Aber erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Trainiert habe ich im Dezember und Januar fast überhaupt nicht, den Marathon in Bad Füssing bin ich dann als erste lange Trainingseinheit gelaufen.
Dann habe ich gesehen, dass kid-a am 04.03.2007 beim Maintallauf in Schweinfurt die 1:30 knacken will. Ja, darf der das denn? Der ist doch gerade erst vor einem halben Jahr seinen ersten Marathon gelaufen - in fast genau der gleichen Zeit, wie ich vor 2 1/2 Jahren. Frechheit. Wahrscheinlich wird er es auch noch schaffen, so wie er den Winter über trainiert hat. Dank regelmäßigem E-Mail-Kontakt war ich ja auch detailliert über seine Fortschritte informiert, schon etwas blässlich grün vor Neid und darauf vorbereitet, ihn bald Holger nennen zu dürfen.
Und obwohl ich mir keine großartigen Hoffnungen machte, in den nächsten vier Wochen fit für einen HM im 4:15er Schnitt zu werden, meldete ich mich gleich nach dem Füssing-Marathon für Schweinfurt an. Vielleicht springt ja eine neue PB um die 1:33 oder sogar 1:32 raus.
Und so stürzte ich mich gleich zwei Tage nach dem Füssing-Marathon mit einem Tempodauerlauf wieder ins Training. Nicht ganz so schnell wie noch im November, wo ich die gleiche Strecke noch locker unter einer Stunde gelaufen bin, aber mehr konnte ich mit meiner jetzigen Form auch nicht erwarten. In der gleichen Wochen noch 6x1000m Intervalle und am Wochenende ein 35er. Leider bin ich bei diesem Lauf etwas bei km 30 gestolpert, habe mich zwar noch irgendwie abgefangen, mir dabei aber links hinten in der Seite irgendwas verrissen. Am nächsten Tag konnte ich jedenfalls kaum aufstehen, das Sitzen in der Arbeit machte mir die nächsten drei Tage massive Schwierigkeiten und an Laufen war während dieser Zeit auch nicht zu denken. Am Donnerstag ging es mir jeodch schon wieder ganz gut, und ich traute mir schon wieder einen 10 km Tempodauerlauf zu. Freitag hatte ich dann zwar wieder etwas Probleme, am Samstag war es dann aber endgültig vorbei. Mehr als eine zweite Trainingseinheit (4x2300m Intervalle) war aber in der Woche nicht mehr drin. Dafür bin ich dann in der Woche drauf wieder etwas mehr gelaufen: Am Dienstag 14 km Tempodauerlauf, Donnerstag nacht 35 km, Samstag 3x3000m Intervalle und Sonntag nochmal einen langen Kanten (37 km) mit Flo (kid-a) und seinem Kumpel Robert. Danach habe ich für meine Gäste noch chinesisch gekocht - mein perfider Plan, die beiden mit einer Überdosis Chili für den HM am kommenden Sonntag auszuschalten, ist aber leider nach hinten losgegangen. Die aßen nämlich tatsächlich beide gerne scharf (sonst hast Du immer einen dabei, der das nicht verträgt), und ich hatte vergessen, mir VOR dem Kochen die Kontaktlinsen rauszunehmen (wenn man Chilis angefasst hat, kann man seine Hände noch so oft waschen - es wird brennen, wenn man sich danach ins Auge fasst).
Bis auf 6x1000m Intervalle und einen lockeren 10 km-Lauf mit 2 km Gasgeben ruhte ich mich aber dann in der Vorwettkampfwoche aus.
Meine beiden Bamberger Laufkumpels Ich-lauf-mal-schnell-aus-dem-Stand-einen-Marathon-mit-800-Höhenmetern-in-3:11-Tino und Mr. Oberschenkel Tom hatten sich ebenfalls entschlossen, in Schweinfurt ein paar Schallmauern zu durchbrechen; Tino hatte sich irgendwas Schwindelerregendes jenseits der 1:25 zum Ziel gesetzt, und Tom wollte die 1:30 auch deutlich unterbieten. Nur mit 5 Wochen Vorbereitung in einen HM-Wettkampf mit 4 verrückten Kumpels. Tolle Wurst.
Und dann ist es auch endlich soweit. Am Wettkampfmorgen wundere ich mich erst noch, warum meine Augen beim Einsetzen der Kontaktlinsen so brennen, bis ich mich daran erinnere, dass die Dinger ja seit einer Woche in einer Mischung aus Aufbewahrungslösung und Chili-Extrakt marinieren...
Ich habe noch immer keine Ahnung, wie ich laufen soll - volles Risiko auf 1:30, Sieg oder Niederlage, oder "sicher" auf 1:33 und dann nach 10 km sehen, was noch geht? Meine Freundin Katja meint, 1:33 sei doch auch immerhin Bestzeit. Mein Ego rät mir, mich zumindest einfach an Flo dranzuhängen. Wenn das mal gut geht, so wie der trainiert hat...
Jedenfalls ist es richtig tolles Wetter, die Sonne macht schon auf der Hinfahrt richtig gute Laune. In Schweinfurt angekommen treffe ich auch schon recht bald Flo, Robert, Tino und Tom mit Anhang.
Inzwischen ist es so richtig sauwarm, und ich wechsle noch schnell in Singlet und Shorts. Nach zwei km Warmlaufen begebe ich mich mit Flo zum Start. Tino und Tom kann ich nirgendwo erblicken, die stehen wahrscheinlich wie immer irgendwo weit vorne.
Ich nehme mir noch fest vor, nicht zu schnell loszulaufen und den ersten Kilometer ruhig anzugehen. Und da macht's dann auch schon wieder Peng, 13 Sekunden später laufe ich über die Startlinie. Und ich bin von Anfang an total planlos: Um mich rum wuselt eine Läuferschar aus Halbmarathonis, 8,2 km-Hobbyläufern und einem Riesenhaufen Kindern. Die Winzlinge überholen mich links, rechts, hüpfen über mich drüber und flitzen zwischen meinen Beinen durch. Ich versuche, irgendwie mein Tempo (was zum Teufel ist denn mein Tempo?) zu finden, habe aber dank des Gewusels und meiner Polar, deren angezeigte Pace fröhlich zwischen 3:50 und 5:30 min/km hin und her hüpft, so meine Schwierigkeiten damit. Nach ein paar Minuten sehe ich aber meinen heute persönlichen Pacemaker/Holger/2m-Leuchtturm kid-a vor mir und schließe zu ihm auf. Recht schnell merke ich aber, dass sein Tempo mir doch ein wenig zu hoch ist (scheiße – was fällt dem ein? Und wie kann er dabei noch so locker aussehen?). Also lasse ich ihn ziehen.
Als ich das 1-km-Schild erreiche, ist er etwa 20 m vor mir. Ich schaue auf die Uhr und sehe 4:00 min. Dreck. Doch zu schnell losgelaufen. Ich rufe Flo schnell die Zeit zu, für den Fall, dass er das rechts am Boden stehende Schild nicht gesehen hat, nehme den Fuß ein wenig vom Gas und lasse kid-a weiter Abstand gewinnen.
Recht bald kommt auch schon das zweite km-Schild: 4:00 min. Oh Shit – damit dürfte ich mich nun endgültig aus dem 1:30-Rennen geschossen haben. Nun bremse ich aber wirklich deutlich und lasse mich auf dem nächsten km von ewig vielen Läufern überholen. Ergebnis: 4:15 min. Brav.
Die nächsten zwei km gehen in jeweils 4:12, ich hänge mich an den 1:30-Zugläufer. kid-a sehe ich noch irgendwo vor mir am Horizont. Und dann laufe ich auf einmal von hinten auf einen Läufer auf, dessen massige Oberschenkel mir irgendwie bekannt vorkommen. „Tom, bist Du's?“ Er sieht etwas abgekämpft aus, so kenne ich ihn gar nicht. So fit, wie er ist, dürfte ihm das Tempo zu dieser Zeit eigentlich keinen Schweißtropfen abnötigen. Egal, wir wechseln ein paar Worte und ich ziehe weiter, und lasse Tom und den Zugläufer hinter mir. Zu kid-a habe ich die ganze Zeit konstanten Abstand.
Ein paar Zweifel nagen schon an mir – ich kann das Tempo zwar momentan gut halten, aber anstrengend war es trotzdem von Anfang an. Außerdem sitzt die Furcht vor dem Seitenstechen nach den Wettkämpfen vom Herbst 2006 noch ziemlich tief in mir. Ich atme konzentriert und tief in den Bauch, wie ich es seit November brav geübt habe.
Der ersten Verpflegungsstelle keine Achtung schenkend, laufe ich km 6 und 7 gleichmäßig 4:14 min/km. Es ist etwas windig, und ich versuche, mich etwas im Windschatten hinter einem einen halben Kopf größeren Kerl zu verstecken – aber irgendwie kann ich den Windschatten nicht finden!
Irgendwann ist kid-a nur noch ein paar Meter vor mir. Ich beschließe, weiter hinter ihm zu bleiben (es darf auf keinen Fall passieren, dass ich ihn jetzt überhole, er dann aber wieder bei km 19 an mir vorbeizieht, wenn ich von Krämpfen und/oder Seitenstechen geplagt am Straßenrand stehe). Nachdem er aber noch ein wenig an Tempo verliert, schließe ich zu ihm auf. Wir laufen etwa 2 km miteinander (4:18, 4:15), dann lässt er mich ziehen.
Das Runner's High stellt sich ein, alle Gedanken an unzureichendes Training, Einbruch und Seitenstechen sind verflogen. Einfach nur rennen, es ist todesgeil. Irgendwie sehe ich auf einmal wieder Tom vor mir - „Wo kommst Du denn auf einmal her?“ „Ich habe Dich gerade überholt – das kommt davon, wenn man zu schnell losläuft!“
Ich versuche, so gut wie möglich an ihm dranzubleiben. Es geht nach rechts in eine Straße, auf der uns die schnelleren Läufer schon entgegen kommen, unter anderem Tino, der wieder mal rennt wie der Teufel. Recht schnell wird mir auch klar, dass Tom's Tempo auf Dauer ungesund für mich ist und ich bleibe etwas zurück. Kurz vor der Wendestelle sehe ich noch Robert auf der anderen Seite. Die Verpflegungsstelle lasse ich nach dem Motto „Wer trinkt, verliert“ rechts liegen. kid-a kommt mir auch gleich entgegen – der ist mir also auf den Fersen.
Am 10-km-Schild zeigt mir die Uhr dann 4:11 min für den letzten km und 42:04 min insgesamt. Zieht man die 13 Sekunden vom Start ab, liege ich mit 41:51 min nur eine Sekunde über meiner im September im Training gelaufenen 10er PB . Den nächsten km laufe ich nochmal richtig schnell in 4:09, die nächsten 3 km etwas ruhiger in 4:16, 4:15 und 4:16. Hier ist es wieder etwas windig, und der Läufer hinter mir wundert sich auch etwas über den fehlenden Windschatten. Andererseits ist es inzwischen richtig warm, und ich bin froh, dass ich die kurzen Sachen anhabe.
km 15 laufe ich wieder ziemlich fix in 4:10. Zwischenzeit: 1:03:09 – die 1:30 kann mir nun keiner mehr nehmen (an Seitenstiche denke ich überhaupt nicht mehr), und ich setze mir sub 1:29 als neues Ziel!
Die nächsten 2 km gehen wieder etwas gemäßigter in 4:14 und 4:17, dann geht es wieder rechts Richtung Verpflegungsstelle. Tom kommt mir entgegen, der wird wohl unter 1:28 laufen. An der Wendestelle sehe ich Robert kurz vor mir. Ich gieße mir nur einen Becher Wasser über den Kopf und schließe zu ihm auf. Einen besseren Hasen kann ich mir für die letzten 4 km nicht vorstellen. Flo sehen wir etwa eine halbe Minute später, er ist etwas zurückgefallen.
Ich versuche ein paar Mal, mich von Robert abzusetzen, aber das lässt er sich nicht gefallen und zeigt mir jedes Mal schnell wieder seine Rückansicht . So verfliegen dann km 18 und 19 in 4:13 und 4:14 min.
Inzwischen laufe ich schon ziemlich auf dem Zahnfleisch, glaube aber, noch genügend Kraft zu haben, das Tempo die letzten 9 Minuten noch durchhalten zu können.
Dann baut sich aber gut 1 1/2 km vor dem Ziel majestätisch und unendlich langgezogen die Hahnenhügelbrücke vor uns auf. Aua. Da soll ich jetzt noch rauf? Shit. Das war's dann wohl mit sub1:29. Egal. Ich schlucke einmal und stürze mich mit Robert in die letzte Schlacht. Und es tut richtig weh.
Eine schiere Unendlichkeit später haben wir die Kuppe erreicht und es geht bergab. Kurz darauf das 20-km-Schild – 4:22 min für diesen unseligen Kilometer, Zwischenzeit 1:24:30. Nur noch 4 1/2
Minuten für die letzten 1,1 km, das wären etwa 4 min/km. Mit dem Schwung von die Brücke runter könnte das aber gerade noch klappen.
Also renne ich wie der Leibhaftige neben Robert die Brücke runter. Meine Polar zeigt am Fuß irgendwas um die 3:40 min/km an.
Es geht rechts in die Straße, wo irgendwo der Startbereich war. Und dann es nochmal bergauf. Kurz, aber richtig schmerzhaft. Mir wird fast schwarz vor Augen. Robert ist ein paar Meter vor mir. Ich habe keine Ahnung wo genau das Ziel ist und wie lange ich noch laufen muss. Und ich bin total am Ende, kurz vor der Kotzgrenze. Die 1:29 kann ich vergessen.
Da steht am Rand ein Streckenposten und ruft „Nur noch 300 Meter, Ihr habt's gleich!“
Das war das Zauberwort. Ich mobilisiere die letzten Reserven und fange an zu rennen. Robert ist noch immer vor mir. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor.
Kurz vor dem Startbereich geht es scharf rechts in den Hof, wo es die Startunterlagen gab, und dann gleich wieder um 90° nach links - ich sehe die Ziellinie 50 Meter vor mir – und ein Krampf schießt mir in die rechte Wade. Den Sturz konnte ich noch vermeiden, aber mein rechtes Bein funkioniert nicht mehr, die Wade fühlt sich wie eine Bowlingkugel an. Humpelnd laufe ich dem Ziel entgegen, und sehe die Zieluhr -
1:28:50 ...
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54 ...
55 ...
- und durch.
1:28:55 !!!!!
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- und durch.
1:28:55 !!!!!
Mann, war das geil! Endlich mal wieder eine PB, und was für eine! Über 5 Minuten schneller als letztes Jahr im Mai! Ich war im siebten Himmel. Katja meinte, sie hätte noch gar nicht mit mir gerechnet und konnte gerade noch ein Foto schießen.
Robert ist ein paar Sekunden vor mir durch, kid-a hatte die Brücke das Genick gebrochen und er hat die 1:30 knapp verpasst – trotzdem seine PB in einem halben Jahr um beachtliche 9 1/2 Minuten verbessert. Bald wird er mir endgültig davonlaufen . Tom war eine knappe Minute schneller als ich, Tino kam genau 5 Minuten vor mir ins Ziel.
Die Duschen waren auch ein Erlebnis für sich – so viele nackte Männerkörper auf so wenige Quadratmeter (und noch weniger Duschen) habe ich auch noch nicht erlebt.
Nach einer leckeren Pizza mit kid-a und Robert und Anhang sind Katja und ich noch zum Schlittschuhlaufen nach Hassfurt gefahren. Da ich vorher nur zwei- oder dreimal in der vierten Klasse auf Kufen und noch nie auf Inlinern gestanden bin, sah das sicher ziemlich lustig aus.
Am Abend war ich dann noch mit Tino und Tom beim Bowling. Aber selbst die Tatsache, dass ich der schlechteste Bowler der Welt bin (ohne Scheiß ), konnte mich an diesem Abend nicht mehr stören...