet. Seine Berichte waren zu beeindruckend: "Jetzt, wo Du den 100er geschafft hast, sollte es doch mit den reichlich 70km auf dem Rennsteig auch klappen", dachte ich so. Nun endlich könnte ich mir den schier ungreifbaren Kindheitstraum erfüllen, einmal dabei zu sein, bei der großen "Meute" der Supermarathon-Bezwinger, einer von denen sein, die man über Jahre so bewunderte ob ihrer grandiosen Leistung - ganz gleich, mit welcher Zeit – jedem dieser "Draufgänger" gebührte Jahr für Jahr meine uneingeschränkte Bewunderung!
Also, die Zeit war nun reif: Ich meldete mich als einer der Ersten an – Startnummer 114 war das Resultat! Die Spannung stieg von Woche zu Woche! Ich konnte es kaum erwarten: Dieser 21.05.2005 war für mich der Tag "X" auf den ich trotz zeitintensiven Job hinfieberte. Und dann war er es soweit: Eisenach morgens um 5 Uhr - noch eine Stunde bis zum Start: Regen – fängt ja gut an. Ich: kurze Hosen, mein Biel-Shirt, dass ob seiner Funktion schon allein die 100km von Biel rechtfertigte, und mein Piratentuch. Die Schuhe, die mir 7 Wochen vorher in Tschechien über 50km treue Dienste leisteten, durften auch den Rennsteig "berühren"! Und was das für eine Be-"Rührung" war – unglaublich!
Ein paar Meter nur hinter der Startlinie stand ich neben Jutta Kolenc, aus Biberach, die für die Nationalmannschaft über 100km in Japan nominiert worden ist und den Rennsteig als "Trainingslauf" in Angriff nahm, wie sie mir kurz schilderte, nachdem ich sie angesprochen hatte. Ein kurzes "Viel Glück heute und vor allem in Japan!" und schon ging es los!
Die Hatz der ersten Kilometer ist ja hinlänglich bekannt: Alle gehen zu schnell an – was ich bisher bei einigen Marathonläufen ganz gut im Griff hatte – doch auf’m Rennsteig ist alles anders, schien es mir nach 10km – Ich fiel fast aus den Socken: 48 Minuten waren da gerade mal vergangen und das trotz der reichlichen Höhenmeter – "Dass wirst Du büßen!" – schoss es mir durch den Kopf! Ich nahm Tempo raus! Plötzlich flog ein "Duo" an mir vorbei: eine Läuferin und ein Läufer – Als Mann konnte mein Interesse nur der Frau gelten , die da so an mir vorbeizischte: Heidrun Pecker aus Jena – die Vorjahressiegerin, die ich bisher nur aus der Zeitung kannte. Einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich versuchen sollte, ihr Tempo mitzugehen: Aber nein, "die läuft in einer anderen Liga", dachte ich und die Vernunft siegte! Weiter ging es bis km 25 – Der Inselsberg – Wahnsinn, dieser Anstieg. Von 210mNN auf 910mNN – und dann der "Abstieg" – der geht vielleicht in die Beine! Wer jedoch meinte, das Schlimmste wäre nun überstanden, irrte gewaltig: Der Rennsteig präsentierte sich doch im wahrsten Sinne des Wortes als Crossstrecke. Auch wollte der Wechsel zwischen Anstiegen und Gefällestrecken gar nicht mehr enden. Was im Streckenprofil so schön gerade eingezeichnet war, sah in Wirklichkeit ganz anders aus! Ich spürte, wie die zu schnellen ersten Kilometer Ihren Tribut forderten. Doch, wie so oft, half mir auf der Strecke der Austausch mit den Läufern, die ähnlich unterwegs waren: Man sprach über dies und jenes – es war faszinierend, worüber man sich während eines solchen Laufes alles unterhalten kann! Und man traf Bekannte, die man erst beim letzten 50er kennen gelernt hatte, die einen an den Anstiegen dann kurz entwischten, um dann auf den Gefällestrecken wieder geschluckt zu werden. So nahm man dann wie selbstverständlich den heftigen Anstieg zwischen km 42 und 45 (?), denn inzwischen waren die"Buckel" zur Gewohnheit geworden...
Auch die Zuschauer wollte man nicht mehr missen: Einige waren wohl noch etwas verschlafen und nicht so richtig in Beifallslaune. Da legte man halt mal die Hand an’s Ohr, als wollte man sagen: "Entschuldigung! Ich höre nichts!", worauf die Thüringer natürlich entsprechend reagierten und mit Applaus nicht sparten. Ab und an rief ein von mir geäußertes "Durchhalten, da kommen noch anderthalbtausend!" in Richtung Zuschauer wahre Schmunzeleskapaden hervor! Es war ein "Geben und Nehmen", was mir die Kilometer wahrlich versüßte und dieses Lauferlebnis erst richtig "rund" machte.
Leider war das Wetter nicht ganz so angetan, obwohl aus Läufersicht durchaus günstig, da regenfrei. Von den schönen Aussichten auf dem Höhenkammweg des Thüringer Waldes waren nur ab und zu ein paar Blicke über das Land zu genießen. Aber: Man kann ja nicht immer alles haben!
Die letzten Kilometer war ich mit einem jüngeren Läufer unterwegs – man stellte sich aufeinander ein, um schließlich festzustellen: Miteinander geht es besser! Den Großen Beerberg als letzten Kulminationspunkt nahmen wir nun gemeinsam in Angriff. Danach war es dann ein Kinderspiel und der Adrenalinspiegel schien ins uferlose zu steigen: Es war greifbar, das Ziel, dieses "schönste Ziel der Welt: Schmiedefeld!" – zumindest für den Rennsteigläufer!
Doch kurz vor’m Ziel noch eine unerwartete Begegnung: Martin Grüning (Runners World) kam in Sichtweite. Auf meine Ansprache an einem kleineren Anstieg: "Hallo Martin, wie läuft’s?", kam nur eine kurze aber eindeutige Geste: "... sprecht mich jetzt bloß nicht an!" und "... es ging schon mal besser!", worauf er prompt vom Laufen ins Gehen wechselte! Ein paar aufmunternde Worte nahm er dankend an. Ein kurzer Blick zurück bestätigte mir, dass auch er – nun wieder laufend – auf diese Weise das Ziel erreichen würde. So lief ich dann noch an ein paar Wandergruppen vorbei, die da irgendwie nach demselben Schema "überrollt" wurden: Am hinteren Ende rief einer der Wanderer nach vorn: "Achtung: Läufer!", worauf reichlich Platz gemacht wurde. Dann setzte Beifall ein und aufmunternde Zurufe, die wahrlich Ihren Zweck nicht verfehlten! Dieses Gänsehaut-Feeling, wurde meinerseits mit einem lauten: "Ihr seid Spitze!" honoriert. Ein lauthalses Lachen war häufig die Folge und auch ich konnte trotz Anstrengung noch Schmunzeln. So wurde man förmlich ins Ziel getragen, welches dann gigantisch vor Einem auftauchte: Man wollte eigentlich gar nicht über die Zielmatte laufen, denn dann war es ja vorbei, dieses einzigartige Erlebnis, dieser Kindheitstraum, der nun in Erfüllung ging. Es war genial! Geschafft! Und mit mir geschafft haben es zig Dutzende, ja, ganze Hundertschaften: eine Gemeinschaft von "Sadisten", zu denen ich nun auch zähle – unglaublich! ...und ich bin froh darüber, dass ich mich bei der Wahl meines Hobbys für’s Laufen und nicht für’s Angeln (natürlich gebührt auch denen mein Respekt ob Ihrer Ausdauer ;-) entschieden habe!
In diesem Sinne: Petri Heil! Äh, "GutsMuths!"
"Am Ziel meiner Träume!" - oder: "Das schönste Ziel der Welt ist Schmiedefeld!"
1...hab hier nur meine Meinung formuliert. so what?