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Von Harald, dem Orkan und dem Japaner

Von Harald, dem Orkan und dem Japaner

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Es ist Samstag. Ich bin heimlich hier, undercover, und will mich zum Blumensaathalbmarathon nachmelden. Letzten Samstag hatte ich einen ordentlichen 15er laufen können. Vielleicht würde die Form 7 Tage danach auch für einen ordentlichen Halbmarathon reichen? Falls nicht: Es weiß ja keiner dass ich hier bin. Aber mit der Heimlichkeit ist es schnell vorbei, denn Martin(Dus) hat mich rasch in der Halle entdeckt, und wenig später stößt auch Schmittipaldi dazu. Die beiden müssen alsbald los zum 10er. Ich habe noch Zeit und döse in der Halle. Mein Beispiel macht Schule, denn kurz darauf liegen auch rechts und links von mir Läufer auf dem Rücken und lassen die Zeit vergehen.

Nachdem Martin und Schmitti-Heiko beim 10er imposant vorgelegt haben, werde ich mich beim HM zumindest anstrengen müssen. Erst einmal zum Warmmachen raus. Und das ist schon der erste Fehler, denn so recht warm will es mir in kaltem Wind und Regen nicht werden. Als der Moderator dann noch meint, es seien noch welche beim 10er auf der Strecke, der Halbmarathon starte 5 Minuten später , bin ich so richtig verzweifelt und starre sehnsüchtig zum Schirm unter dem der Moderator steht. Denn am Schirm flattert aus irgendwelchen Gründen eine angeheftete Köln-Marathon-Thermoplane, wie ich sie auch mal besessen hatte und nun hätte gebrauchen können. Um nicht komplett auszukühlen begebe ich mich in die Läufergruppe zum Gruppenkuscheln. Da stehen wir nun wie die Königspinguine in der Antarktis und trotzen Sturm und Wind mit der eigenen Körperwärme.

Startschuss. Schlauchtuch als Schal um den Hals, klamme Hände in den langen Ärmeln verborgen. Es dauert drei Kilometer, bis sich die Hände aus den Ärmeln trauen und das Schlauchtuch vom Hals verschwindet und am Handgelenk landet. Im Läuferfeld arbeite ich mich langsam vor und hoffe, nachher nicht von allen Leuten wieder einkassiert zu werden. Auf der Doppelwendestrecke kommen mir die ersten Läufer entgegen. Die Namen der Wuppertaler darunter kenne ich. Huch, war das da eben mein Japaner? Nee, kann nicht sein. Als ich die Wendemarke nach dem ersten Viertel erreiche, überhole ich noch einmal und hefte mich einem älteren Läufer an die Fersen.

Der heißt Harald. Ich brauche nicht lange, um zu wissen, dass Harald Harald heißt, denn Harald wird alle paar Meter von Passanten angefeuert. Gut so Harald, weiter Harald, hey Harald, siehst gut aus! Harald patscht gleichmäßig wie ein Uhrwerk über die nasse Strecke und ich hänge an ihm dran wie ein Kohletender. Wir machen einige Plätze gut. Nur einmal werden wir aus der Bahn geworfen, als ein zu Überholender willkürlich seine Bahn verlässt und Harald in die Füße läuft. Harald beschwert sich empört. Dann macht der Kerl in Rot irgendeine komische beleidigte Handbewegung im Sinne von "Da Pfütze - ich ausweichen" und macht aus Protest Tempo. Nachhaltig sogar, ich glaube der ist bis zum Rennende vor uns geblieben.

Wieder kommt uns der erste Läufer entgegen, vor ihm das Begleitfahrrad. "Hallo Harald!" schallt es vom Rad herunter. Wir nähern uns dem Ziel. Schön wär’s, denn das Ziel markiert hier gerade einmal die Hälfte der Strecke. Statt also nach der Rennhälfte auf einem Rückweg zu sein, werden wir uns wieder vom Ziel wegbewegen. Der Mann am Mikro heißt den allseits bekannten Harald mit Begeisterung willkommen, dann geht es um den Wendekegel. Und die Hölle bricht los.

Vielleicht hatten wir bis gerade eben noch ordentlichen Rückenwind, den wir nicht bemerkt haben? Jetzt müssen wir uns gegen kalte, nasse Sturmböen behaupten die uns entgegenfegen. Der lange, schlacksige und ältere Harald ist wie gegen eine Wand gelaufen und kann dem Sturm nichts entgegensetzen, ich muss ohne ihn weiter. Ich beuge mich gegen den Wind vor, als wäre ich auf dem Sattel meines Rades. Und mein Schlauchtuch knote ich zu einer Mütze zusammen, weil es auf der Birne tierisch kalt geworden ist. Zum Glück ist der Sturm etwas später vorüber. Mir ist kalt, ich bin etwas schwächer auf den Beinen, meine Füße sind nass, ich hab meine Einheit verloren. Und etwas Zeit. Ich schließe zu einem anderen Läufer auf, dessen Kleidung ihn zu Monchis Verein gehörig ausweist. Der Läufer schaut verdutzt, als ich ihn nach seinem Namen frage, antwortet aber bereitwillig "Ralf". Und mir fällt dann sogar der dazu passende Nachname ein. Ich habe meine Zeitkontrolle durch den Sturm total verloren und bin nicht mehr befähigt zu rechnen. Ralf kann mir aber unsere Zwischenzeiten nennen und ist somit ein angenehmer Laufpartner. Weil er ein Partner ist laufe ich neben ihm und klebe nicht an seinen Hinterhaxen. Es gibt Leute, die wir überholen. Aber auch jemanden, der uns überholt. Ein roter mit Komprisocken. Ich beschließe, nun auch mal Lokomotive zu sein und versuche das Loch wieder zuzulaufen. Doch ich komme nur auf 20 Meter heran, während ich Ralf hinter mir verloren habe. Auf der anderen Bahnseite sind schon längst wieder die vor mir platzierten Läufer unterwegs. Und diesmal bin ich mir sicher. Da läuft MEIN Japaner!


Mein Japaner weiß natürlich nichts von seinem Glück, dass er mein Japaner ist. Vor einem Jahr hab ich ihn bei einem 10er in Düsseldorf niedergerungen und war dann bei einem Crosslauf im Januar verzweifelt, als er den Spieß umdrehte. Dort versuchte ich vergeblich dranzubleiben und war dann beleidigt, als er nach 7 Kilometern ins Ziel bog, ich aber noch die gleiche Strecke weiterlaufen musste. Dafür hatte ich später in Benrath das Glück, nur für einen 5er gemeldet zu sein, als mein Japaner in sengender Hitze einen 10er hinlegte, der 25 Sekunden schneller war als meine Bestleistung. Heute aber war der große Tag des Duells. Er oder ich! Noch hatte er einiges an Vorsprung, aber ich wusste, dass ich näher herangekommen war und fieberte der Wendemarke entgegen.

Ab dem Wendekegel befand ich mich dann endlich auf dem Rückweg, und die Beine arbeiteten noch. Bis zum Ziel würde es reichen. Zum "Roten" hatte ich inzwischen aufschließen können und spielte abermals den Tender. Das Schlauchtuch war wieder ums Handgelenk gewickelt, die Ärmel nun hochgekrempelt. Meine neue Lokomotive machte ausgezeichnete Arbeit und wir kassierten Läufer um Läufer. Und ich konnte anfangen, die Kilometer herunterzuzählen. Als wir zwei schwarzgekleidete Läufer passieren wollten, leisteten diese Gegenwehr. Und so hatte sich nun eine 4er-Gruppe gebildet, deren Läufer aber nicht miteinander sondern gegeneinander arbeiteten. Nur ein dritter schwarzgekleideter Läufer kümmerte sich nicht drum, kam von hinten und verschwand weiter vorn, während wir 4 in wechselnden Positionen am Anschlag nebeneinander her liefen. Ob ich das Tempo durchhalten würde? Immerhin konnte ich nun in etwa ausrechnen, was für eine Zeit erreichbar sein würde und hatte Aussicht, eine neuerliche knappe Bestzeit zu laufen. Also durchhalten. Drei, zweieinhalb, zwei, anderthalb, noch einkommaeins Kilometer. Nicht nachlassen! Bloß nicht nachlassen! Im Ziel würde eine warme Dusche auf mich warten das erste Mal, dass ich mich auf die Dusche freute, nicht auf das Essen.

Endlich war die Fußgängerbrücke über den Baldeneysee in Sicht, an welcher Start und Ziel waren. Gefährlich, weil noch war es weiter bis dorthin, als es aussah. Nicht nachlassen, aber auch nicht überpacen. Dann die lange Zielgerade. Einer von den beiden "Schwarzen" zog noch einmal das Tempo an und ich hinterher. Vor mir das Ziel und mein Japaner, den hätte ich beinahe vergessen! Ich holte noch einmal alles heraus und genoß den Triumph, kurz vor den Messmatten noch an meinen persönlichen Japaner vorbeizupflügen. Haha, dem hatte ich es gegeben! 2:1 für Deutschland! Und Bestzeit hatte ich auch! Ich will duschen!

Das Duschen war schön und ich habe lange geduscht. Trotzdem habe ich in Dusche + Umkleide tatsächlich den Paulos überholt, der im Ziel noch dreizehneinhalb Minuten Vorsprung gehabt hatte. Ob manche Leute so schnell laufen, um länger duschen zu können? Heute zumindest hätte es Sinn gemacht...
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unreflektiert nachplappernder ultravorsichtiger Seniorenlaufratgeber

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Schön geschrieben :) Glückwunsch zur neuen Bestzeit und das bei dem Wetter, du bist echt ein Held! :daumen:
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Gut gekämpft, Marcel, und herzlichen Glückwunsch zur neuen Bestzeit!
Sag ich doch, da geht immer noch was, und manchmal eben, wenn die äußeren Bedingungen gar nicht danach aussehen.

Und wunderbar nachvolllziehbar hast du es auch noch der Nachwelt in einem schönen Bericht zugänglich gemacht!

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Toller Bericht, nur das meine Füße sich gerade wieder nass anfühlen und dieses klamme Gefühl sich gerade weider breit macht... :zwinker2:
Da noch PB - Super!!!
You must do the thing you think you cannot do!
Eleanor Roosevelt :idee:

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RunningTurtle: "Einmal muß jeder Radiergummi nach Bernau"
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