5:00 Uhr morgens, der Wecker klingelt. Nicht ungewöhnlich in der Woche für mich, aber heute ist Sonntag, der 28. Mai 2006. Heute will ich meinen 1. Marathon laufen.
Es war eine kurze Nacht, da ich wegen des Ishimori-Syndroms (Insider ) 45 Minuten weniger geschlafen habe. Ich mache den Wecker aus und denke so bei mir, den Teich vom Nachbarn hört man heute aber sehr laut. Es dauert ein wenig, bis ich begreife, dass die Geräusche vom Regen kommen und nicht vom Teich. Na toll, das kann ja was werden bei meinem 1. Marathon.
Ja, jetzt ist er da, der Tag, an dem ich meinen Ersten laufen will. 12 Wochen Vorbereitung liegen hinter mir. Davon die ersten 6 Wochen sehr intensiv trainiert (4x die Woche mit ca. 65 Wochenkilometer), dann eine Erkältung bekommen, von der ich mich bis heute nicht 100% erholt habe. Ich war durch den Trainingsausfall sehr verunsichert, aber wollte es einfach probieren, auch deshalb, weil ich so auf den Putz gehaut habe in meinen Umfeld .
So, aufgestanden, gefrühstückt, Sachen noch gesucht und eingepackt und mal wieder zu spät aus dem Haus. Die Hinfahrt nach Regensburg (80km) verläuft normal, nur der Regen ist kurz vor Regensburg schon wolkenbruchartig. Na, das wird ja immer besser. Parkplatz zu finden war kein Problem, der Transfer zum Start per Shuttlebus klappte hervorragend. Auf dem Weg zur Ausgabe der Startunterlagen kommt mir jemand eingemummt entgegen, der auf mein zaghaftes Rufen sich als Udo herausstellt. Kurz begrüßt, Foto gemacht und vereinbart, sich erst nach dem Marathon im Zielbereich zu treffen.
Auf dem Weg zurück zum Startbereich regnet es in Strömen. Mir ist das mittlerweile egal, genauso wie der Marathon, ich habe einfach keine Lust. In einem Messezelt stellen wir uns unter. Da mir der Weg zu den Umkleiden zu umständlich ist wegen dem Regen, ziehe ich mich einfach hier um. Ich bin da nicht der Einzige. Habe auch schon einiges an, dass ich nur noch den Brustgurt, die Brustwarzen abkleben, GPS anlegen und die Trainingshose ausziehen muss. So, 15 Minuten vor dem Start laufe ich mich 5min ein und suche einen Busch auf. Ja, wir Männer haben es da schon leichter als die Frauen.
Startblock C eingereiht, ziemlich weit hinten. Es regnet immer noch schwach. Die Minuten vergehen und dann fällt der Startschuß. Es dauert ein bisschen, bis ich lostraben kann. Da kommt die Startlinie. Alle sind frohen Mutes. Nach ein paar Metern schaue ich mal zurück. Naja, viele sind nicht hinter mir, nur ca. 15 Läufern. Aber ich will ja nicht zu schnell angehen, durchkommen ist das Ziel.
Die ersten Meter gelaufen. Mein Puls macht rums und er ist bei 155. Na toll, dass soll ich nun mit weiteren Steigerungen 4,5 Stunden aushalten, kann ich mir nicht so recht vorstellen.
Langsam entzerrt sich das Feld und der erste Kilometer ist vorbei. Das Schild ist mir nicht aufgefallen, aber das GPS sagt 6:10min/km. Ok das ist genau das
was ich laufen wollte. Bei Kilometer 2 bemerke ich, dass das GPS schon 150m zu schnell ist. Das wird leider den ganzen Lauf immer schlechter, sodass ich zum Schluß nach GPS 43,98km gelaufen bin. Aber als Anhaltspunkt ist es nicht schlecht, bin ich schon froh, es dabei zu haben.
Ich laufe doch den ganzen Lauf einiermaßen gleichmässig langsam.
Die ersten Kilometer sind sehr zäh. Habe mich einer 3-Gruppe angeschlossen, wo einer davon Polizist ist. Der kennt natürlich alle Absperrpolizisten, wir laufen auch an seiner Wache und bei seinem Chef vorbei. Schöne Ablenkung.
So, die Altstadt ist hinter uns, da kommt bei Kilometer 5 auch schon die erste Verpflegungsstelle. Einen Becher Wasser zu mir genommen, dabei ein paar Meter gegangen und es geht weiter. Es läuft eigentlich gut, es tut nix weh, meine Laune hat sich gebessert, der Regen hat aufgehört. So laufe ich einfach weiter. Meistens überhole ich jemanden, ab und zu werde ich überholt, das wechselt sich ab. Ich nehm zum Zeitvertreib meinen ersten Energieriegel bei km 10 zu mir. Das lenkt schön ab. Auch suche ich eine Möglichkeit, mal kurzfristig auszutreten, was sich in Barbing hinter einen Erdwall gut erledigen lässt.
2. Verplfegungsstation auch schön 2 Becher Wasser genommen, 1 getrunken, den anderen für den schwamm zum Erfrischen. Die Zeiten kann ich nicht ganz zuordnen, aber nach GPS, was ja leider nicht ganz stimmt, laufe ich immer noch 6:20min/km. Das genügt mir, da ich ja nur ankommen will und der Weg noch weit ist. Dann taucht ein Zeitwagen auf, gefolgt von einem schnellen Kenianer. Man, das ist ein Tempo, das schaff ich ja nicht mal im Sprint. Die ersten 10 Läufer werden jeweils mit Applaus von mir bedacht.
Kurz vor Kilometer 15 (Sarching) stehen meine Frau, Schwester und Schwager. Meine Frau läuft mir entgegen und will mir die andere Laufjacke geben, so wie wir es vereinbart hatten. Ich sag nur, dass sie die Ärmel rausmachen soll und erst am Rückweg tauschen werden. Im Nachhinein war das ein Fehler. Sie bemerkt noch, dass Udo hier mit einer Zeit von 1h5min vorbei kam. Meine Schwester feuert mich an, bemerkt noch, dass ich sehr gut ausschaue. Naja, ausgepowert bin ich auch noch nicht, es läuft eigentlich recht flüssig. Aber frisch geduscht schaue ich besser aus.
Ja, Udo, den hatte ich doch glatt vergessen.
Was für eine Startnummer hat er wieder?
Wie schaut er aus?
Ich versuche, ihn bei den schnellen Läufern zu finden. Irgendwann kommt er mir auch entgegen, strahlt mich an, wir klatschen uns ab und weg ist er. Tat
richtig gut, jemand Vertrautes zu sehen.
Es kommt gleich km 15, wieder schön getrunken, kleines Stück Banane gegessen und es geht weiter.
Beim Sarchinger See ist 5m vor mir eine Läuferin, die auf einmal bemerkt: "Ach, ist der Ausblick schön". Naja ich habe nicht soviel Nerv, dass ich die
Landschaft genießen kann, schließe aber zu ihr auf und unterhalte mich ein bisschen mit ihr. Sie sagt, sie ist reine Genußläuferin mit einer Zielzeit von ca.
4:45h. Auch eine Möglichkeit, den Sonntagvormittag zu verbringen. Mein Polizist ist auch auf einmal wieder da und die kennen sich, sodass ich mich vom Acker mache. Die nächsten 2-3km laufen sehr gut, ich laufe etwas schneller, alles im grünen Bereich. Was jetzt aber erschwerend dazu kommt, es blinzelt die Sonne durch die Wolken. Und ich bin immer noch mit dem Kway unterwegs. Komme ins Schwitzen, das müsste eigentlich nicht sein, aber da muss ich nun durch, bei km 25 steht ja meine Frau mit der anderen Jacke.
In Friesheim bei km 18 steht wieder eine Menge Zuschauer an der Strecke mit Band zum Anfeuern. Jeder, der mich beklatscht und anfeuert, wird von mir mit
einem Lächeln (je länger der Lauf dauert, mit einem Gequälteren) und mit dem Daumen nach oben bedacht.
Bei km20 in Illkofen ist der Wendepunkt des Rundkurses, kurz danach die Halbmarathon-Marke. Bin so angespannt, dass ich nicht mal die Zeit kontrolliere.
Seit der Wende haben wir Gegenwind. Irgendwie ist er störend und irgendwie gehört er dazu. Ich will nur endlich ankommen, aber dazu fehlen mir noch 20 km.
Also laufe ich weiter und es vergeht die Zeit einigermaßen schnell. Bei km25 ist eine Verpflegunsstation, ich trinke wieder. Nachdem ich loslaufe, bemerke ich dass 30m entfernt meine Frau steht. Also schnell hin, paar Worte (meine Schwester:"Du schwitzt ja unter der Jacke" ) und Jacke gewechselt, und weiter gehts. Ohne Ärmel läuft es sich bei den immer wärmer werdenen Temperaturen schon viel angenehmer.
Bei Kilometer 30 kommt kurzzeitig Freude auf, ab jetzt betrete ich Neuland, soweit bin ich noch nie gelaufen. Aber es geht körperlich erstaunlicherweise relativ gut.
Ab km 34 bekomme ich Motivationsprobleme, so dass ich immer wieder zu mir sage: "Die laschen 8km läufst du auch noch, war im Training doch ein Klacks, die laschen...". Immer wieder sage ich das. Die Kilometer wollen einfach nicht weniger werden, die ziehen sich wie Kaugummi. Körperlich merke ich die
Anstrengung, aber es ist nicht schlimm. Hatte es mir viel schlimmer vorgestellt. Nur will ich mental einfach nicht laufen. Deswegen "die laschen 7km...", langsam , ganz langsam verkürzt sich die Strecke, den Stadtrand von Regensburg habe ich auch wieder erreicht. Ich überhole nun viele Läufer, die nur noch gehen können, bzw. eine kurze Geh-Pause machen, zum Ziehen finde ich leider niemanden. Ach wäre jetzt mein Superpacemaker Heinz recht, oder Udo, der muss doch schon im Ziel sein. Kurzeitig rechne ich eine Zielzeit unter 4:30h aus, aber da bin ich schon nicht mehr zurechnungsfähig. Die Eiserne Brücke ist für mich einfach nur ein Weg, wo ich entlang laufen muss. Ich muss mich weiter motivieren: "noch 5km, noch 5km, 5km, 5km....". Die Beine sind schwer, bewegen sich aber irgendwie automatisch. Nur mein Gehirn ist leer. Der Mann mit dem Hammer kommt nicht. Dafür ist im Gehirn ein kleines Hämmerchen, dass immer wieder hämmert und aufhören will. Aber dafür habe ich in 12 Wochen einfach zuviel Zeit und Energie gesteckt, dass ich nun einfach gehe. Die Altsadt von Regensburg wird nochmal hart. Ab der Steineren Brücke ist Kopfsteinpflaster angesagt. Kann kaum die Unebenheiten ausgleichen. Wenn ich nicht sauber auftrete, schmerzt das rechte Knie. Sollte die Beine mehr heben, aber das geht jetzt nach 38 Kilometer nicht mehr. Bei der Steineren Brücke ist auch eine Menge los, viele Touristen, am freundlichsten waren die Japaner, die haben schön geklatscht. Auf der Brücke selber ist alles unterwegs. Fußgänger, Fahrradfahrer, die ich beinahe umlaufe, weil ich einfach keine Konzentration mehr habe.
Noch 4 Kilometer. Direkt in der Altstadt sitzen viele im Cafe. Die werden sich auch denken, wie kann man sich nur so quälen.
Auf einmal höre ich meinen Vornamen: "Reinhard, Reinhard". Ach, ist Sabine doch noch gekommen. Aber ich sehe sie nicht, nur 3 Mädchen die mich anfeuern. Woher wissen den die meinen Namen? Ich grübel kurz (schöne Ablenkung ), dann fällt mir ein, auf der Startnummer ist ja mein Name vermerkt. Ich bedanke mich mit dem Daumen nach oben und laufe weiter. "3km, 3km, 3km". ich kann nichts anderes mehr denken als dass es bald vorbei ist. So kommt endlich der letzte Kilometer, der mir aber bis auf die letzten 300m total trostlos verkommt.Vor mir sehe ich niemanden, zurückschauen schaffe ich nicht mehr. Ich höre kein Schnaufen hinter mir, nur mein eigenes. Ich fühle mich total alleine. Jetzt wäre ein Pacemaker oder MP3-Player schön, der mich noch motiviert. Ich selber kann es nicht mehr. Endlich geht es in die Zielstraße. Es ist hier fast nix mehr los, kaum Zuschauer bis auf den Zielkanal. Die letzten Meter. Ich erkenne endlich meine Frau beim Fotografieren. 10m danach ist mein Schwager, er feuert mich an. Da packe ich meine Beine unter die Arme und lege noch einen 30m-Sprint hin. Im vorbeifliegen bemerke ich noch die Anfeuerungsrufe meiner Schwester.
Da ist das Ziel. Endlich ist es vorbei. Mein Gehirn ist leer, ich kann nichts mehr denken. Irgendjemand hängt mir die Medaille um, ich bewege mich wie in
Trance, hole mir eine Banane. Kein Gefühlsausbruch, so wie ich mir das immer ausgemalt habe. Einfach nur eine Leere, ausgelaugt. Ich verlasse den Zielkanal.
Da kommt meine Frau und drückt mich fest. Da überkommt mich sowas wie Freude. Aber irgendwie kann ich es immer noch nicht Fassen, was ich geleistet habe, dass ich durchgekommen bin ohne großartigen körperlichen Schwierigkeiten.
Beim Durchlaufen des Zieles habe ich vergessen, die Stoppuhr zu drücken. Aber ich muss unter 4:35h gelaufen sein. Ich kann aber die Zeit nicht einordnen. Es ist nur vorbei. Nicht mehr, nicht weniger.
Udo kommt und gratuliert mir. Ich weiß nicht ob er es merkt, aber ich freue mich einfach nicht. Die Leere ist einfach da. Gemeinsam gehen wir noch eine Cola trinken und ein kleines Bier, das eigentlich alkoholfrei sein sollte, es aber nicht ist. Wir unterhalten uns über den Lauf und sonstige lauftechnische Dinge.
Wir wollten dann eigentlich noch etwas essen, aber die Schlange an der Nudelausgabe ist mir zu lang. So verziehen wir uns in ein kleines Zelt, wo wir uns setzen und ich ein wenig über den Lauf berichte.
Kurz darauf verabschiede ich mich von Udo.
Es war für mich eine Grenzerfahrung, zu was ich alles fähig bin.
Aber auch die Erkenntnis, das da noch was geht.
Deswegen sind die weiteren Ziel schon gesteckt. Der Marathon muss einmal unter 4h gelaufen werden.
Es war eine schöne Laufveranstaltung. Es hat alles geklappt. für das Wetter können die Veranstalter ja nix. Werde ich irgendwann mal wieder laufen.
Danke allen, die mich unterstützt und Tipps gegeben haben und solange mit dem Lesen ausgehalten haben bis zum Schluß.
Technische Daten:
Zielzeit: 4h 34min 05s
HF: 167 (87%)
Trainingskilometer:
1.-6. Woche: 355km
7.-12. Woche: 144km
Trainingsdauer: 56h
@Udo: Meine Frau hat krampfhaft nach deiner Zielzeit bei den M40-M45 gesucht.
Zu den Bildern:
0. Bild: Erstes Bild mit Udo vor dem Start, es regnet noch
1. Bild: Beim Umziehen, die Laune ist schon etwas besser#
2. Bild: Man kann auch Barfuß und nur in Sandalen einen Marathon laufen, sind alle 3 angekommen
3. Bild: Kurz vor dem Start, noch der Meinung, dass der Regen nicht aufhört
4+5. Bild: Meine Frau beim Betreuen, es scheint noch keine Sonne
6. Bild: Auch Exoten haben teilgenommen.
7. Bild: Udo schon auf dem Rückweg
8-10. Bild: Beim Jackentausch Kilometer 25
11. Bild: Kurz vorm Zieleinlauf
12. Bild: Nach Zieleinlauf mit Udo, der bedeutend besser ausschaut als ich
13. Bild: Verabschiedung von Udo
Mein 1. Marathon, sehr, sehr langer Bericht
1Reno
Alle Äußerungen von mir sind meine persönliche Meinung und Resultat aus gelesenen, gehörten und teilweise selbst erlebten.
Dies bitte ich zu beachten:zwinker5:
10km 00:49:19 06.05.2006 26. Weidener Straßenlauf
HM 01:51:38 02.09.2007 Ältötting
M 03:55:20 28.06.2009 Fürth
Alle Äußerungen von mir sind meine persönliche Meinung und Resultat aus gelesenen, gehörten und teilweise selbst erlebten.
Dies bitte ich zu beachten:zwinker5:
10km 00:49:19 06.05.2006 26. Weidener Straßenlauf
HM 01:51:38 02.09.2007 Ältötting
M 03:55:20 28.06.2009 Fürth
Dateianhänge