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"Lassen Sie sich das wegspritzen" oder "Der 90-Tage-Selbsttest"

"Lassen Sie sich das wegspritzen" oder "Der 90-Tage-Selbsttest"

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Für die, die nicht in meinen Blog schauen und alle, die mir geholfen haben - etwas lang geworden:

Kurzer Blick in die Vergangenheit:

Frühjahr 2004: Ich fange mit dem Laufen an - schön langsam, alles wunderbar. Ein wenig Disziplin benötige ich schon, damit ich das regelmäßig ein- und durchhalte.

Herbst 2004: Ich melde mich zum Halbmarathon in Hamburg für den 26.06.2005 an.

Winder 2004/2005: Ich fange an, für den Halbmarathon mein Training auszuweiten. Jetzt gehts los. Mit Übermotivation und zu schnellen Tempoläufen und nicht vorhandener Rumpfgymnastik verzieh ich mir mein ISG . Ich muss mit dem Laufen pausieren, geht gar nicht. Mit Physio und ein wenig Bauchgymnastik und viel Geduld und einer Dauer von bestimmt einem halben Jahr (in der Zeit kann ich aber wieder laufen) bekomm ich das in den Griff.

Mai/Juni 2005: Von wegen "Mehr ist Mehr" halte ich mich nicht an den Trainingsplan für den Halbmarathon und ziehe mir dadurch einen Shin Splint zu. Wieder kurze Laufpause (ich zieh den HM noch durch), Physiotherapie und langsamer Neueinstieg - diese tückische Knochenhautentzündung tritt aber immer wieder auf, so bald ich das Training intensiviere. Ende 2005 fahre ich das Laufpensum runter und starte mit Runden von 3-4 Kilometern - ganz langsam. Ich steigere mich über Monate auf 5-6 Kilometern und bekomme den Shin Splint so einigermaßen in den Griff. Gleichzeitig geb ich Geld für eine Laufbandanalyse aus. Der orthopädische Schumachermeister findet angeblich einen Fehler und will mit Einlagen korrigieren.

April 2006: Ausgelöst durch die Einlagen und unterstützt von unzureichender Oberschenkelmuskultatur ziehe ich mir eine entzündeten Patellasehne beidseitig zu - ein Patellaspitzensyndrom.

Ich höre das Laufen fast völlig auf und fange das Walken mit Mini-Laufeinheiten an und versuche diese auszubauen, was nicht gelingt.
Erneut Physiotherapie. Natürlich höre ich Stimmen von Ärzten, Freunden: Lass es doch sein, ist halt nichts für Dich.

Es gibt keine grundsätzliche Ursache aller o.g. geschilderten Probleme - das wäre für mich die einfachste Lösung gewesen :-)) . Es handelt sich um Überlastung, fehlende stützende Muskulatur, natürlich die falschen Einlagen und weiß der Himmel was noch.

Zwischendurch fange ich immer wieder mit entsprechenden Kräftigungs-Übungen an - jedes mal werden die Beschwerden schlimmer und ich höre frustriert wieder auf. Genau so verhält es sich mit den Dehnübungen. Gerade die Übungen für die Knie erscheinen mir zu schmerzhaft und lösen meines Erachtens nach zu viel Druck auf die Kniescheibe aus. Das Ganze Theater geht natürlich nicht ohne die ein oder andere Frust- und Wutträne vonstatten, wobei ich "eigentlich" nicht zu den Heulsusen gehöre.

Dezember 2006: Der Physiotherapeut/Osteopath, der meine komplett verhärteten Muskeln über ca. 40 Sitzungen weichgeklopft hat, gibt angesichts meiner immer noch vorhandenen Knie- und Schienbeinprobleme mit den Worten auf "Lassen Sie sich das wegspritzen". Und ich - Anja, bekennende Müsli-/Biozeugsesserin und Medikamentenhasserin bin bereit - ich lass mir das wegspritzen, komm her mit dem Cortison, mir doch egal.

01.01.2007: Ich geb meinem Körper eine letzte Chance - 90 Tage Testzeit. Wenn ich mich schon mit Medikamenten vollspritzen lasse, dann kann ich ja auch noch was ausprobieren. Ich ziehe in einen Discounter und kaufe eine Kniemanschette (nicht, dass ich ernsthaft glaube, dass sie hilft - aber sie hält warm) und Kühlelemente (angenehmer als mit Eis im Beutel zu kühlen). Ich bestelle mir ein Kippelbrett - und nutze es natürlich auch.

Ich starte mit 4km-Läufen und kühle anschließend, was das Zeug hält. Ich nehme mir viel Zeit für die Dehnungen nach dem Laufen - immer 6 Minuten für die Oberschenkel und die Knie. Für restliche Körperteile 3 Minuten.

Ich mache jeden 2. Tag Kräftigungsübungen - erst nur für die Oberschenkel, später weite ich das für den Rumpf aus. Dies immer mit den langwierigen Dehnübungen kombiniert - so dehne ich jeden Tag.

Ich dehne meine Waden beim Zähne putzen. Ich sitze in Konferenzen in einer seltsamen Haltung, um meine Oberschenkelaußenseiten zu dehnen - mein Chef schaut mich immer irritiert an.

Es kommt wie immer - die Beschwerden werden schlimmer - aber egal, ich kann mir das ja wegspritzen lassen, das hab ich immer im Kopf. Ich halte weiter meine Kräftigungs- und Dehnübungen durch - viel Zeit geht dabei drauf. Aber ich will einfach nichts unversucht lassen. Und siehe da, auf einmal wird es besser. Nicht nur das, meine Laufgeschwindigkeiten steigern sich auch auf einmal - ausgelöst vermutlich durch die gestärkten Oberschenkel.

Ich bewege mich auf dünnem Eis. Es ist nicht so, als wenn ich nichts spüre. Hier melden sich mal die Schienbeine, da mal das rechte Knie, auf einmal meckert das ISG wieder - aber nie so, dass es von langer Dauer ist und ich es stark im Alltag spüre. Ich muss diszipliniert meine Übungen weiter machen und aufpassen, dass ich es mit dem Laufen nicht übertreibe.

Mittlerweile laufe ich wieder 20-30 Kilometer die Woche - einmal sogar 10km am Stück. Letztes Jahr im Sommer hätte ich das nicht für möglich gehalten und ich genieße jeden Lauf, egal zu welcher Uhrzeit, egal bei welchem Wetter. Jeder Lauf ist für mich wie ein Geschenk.

Die nächsten 2-3 Monate werde ich nutzen, um diese Situation zu stabilisieren - also vorerst kein weiteres Ausbauen der Umfänge. Das nächste Ziel setze ich danach.

Ich bin so froh, es so weit geschafft zu haben und möchte denjenigen Mut machen, die auch ständig irgendwie verletzt sind. Nicht jeder ist fürs Laufen einfach so geschaffen und es ist erforderlich, mehr als die Laufzeit in seinen Körper zu investieren. Ob es für jeden die richtige Lösung ist, über den Schmerz hinweg zu laufen, was ich jetzt gemacht hab, halte ich für fragwürdig, da ich aus eigener Erfahrung weiß, dass es unheimlich schwierig einzuteilen ist, was jetzt wirklich schlimm ist und was nicht. Mein Indikator war immer die Tatsache, wie schnell der Schmerz nach dem Laufen wieder weg ist bzw. wie wenig ich im Alltag spüre. Spüre ich viel, mach ich einen zusätzlichen Erholungstag. Spür ich nix, kann ich wieder laufen gehen.

Natürlich bin ich nicht davor geschützt, dass ich in 2 Wochen wieder mit einer alten oder neuen Verletzung "zusammenbreche" aber ich hoffe, dass ich meinen Körper jetzt so kenne, dass ich frühzeitig die Bremse ziehe.

Und außerdem kann ich mir das ja dann immer noch wegspritzen lassen;-)) - das war ja dann bisher noch nicht nötig. Aber allein dieses Hintertürchen zu haben, hat mir geholfen, diese 3 Monate diszipliniert durchzuziehen und nicht beim ersten Wehwehchen wieder aufzugeben.

Natürlich bin ich nach dieser langen Zeit sehr sensibel. Das, was ich noch als "ich spüre das Knie" bezeichne, würde ein verletzungsunanfälliger Läufer wahrscheinlich gar nicht registrieren. Aber genau aus dem Grunde, dass ich die Verletzungen immer zu spät wahrgenommen hab, lässt mich heute sehr sensibel reagieren.

Allen Läufern verletzungsfreie Zeit und allen Verletzten gute Genesung und immer dran denken - der eigene Anteil, den man erbringen kann, ist ein nicht unerheblicher an der Besserung beteiligter. Alle, die mich moralisch unterstützt haben, nicht aufzugeben, ein dickes Danke an dieser Stelle. Hätte ich nicht die Zugang zu anderen Läufern, bei denen ich gelernt habe, dass es trotz der Widrigkeiten klappen kann, hätte ich womöglich frühzeitig aufgegeben - Danke an Euch!

Anja :hallo:
He says things that annoy me. He gives me good advice. (Oscar Wilde)
Bild

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Hi Anja,

ich hatte das schon im Blog gelesen, in dem Moment aber keine Zeit mehr gehabt, was dazu zu schreiben. Das hole ich jetzt hier nach.
Als noch nie "Verletzte" tat ich mich immer schwer, nachzuvollziehen, was da so alles schieflaufen kann, im wahrsten Wortsinn.
Durch Läuferinnen wie Dich, Susi und vor allem auch Mik habe ich einen Wahnsinns-Respekt bekommen vor dem, was manche erst so erdulden müssen (auch im wahrsten Wortsinn) bevor es wirklich wieder "lüppt".

Ich denke, es ist ungleich schwieriger und beachtlicher, unter diesen Umständen weiterzumachen, nicht aufzugeben und durchzuhalten als für Leute, die das Glück haben oder hatten, nicht verletzungsgeplagt zu sein.

Ich wünsche Dir, dass es so weiterlüppt und dass Du nie was wegspritzen musst! :daumen:

Liebe Grüße
Manu
Kylie

try running in my shoeshttp://kyliecat.wordpress.com/

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Dein ausführlicher Praxisbericht gefällt mir gut, liebe Anja!
Er zeigt sehr schön, wie man sich einerseits durch "zu schnell zu viel" in die Verletzungsmisere manövrieren kann und wie man andererseits mit viel Geduld und Feinsinn aktiv wieder herauskommt.

Und das mit dem HM klappt bei Dir sicher auch irgendwann :daumen: . Bei mir war's am letzten Samstag soweit, nachdem ich fast vier Jahre lang regelmäßig gelaufen war!

Alles Gute weiterhin,
Martin
Die Laufschule Marburg
Twitter
Video-Anleitung zur Selbsthilfe bei Überpronationsproblemen

"Barfuß - das ist ehrlich!" (Zuschauer eines Straßenlaufs in Marburg, während ihn eine Barfußläuferin passiert)

Persönliche Bestzeiten

5.000 m (Bahn) in 21:39 (barfuß) - Bahnlauf des ASC Breidenbach, 6.9.2013
10.000 m (Bahn) in 45:14 (barfuß) - Kreismeisterschaften in Eschenburg-Eibelshausen, 09.10.2015
10 km (Straße) in 46:16 (barfuß) - 31. Marburger Ahrens-Stadtlauf, 29.9.2013
HM in 1:41:53 (barfuß) - 16. Schottener Stauseelauf, 5.10.2013

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Hi Anja,

seit gestern weiss auch ich so richtig, was Schienbeinkantensyndrom ist. Aua. :peinlich:
Um so mehr Respekt vor deinem Durchhaltevermögen :daumen: .
Gueng hat geschrieben: Und das mit dem HM klappt bei Dir sicher auch irgendwann :daumen: .
AnjaRennt hat geschrieben:(ich zieh den HM noch durch)
Bei mir war's am letzten Samstag soweit, nachdem ich fast vier Jahre lang regelmäßig gelaufen war!

Alles Gute weiterhin,
Martin
Glückwunsch dazu.
Liebe Grüsse von Gregor :hallo: (Bremen)
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geniesser hat geschrieben:Glückwunsch dazu.
Danke, Gregor!
Hat super viel Spaß gemacht, und endlich weiß ich wieder, wie sich Muskelkater anfühlt :D .
Die Laufschule Marburg
Twitter
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"Barfuß - das ist ehrlich!" (Zuschauer eines Straßenlaufs in Marburg, während ihn eine Barfußläuferin passiert)

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10.000 m (Bahn) in 45:14 (barfuß) - Kreismeisterschaften in Eschenburg-Eibelshausen, 09.10.2015
10 km (Straße) in 46:16 (barfuß) - 31. Marburger Ahrens-Stadtlauf, 29.9.2013
HM in 1:41:53 (barfuß) - 16. Schottener Stauseelauf, 5.10.2013

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Anja, ich finde es super, dass Du Dir den Mut nicht nehmen lässt und "dran" bleibst! Ich wünsche Dir noch ganz viel Kraft, Mut, Durchhaltevermögen und endlich ein beschwerdefreies Läuferleben!!! :daumen: :winken:
http://www.myblog.de/katzie

Schmittcast-Junkie :peinlich:

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Respekt vor dem Durchhaltevermögen :daumen: .

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Danke erst mal an alle, die sich diesen Roman durchgelesen haben. :D
Kylie hat geschrieben:
Ich wünsche Dir, dass es so weiterlüppt und dass Du nie was wegspritzen musst! :daumen:

Danke - oh ja das wär fein... ich mag keine Spritzen, dann lieber Gymnastik. :zwinker5:
Gueng hat geschrieben:
Und das mit dem HM klappt bei Dir sicher auch irgendwann :daumen: . Bei mir war's am letzten Samstag soweit, nachdem ich fast vier Jahre lang regelmäßig gelaufen war!

Mal wieder, hoffentlich - Gregor hats ja schon korrigiert, er war ja auch dabei.

Und Dir herzlichen Glückwunsch zum ersten HM, ich hoffe, es war schön.
geniesser hat geschrieben:seit gestern weiss auch ich so richtig, was Schienbeinkantensyndrom ist. Aua. :peinlich:
Um so mehr Respekt vor deinem Durchhaltevermögen :daumen: .

Autsch, Gregor - das ist nicht schön. Eis, Eis, Eis und noch mal Eis.

Und ansonsten, was so ein richtiger Eifler Dickkopf ist, der gibt so schnell nicht auf.
katzie hat geschrieben:Anja, ich finde es super, dass Du Dir den Mut nicht nehmen lässt und "dran" bleibst! Ich wünsche Dir noch ganz viel Kraft, Mut, Durchhaltevermögen und endlich ein beschwerdefreies Läuferleben!!! :daumen: :winken:

Danke - ja, das wünsch ich mir tatsächlich auch. Ich glaube, dass mein Problem ist, dass ich muskulär grundsätzlich nicht besonders gut ausgebaut bin. Dieses Defizit kann ich wahrscheinlich eben nur durch entsprechende Kräftigung ausmerzen. Wo andere Muskeln haben, ist bei mir nix oder nur irgendein verhärtetes Etwas. :hihi:
jasper hat geschrieben:Respekt vor dem Durchhaltevermögen :daumen: .

Danke, s.o. Eifler Dickkopf. Aber wirklich, wenn ich nicht hier im Forum und durch private Mailkontakte mitbekommen hätte, das es andere Läufer gibt, die ähnliche Probleme und die es in den Griff bekommen haben, hätt ich wahrscheinlich schon vor langer Zeit aufgegeben.

Also ein Hoch auf das Forum und immer wieder ein Dank an alle, die mir Mut zugesprochen oder mich aber auch mal gestupst haben.

Anja
He says things that annoy me. He gives me good advice. (Oscar Wilde)
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AnjaRennt hat geschrieben: Autsch, Gregor - das ist nicht schön. Eis, Eis, Eis und noch mal Eis.
Okay, ich hab die Qual der Wahl, wir haben jetzt Ben & Jerry's UND Häägen Dasz im Programm.

B&J Fossil Fuel :daumen:
HD Bailey's habe ich mir gerade zurückgelegt :zwinker5:

Danke für den ernsthaften Tip. :daumen:
Liebe Grüsse von Gregor :hallo: (Bremen)
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geniesser hat geschrieben:Okay, ich hab die Qual der Wahl, wir haben jetzt Ben & Jerry's UND Häägen Dasz im Programm.

B&J Fossil Fuel :daumen:
HD Bailey's habe ich mir gerade zurückgelegt :zwinker5:

Danke für den ernsthaften Tip. :daumen:
Ich seh da ein Problem. Es gibt zwar "Medikamente", die von Innen wirken - diese haben aber tatsächlich die Nebenwirkung eines extrem schnellen Gewichtszuwachses.

Ansonsten binn ich für Häägen Dasz... kannste mir das über PN schicken?
He says things that annoy me. He gives me good advice. (Oscar Wilde)
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Bei den Stichworten ISG und Patellaspitzensyndrom kann ich nur immer wieder wärmstens die Feldenkraismethode empfehlen.

Bei mir hat es super geholfen, nicht nur, dass ich auf beides inzwischen pfeife, ich bin auch wesentlich schneller geworden.

Weiterhin alles Gute und viel Erfolg beim Durchhalten,

Jörg
Gesperrt

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