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Wo ist die Burg?

Wo ist die Burg?

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Der vierte Lauf des Bonn-Cups führte ins benachbarte Heimerzheim zum Burgenhalbmarathon. Da die restliche Familie wegen Krankheit ausfiel, kappten wir das ursprüngliche Rahmenprogramm mit Bambinilauf für Tochter Paula und dem 5km Lauf für Sohn Felix und Au-pair Brona. Samstagmorgens stand auch mein Start auf der Kippe, denn meine Nasen-, Stirn- und sonstigen Höhlen waren verstopft. Deswegen griff ich nebst Hausmitteln wieder einmal zum Doping mit zwei Aspirintabletten; mit Erfolg, wie sich später zeigte. Vor dem Lauf trafen wir uns mit Forumsurgestein der-kieler1 aka Frank. Für ihn war es eine gute Gelegenheit, zwei Wochen vor dem Essen-Marathon seine Form zu testen. Mit Zurückhaltung sollten es 1:40 Stunden werden. Nach meinem Neuanfang im März dieses Jahres und nur einem kürzlich absolvierten 10km Wettkampf in 44:37 Minuten fiel es mir schwer, meine Form einzuschätzen, aber meine Stoppuhr mit Kapazität für 99:59 Minuten (1:39:59 Stunden) sollte möglichst die gelaufene Zeit anzeigen können. Also beschlossen wir, die ersten Kilometer des zweimal zu durchlaufenden Rundkurses gemeinsam zurückzulegen.

Der Startschuss am Ausgang des Stadions brachte den meisten der etwa 180 Läufer nur eine kurze Verzögerung, bevor sie sich wie ein langer Lindwurm in die Kilometerlange Straßenzeile ergossen. Der-kieler1 ging recht forsch an, während ich zunächst in mich hineinhorchte. Als die diversen Baustellen meines Körpers schwiegen, schloss ich langsam zu ihm auf. Den ersten Kilometer legten wir gemeinsam in flotten 4:28 Minuten zurück, und das Feld sortierte sich langsam. Ich mag es, wenn ich einen Schrittmacher und Windschattenspender vor mir habe, und so folgten wir zunächst einem älteren, sommersprossigen Läufer. Am Ende der Straße bogen wir in eine steil abschüssige Seitenstraße ein, um im vollen Schwung um eine Spitzkehre in einen ebenso kurzen, ebenso steil ansteigenden Straßenabschnitt einzubiegen. "Viel Spaß in der zweiten Runde, wenn die Muskeln ächzen", dachte ich, bevor wir in einen Feldweg einbogen. Der zweite Kilometer war erreicht, 4:15 Minuten für den letzten Kilometer waren aber einfach zu schnell. Deswegen ließen wir zum Vordermann abreißen und drosselten das Tempo. Es ging über einen kleinen Steg und weiter die nächsten Kilometer auf einem asphaltierten Weg entlang eines Baches. Sommersprosse entfernte sich, und während der-kieler1 und ich im Gleichschritt vorwärts strebten, überholten uns ein weiterer älterer Läufer im gelben Trikot, eine junge Läuferin sowie ein Paar. Der lauschige Bach führte uns hinaus aus Heimerzheim, und ein Läufer aus Mönchengladbach, meiner Geburtsstadt, überholte uns. "Gegen wen spielt Borussia heute?", fragte ich. Leider war er kein Fan meines beinahe masochistisch geliebten Fußballvereins, und so sollte ich erst am Abend Kunde bekommen vom ersten Auswärtssieg seit 17 Monaten. Wir näherten uns nach Kilometer vier der ersten Getränkestelle. Eigentlich war das Wetter ideal - bedeckt, circa 17 Grad, kaum Wind, trocken - trotzdem griffen wir zu, ich gleich zweifach.

Es ist eine Konstante in meinen diesjährigen Läufen, dass ich beim Trinken aus mir unbekannten Gründen schneller vorwärts komme als meine Kombattanten, und so fand ich mich am Fuße meines zweiten Bechers direkt hinter dem älteren Läufer im gelben Trikot, etliche Meter vor dem Kieler. was jetzt? Wir waren immer noch flott unterwegs, Kilometer fünf wurde in 22:22 Minuten zurückgelegt, über 80 Sekunden schneller als geplant, aber ich fühlte mich überraschend locker, der Puls war noch nicht grenzwertig. Also folgte ich dem einmal eingeschlagenen Tempo und dem älteren Läufer. Frank dagegen beschloss vernünftigerweise, seine Marathonvorbereitung nicht durch ein zu schnelles Tempo zu gefährden und blieb zunehmend zurück. Bald danach war der schnellere Streckenabschnitt zu Ende, der Bach wurde erneut überquert, und ein flacher, kilometerlanger Anstieg durch ein weiteres Dorf sowie anschließend etwas raue Waldwege schlossen sich an. Mein Schrittmacher lief an die junge Läuferin heran und dann an das Paar, das uns am Anfang überholt hatte. Ich klebte an ihm wie ein Stück Eisen an einem Magneten. Am Anfang des Waldstückes wurde ein weiterer Läufer passiert, und schließlich näherten wir uns wieder dem Stadion.

Am Ende des Waldweges führte eine kurze, steile Rampe in die Arena. Oben erwarteten mich das 10 Kilometer Schild (45:45 Minuten), meine Anfeuerungsrufe brüllende Familie und am Ausgang die zweite Getränkestation, an der ich vorbeilaufend wieder zwei Becher Wasser aufnahm. Kaum hatte ich ausgetrunken, sah ich am Straßenrand meinen Lauf- und Schachkameraden Robert, der soeben beim 10km Lauf den zweiten Platz in seiner Altersklasse gemacht hatte. Entsprechend gutgelaunt gab er mir moralischen Rückenwind für die zweite Runde.

Vermisst ihr etwas? Genau! Wo war die Burg? Schließlich war das hier der Burgenhalbmarathon. Ich lief ihn zum vierten Mal, und noch nie hatte ich diese mysteriöse Burg gesehen. Etikettenschwindel? Dieser Gedanke streifte mich kurz, bevor ich eine innere Bestandsaufnahme machte. Es lief überraschend gut, der Rennpuls war noch nicht am Anschlag, die Beine relativ schmerzfrei und locker. Aus Unsicherheit über meine Reserven klebte ich nun über sieben Kilometer an meinem Schrittmacher wie ein Stück Kaugummi, jetzt war es Zeit, etwas für diese guten Dienste zurückzugeben. Am Ende der Straßenzeile setzte ich mich neben ihn und bot ihm an, die Rollen zu tauschen. Oh je, was hatte ich getan? Ein Redeschwall war die Antwort auf dem nächsten halben Kilometer steil abwärts, Spitzkehre, aufwärts und noch weiter. Nein, Schrittmacherdienste bräuchte er nicht; er hätte seine fünfte Oberschenkelzerrung dieses Jahr; er wäre fast 60 Jahre alt; diesen sommersprossigen Läufer etwa 100 Meter vor ihm müsse er im Auge behalten, das wäre sein Altersklassenrivale, aber bei seinem Endspurt würde er ihn zum Schluss überholen können, wenn der Abstand nicht größer würde. Wenigstens verging diese Zeit wie im Fluge. Wir wünschten uns zum Schluss gegenseitig alles Gute, dann zog ich dankbar für seine guten Dienste davon.

Inzwischen waren wir in einen anderen Weg als in der ersten Runde abgezweigt, den ich aus den vorigen Läufen noch nicht kannte. Wir liefen um ein größeres Gebäude herum, das aussah wie ein Gutshaus, und - was war das? - sahen ein kleines burgähnliches Gebäude mit einem kleinen Wassergraben zu unserer Linken. Das Geheimnis um den Namenspaten für den Burgenlauf war damit viertel- bis halbwegs gelüftet.

Auf dem nächsten Streckenabschnitt überholte ich zwei weitere Läufer und schloss zu dem gleichen sommersprossigen Läufer auf, der bereits am Anfang kurzzeitig mein Schrittmacher war. Inzwischen waren wir wieder auf dem Weg neben dem Bach angelangt, die Strecke war somit jetzt die gleiche wie auf der ersten Runde. Wir passierten Kilometer 14, und es lief verhältnismäßig gut. Erinnerungen an den zweiten Burgenhalbmarathon vor 11 Jahren wurden wach, als ich auch einem älteren Läufer bis hierhin gefolgt war, überzogen hatte und ab hier völlig einbrach mit einer halben Minute mehr pro Kilometer. Heute! Ich folgte bis zur Getränkestation nach Kilometer 15, den letzten 5km Abschnitt in 22:55 Minuten immer noch erstaunlich flott zurücklegend. Bei der Getränkeaufnahme erlebte ich das sattsam bekannte deja vu, dass ich mich nach dem Leeren der Becher von meinem Begleiter abgesetzt hatte. Zeit für eine weitere Innenweltschau. So langsam stieg der Puls, die Beine begannen zu ermüden und zu schmerzen, der anspruchsvollere Streckenabschnitt lag vor mir, aber es lief überraschend gut und es waren nur noch sechs Kilometer bis zum Ziel. Daher, weiter so!

Ich näherte mich einer weiteren Läuferin. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mich spornt es immer an, jemanden vor mir im Blickfeld zu haben. Vielleicht ein archaischer Jagdinstinkt? In schrumpfender Entfernung folgte ich ihr bis zum sich lang ziehenden Aufstieg und überholte sie dort. Ein weites Stück vor mir und über mir erblickte ich acht weitere Läufer, wie an einer Perlenschnur aufgereiht. Der Puls war nunmehr am Anschlag, die Beine protestierten. Jetzt machten sich wahrscheinlich die Trainingseinheiten mit Endbeschleunigung bezahlt, denn trotz meiner Befürchtungen bewältigte ich den Anstieg in relativ gutem Stil. Oben ging es zum zweiten Mal in das Waldstück, und plötzlich, etwa bei Kilometer 18, überkam mich ein Gefühl der Gelassenheit und Entspannung. Die angespannten Gesichtszüge glätteten sich automatisch, und für kurze Zeit ruhte ich wahrlich in mir. Dann waren das Gefühl und eine weitere Überholung vorbei, und ich musste mich wieder psychologischer Tricks bedienen, um die Fahrt aufrecht zu erhalten. "Nur noch läppische drei Kilometer", lockte ich meinen Körper, "und vor dir die nächste Beute". Mein Körper folgte gehorsam wie immer. Ich überholte eine weitere Perle der Acht-Perlen-Schnur vom Aufstieg. Was ich zu dieser Zeit noch nicht wusste, es war der spätere Sieger der M65. Eigentlich nichts besonderes, aber dieser Läufer, Armand Nerger, war vor 13 Jahren bei meinem ersten und besten Halbmarathon, ja vielleicht sogar bestem Wettkampf, auf dieser Strecke für lange Zeit mein Leitstern gewesen und schließlich einen Platz vor mir ins Ziel gekommen.

Jetzt folgte ich in 50-100 Meter Entfernung dem nächsten Läufer. Das Tempo nahm eher noch zu, aber subjektiv empfand ich meinen Laufstil wie den Waldboden - holprig. Verdammt, ich konnte keinen Meter aufholen, so schien es mir. "Abpfeifen!", schoss es mir durch den Kopf, mein Körper hatte genug. Aber ich hatte ihn auf Automatik programmiert, und so erreichte ich Kilometer 20 in 23.03 Minuten für die letzten fünf Kilometer, das war eine Steigerung von 20 Sekunden gegenüber der ersten Runde. So schnell? Verwunderlich, wie immer wieder die subjektive und die objektive Welt auseinander liegen. Immer noch den Läufer vor mir, bog ich in den Weg zum Stadion und verschärfte etwas das Tempo, ohne wirklich aufzuschließen. Ich freute mich regelrecht auf das Stadion, meine familiäre Fangemeinde und das Ziel. Da war auch schon der Abzweig zur Rampe ins Stadion, ich bog um die Ecke und sah, dass der Abstand zum Vordermann urplötzlich geschrumpft war. Im Null-Komma-Nichts sprintete mein Körper nach oben, den Befehl des Kopfes gar nicht abwartend. Ich habe halt neben einem Hitzkopf auch einen Hitzkörper, und das nicht nur physisch. Oben hatte ich den Konkurrenten sofort eingeholt, die kurze Gegenwehr erlosch nach fünf Schritten. Wo sind meine Fans? Ah, kurz vor dem Ziel. "Papaaaa!" Es ging um die Kurve, vor mir zwei weitere Läufer. Den Zuschauern bot ich einen Tribünenspurt, der mich bis auf drei, vier Schritte an die Läuferin vor mir herantrug. Egal! Nach dem Ziel ging ich erst einmal in die Knie, damit der Puls wieder in zivilisierte Regionen hinabsteigen konnte. Ich war in diesem Augenblick mit mir und der Welt im reinen.

Nach und nach tröpfelten die Begleiter meines Laufes ein. Die Läuferin, die ich am Fuße des Anstieges bei Kilometer 17 überholt hatte, kam etwa 1:40 Minuten nach mir ins Ziel. Ein Beleg für meine neu gewonnene Tempohärte. Dem älteren Schrittmacher der ersten Runde war es leider nicht mehr gelungen, seinen Rivalen einzuholen; am Ende fehlten circa 200 Meter. Frank, der Kieler, brauchte gut 1:42 Stunden und war eigentlich im Soll. Trotzdem schien er unzufrieden und ärgerte sich wohl ein bissschen über das schnelle Anfangstempo. Den Abschluss bildete der älteste Teilnehmer, der 71 Jahre alte Benno Merten, der unter stürmischem Applaus in gut 2:35 Stunden ins Ziel gelangte.

Mein Fazit fiel durchweg positiv aus. Zwei fast gleiche 10km Splits, Puls dosiert ansteigend bis zum Anschlag, ein starker letzter Kilometer, ideales Wetter, eine durchweg gute Psyche unterwegs und ein klug eingeteiltes Rennen. Der Lohn war weniger die Zeit von 1:36:16 - bei all meinen drei vorigen Läufen hier war ich deutlich schneller -, als vielmehr das Gefühl, für meinen momentanen Trainingszustand einen perfekten Lauf abgeliefert zu haben.

Anschließend saßen Frank, ein weiterer Läufer, unser Au-pair Brona und ich noch bei Kuchen und Getränken zusammen und ließen den Tag ausklingen, während meine Kinder mein Portemonnaie nach und nach plünderten, um Würstchen, Hanuta und Flüssiges als Lohn für ihr Durchhaltevermögen beim Zuschauen einzuheimsen. Aber als wir uns trennten, blieben zwei Fragen offen: war das Gebäude in der zweiten Runde wirklich eine Burg, und warum heißt es Burgenlauf (im Plural) statt Burglauf? Das werde ich im nächsten Jahr zu klären versuchen.
langsam läuft am längsten

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Na, hab ich Dich ja doch noch gefunden :D .

Hast aber einen schönen langen Bericht geschrieben. Viel hinzufügen brauche ich wohl nicht mehr. Das ich etwas sauer war, hast Du nett umschrieben. Die kleine Blonde, die uns auf der ersten Runde überholte, habe ich ja am Berg wieder eingholt. Habe kurz nachgedacht, ob ich nicht mit ihr laufen sollte, da sie eigentlich ein ganz nettes Tempo hatte. Ich habe sie aber überholt, was sich dann in der 2ten Runde rächte- sie zog locker an mir vorbei.
Ich war auf alle Fälle total gefrustet, trotz der 1:42. Den restlichen Samstag habe ich dann auf der Couch geschimmelt.
Es lief also eher ( :hallo: Tessa) suboptimal

Frank
Urgestein...ne watt nett :D
Gesperrt

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