Hallo Leute,
als ich mir in einem anderen Thread ein paar Tipps zur optimalen Renneinteilung für einen Sub3-Versuch beim Berlin Marathon 2009 abgeholt habe, hatte ich einen Bericht über eben dieses Rennen versprochen. Hier ist er. Vielleicht hilft es dem einen oder anderen bei eigenen Rennversuchen. Vielleicht bringt es auch nur ein paar Minuten Lesefreude…
ACHTUNG: LANG!
Prolog
Berlin, 20. September 2009. Im Trainingsplan für heute stehen 42,195km im Renntempo. Der Berlin-Marathon wird die Bühne dafür sein. Ich bin heiß. Energiegeladen wie der Duracell-Hase an der Autobatterie. Gut trainiert, ausgeruht, bis an die Ohren voll mit Kohlehydraten. Bereit für meinen zweiten Marathon und allerersten Versuch, innerhalb von drei Stunden zurück am Erdinger-Weißbierstand im Zielbereich zu sein. Ich laufe ernsthaft erst gut ein Jahr. Dennoch - mit einer drei Wochen alten Vorleistung von 1:23:40 im Halbmarathon hielten die meisten Wettkampfrechner im Internet und viele der Experten hier im Forum die magischen drei Stunden auf der großen Runde für möglich. Bei soviel Optimismus schließ ich mich nur zu gerne an und versuch’s einfach mal…
Das Rennen in fünf Akten
Vor dem Rennen.
Die zwölfwöchige Vorbereitung läuft gut und verletzungsfrei. Der Dank gilt PSB 24 für den Trainingsplan. 6mal Laufen in der Woche, mit im Schnitt 100km und einem Peak bei knapp 130km. Habe den Plan ein wenig modifiziert, da ich keine Endbeschleunigung auf langen Läufen mag, dafür aber 25km am Vortag des langen Laufes für eine effektive Vorbelastung halte. Und die Langen selbst laufe ich auch gerne etwas schneller als 5:00min/km.
In den letzten beiden Wochen fahre ich die Umfänge auf 90km und 40km herunter, halte die Intensität aber hoch. 10 Tage vor dem Wettkampf die Generalprobe mit 18km im Ziel-Renntempo (4:15min/km), das war nicht ansatzweise locker sondern eher ziemlich knackig. Der letzte Lange mit 28km 8 Tage vor dem großen Tag. Und in der letzten Woche zur mentalen Einstimmung einmal Haile-G.-Wettkampftempo-Intervalle. Frage: Wie fühlen sich die 2:56min/km der Marathon-Weltspitze an? Ergebnis: Verdammt schnell. Schaffe ich fünfmal gut 300m weit. Danach gilt es, sich noch ein paar Tage auszuruhen. Die Trägheit legt sich langsam und ich fühle mich fit, als der Sonntag kommt.
Der große Tag bricht an. Dresscode: Sommerlich. Wolkenlos und 26°C stehen für den Mittag an, bei allerdings noch angenehm frischen Temperaturen am Morgen. Schuhe der Wahl sind die Asics DS Racer. Schwarze Kompressionsstrümpfe am Bein (damit ich auf dem Weg zum und vom Marathongelände für einen ambitionierten Sportler gehalten werde) und ein wenig Funktionswäsche am Rumpf. Zum Frühstück eine Packung Maggi Tütennudeln – das wird den kleinen Hunger in den nächsten Stunden im Schach halten.
Die Renntaktik war simpel: Ich habe nach den vielen Tipps im Sub3-Renneinteilungsthread entschieden, mit 1:28:30 auf den HM anzugehen. Also 4:12min/km. Und mir für die zweite Hälfte vorgenommen, das Tempo bestmöglichst zu halten. Langsamer werde ich schon von alleine, das muss ich nicht ex ante planen. Also Zielzeit 2:57:00 und die entsprechenden 5km-Splits mit Kuli auf dem Unterarm verewigt. Kurzer Check – bei einer Vorleistung von 1:23:40 gibt 2xHM+10min = 2:57:20. Passt. Theoretisch.
Inzwischen bin ich auf dem Weg zum Startgelände. Die Startnummer ehrt mich mit Block C (2:50-3:00), und da will ich jetzt auch hin. Ein halber Liter Brandenburger Tafelwasser vorab, Trinken ist heute extrem wichtig. Nur die Hightech-Uhr mag nicht. Laut POLAR steht mein Herz still. Und der Temposensor misst im Gehen nur Blödsinn. Egal.
Ich laufe auf und ab. Lockerer Trab. Der Körper meldet 100%. Die Sonne hebt sich langsam über das Grün des Tiergartens. Verdrängt die Kühle der Nacht. Schweiß und ätherische Öle mischen sich im Läuferpulk zum typischen Wettkampfgeruch. Alan Parsons Project aus den Boxen am Startbogen. Konzentration. Ich schließe kurz die Augen. Ein Schuss, und keine 20s später piepen die Matten unter den Füßen.
KM1-10
Der Pulk stürmt los. Nur nicht zu schnell anfangen, sage ich mir. Die beiden 3h-Pacer sind mit ihren Ballons zuerst 5m vor mir, ich verliere sie aber schnell aus den Augen. KM1 geht mit 4:15 weg. KM2 dann mit 4:00. Anfängerfehler. Ich nehme sofort raus. 4:16, 4:16 und 4:18 für die nächsten drei KM. Macht 21:05 für die ersten fünf Kilometer. 20:58 steht als Soll in der Marschtabelle auf dem Unterarm. Bisher alles perfekt. Auf den nächsten KM stehen einige Freunde von mir am Straßenrand. Ich vergesse die Uhr und konzentriere mich aufs Laufen und Freunde finden (daher fehlen ab jetzt bis zum Ende auch meistens die einzelnen KM-Zeiten, ich drücke nur noch bei den 5KM-Matten ab). Konzentriere mich auf die Zuschauer. Klatsche einige ab. Freue mich am Tapp-tapp der Schuhe auf dem Berliner Asphalt. Die Kilometer fliegen dahin. Kurzer Systemcheck - alles funktioniert prächtig. Jeder Getränkestand wird besucht. Ein Becher getrunken, einer über den Kopf. Und auch der Schwamm wird immer wieder ins kalte Wasser eingetaucht. KM5-10 gehen in 20:54 weg. 41:59 bei KM10. Ingesamt liege ich 2s über dem 2:57-Plan. Perfektes Tempo. Zur Belohnung ein Tütchen Powergel.
KM11-20
Karl-Marx-Alle, Straussberger Platz. Prächtige sozialistische Wohnungen. Auch viele Zuschauer. Ich lenke mich ein wenig mit der Aussicht ab. Weiter nach Süden, Richtung Kottbusser Tor. Ein Freund wartet hier. Ein Moment der Freude, als wir uns entdecken. Die Beine stehen voll im Saft, verlangen nach mehr Tempo. Ich halte mich strikt an den Plan und versuche konstant zu laufen. KM10-15 in 20:57. Wie ein Uhrwerk. Und die nächsten fünf Kilometer von 15-20 in 20:58 hinterher. Bei KM20 zeigt die Uhr 1:23:54. Auf die Sekunde im Zeitplan. Die Gegend im Süden Berlins bietet wenig fürs Auge. Für die rennrelevanten Körperteile ist noch alles bestens. Beine, Atmung, Magen – keine Störungsmeldungen. Nur warm wird es langsam und der Mund ist trocken. Zwei Grossraumduschen der Feuerwehr kann ich auf diesem Streckenabschnitt finden. Angenehme Kühlung für den Motor. Bei KM20 das zweite Gel. Verpflegungspunkte lasse ich weiterhin keinen aus. Ich bin hitzeempfindlich, schwitze gerne. Und kenne nur zu viele heiße Trainingstage aus diesem Sommer, als ich mich mit letzter Kraft und halb verdurstet an einen öffentlich zugänglichen Wasserhahn gerettet habe.
KM21-30
Beim Halbmarathon zeigt die Uhr 1:28:30. Genau wie geplant, denke ich innerlich. Versuche ein paar Gespräche mit anderen Läufern anzufangen, um mich von der Strecke und der Monotonie der Schritte abzulenken. Komme aber nicht über kurzen Smalltalk hinaus und konzentriere mich wieder aufs Laufen. Bin selbst überrascht, wie gut es bisher geht. Weiterhin ein lockeres Tapp-tapp von den Füßen. Ein Zeichen dass die Muskulatur noch sauber arbeitet. KM20-25 in 21:04. Am Wilden Eber ist die Sau los. Richtig laut, richtig Stimmung. Dafür geht’s hier zum einzigen Mal im Rennen auch leicht bergauf. Ich will aber nicht rausnehmen, will den Schwung mitnehmen. KM 25-30 in 20:59. Ich liege bei 2:05:57, sechs Sekunden hinter dem 2:57-Plan. Aber die Hitze wird immer stärker fühlbar. Die Kleidung ist schon längst völlig von Schweiß und Wasser durchnässt. Nur wenige schattige Stellen auf der Strecke verheißen niedrigere Temperaturen. In der Sonne merke ich die Anstrengung deutlich. Der Kampf fängt an. Mit dem dritten und letzten Gel stärke ich mich für das letzte Stück.
KM31-42
Bei KM30 denke ich noch kurz über eine leichte Tempoverschärfung nach. Zwar laufe ich schon „unter Zug“ – aber etwas Luft ist noch. Entscheide mich gegen ein höheres Tempo – die Wärme und meine geringe Marathonerfahrung machen mich vorsichtig. Von der Strecke bekomme ich inzwischen kaum noch etwas mit, ich konzentriere mich gerade noch auf einen sauberen, schnellen Schritt. In das elegante Tapp-tapp der Schuhe mischt sich dennoch häufiger ein plumpes Platsch-platsch, wenn ich nicht aufpasse. Wasser gibt es an jeder Verpflegungsstelle über den Kopf, der Magen mag nicht mehr. Die Kilometer ziehen sich jetzt mehr und mehr. Die rechte Hüfte muckt ein wenig, der Magen zieht sich deutlicher zu. Unangenehm. KM30-35 in 21:07, mit 2:26:49 drücke ich bei KM35 die Uhr ab. Mir ist heiß. Zu heiß. Muss kämpfen. Ich versuche zu rechnen um mich zu motivieren: Über 33min für noch gut 7 Kilometer bis ins Ziel. Schaffe es nicht auszurechnen, wie viel ich langsamer werden könnte, um immer noch unter drei Stunden reinzukommen. Unbewusst nehme ich dabei Druck raus, und falle sofort zurück. Ein KM mit 4:27 plötzlich. Und noch einer mit 4:24, obwohl ich wieder beschleunigt habe. Ich drücke, aber die Kraft schwindet. Es geht ständig bergauf, sagen die Beine. Getränkestände und Mitläufer ignoriere ich jetzt. Weiterhin Kampfmodus. Motiviere mich: Es gibt keinen Grund, langsamer zu machen. Es ist nur eine kurze schwache Phase, sage ich. Sehne mich nach jedem Kilometerschild. Echte Erinnerungen an diesen Abschnitt habe ich sonst keine. KM35-40 in 21:45. Eine gute Minute hinter der 2:57-Pacetabelle, die ich nur noch ganz schwach auf dem rechten Arm lesen kann. Wo bleibt die verfluchte Straße „Unter den Linden“, wo ist das Brandenburger Tor. Nicht denken, laufen. Endlich biege ich auf die Zielgerade ein. Letzte Kräfte sammeln, ich weiß jetzt, dass ich es schaffen werde. Und dann laufe ich durchs Brandenburger Tor. Die letzten Meter – und der Höhepunkt des Tages. Haile Gebrselassie wird gerade für den Sieg geehrt. Die Zuschauer jubeln, „One Moment in Time“ kommt aus den Laufsprechern. Gänsehaut-Feeling. Und ich mittendrin. Es letztes Piep auf den Zielmatten, und es ist vorbei. 9:17 für die letzten gut 2KM. Mit 2:58:06 im Ziel. Glücklich, stolz. Und unglaublich durstig. Die angebotenen gelben Umhänge lehne ich ab. Kalt ist mir nicht.
Epilog
Sub3. Yeehaa! Den Drachen besiegt und die Jungfrau erobert. Ein perfektes gleichmäßiges Rennen. Bei sehr guten äußeren Bedingungen. Mich lange zurückgehalten, und am Ende (glücklicherweise nur) kurz, aber konsequent gekämpft. Da hilft die absolute Fokussierung auf ein Ziel: Der Kopf darf einfach nur keine Chance zum Abbruch haben. Abgedroschen, aber wahr: Der Schmerz geht, der Stolz bleibt.
Gruss,
Martin
Berlin Marathon 20.9.2009 – Sub3 für Einsteiger
1Wettkämpfe 2009
03/09 HM Gröbenzell: 1:43:04
04/09 HM Leipzig 1:29:38
07/09 6,5K Maxi Firmenlauf München 0:27:23
08/09 HM Altötting 1:23:40
09/09 M Berlin 2:58:06
11/09 M New York