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Es war ja nicht alles schlecht – der Kreiscross

Es war ja nicht alles schlecht – der Kreiscross

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Man muss es doch mal sagen dürfen!! Es war wirklich nicht alles schlecht früher in der DDR. Spontan fallen mir mehrere positiven Sachen ein – so zwei Figuren aus dem Abendgruß des DDR-Fernsehens. Die Figuren bevölkern heute ein bekanntes Laufforum. Dann gab es noch die Vita Cola, mit der heutzutage ungewohnte Westmägen beim Rennsteiglauf überrascht werden, und schließlich den Kreiscross. Vor dem Kreiscross stand der Schulcross. In meiner Schule, wo der Namensgeber des Rennsteiglaufes vor 200 Jahren als erster Sportlehrer wirkte, bestand der Schulcross aus zwei Runden von je zwei Kilometern übler Wald- und Wiesenwege mit erheblichen Höhenunterschieden. Alle Schüler wurden im Frühjahr und im Herbst über diese Mörderstrecken gejagt und die besten qualifizierten sich dafür, beim Kreiscross auf den welligen Wegen des Parks der Kreisstadt ihr Bestes zu geben. Ab und zu durfte ich dies auch tun und erzielte nach heutigem Sprachgebrauch „Achtungserfolge“ – ich wurde also wenigstens nicht Letzter. Zum Bezirkscross habe ich es nur als Kampfrichter geschafft.

Als mir vor wenigen Wochen die Ausschreibungen für die 1. Kreismeisterschaften Cross meines Heimatkreises in die Hände fielen, kamen oben beschriebene Erinnerungen wieder. Allerdings legte ich die Ausschreibung erst mal zur Seite – 7,2 km erschien mir eine unakzeptabel kurze und damit zu schnelle Strecke. Endorphingetränkt vom Schlaubetal änderte ich jedoch meine Meinung – schließlich musste ich immer wiederkehrende Gedanken an einen Untertagemarathon gezielt verdrängen.

Während auf dem Rennsteig das Schneechaos herrschte, regnete es am Morgen des Laufes. Mit Regen meine ich keinen leichten Niesel, sondern Niederschläge, die die volle Leistung des Scheibenwischers auf der Fahrt zum Startort erfordern. Wie ein Wunder hörte eine halbe Stunde vor dem Start der Regen auf. Ein kleines Häufchen Läufer hatte sich am Startschild am Waldrand versammelt. Es waren nicht die Läufer, die einen Jahrestrainingsplan akribisch verfolgen, um ihre Bestzeit um 30 Sekunden zu drücken. Auch die Wochenendjogger, die ab und an einen Volkslauf mitlaufen, fehlten. Hier waren die unverzagten Immerläufer, deren Namen man beim googeln in mindestens 378 Ergebnislisten findet. Bedingt durch die Einschränkung auf Bewohner des Kreises oder Mitglieder einer hiesigen Sportgemeinschaft kannte man jeden Starter mit Namen oder nach dem Gesicht oder mit beidem. Nach dem Lauf der 8 Frauen starteten die 20 Männer auf die wegen Unpassierbarkeit auf 6,7 km verkürzte Strecke.
Ich kannte die Gegend etwas von meinen längeren Läufen, doch heute war alles anders. Nach einem Stück Wiesenweg bog die Strecke scharf ab, eine vielleicht 20 % Steigung hinauf. Mehrfach drehten die Füße durch, denn der Regen hatte die oberste Schicht Erde in schmierseifenartigen Zustand versetzt. Nach einigen hundert Metern waren Puls und Läufer ganz oben und nach einer kurzen Wellenstrecke ging es ähnlich steil aber weniger schmierig wieder nach unten. Es folgte ein weiterer welliger Matschweg bis zum nächsten seifigen Abstieg. Hier hätte man eigentlich das Ziel errichten können, denn bis auf je einen Läufer, den ich überholte und von dem ich überholt wurde, änderte sich nichts mehr in der Reihenfolge. Doch bevor das Ziel kam, musste ein Feld im böigen Gegenwind und ein weiterer Anstieg überwunden werden und dann war erst die erste der drei Runden geschafft. In Runde zwei und drei konnte ich den Laufweg optimieren und feststellen, dass man am Ackerrand besser läuft als auf dem Weg. Die Anstiege dienten immer wieder als Test für die HF max. und damit es nicht langweilig wurde, setzte in der letzten Runde erneuter Regen ein.

Im Ziel war es dann richtig schön. Freundliche Helfer reichten jeden Läufer persönlich einen Becher warmen Tee. Sofort nach dem letzten Einlauf begann die Siegerehrung – nur ein einziger durfte nicht aufs Treppchen, da es immerhin in der AK 45 mehr als drei Starter gab. Ich hatte als dritter meiner Altersklasse und im Mittelfeld der Männer wie früher einen Achtungserfolg erzielt. Meine Zeit lag für 6,7 km und ca. 500 HM bei 39:25 min . Die Geschwindigkeit ist langsamer ist als mein Marathontempo, aber in dieser Relation liefen irgendwie alle.

Fazit: Der Kreiscross lebt und macht richtig Spaß! :daumen:

In den nächsten Tagen gibt es dann wohl auch noch ein paar Bilder in meinem Blog
Neue Laufabenteuer im Blog

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19joerg61 hat geschrieben:Man muss es doch mal sagen dürfen!! Es war wirklich nicht alles schlecht früher in der DDR.
Nein, darf man nicht. Die DDR war ein menschenverachtender Verbrecherstaat. Das kann man in keinem - auch nicht scherzhaften - Zusammenhang relativieren. :nene:

Ansonsten: Glückwunsch zu jeder Menge Spaß im Matsch. ;-) Jetzt kommen wieder diese wunderbaren Läufe, nach denen man wie ein Schwein aussieht. Ich freue mich auch schon drauf.

Gruß
Hendrik

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Herzlichen Glückwunsch zum im Matsch erkämpften dritten Platz!
Was gab es denn als Preis für den Achtungserfolg? Flasche Rotkäppchen, Päckel Kaffee, Rotstern Pralinen, oder gar eine Banane? :-)

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19joerg61 hat geschrieben:Man muss es doch mal sagen dürfen!! Es war wirklich nicht alles schlecht früher in der DDR.
Stimmt :daumen: . Zum Beispiel die Menschen, die dort gelebt haben, waren nicht alle schlecht. Und der kostenlose Kindergartenplatz. Und daß jedes Kind garantiert einen bekommen hat. Die sehr gute (und kostenlose) Schulbildung. Die kostenlosen Sportvereine und Wettkämpfe. Ohne das alles wäre ich nicht das, was ich heute bin :D .
19joerg61 hat geschrieben:In meiner Schule, wo der Namensgeber des Rennsteiglaufes vor 200 Jahren als erster Sportlehrer wirkte
GutsMuths verpflichtet :nick: .

Nach Deiner Beschreibung zu urteilen, hast Du Dich gerade für den Strongman 2008 qualifiziert. Kannst ja vorher noch den Untertagemarathon mitnehmen :teufel: . Da regnet es garantiert nicht ....
Renn-Schnecke

... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...

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Na dann Glückwunsch zum mehr als Achtungserfolg :daumen: .
Und wunderschön geschrieben, bei mir kamen auch gleich die Erinnerungen hoch. Ich habe 1979 sogar mal einen Kreiscross (Kreis Karl-Marx-Stadt/Land!) überraschend gewonnen, konnte meinen Heimvorteil und die verkürzte Strecke wegen teilweiser Unpassierbarkeit der Strecke (was für Parallelen) für mich nutzen, denn damals war ich Sprinterin. Und der darauffolgende Bezirkscross war dann schon ein Erlebnis, wenn auch bei schwerer Strecke im Erzgebirge.

Und noch eine andere Parallele gibt es :nick: . Gerade gestern habe ich auch an einem Crosslauf im Rahmen des Brandenburg-Cup´s teilgenommen. Das ist wohl jetzt schon mehr wie Bezirks-Cross :confused: .
Eine 1,7km-Runde in den Diehloer Bergen, die ich für die 5,1km-Strecke 3 mal durchlaufen musste. Und jedes Mal waren mehrere kurze aber giftige Anstiege zu bewältigen und am Ende der Runde der Abstieg über glitschiges Laub. Hinterher habe ich mir geschworen: Nie wieder! Aber wer weiß, beim nächsten mal lockt bestimmt wieder das Wettkampffieber :zwinker5: . Aber meine Hochachtung galt all jenen, die die Runde sogar 6 mal bewältigt haben.

Gute Erholung und schönen restlichen Sonntag
Anett
Radiergummi-Liga
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Renn-Schnecke hat geschrieben:Stimmt :daumen: . Zum Beispiel die Menschen, die dort gelebt haben, waren nicht alle schlecht. Und der kostenlose Kindergartenplatz. Und daß jedes Kind garantiert einen bekommen hat. Die sehr gute (und kostenlose) Schulbildung. Die kostenlosen Sportvereine und Wettkämpfe. Ohne das alles wäre ich nicht das, was ich heute bin :D .
Da gebe ich dir uneingeschränkt recht. Man kann nicht alles Schwarz/Weiß betrachten, es gab und gibt immer auch ein Dazwischen.

Den Kita-Platz gibt es hier zum Glück noch, aber was haben wir für unsere Töchter für hohe Gebühren zahlen müssen :sauer: .
Und zum Bildungssystem, zumindest hier in Brandenburg, lass ich mich besser nicht aus.
Radiergummi-Liga
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Mist, manchmal klappt es einfach nicht mir der Ironie. :motz:

Nur soviel zum Thema, ich halte die DDR nicht für einen Gegenentwurf zur Bundesrepublik - ein bißchen DDR geht sowieso nicht. Das soll keineswegs bedeuten, dass ich alles in der Bundesrepublik gut und richtig finde.
HendrikO hat geschrieben:Die DDR war ein menschenverachtender Verbrecherstaat.
Ja, aber jeder, der in der DDR gelebt hat, war mehr oder minder Teil des Systems (auch ich) und so dürften die meisten solche Pauschalsprüche persönlich sehen und nicht so gelungen finden.
Renn-Schnecke hat geschrieben: Zum Beispiel die Menschen, die dort gelebt haben, waren nicht alle schlecht. ....
dito


Grüße

Jörg


P.S. Eigentlich ging es mir um Crosslauf
Neue Laufabenteuer im Blog

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Die DDR war eine Katastrophe :motz: Damals wurde das mir heute zu Einheitszeiten schon oft bescheinigte Lauftalent völlig verkannt. :hihi:

Der Crosslauf hieß hier auch nicht Crosslauf sondern "Juri-Gagarin-Gedenklauf", er ging über 3 Kilometer durch sozialistischen Sand und Kiefernwälder und fand immer am 12. April statt.

Dieser Tag begann mit einem sozialistischen Fahnenappell, an dem wir alle in FDJ bzw. Pionierkleidung erscheinen mußten. Zu Beginn dieses Appels wurde die Rundfunkmeldung aus dem Jahre 1961 eingespielt, die wir schon auswendig konnten: "Gawarit Moskwa, gawarit Moskwa, peredjet perwaja radiostanzia sssr...." Ja und dann ging es zu diesem Gedenklauf, ich habe ihn gehasst, so wie ich Laufen ansich gehasst hab.

Völlig fertig von 3 Kilometern und mit einer schlechten Schulsportnote mehr ging es anschließend wieder zurück zur Schule, zum Schulfest mit ner Menge Spaß.

Ja, so war das damals und es war schön. Es war unser Leben. Wir waren Kinder und fühlten uns behütet und geborgen. So, wie sich alle Kinder fühlen sollten, egal, in welchem Teil der Welt und in welchem sozialen Umfeld oder gesellschaftlichem System sie aufwachsen.

Und wenn etwas schlecht ist und veränderungswürdig, dann sollte man es verändern. Egal, in welchem Teil der Welt und in welchem sozialen Umfeld.

Die einseitige Beurteilung des Systems DDR kann bei Menschen aus den alten Bundesländern kein Verständnis auskommen lassen. Auch nicht bei Menschen, die unter dem System litten, davon gab es viele, sehr viele. Ich gehöre glücklicherweise nicht dazu. Ich habe nie wirklich etwas vermisst - aber ich kann für mich auch sagen: Mir ging es vorher gut und mir geht es jetzt gut. Das kann nicht jeder von sich behaupten. So rum nicht, und andersrum nicht. So ist das Leben.

Jörg, ein bischen Lokalpatriotie mußte sein, hauptsächlich aber natürlich Glückwunsch zum AK-Platz und bis die Tage unter Tage... :baeh:
☼ ☼ ☼
Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.

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19joerg61 hat geschrieben:Man muss es doch mal sagen dürfen!! Es war wirklich nicht alles schlecht früher in der DDR.

Fazit: Der Kreiscross lebt und macht richtig Spaß! :daumen:
Um im Bild zu bleiben könnte man sagen: Auch was Spaß gemacht hat in der DDR war irgendwie schmutzig. :zwinker2:
Renn-Schnecke hat geschrieben:Stimmt :daumen: . Zum Beispiel die Menschen, die dort gelebt haben, waren nicht alle schlecht. ...
Da muß ich widersprechen, sie waren nicht nur nicht schlecht, sie sind es immer noch nicht.

@Jörg,

gut gemacht und auch noch Spaß dabei :daumen:

Gruß Uwe

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Da weißt du wenigstens, dass du was geleistet hast. So muss Cross sein! (Jedenfalls sagt sich das hinterher immer so leicht.)

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Kathrinchen hat geschrieben:Die DDR war eine Katastrophe :motz: Damals wurde das mir heute zu Einheitszeiten schon oft bescheinigte Lauftalent völlig verkannt.
Und das, wo es doch schon damals die Bezirksranglistenläufe gab :daumen: .
Kathrinchen hat geschrieben:"Gawarit Moskwa, gawarit Moskwa, peredjet perwaja radiostanzia sssr...."
Mensch, was Du Dir alles für einen Quatsch merkst :wow: ? Ick kann nur noch Dostoprimeschatjelnosti ....
Kathrinchen hat geschrieben:Mir ging es vorher gut und mir geht es jetzt gut.
:nick:
19joerg61 hat geschrieben:P.S. Eigentlich ging es mir um Crosslauf
Du bist mitgelaufen??? *duck-und-wech*
Renn-Schnecke

... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...

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Tja Leute,

da schreibt Jörg von einer netten kleinen Laufveranstaltung (28 Teilnehmer) in meiner alten Heimat, aber die Emotionen gehen hoch weil .. die DDR eben doch ein Unrechtsstaat war!
Die Mehrheit der Leute hat kein Unrecht begangen. Trotzdem: Zu viele wollten es damals nicht sehen ("mir ging es doch gut!") und wollen es heute nicht sehen ("war doch nicht alles so schlecht!"). Ich schreib das, weil ich in der DDR erhebliche Nachteile in Kauf nehmen musste aufgrund meiner Weltanschauung. Damit sage ich nicht dass es dies heute nicht auch gibt. Aber man sollte die Geschichte nicht beschönigen - meine Meinung!

t.i.m.

PS: fand das grade bei slowi Gero, lesenswert, wie ich finde:
http://www.mensel-bln.de/running/html/erinnerung.html

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Hallo Jörg,

vielen Dank für den interessanten Bericht und Gratulation zur erbrachten Leistung!!!

Viele Grüße :hallo:

Bernhard

PS: Freue mich schon auf das gemeinsame Skifahren :D
Benutzerbild aufgenommen beim Rotterdam Marathon 2012
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