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Wider den Läuferknigge - 24. Stadtmauerlauf Freiberg

Wider den Läuferknigge - 24. Stadtmauerlauf Freiberg

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Jedes Jahr findet in Freiberg im Rahmen des Bergstadtfestes der Stadtmauerlauf statt. 15 Kilometer in 5 Runden, rund um die, der Name sagt es, Stadtmauer (de allerdings nur noch in Teilen erhalten ist).
Ich wohne jetzt seit 4 Jahren hier und habe es noch nicht geschafft, auch nur ein Mal hier mitzulaufen. Zu faul, unterwegs, vergessen – hallo, das muss sich doch jetzt mal ändern.

Gesagt getan, am Mittwoch (also auch recht kurzfristig) habe ich mich noch angemeldet – um es am Donnerstag auch schon wieder zu bereuen. Magenkrämpfe, Übelkeit, Schwäche, lässt mich den Donnerstag im Bett verbringen. Freitag muss ich wieder arbeiten, da führt kein Weg dran vorbei, ich bin noch etwas zittrig auf den Beinen und falle abends erschöpft aufs Sofa. Und morgen 15 k laufen? Schnell? Vergiss es!

Am Samstagmorgen geht es mir wieder erstaunlich gut. Und da der Lauf erst um 18 Uhr gestartet wird, beschließe ich, wider besseren Wissens, doch zu starten. Denn Laufen gehe ich heute sowieso, und wenn ich merke, dass Tempo nicht geht, dann mache ich eben einen gemütlichen Lauf im Rahmen des Wettkampfes (ja, klar... :tocktock: )

Womit wir bei der Frage des Tempos wären. Ich habe keine Ahnung, was ich auf dieser Strecke reißen kann. Ich bin noch nie 15 k im Wettkampf gelaufen. Habe mich dieses Jahr bisher ausschließlich auf lange Strecken konzentriert und außer zwei Hände voll Tempoläufen und viele, viele Hügelfahrtspiele kein Tempotraining gemacht.
VOR Donnerstag habe ich als Traumziel eine 1:07:xx ausgegeben, als realistisch habe ich gehalten, unter 1:10 zu bleiben.
NACH Donnerstag bin ich froh, überhaupt anzukommen. Eine Zeit von 1:10 wäre ein Traum, unter 1:15, damit wäre ich schon richtig zufrieden.

So nehme ich mir während des Einlaufens, das sich ein bisschen anfühlt wie auf rohen Eiern, vor, zu versuchen, bei den KM-Splits auf meinem FR keine „5“ sehen zu wollen. Jeden Kilometer schön unter 5 Minuten bleiben. Dann wäre alles ok. Ob ich das kann – man wird sehen.

Pünktlich um 18 Uhr ertönt der Startschuss und wir laufen los. Ich habe mich anscheinend ganz gut positioniert, ich kann nicht groß überholen, werde aber auch nicht überrannt. Die Runde beginnt mit dem ersten Anstieg – langgezogen, ca. 600 Meter den Albertpark hinauf. Ich fühle mich recht langsam, es läuft locker und entspannt, die Atmung geht ein wenig schnell für meinen Geschmack. Wo bleibt denn das erste Piepsen, der erste Km müsste doch so langsam... verstohlen blicke ich auf die Uhr. WAS? Erst 600 Meter gelaufen??? Na, Mahlzeit... dann, am Ende des Parks, an einer steilen Rampe, piepst das blöde Teil endlich. Ich schiele auf die Uhr – und bin sehr überrascht. 4:30 wird mir für den Kilometer vermeldet. Oh, das ist zügiger als ich dachte. Dafür fühle ich mich aber gut.

Jetzt kommt das erste größere Gefälle der Strecke. Hier will ich es rollen lassen, ausruhen. das gelingt ganz gut und ist auch wichtig, denn am Ende dieser Bergabpassage wartet die zweite und letzte Steigung auf uns: Ca. 300 Meter, ziemlich giftig. oben angekommen piepst es zum zweiten Mal: 4:27. Hui! Nett. Aber – das war erst Km 2??? 13 weitere sollen noch kommen? Ich habe noch nicht mal die erste Runde rum? Und das Kopfkino fängt an zu rattern...
„Das hältst du nie durch. Heute ist der Tag, an dem du zum ersten mal einen Wettkampf versaust, du wirst am ende gnadenlos eingesammelt werden, zum Gespött der Leute werden. Scheiße, wäre ich doch daheim geblieben...“ :motz:

Während ich noch so in Selbstmitleid zerfließe, piepst es zum dritten Mal. Die erste Runde ist geschafft. 4:19. Hossa. Naja, war klar, der dritte Km besteht fast nur aus Gefälle, hier habe ich mich wieder erholt. So, jetzt das ganze noch 4 Mal. Warum tue ich das hier? Freiwillig? Bin ich komplett blöd? Junge, bleib bei deinen Langstrecken, das ist besser für dich...

Runde 2 bestätigen meine Befürchtungen: Mit 4:46, 4:36 und 4:29 sind die Kilometer der 2. Runde im Schnitt 10 Sekunden oder mehr langsamer als die der ersten. Zu schnell angegangen. Bitter. Wenn das so weitergeht, gehe ich am Ende ins Ziel. Dabei tut es noch nicht mal weh. Es macht zwar keinen Spaß (Hallo? Bist du hier um Spaß zu haben? Du bist hier um schnell zu laufen!!!), aber weh tut es noch nicht.

Anfang der dritten Runde trifft mich der Hammer. Ich laufe gegen eine Wand. Ich stehe. Mein Herz rast, mein Kopf explodiert fast. Ich komme nicht mehr vom Fleck. Mein Akku ist leer. Aus. Ich gebe auf. Gleich werde ich überrannt.

Langsam trabe ich weiter. Aber da kommt niemand. Wo bleiben die denn? So langsam wie ich gewo... PIEP. Ein Blick auf den FR. Km 7 in 4:42. Hey, das war ja schneller als der erste Km der 2. Runde. Wie geht das denn? Na, gut, ich will mich nicht beschweren. Während der dritten Runde kämpfe ich meine Angst vor einem Einbruch nieder – und es beginnt zu laufen, und zwar richtig. Jetzt kann ich meine Stärke, den Berglauf, richtig ausspielen. Das ewige Training in den Hügeln des Erzgebirges, die unzähligen Hügelsprints, zahlen sich jetzt aus. An beiden Steigungen lasse ich jeweils mehrere Läufer stehen – das macht Spaß, das gibt Antrieb.

Als ich die dritte Runde beende, rufen mir innerhalb von 200 Metern 2 Zuschauer zu, dass ich auf Platz 52 liege. Klingt doch gar nicht schlecht. Ich beschließe, zum Angriff zu blasen. Auch wenn meine Schnelligkeit nicht die beste sein mag, Ausdauer habe ich. Also sollte ich das Ding auch anständig zu Ende laufen können.

Ich werde nicht viel schneller, vielleicht 5 Sekunden pro Kilometer. Aber das reicht. Einen Läufer nach dem anderen sammle ich ein. Die meisten liefern keine Gegenwehr, nur ein oder zwei versuchen dranzubleiben – spätestens bei der nächsten Steigung müssen sie abreißen lassen. Man, das ist ein geiles Gefühl.

Als ich die vierte Runde beende, merke ich, dass ich nicht zu schnell, sondern zu langsam angegangen bin. Es tut immer noch nichts weh, obwohl ich jetzt 12 für mich sehr schnelle Km in den Beinen habe. Ich kann noch mit den Zuschauern reden, bedanke mich im Vorbeilaufen bei den Streckeposten, schimpfe über Fußgänger, die den Weg blockieren – und habe alles in allem echt Spaß an der ganzen Sache. Natürlich freue ich mich darauf, endlich ins Ziel einlaufen zu können – aber alleine, dass ich schon 3 Kilometer vor Schluss, also mit Beginn der letzten Runde, beschließe, das Tempo zu erhöhen, spricht doch Bände...

So sammle ich weiter Läufer ein (hey, das könnte ein neues Hobby werden... :daumen: ) und ehe ich mich versehe, ist nur noch ein Kilometer zu laufen. Jetzt will ich es wissen und ziehe an. Und ja, ich gestehe es: Hier fällt der Entschluss: Ich werde überholen. Bis zum bitteren Ende. Auch im Zieleinlauf. Keine Gnade. Sch*** auf den Läuferknigge.

So nehme ich meine Beine in die Hand und überhole noch 3 Läufer. Eine Kurve noch, da liegt das Ziel – und ich bin tief enttäuscht. Niemand mehr zum Überholen da. Menno! Na gut, dann Endspurt gegen mich selbst. Ich gebe noch mal alles, fliege ins Ziel – 3:51 für den letzten Kilometer... nicht schlecht! :geil:

Die Zeit steht bei 1:07:29. YEAH! Das ist doch mal geil. Ich bin ausgepumpt, aber zufrieden und glücklich. Von der Krankheit ist nichts mehr zu spüren. Ich habe den Lauf auf Platz 31 beendet, also auf den letzten 6 Kilometern noch 21 Läufer überholt, bin selber kein einziges Mal überholt worden. Sehr genial. Und auch einen negativen Split konnte ich laufen. 1. Hälfte in 34:06, zweite in 33:23. Das klingt doch sehr nach „alles richtig gemacht“, oder?

Ich trinke drei Becher Wasser und hole mir mein verdientes Freiberger (ich stehe ja echt nicht auf regionale Biere, aber Freiberger ist einfach oberlecker...).

Dann kommen meine Frau und mein Sohn, leider zu spät. Mein Filius ist sehr enttäuscht, dass er nicht mit mir ins Ziel laufen kann, also wiederholen wir, als der Großteil der Läufer durch ist, unseren privaten Zieleinlauf – das war echt schön!

Fazit: Die langen Strecken machen mir mehr Spaß, aber diese Zeit auf diese Strecke, ohne spezifisches Training, da bin ich schon ein bisschen Stolz drauf! Ich blicke dem Dresden-Marathon jetzt sehr freudig entgegen, die 3:30 sollten da eigentlich gut zu schaffen sein!

Danke fürs durchhalten
nachtzeche
"Die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden!" (Die Bibel, Jesaja 40,31)

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nachtzeche hat geschrieben:Jedes Jahr findet in Freiberg im Rahmen des Bergstadtfestes der Stadtmauerlauf statt. 55 Kilometer :confused: :haeh: in 5 Runden, rund um die, der Name sagt es, Stadtmauer (de allerdings nur noch in Teilen erhalten ist).
Ich wohne jetzt seit 4 Jahren hier und habe es noch nicht geschafft, auch nur ein Mal hier mitzulaufen. Zu faul, unterwegs, vergessen – hallo, das muss sich doch jetzt mal ändern.

.....
Danke fürs durchhalten
nachtzeche
:daumen: Herzlichen Glückwunsch zur super Zeit. Du hast vergessen zu schreiben welchen Gesamtplatz du nun erreicht hast.
Irgendwann schaffe ich ich es auch mal in Freiberg zum Mauerlauf. :nick: und vielleicht kommen ein paar aus der Laufgruppe mit, für die Mannschaftswertung.
Erhol dich gut, auch von deinem Unwohlsein.
:winken:
PS der Knigge gilt erst ab 30 m vorm Ziel :teufel:
Tati
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Hallo Tati,

danke für deine Antwort.

Den Zahlendreher habe ich berichtigt... :peinlich: , danke für den Hinweis

Und zu deiner zweiten Frage:
nachtzeche hat geschrieben:...Ich habe den Lauf auf Platz 31 beendet...
Liebe grüße,
nachtzeche
"Die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden!" (Die Bibel, Jesaja 40,31)

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nachtzeche hat geschrieben:Ich werde überholen. Bis zum bitteren Ende. Auch im Zieleinlauf. Keine Gnade. Sch*** auf den Läuferknigge.
Jetzt bin ich aber ganz gekniggt!
Wo bleibt da die Moral? Der Untergang des Abendlandes droht. :nene:
nachtzeche hat geschrieben:ich bin tief enttäuscht. Niemand mehr zum Überholen da.
Aha, erste Entzugserscheinungen! Typischer Fall von Überholitis gravis!
also wiederholen wir, als der Großteil der Läufer durch ist, unseren privaten Zieleinlauf – das war echt schön!
Soso, bereits 2. Stadium erreicht! Das wird böse enden! :teufel:



Gratulation an den Allround-Läufer! :daumen:

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Hallo Nachtzeche,

Glückwunsch zur gelungenen Prämiere auf der "Kurzdistanz" und Danke für den Bericht, in dem Du die Höhen und Tiefen vor und während des Laufes wieder mal eindrucksvoll beschrieben hast. :daumen: Da es mit der Stimmung zum Ende hin wieder aufwärts ging, warst Du offensichtlich so gut drauf, dass Du auf der Zielgeraden auch den Herren Knigge noch platt gemacht hättest :hihi:

Weiter so, damit wir noch viele schöne Berichte von Dir lesen können :nick: !

Tschüß :winken:
Tschüss, sportliche Grüße aus dem Bergischen Land

Eckhard :winken:

"Radsport ist Mannschaftssport, 60 km/h und 30 cm Abstand zum Vordermann" (Robert Bartko)

Auch 2014 und danach wird weitergelaufen! :zwinker2:

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nachtzeche hat geschrieben:Jalso wiederholen wir, als der Großteil der Läufer durch ist, unseren privaten Zieleinlauf – das war echt schön!
burny hat geschrieben: Soso, bereits 2. Stadium erreicht! Das wird böse enden! :teufel:
Lieber burny, ich versichere dir, ich habe meinen Sohn weder abgedrängt, behindert, am Shirt gezerrt, und, ich gehe bis ans Äußerste, auch NICHT auf der Zielgeraden überholt!!! Ich hoffe auf mildernde Umstände und hoffe noch inständiger, dass das 3. Stadium damit noch nicht eingeleitet ist... :D

nachtzeche
"Die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden!" (Die Bibel, Jesaja 40,31)

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Hallo Nachtzeche,

ein wirklich toller Bericht von einem tollen Lauf, wollte ich noch mal loswerden!
Vielleicht ja eine Option für mich im nächsten Jahr!

Martin

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@nachtzeche

Grüß dich, du hälst wohl hier die Fahne hoch für die Region um Freiberg?
Wollte dich eigendlich per PN anschreiben, aber das ist wohl in diesem Forum nicht möglich.
Antworte du mir mal bitte auf meine Mail-Adresse, ich hab noch ein paar Fragen an dich.
Vielen Dank.

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Also ich bin zutiefst enttäuscht.
Du hättest also hemmungslos auf die Zielgeraden überholt, wenn jemand da gewesen wäre, nur um 30er zu werden.

Mein Abscheu :nene:

Jörg

P.S. Gratulation zum schnellen Lauf
Neue Laufabenteuer im Blog

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Schneller zu laufen als deine Familie erwartet hat? Ohne deinen Filius ins Ziel rennen? Also wirklich! DAS geht doch nun gar nicht! Schlimmer als jeder Verstoß gegen den Läuferknigge. :zwinker2:

Aber immerhin hast du den Fauxpas ja wieder ausgebügelt. Vielen Dank für den kurzweiligen Bericht über eine - für dich - ultrakurze Distanz, lieber Chris! :daumen:

lg,
kobold
Gesperrt

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