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Von der Verschlagenheit der Götter und der Herausforderung winterlichen Laufens

Von der Verschlagenheit der Götter und der Herausforderung winterlichen Laufens

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Sie hatten es gewusst. Sie kannten seinen Jähzorn, hatten seine schiere Unfähigkeit, mit Niederlagen umzugehen, etliche Male erleben müssen, seine Verschlagenheit, mit der er einem siegreichen Konkurrenten nachstellte. Aber dieses Ausmaß an Boshaftigkeit hatte selbst sie überrascht. Am 20. November war es gewesen, beim Neusser Erftlauf, da hatte Balder, der Gott der Sonne, seinen Konkurrenten Ullr, den Wintergott, noch einmal bezwungen. Kurze Zeit später hatte Ullr getobt, hatte die Temperaturen in den Keller geschleudert, geifernder, weißer Schaum war aus seinen hassverzerrten Mundwinkeln getrieft, der als Schnee herabgefallen das Land bedeckt hatte. Der Wintergott hatte seinem Wutausbruch unkontrollierten Lauf gelassen.

Selbst Odin, dem mächtigsten von allen, gelang es nur für kurze Zeit, Ullr Einhalt zu gebieten und somit den laufenden Menschen einen Hauch von Hoffnung zu verschaffen. So fanden sie denn 2 Wochen später unter unwirtlichsten Umständen zusammen: Helden der Laufstrecke, die Mutigsten der Mutigen, Männer und Frauen mit unerschütterlichem Kampfesmut, beseelt davon, der Todesstrecke Meter um Meter abzuringen, diesen einzigartigen, todesverachtenden Blick im Auge, aus blau gefrorenen Lippen ein trotziges „morituri te salutant“ herauspressend. Sie waren bereit, einem Gott zu trotzen. – Unter all diesen Heroen befand sich auch ein Weichei, das war ich.

Um das Neusser Stadion herum war eine 1 km-Runde abgesteckt, Schnee und Eis verdeckten den Untergrund, gaben einen Vorgeschmack davon, worauf sie sich eingelassen hatten. Manch Todesmutiger bot dem wütenden Gott seinen halbnackten Körper dar, warf ihm ungeschützte Arme und Schenkel zum Fraße vor. Ich aber nicht, ich hatte mich warm angezogen. Wer in einschlägigen Lexika nach „Warmduschen“ googlet, wird unter den zahlreichen Erfindern auch meinen Namen genannt sehen. Nur die dicken, warmen Socken konnte ich nicht anziehen. Cross-Schuhe müssen anders als sonstige Laufschuhe eng sitzen, mit den schönen warmen Socken wäre es aber zu eng.

Als erstes lief ich eine Proberunde, um die Spikes zu testen. Vom letzten Mal waren da kürzere mit so etwa 6 - 7 mm Restlänge drauf. Nach den ersten Schritten war klar: so rutsche ich. Also musste ich wechseln, wollte 12-er nehmen, hatte aber nicht genug davon und schraubte daher die 15 mm-Dornen drunter. Das war goldrichtig, wie sich zeigen sollte.

Um 15:45 Uhr stehen 60 hochbetagte Herren frierend an der Startlinie, die letzten Frauen sind noch auf der Strecke, Männer ab M40 müssen warten. Kalt isses! Ullr fühlt sich herausgefordert, lässt die Muskeln, ähm nee, Winde spielen, schickt nasskalten, ekligen Wind. Noch mehr Frieren is’ angesagt. Endlich Bumm! Nu aber loss! Kack Strecke, kack Wind, kack Schneegestöber, auch das tut der fiese, hinterhältige Ullr uns an, bläst Schnee herunter! Hilft nix! Muss man durch! Wer längere Spikes hat, ist jetzt im Vorteil. Strecke ist nicht einfach. Ab Startlinie Wind, Murks, Kack, nach der ersten Kurve ist mit guter Bereifung einigermaßen ordentliches Laufen bis zur 180°-Kurve möglich, die kommt kurz nach der Rundenhälfte.

Es folgt schwerer Lauf durch Weichschnee auf Wiese, kostet Kraft, Rundenende: Hügel rauf, Schnee, schwer, keuch, keuch, keuchchch, endlich oben, Runde 1 rum, Uhr drücken, nächste Runde, kurz verschnaufen, dann wieder Gas geben, Strecke ist etwas länger als normal, ein steiler Hügel ist, weil’s zu glatt ist, herausgenommen, wird quasi umlaufen, ich zieh jetzt an einem Vereinskollegen vorbei, habe guten Rhythmus gefunden, um 180°-Kurve herum und etwas Tempo rausnehmen, schwerer weicher Schneekurs, wieder Hügel hochgekeucht, Runde 2 durch, Runde 3 beginnt, was ist mit meinen Füßen? Ich laufe doch, warum ist da nur ein gefühlloser Klumpen, wo Ballen und Zehen sein sollten? Panik: kann ich durchlaufen, wenn ich den Boden nicht mehr spüre?

Egal, erstmal weiter, Kräfte sind gut eingeteilt, Kondition wird reichen, aber die Füße? Rein in Runde 4, komisch, jetzt kommt wieder etwas Gefühl in die Klumpen, nicht viel, aber das Gefühl, dass sie abfallen könnten, vergeht. Runde 4 durch, nun nur noch 1, die letzte Runde, nix kann mehr passieren, letzte Energiedepots gezündet, Schlussteil im Schnee auf Wiese: nu aber noch mal Vollgas, geht noch, Zieldurchlauf, keuchkeuch, Weckmann. Nett, aber nix Hunger, besser is’ Tee, süß, aber gut.

„Eigentlich“ sollte es heute ja was unter 20 min werden, aber da Strecke länger und sämtliche Zeiten langsamer sind als sonst, ist 20:35 min auch in Ordnung. Überhaupt: im „alte Säcke“-Lauf sind nur 2 Zeiten knapp unter 19 min, nur 7 unter 20, im folgenden Jungspundrennen ähnlich: 1 unter 19 min, 5 unter 20, schnellste Zeit heute 18:31 min.

Wärmer anziehen zum Auslaufen, großer Onkel links ist schneeweiß, taub, sagt nix, hört nix. Dicke, warme Socken an, locker 2 Runden traben, Füße werden wärmer, Leben kehrt zurück. Gefühl „Stalingrad: Ausbruch geglückt!“ War’s da kälter? Oder heute? Oder war Weichei-Gen dominant? Wurscht! Für heute is’ gut!

Später: Listig und verschlagen kommt Ullr daher, will Menschen einlullen, falsche Sicherheit vorgaukeln, lässt Celsiusgrade steigen, Schnee schmelzen, schickt Regen herab, doch dann schlägt er wieder zu, wandelt durchsichtige Tropfen in weißgewandete Flocken, überzieht das Land mit feuchter Eiseskälte. Was hat er vor? Wann findet sein Toben ein Ende?

Wer ob der heldenhaften Taten der Heroen im warmen Heim einen leichten Schauder verspüren mag: der Spenden sammelnde Peter hat Fotos gemacht: Hügel, Schnee, Gestöber oder ganze Galerie.

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Hallo Bernd

vielen Dank für deinen wie immer so amüsant geschriebenen Bericht!

Ich war zwar nur als Zuschauer dort - mein Junior ist die 3000m Strecke gelaufen -
aber du hast die Stimmung des Tages sehr schön vermittelt !

Gruß

Ulli
5K 24:53 / 10K 52:31 / 15K 1:22:11/ HM 1:57:27/ M 4:10:33 / 50K walk 8:26:20

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Mann mann, was muss man da lesen, Bernd - da habe ich ja noch mal Glück gehabt...

Beim Erftlauftschogg, genauer "Novesiarunde für Rekonvaleszenten" hatte ich noch einige Gedanken daran verwandt, wie ich an den Weckmann im Jahnstadion komme. Zum Glück hatte ich eh keine Zeit und bin verschont geblieben. Gut, dass mit Dir und Ulli so altgediente Haudegen an der Strecke waren mit Erfahrung aus Stalingrad, Kaliningrad und Stacheldraht :daumen: Die können eben was ab!

Für mich wäre das wohl nix gewesen in kurz kurz. Mir wäre wohl der Fuß abgefroren - wobei ich manchmal nicht sicher bin, ob das nicht auch eine gute Behandlung wäre :D

:daumen:

gruss hennes

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Hallo Bernd,

schöner Bericht (wie immer). Wie kommst du auf die Idee, das du in die Kategorie "Warmduscher" fällst ? :zwinker5: . So einen Lauf bei den Bedingungen muß man erstmal schaffen, vielleicht wär doch die Kategorie "Frostking" besser. :nick:

Achim
Man muß das Unmögliche so lange anschauen,
bis es eine leichte Angelegenheit ist.
Das Wunder ist eine Frage des Trainings.

Carl Einstein

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Hallo Bernd,
ein sehr schöner Bericht.
Nur...irgendwie....stört mich....
Musst du uns allen denn unbedingt vor Augen halten, was in den nächsten Monaten noch auf uns zu kommen kann? :D
Und "Warmduscher": Sind das nicht diejenigen, die den Lauf zuerst beenden und den anderen das warme Wasser wegnehmen? :confused: (Ein Grund mehr, im Winter schnell zu laufen.)
Muss wohl so sein. Denn stimmt die landläufige Definition, hättest du dich nach einem Blick nach draußen doch einfach wieder ins Bett gelegt.

LG Pippi

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Pippi L. hat geschrieben: Und "Warmduscher": Sind das nicht diejenigen, die den Lauf zuerst beenden und den anderen das warme Wasser wegnehmen? :confused: (Ein Grund mehr, im Winter schnell zu laufen.)
Muss wohl so sein. Denn stimmt die landläufige Definition, hättest du dich nach einem Blick nach draußen doch einfach wieder ins Bett gelegt.

LG Pippi
Wahrscheinlich hat er kein Bett, keine Dusche, nur Laufklamotten, der Arme.
Deswegen muss er Woche für Woche von Wettkampf zu Wettkampf eilen, um sich aufzuwärmen, zu duschen und mal nen warmen Tee zu bekommen!

Armer Bernd!

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nachlangerpause hat geschrieben:mein Junior ist die 3000m Strecke gelaufen
Ich hoffe, er ist gut durchgekommen. Obwohl, so gegen Ende dieses Laufes fing's mit dem Schneefall an, wenn ich mich recht erinnere.
Hennes hat geschrieben:wie ich an den Weckmann im Jahnstadion komme. Zum Glück hatte ich eh keine Zeit und bin verschont geblieben.
Tja Hennes,
da war der Weckmann weg, Mann!
acaffi hat geschrieben:vielleicht wär doch die Kategorie "Frostking" besser.
...eher schon Frierking oder noch besser Frierling, Achim.
Pippi L. hat geschrieben: Musst du uns allen denn unbedingt vor Augen halten, was in den nächsten Monaten noch auf uns zu kommen kann? :D
...wenn ich die letzte Vorhersage nehme: WIRD!
Hab gerade eben erfahren, dass der Siebengebirgshalbmarathon (+ gleichnamiger Marathon) wegen der Wetterverhältnisse abgesagt wurde...
Traveläufer hat geschrieben:Wahrscheinlich hat er kein Bett, keine Dusche, nur Laufklamotten, der Arme.
Deswegen muss er Woche für Woche von Wettkampf zu Wettkampf eilen, um sich aufzuwärmen, zu duschen und mal nen warmen Tee zu bekommen!

Armer Bernd!
Kenn kein Bettchen, kenn kein Bad,
Nix zu essen, werd kaum satt.
Tee gibt's nur beim Läufelein,
Weh mir armem Burny klein!

(Ich muss hier aufhören, weil die Tastatur bereits tränennass ist!)

Danke für Eure Kommentare!

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Herzlichen Glückwunsch zu Deinem Sieg über Ullr.

Dein Sitz im Sto'Vo'Kor ist Dir sicher. Ups, meinte natürlich die Walhalla. Da hab ich wohl was mit den Klingonen verwechselt. :zwinker4: :P

:daumen: :daumen: :daumen:
Viele Grüße

Jürgen

"... its aint over till
it's over ..."
"... es ist nicht vorbei,
bevor es vorbei ist ..."

-Zitat: Rocky Balboa- :wink:

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Hallo Bernd,

Glückwunsch zu Deiner Leistung beim Crosslauf unter wirdrigen Umständen! :daumen:

Danke auch für den spannenden Bericht mit einem kostenlosen Einblick in die nordische Götterwelt. Was mir allerdings zu Denken gibt ...
burny hat geschrieben: ... Um 15:45 Uhr stehen 60 hochbetagte Herren frierend an der Startlinie, die letzten Frauen sind noch auf der Strecke, Männer ab M40 müssen warten. Kalt isses!
...
„Eigentlich“ sollte es heute ja was unter 20 min werden, aber ... 20:35 min [ist] auch in Ordnung. Überhaupt: im „alte Säcke“-Lauf sind nur 2 Zeiten knapp unter 19 min, nur 7 unter 20, im folgenden Jungspundrennen ähnlich: 1 unter 19 min, 5 unter 20, schnellste Zeit heute 18:31 min.
Bernd
... ist die Erkenntnis, das ich mit meinen 47 Lenzen dann ja wohl auch schon zu den "Alten Säcken" gehöre! :klatsch: Meine Töchter haben also doch recht! :confused:
Tschüss, sportliche Grüße aus dem Bergischen Land

Eckhard :winken:

"Radsport ist Mannschaftssport, 60 km/h und 30 cm Abstand zum Vordermann" (Robert Bartko)

Auch 2014 und danach wird weitergelaufen! :zwinker2:
Gesperrt

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