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Gedanken aus dem nicht vorhandenen Tagebuch eines Läufers ACHTUNG: sehr lang!!!

Gedanken aus dem nicht vorhandenen Tagebuch eines Läufers ACHTUNG: sehr lang!!!

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Montag, 09.12.2003

Heute sollte es also wieder losgehen.

Nach Bertlich als Wettkampfabschluß für diese Saison hatte ich mir eine Woche Laufpause verordnet, um dann mit langsamen längeren Läufen meine Vor-Marathon-Vorbereitungsphase zu gestalten.

Eine Woche nicht laufen ging eigentlich ganz gut, nur am Wochenende im Wellnesshotel im Westerwald, da hat es dann schon in den Füssen gejuckt. Eine Seerunde hatte 6,5km, da hätte man doch…nein, nein.

Ja Bertlich. Es war schön, bekannte und ganz neue Leute aus dem Forum zu treffen. Nur die angestrebten 2 Stunden im Halbmarathon, das war wohl etwas zu optimistisch. Bereits nach km 3 war klar: das wird nichts und auch die sub 2:05 schienen zwischendurch utopisch zu werden.

Komischer Lauf. Der Puls im Schnitt bei 92% der HfMax, eigentlich viel zu hoch für einen HM. Trotzdem die Strecke mit diesem Puls nicht nur durchgehalten, sondern die letzen drei km sogar auf 95% gesteigert. Im Ziel mit 98% Hfmax. Völlig kaputt, Husten, Röcheln, alles gegeben. 2:04:41 netto, persönliche Bestzeit, immerhin.

Heute soll es also wieder losgehen.
15km auf meiner Standardrunde am Bonner Rheinufer, die auch im Dunkeln fast durchgehend beleuchtet ist. Langsam und locker soll es sein. So etwa ein 6:45er km-Schnitt, etwa 1:40 h werde ich brauchen.

Traumhaftes Wetter schon den ganzen Tag. Aus dem Bonner Posttower schweift der Blick nach Köln. Fernsehturm, Dom, alles zum Greifen nah. Noch näher der Blick auf meine Laufstrecke. Kennedybrücke, Nordbrücke, die Frachtschiffe ziehen gemächlich ihre Bahnen auf dem Rhein. Gut, heute abend wird es dunkel sein, aber Vollmond und kalt, sehr kalt.

Gegen 17:45 Uhr beginnt mein Umziehritual, PC herunterfahren, eine Bemerkung meines Vorstandes, der sich gerade zwischen zwei Besprechungen befindet: Na, haben Sie sich auch das Gesicht gut eingecremt, es ist sehr kalt draußen.

Der Weg mit dem gläserenen Aufzug in die Tiefgarage, den Anzug ins Auto gehängt, Mütze auf, Stirnlampe drauf, Sportbrille auf, Fleecejacke und Handschuhe an und raus ins Freie. Auf der Ausfahrt fange ich an zu traben. Einige Kollegen, die gerade nach Hause fahren, sehen mich etwas seltsam an, aber diese Blicke kenne ich ja mittlerweile. Mit Stirnlampe und Sportbrille sehe ich halt etwas merkwürdig aus, macht nix. Dafür stehen die Kollegen gleich auf der Südbrücke im Stau, der sich aufgelöst haben wird, wenn ich die Heimfahrt antrete.

Trapp, trapp, trapp

Langsam finde ich meinen Rhythmus. Es geht Richtung „Langer Eugen“. Das ehemalige Abgeordnetenhaus wirkt jetzt neben dem riesigen und beleuchteten Posttower eher bescheiden. Der Kiosk hat noch auf, leichter Pommesgeruch weht heraus. Der Parkplatz rechts hat sich schon ganz schön geleert. Ein kleiner Rechtsschwenk und ich bin direkt am Rhein. Dunkel zieht der Fluß seine Bahnen.

Trapp, trapp, trapp

Vereinzelt kommen mir ein paar Läufer entgegen. Kein Vergleich zu den Massen, die sich hier im Sommer getummelt haben. Ich nicke freundlich, ab und zu hebe ich die Hand, aber dass hier nur selten jemand zurückgrüßt, bin ich mittlerweile gewohnt.

Meine Hände sind warm. Ich ziehe die Handschuhe aus und lasse sie in den Jackentaschen verschwinden. Doch, es geht sehr gut ohne. Ich komme an der Stahlskulptur vorbei. Ich weiß noch immer nicht, was sie darstellt. Irgendwann werde einmal stehen bleiben, um die in die Promenade eingelassene Platte zu lesen, mehr als die offensichtlich französische Überschrift kann ich während des Laufens nicht erhaschen.

Am Rheinufer sind ein paar Personenschiffe festgemacht, aber die Saison ist vorbei. Lediglich die „Anne-Marie“, ein offenbar holländisches Kreuzfahrtschiff, ist beleuchtet. In den Kabinen ist vereinzelt Licht zu sehen. Ich erinnere mich an unsere Norwegenreise mit der Hurtigruten im Frühjahr, ein wunderschönes Erlebnis.

Es wird gleißend hell, ich laufe unter der Kennedybrücke durch. 24min sind vorbei, der Puls ist ruhig, mir ist warm, es macht Spaß. Vorbei am Hilton und der Beethovenhalle. Hier wird es jetzt noch einsamer, auch die Beleuchtung wird etwas spärlicher, aber noch brauche ich meine Stirnlampe nicht.

Trapp, trapp, trapp

Langsam kommt die Nordbrücke näher, das Rauschen der Autobahn ist deutlich zu vernehmen. Nach dem Römerbad biege ich links ab und laufe zur spiralförmigen Auffahrt der Brücke. Ein Läufer kommt mir lächelnd entgegen. Er trägt Shorts und ein langes T-Shirt. Er grüßt freundlich zurück. Na, das wäre mir dann aber doch zu kalt. Nach dem Anstieg auf die Brücke ist mein Puls deutlich gestiegen, weil ich ziemlich flott hoch bin, aber das gibt sich wieder. Ein Blick auf das verlassene Freibad, hier war im Sommer auch mehr los.

Es geht über die Autobahnbrücke. Was habe ich früher über die Leute gelästert, die hier und auf der Südbrücke gelaufen sind, wo es doch in der Rheinaue viel schöner sein muß. Ja, ist es auch, aber dieser Rundenlauf über die Brücken hat halt irgend etwas.

Als ich von der Brücke herunterkomme, muß ich erstmals meine Lampe einschalten. Links leuchtet zwar der Vollmond recht hell, aber ansonsten ist die Strecke, die oben auf einem Damm langführt, nicht beleuchtet. Links liegt ein alter jüdischer Friedhof. Den habe ich auch erst durch das Laufen entdeckt. Kein Haus, keine Autostraße liegt in direkter Nähe. Auf den Grabsteinen liegen einzelne Steinhaufen, die ich jetzt im Mondlicht aber nur erahnen kann. Hier bin ich nun ganz alleine, schon seit Minuten habe ich niemanden mehr getroffen.

Trapp, trapp, trapp

Langsam nähere ich mich wieder dem Zentrum auf der „schääl sick“. Hier wird der Weg auch wieder beleuchtet. Die Stoppuhr springt um, eine Stunde ist überschritten. Es werden jetzt nur noch std, min und sek angezeigt, die hektischen 10/sek sind weg.

Rechts geht der Weg wieder runter Richtung Rheinufer. Das Schild „Walnüsse 4€ pro Kilo“ ist von einer Haustür verschwunden, dafür ist der ganze Eingang jetzt in einem Lichtermeer versunken.

Trapp, trapp, trapp

Nach einem kurzen Stück dunklen Weges wird es wieder hell. Rechts vor mir wieder die Kennedybrücke, auf der linken Seite das „Bahnhöfchen“ in hellem Lichterglanz. Vier mit Lichterketten geschmückte Weihnachtsbäume stehen jetzt dort, wo mir im Sommer die Gäste aus dem Biergarten über ihr Weizenglas hinweg mitleidig zugelächelt haben. Unter der Kennedybrücke hindurch geht es nun auf den letzten Streckenabschnitt. Ein Blick hinüber zur Oper. An der Anlegestelle am diesseitigen Ufer liegt die große Dschunke, in der ein Chinarestaurant sehr wenige Gäste bewirtet. Es hält sich aber trotzdem schon recht lange hier, obwohl das ursprüngliche Konzept mit Ablegen und Herumschippern auf dem Rhein wohl irgendwie nicht funktioniert hat. Etwas weiter wartet die Rheinnixe auf ihre letzten Fährpassagiere für den heutigen Abend.

Über die Rheinpromenade geht es langsam Richtung Rheinaustrasse. Hier stehen einige wunderschöne Villen, die dezent beleuchtet sind. Ein Wagen kommt mir aus dieser Anliegerstrasse mit Fernlicht entgegen. Meine Güte ist das grell. Ich hebe verzweifelt die Arme vor die Augen, um meine Not zu signalisieren, aber den Fahrer stört das nicht. Er rollt lässig im Schritttempo vorbei. Das Fenster ist leicht geöffnet. Ich werfe ein kräftiges „Arschloch“ in die Fahrerkabine des neuen SL und laufe locker und unbeschwert weiter.

Trapp, trapp, trapp

Links scheint der Mond und rechts kommt auf der anderen Rheinseite wieder der Posttower in Sicht. Das Farbenspiel ist nachts wunderbar, das Yves-Klein Blau wechselt langsam in ein sattes Rot, bevor der Tower in Postgelb erstrahlt.

Vereinzelt kommen mir auf diesem Abschnitt wieder Läufer entgegen. Vorbei am Bootshaus, ab hier sind es keine 20min mehr. Es wird wieder dunkel, als ich mich der Südbrücke nähere. „Hengst“ steht in großen Lettern auf dem Asphalt, gedachte Motivation für einen Triathlonteilnehmer, der sich hier im Spätsommer langgehetzt hat. „Hopp, hopp, hopp“ heißt es mit gleicher Absicht auf dem Aufgang zur Brücke.

Rechts vor mir den Tower fest im Blick kaufe ich über die Brücke. Zwei Läufer kommen mir hier entgegen, im Sommer waren es im gleichen Zeitraum zwei Dutzend. Als es von der Brücke heruntergeht, beschleunige ich doch meine Schritte. Noch ein paar Meter durch die Rheinaue, einen Hügel herunter, eine Linkskurve und die Tiefgarageneinfahrt liegt vor mir. Die Stoppuhr zeigt knapp 1:43h. Das ist oK, ein Schnitt von etwa 6:50 min/km.

Weitere Kollegen machen Feierabend und begeben sich auf dem Heimweg. Es ist 19:45 Uhr. Ich werfe die nassen Klamotten in den Kofferraum und ziehe mir ein trockenes T-Shirt an. In 20 min werde ich zu Hause sein. Meine Frau wird von der Tagesschau aufsehen und mir zulächeln: Na wie war´s? Schön war´s. Ein alkoholfreies Erdinger Weissbier , eine warme Dusche, die restlichen Nudeln von gestern.

Ja, schön war es.

Gruß
Peter
Startnummer 592 beim Rhein-Energie-Marathon Bonn am 04.04.04.
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Hi Peter,
schöner Bericht, da könnt ich ja fast mit mit dir noch dazu etwa in meinem Tempo.
Schmunzeln hab ich müssen über deine Bemerkung:" Hier bin ich nun ganz alleine, schon seit Minuten habe ich niemanden mehr getroffen."
wenn ich so einen längeren Lauf entlang der vielen Forststrassen mach, kann es schon sein daß ich zumindest eine Stunde nienand triff (tagsüber), außer ein paar Rehe.

______________________________
Pfiat di :hallo: :hallo:

M@x


Schüttelreim
Waren wirklich soviel in Bertlich?:
Würd´alle ich mit Namen kennen,
könnt´alle ich, die kamen, nennen! :) )

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Peter, durch die Warnung "sehr lang" habe ich mir den Bericht zurück gestellt - und jetzt wo ich eigentlich absolut keine Zeit hätte, habe ich es doch nicht mehr verkneifen können ihn mir durchgelesen. Und das 2mal !! :look:

Jedenfalls bin jetzt frisch motiviert :bounce:

Etwas wollte ich noch fragen, Deine Laufbrille ist schon ääähmmm sagen wir, ja etwas seltsam :P Hat die eine besondere Bedeutung
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Schreibe bitte künftig öfters solche Berichte, sie sind sowas von lebendig, einfühlsam, herzlich - einfach schön ! :)

Baba vom Alpi :rolleyes:

Abteilung: Laufberichtverschlingung ;)

Willst Du Gott zum lachen bringen, erzähl ihm Deine Pläne ... :look:

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hi peter,

merci vielmals, das reinste vergnügen den bericht zu lesen.
wieder einer dieser super berichte die das forum hier so extrem lesenswert für mich machen.
da fällt es mir irre schwer den heutigen ruhetag auch einzuhalten.
hab schon das gefühl meine laufschuhe wollen mich jeden moment anspringen :-)

liebe grüße

thomas

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Original von kathi68:
Original von erben_001:
Original von kathi68:
Naja ,noch bis Sonntag ,dann darf ich hoffentlich wieder.X(


:nene: :nene: :nene: Kathi - 3 Tage ohne AB abwarten!!!!

Gruß Ronny

You`ll never walk alone!!!

Wenn ich nicht noch Nachschlag kriege ,wären Sonntag 2 Tage ohne AB ,meinst 3 sind besser?

LG Katrin


Es gibt nichts gutes,außer man tut es
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Sorry erstmal für die Verwässerung!

@Katrin mach Sonntag einen schönen ausgiebigen Spaziergang und freu Dich auf den ersten lockeren Lauf am Montag :look:

Gruß Ronny

You`ll never walk alone!!!

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Vielen Dank für Eure lieben Worte :glow:

Falls der ein oder andere Nicht-Bonner sich die Sache mit dem Posttower nicht so ganz vorstellen kann, hier noch ein paar Eindrücke zur Ergänzung:

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Die Farben wechseln ständig, sieht aber auch im Hellen ganz beeindruckend aus :D

@ Ronnie
Kennedybrücke kann schon sein. Später ist er dann soweit ich weiß immer Richtung Bad Godesberg gelaufen

@M@x
ja, hier in der ehemaligen Haupstadt :D sind einige Minuten ohne andere Leute schon viel. Wenn ich bei mir zu Hause laufe, begegne ich auch kaum jemandem, aber das ist jetzt abends einfach zu dunkel, trotz Stirnlampe.
Das mit dem Lauftempo ist schön, meine Frau sprach diese Woche vom Hopfenssee nächstes Jahr. Vielleicht können wir dann mal ein gemütliches Läufchen zusammen machen. Seen gibt es bei Euch ja reichlich zu umrunden

@Alpi
nein, eine Bedeutung hat die Brille nicht. Sie ist superpraktisch und das Material ist gegen den agressiven Schweiß insbesondere bei längeren Läufen unempfindlich. Die Bügel meiner "normalen" Brille können das dagegen nicht so gut ab.

@Jo
Da hast Du Dir aber was vorgenommen, aber der Tower wird Dir den Weg weisen, wenn es dunkel ist :D

Gruß
Peter
Startnummer 592 beim Rhein-Energie-Marathon Bonn am 04.04.04.
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Hi Peter,
wenn die Anreise für einen Trainingslauf nicht so weit wäre, könnte ich mich glatt mal hinreißen lassen, aber so...

Ich habe nach Bertlich (`Tschuldigung an die "Nichtbertlichfans", aber ich musste den Ort noch einmal nennen) übrigens auch 1 Woche pausiert. Sonntag dann 1:30 Std. (2 STd. habe ich nicht vollmachen können, weil ich noch 30 Min für das Wochenend-Rätsel brauchte :D ) und heute werde ich wohl auch 1 Stunde laufen. Dann komme ich wohl wieder in den Trott, den ich über den Winter durchziehen will.




Gruß, Klaus
(der beim Ruhrauenlauf -August/2003- so fertig aussah)

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Hallo Peter,

ein toller Bericht. Das Lesen hat viel Spaß gemacht. Vielen Dank dafür.
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Ich bin vor vielen Jahren in Bonn meinen ersten Marathon gelaufen. Damals war es -glaub ich- noch der Post-Marathon. Kann das sein? Und war die Strecke des damaligen Marathons zum Teil identisch mit Deiner Laufstrecke? Wir sind seinerzeit auch ein gutes Stück am Rheinufer entlang gelaufen bis nach Bad Godesberg.

Liebe Grüße, Bogi

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Original von rennic:
UPS. Gesagt. Getan. :)

Gruß...René
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Hör mir auf mit UPS! Die haben sich bei mir ganz besondere Loorbeeren verdient! Aber diese Geschichte hier zu erzählen, würde bedeuten, einen mehrteiligen Topic aufzumachen! ;) Ich kann dazu nur sagen: Wenn es ein und denselben Namen in einer Stadt mehrmals gibt, machen die Leute von UPS wiklich Unmögliches möglich ;) !

@ miatara

Danke Peter! Ein wirklich netter Bericht eines Feierabendläufers!

:hallo: Steif




Der Steif®© ohne Knopf im Ohr!
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