Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, sagt man. Und so sieht man in den vergangenen Wochen dutzende Läufer begleitet von einem Radfahrer überall in der Region trainieren. Während Matthias sich von seinem erfolgreichen 100er in Kienbaum Anfang April erholt und sich für den ThüringenUltra wieder aufbaut, taper ich von einer Großveranstaltung zur nächsten. Unser beider gemeinsames Training verbringen wir an einem Nachmittag wenige Tage vor dem Ereignis bei einem großen Eisbecher, besprechen die Ausrüstung, die Verpflegung, die Taktik und die von mir gebastelte Marschtabelle.
In der Vergangenheit jedoch haben wir viele gemeinsame Trainingskilometer zurückgelegt und das Vertrauen in die eigene Leistung und die des Anderen ist groß. Trotzdem ist der Tag vor dem großen Start um 00:00 ungewöhnlich aufregend, für jeden von uns. Matthias bekommt Schüttelfrost und ich weiß nichts mit mir anzufangen.
Als die Turmuhr des Klosters Neuzelle um Mitternacht schlägt, ist alle Aufregung wie weggeblasen und unter dem Jubel von Freunden und Familie mache ich mich gemeinsam mit 38 anderen Läufern auf ein Abendteuer, das Seinesgleichen sucht. Nach etwas mehr als einem Kilometer haben uns dann auch die Radfahrer eingeholt und die Paare sortieren sich. Zu diesem Zeitpunkt habe ich 4 Mixed-Teams ausmachen können, die uns überholten. So können wir ungefähr unsere Position einschätzen. Nach gut zwei Kilometern geht es zum Warmwerden gleich ordentlich bergauf, nicht nur schwer für den Läufer, sondern auch für den Radfahrer, der ja auch die Verpflegung und die Ausrüstung auf dem Rad transportiert.
Über die Art und Weise des Wechselsvorgangs an sich haben Matthias und ich uns 2 min vor Mitternacht verständingt – eine Taktik, die sich bewährte und die keinen Stillstand mit sich brachte. Wir haben nur eine warme Jacke, nach Ablauf meiner ersten 5 km drückt mir Matthias das Rad in die Hand und läuft, sich die Jacke ausziehend sofort davon. Ich folge gleich mit dem Rad, nehm die Jacke ab und machen dann halt. Zieh mir die vorgewärmte Jacke an, steige auf`s Rad und verpflege mich. Die Radzeit brauchen wir zum Erholen, denn das Lauftempo ist hoch. Bis zum ersten Kontrollpunkt an km20 durchqueren wir 5 Dörfer, in denen überall zu dieser nachtschlafenden Zeit Stimmung herrscht. Noch macht es Laune, sind die Beine frisch und es ist nicht zu kalt. Ich freu mich auf`s Laufen und ich freu mich auf die Pausen.
Im Dunkel der Nacht, das Feld ist mittlerweile auseinandergezogen, geht es nun für die nächsten 20 Kilometer auf den Oderdamm. Das Tanzen der Stirnlampe auf dem Asphalt, die Kühle, die von der Oder her in die Glieder kraucht, wenn man Rad fährt, die lauten, noch nie zuvor gehörten Schreie irgendwelcher Vögel im angrenzenden Wald, der klare Sternenhimmel über uns und das Froschkonzert auf der rechten Seite... all diese Eindrücke werde ich wohl für den Rest meines Lebens nicht mehr vergessen.
Als wir den Damm verlassen, geht es über lange, einsame Landstraßen weiter. Noch ist das Profil flach und der Untergrund gut zu laufen und zu fahren. Wir sind gut gelaunt, werden nicht überholt, können aber selber einige männliche Paare einsacken. Unsere Späße, die wir im Vorbeilaufen machen, werden meißt stumm ignoriert. An den Verpflegungs- und Kontrollpunkten, die wir etwa alle 20 Kilometer anlaufen, bleibt der Radfahrer stehen, läßt die Kontrollkarte abstempeln und füllt die Energie- und Trinkvorräte nach. Unsere Absprachen sind kurz und knapp, wir sind aufeinander eingespielt, obwohl diese Konstilation eine Premiere für uns beide ist. Ab und an ein kurzer Monolog, den der gerade Radfahrende führt, der Läufer ist hochkonzentriert bei seinem hohen Tempo. Immer wieder stehen freundliche Helfer an Weggabelungen, haben liebevoll die Alleen mit Fackeln und Teelichtern geschmückt, hier und da lodert ein kleines Lagerfeuer. Eine unglaublich liebevolle und festliche Stimmung hängt in der kalten Mainacht. Wir bedanken uns bei den vielen fleißigen Helfern wieder und wieder. Soviel Zeit muß sein. Nach 60 Kilometern, noch nicht ganz um 5 Uhr in der Früh, verlassen wir die Zivilisation und hier wird es nun richtig hart. Einen Sandberg gilt es zu bezwingen, für den Läufer schwierig, für den Radfahrer eine Herausforderung. Doch auf Matthias ist Verlass und ausreichend pünktlich vor`m geplanten Wechsel ist er auch wieder da.
Inzwischen ist die blaue Stunde angebrochen und wir haben das unbeschreiblich große Glück, genau in diesem Moment an einem kleinen Waldsee vorbeizukommen. Hier schlafen zwei Schwäne, die Hälse tief ins Gefieder gesteckt. Das Tap-Tap der Schuhe und das leise Reifensurren bringen sie nicht aus der Ruhe. Nebel steigt über dem See hinauf, die Natur schläft noch, aber der Tag erwacht. Auch wenn es nun wirklich sehr hart zur Sache geht, das Tempo kaum noch zu halten ist, diesen Augenblick genießen wir. Während der letzten 10 Kilometer haben wir einige Teams einholen können, darunter 4 Mixed. Das gibt uns ein wenig Hoffnung, aber wir haben noch keine Ahnung, wieviele tatsächlich noch vor uns sind.
Einige Male bemerke ich nun schon, daß sich bei mir beim Wechsel Rad-Lauf ein Krampf in den Waden breimachen will. Durch lockeres Laufen in der Anfangsphase bekomme ich das aber immer wieder in den Griff. Trotzdem helfe ich während meiner Radzeit mit Magnesium und Salz etwas meinem ausgelaugtem Körper. Essen mag ich eigentlich schon lange nichts mehr. Aber Energie muß rein, das ist mir klar. Kurz nach der Nahrungsaufnahme überkommt mich jedesmal eine unangenehme Übelkeit. Doch für Jammerei bleibt keine Zeit. Der Kontrollpunkt an Kilometer 75 steht an und Matthias stellt die spannende Frage: Wie viele Mixed-Teams sind denn schon vor uns? Keines, Ihr seid die Ersten – und die gesamt 11. – klingt es wie Musik unseren Ohren und gibt unseren Körpern neue Kraft. Inzwischen ist es hell geworden, die Gefühle fahren Achterbahn, zwischen völlig platt und wieder gut erholt vor`m nächsten Laufabschnitt. Immer wieder geht der bange Blick nach hinten, werden wir unseren Vorsprung halten können?
Nach 80 Kilometern freue ich mich rießig, meinen Mann zu sehen, der kurz vor halb Sieben schon wieder für uns da ist. Ein schönes Gefühl. Wir geben ihm den Auftrag, die Minuten bis zum Verfolgerpaar zu stoppen. Es sind 4:30 min, wie wir kurz darauf erfahren.
Als ich das höre, nehm ich all meine nicht mehr vorhandenen Kräfte zusammen, um das Tempo noch einmal anzuziehen. Auch wenn es noch so weh tut, diesen Sieg nimmt uns keiner mehr... Matthias mahnt mich, mit den Kräften zu haushalten, denn es ist erst mein vorletzer Laufabschnitt. Und er beruhigt mich, indem er mir vorrechnet, welch ein Tempo die anderen jetzt anschlagen müssten, um uns zu überholen. Das will ich gar nicht hören, und mein Gehirn kann sowieso vor lauter Matsche keine Zahlen mehr begreifen. Einfach nur rennen. Und wenn es piep macht am Arm, auf`s Rad. Da baumelt seit nunmehr 7 Stunden unsere Marschtabelle, nur das und die Zeit auf der Uhr zählen. Und der immer wieder kehrende Blick zurück. Nein, niemand zu sehen. Matthias schafft es während seiner Laufzeit sogar noch, ein vor uns laufendes Männerpaar zu überholen und uns in die Top Ten zu schwippen.
Ein letzter Kontroll- und Verpflegungspunkt, ein letzer Laufabschnitt für mich, übles Kopfsteinpflaster, dann die letzte Ortschaft, ein paar Hügel noch hinauf, der letzte Wechsel, Das Basecap mit der Stirnlampe abgesetzt, die wärmende Jacke auf den Gepäckträger geschnallt, nun wärmen die Sonnenstrahlen und der Gedanke, daß wir nun gleich das Ziel erreichen. Tränen wollen schon in die Augen schießen, ein Kloß macht sich im Hals breit, doch noch ist es nicht geschafft, immer wieder ein Blick zurück, keine Gefahr im Verzug, eine unglaubliche Anspannung nach so einem harten Kampf fällt langsam ab, wir freuen uns, wir werden es schaffen, bevor die Turmuhr acht mal schlägt, wir biegen um die Kurve und wollen uns schon freuen, da startet das über 500 Teilnehmer große Feld der 42er imd kommt uns entgegen. Statt großer Emotionen bleibt uns nur noch das Ausweichen auf dem Gehweg, das Umschiffen von Läufern, Zuschauern und Bäumen, die Enttäuschung über den gestohlenen Zieleinlauf und das Nicht-Glauben-Wollen, was da geschieht. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis wir das Klosterportal passieren, ich an den Kasten mit der Zeitnahme komme und meinen Registrierchip dranknallen kann. Irgendwie fühlen wir uns um unserer Erlebnis betrogen.
Hinter der Zielline, die ersten Gratulanten kommen schon auf uns zu, fallen die Zeiger der Turmuhr auf um 8 und der Gong ertönt. Kurzzeitig tröstet uns die Ahnung, es doch vor 8 geschafft zu haben, jedoch erfahren wir gleich darauf, das wir es lt. Zeitmessung um 21 sec verpassten.
Ich drückte meiner besten Freundin, die extra zum Zieleinlauf gekommen war, das Fahrrad in die Hand und falle ersteinmal Matthias in die Arme. Wir haben es geschafft, der Plan ist aufgegangen. Wir haben zusammen gekämpft, und gelitten. Wir haben zusammen die Nacht und alle Konkurenten besiegt, und nun stehn wir hier, die Medaille um den Hals, nach einer durchlaufenen Nacht, abgekämpft und glücklich, wir sind Sieger, da kommt nach 4,5 min das nächste Mixed-Team, auch sie sind Sieger, so wie alle, die an diesem Morgen des 3. Mai 2008 nach Einhundert Kilometern das Ziel auf dem Hofe des Klosters Neuzelle erreichen.
Danke für`s Lesen.
Einige Fotos gibt’s im hier im Blog.
Einhundert Kilometer gemeinsam durch die Nacht – ein Abendteuer ohne Gleichen
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Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.