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9. Attler Lauf

9. Attler Lauf

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Es muss nicht immer City-Marathon oder Firmenlauf sein. Es gibt kleine Läufe, auf denen große Erlebnisse möglich sind. Seit fünf Jahren fahre ich daher immer am ersten Juli-Wochenende zum Attler-Lauf bei Wasserburg. Schon beim ersten Mal war ich von der besonderen Atmosphäre in Attel fasziniert. Das Leben ist laufenswert - das Motto der Veranstaltung finde ich ebenso schön wie deren Grundidee: Freizeit- und Spitzenläufer laufen gemeinsam mit Behinderten, da kommt es nicht nur auf die Zwischenzeiten an...

Dieses Gemeinschaftsgefühl hatten wir auch in unserer kleinen Schwindegger-Truppe, die zur 9. Auflage des Attler Laufs am vergangenen 2. Juli Richtung Wasserburg fuhr. Zu zehnt waren wir angereist. Ich war nervös wie vor dem Start eines großen Marathons. Nach meiner Verletzungspause wollte ich erstmals wieder ernsthaft auf Tempo laufen, um zu sehen, ob es nach drei Wochen ernsthaftem Training schon wieder aufwärts geht. Dazu kam das Mitfiebern mit Peter, der, ebenfalls verletzungsgeplagt, auch seine Form testen wollte - und vor allem mit Werner, dem eine OP mit Krankenhaus und Reha das ganze Frühjahr vermasselt hatte.

Dann unsere Laufeinsteigerinnen, Silvie, Ulrike und Sandra, die mit mir voller Ehrfurcht den Hügel hinaufschauten, auf dem oben ein beeindruckender Ahorn-Baum steht. Mag der Boston-Marathon auch etwas bekannter sein - hier in Attel haben sie auch "heartbreak hills", die es in sich haben.

Ich erinnerte mich an die Vorjahre, wie schlecht ich da oben auf dem ersten Hügel ankam. Atemnot und schwere Beine schon nach 400 oder 500 Rennmetern. Keine schöne Aussicht. Das flaue Gefühl in meinem Bauch wird dadurch kaum besser. Dafür sind die Leute vom Orga-Team in Attel wie immer besonders nett. Ich bin gemeldet, meine Überweisung aber noch nicht da - woanders eine Katastrophe, in Attel heißt das nur: "Passt schon. Deine E-Mail haben wir ja."

Die Startnummerausgabe geht fix. Auf dem Weg zur Umkleidekabine treffe ich den ersten Fan, einen Behinderten, der mir wünscht, heute gut zu laufen. Ja, das wünsche ich mir auch. In der Umkleide treffe ich Thomas aus Ebersberg. Er läuft zum ersten Mal in Attel. Außer ihm ist niemand da, kein Gedrängel, kein Stress, das beruhigt die Nerven. Thomas sagt, das Höhenprofil sei beeindruckend, seine 10000er-Bestzeit liege bei 49:30 - also ungefähr meine Leistungsklasse.

Dann raus zum Warmmachen. Garmin an, die Brooks Racer fühlen sich leicht und stabil an, die Beine spritzig. Sollten sich die Schwellenläufe und Strides, die ich in den vergangenen Wochen absolviert hatte, schon auszahlen? Meine Streckenbestzeit von 2010 lag bei 53:26 - damals war es sehr heiß, aber ich hatte noch vom Pfitzinger-Marathontraining profitiert. Heute ist es angenehm kühl. Ich hatte mit zwei Arbeitskolleginnen um ein Stück gewetten, dass ich heute unter 52:30 laufe. Das Wetter ist super, das könnte etwas werden.

Ich trabe so gut 1,5 Kilometer, alles fühlt sich gut an. Markus, der spätere 5.000-Meter-Sieger läuft mir über den Weg. Markus sagt, er laufe nur die 5-KM, er habe schwere Beine und am Abend zuvor ein 7-Kilometer-Rennen in Traunstein gewonnen - die Sorgen möchte ich haben...

Mir fällt unser legendärer Dialog vom HM in Waging am See vom vergangenen Jahr ein:
Markus: "Meine Freudin ist abghaut. 6 mal die Woche laufen, dann einmal Fitness-Studio - das war ihr zu viel."
Ich: "Oh, schlimm. Kommst Du klar?"
Markus: "Mir ist dös wurscht. Für Freundinnen hab ich noch Zeit genug. Der nächste Halbmarathon ist wichtiger".

Werner läuft sich auch warm, ich will ihn aber nicht ansprechen. Er soll sich konzentrieren auf seinen 5.000-Meter-Lauf. Theo, die regionale Ultra-Legende, spricht mich an. "Du ich hab auf 100-Kilometer immer noch die 8:34 stehen", was mich beeindruckt und frustriert zugleich. Im August plant er eine Küstenquerung irgendwo im Norden, so schlappe 70 Kilometer pro Tag.

Zehn Minuten bis zum Start. Das verängstigte Schwindegger Häuflein hat sich im Halbkreis neben dem Startblock aufgestellt. Jeder weiß so um die Ziele der anderen. Unser schnellster Laufeinsteiger Andreas will bei mir dran bleiben, Karin, die von Walken auf Joggen umgestiegen ist, will ihre Vorjahreszeit von 46 Minuten verbessern. Wir muntern uns alle gegenseitig auf - und ich glaube jeder ist froh, dass er hier nicht ganz allein auf die Strecke muss.

Ziemlich weit vorne reiht sich der Werner im Startblock ein. Hoffentlich geht das gut, denke ich, die Strecke ist für einen Wiedereinstieg doch recht schwer. Wir zählen den Countdown runter, Startschuss und schon sind wir auf der Strecke. Die ersten Meter fühlen sich in dem Startgedrängel fast etwas surreal an, schon geht es den Starthügel hinauf. "Ruhig Brauner", lautet meine Devise, bloß nicht gleich blau da oben ankommen.

Ich beschließe, alle Pace- und Pulsangaben zu ignorieren, rein nach Gefühl zu laufen. Und das ist so gut wie noch nie. Der erste Buckel geht fast spielend leicht: Vorne in der Senke seh ich mit schon deutlichem Abstand vom Rest einen blonden Kopf - der Markus auf der Flucht vor den Frauen und dem Feld.

Jetzt die Senke hinunter, noch schnell ein paar überholt. Jetzt heißt es, sich orientieren - und da, welch Glück, läuft Theo, wie ein Turm in der Schlacht. Wo Theo ist, ist Sicherheit, gleichmäßige Pace bis zum Schluss. Also ran an den Theo, und der spricht noch, als ob wir wandern würden. "Schöne Strecke, aber immer rauf und runter".

Die zweite Steigung, hinauf zur einer kleinen Siedlung, laufen wir gleichauf. Noch geht es wunderbar leicht. Jetzt geht es rechts hinauf auf eine Kuppe. Deutlich später als sonst, kommt uns die Spitze entgegen. Markus als erster, dahinter die bekannten Cracks aus Haag, Rosenheim, Waldkraiburg und Mettenheim. Ich muss gut liegen, denke ich. Theo zieht mich im Volldampf die 800 Meter zum Wendepunkt hinunter, dann Spitzkehre und gleich wieder den Hügel hoch. Hier kann man schön das Feld überblicken. Thomas läuft etwa 20 Meter vor mir und kommen mir, etwa in Minuten-Abständen meine ganzen Schwindegger entgegen.

Das Tempo mit Theo kommt mir fast unwirklich vor. Mit 4:46 sollte der 3. Kilometer auch mein schnellster sein. Dann geht es wieder zum Ahorn-Hügel hoch - Theo zieht davon. Erst jetzt spüre ich, wie sich Wettkampf anfühlt: schrecklich, man vergisst das nur so leicht.

Trotzdem bleibt Zeit für ein herrlichen Blick über das ganze Attler-Gelände, dann geht es hinunter auf die Allee, das einzige wirklich flache Stück des Laufes. Längst ist die Phase des Überholens vorbei. Man versucht nur noch, sich an jemanden dran zu hängen - und anders als sonst habe ich noch 4, 5 Läufer direkt in Sicht.

Ich spüre die Anstrengung, trotzdem macht es Spaß. Es geht - für meine Verhältnisse zügig dahin. An der "Stimmungsinsel" = Behinderte mit ihren Betreuern sorgen für reichlich Percussion im Innenhof der Stiftung, laufe ich noch auf einen Läufer auf.

Sprechen können wir nicht, aber ein Blick reicht: Wir sind uns einig, die zweite Runde gehen wir gemeinsam an. Zum ersten Mal seit fünf Jahren muss ich die Steigungen im zweiten Durchgang nicht alleine machen. Zu dritt kämpfen wir uns gemeinsam hoch, das hilft mir ungemein. Schnell sind wir an der Wendemarke, dann zum letzten Male den Ahorn-Hügel hoch. Wieder der Blick über ganz Attel, links unten sieht man das Ziel schon.

Die letzten 1,5 Kilometer sind dann wirklich schön. Ich weiss, dass das für eine neue Streckenbestzeit reichen wird. So gut wie heute ist es mir in Attel noch nie gegangen. Das letzte Mal hinein in den Zielbereich, die anderen Schwindegger schreien, ich schaff sogar einen Endspurt, Blick auf die Uhr: 51:21 - mehr als 2 Minuten schneller als im Vorjahr, ich kanns kaum glauben.

Kaum glauben kann ich auch, dass Karin 6 Minuten schneller lief als im Vorjahr. Werner schaffte mit 23:00 auf 5 sogar die den 2. Platz in seiner AK. Alle in unserem Team sind happy und zufrieden - dazu trägt sicher auch bei die für Attel typische gute Verpflegung: Melone, Birne, Äpfel, Banane, Joghurtdrinks, Kuchen - da können sich viele Großveranstalter ein Vorbild nehmen.

Mit das Schönste an Attel ist der Gutschein für ein warmes Mittagessen. Es gibt zwar auch Nudeln, Vegetarisches und Salat, aber schon traditionell stopfe ich mir in Attel mein Cordonbleu samt Fritten rein. An meinem Tisch setzt der Werner, offensichtlich glücklich über seine tolle Zeit. Ich geh rüber in einen Nebenraum, zum Bier- und Kaffeeausschank. Dort sitzen Schwer- und Schwerstbehinderte beim Essen mit ihren Betreuern.

Wie schön das Motto doch ist: Das Leben ist laufenswert. Ich hol für mich und Werner zwei Weißbier, der Preis treibt mir ein weiteres Lächeln ins Gesicht. 1 Euro pro Flasche, da brauch ich Boston oder Chicago nicht. Das Leben ist schön, denke ich mir. Das Bier steigt mir schnell in den Kopf, die Siegerehrung läuft längst. Silvie und Ulrike hindern mich daran, das Damengedeck zu bestellen: Sie wollen nur Cappuccino, keinen Grappa.

Schön auch der Moment, in dem Werner in seiner Alterklasse auf das Siegertreppchen steigt. Natürlich hole ich mir noch das zweite Bier. Wieder spricht mich ein Behinderter an: "Schön, dass Du da bist!". Ja, das finde ich auch. Und nächstes Jahr, antworte ich, starte ich wieder in Attel. Da kannst Du todsicher sein...
Versäg den Fischer - bis Ende 2010 HM 1:37, M 3:41
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Schöner Bericht und tolle Leistung :daumen:
Ich stimme dir absolut zu: die kleineren Läufe haben ihren Charme (und ich ziehe diese Läufe eindeutig den großen Events vor!)
Gruß
Domborusse
Die beliebtesten Diagnosen der Orthopäden:

"Da ist nix"
"Das ist nicht schlimm"
"Das haben viele"
"Da kann man nix mehr machen"
"Ja, wir werden alle nicht jünger!"
"Dat krieje me wieder hin!!!":zwinker2:
"Das ist in 2 Wochen wieder weg!"
Von RennFuchs geklaut: "Das dürfte eigentlich garnicht wehtun"
"...ja wenn das schon so lange weh tut, dann muss das eigentlich operiert werden"
gefolgt von: ..."aber nehmen sie zur Sicherheit erstmal noch 14 lang Tage die Tabletten":klatsch:

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Wieder ein Klasse Laufbericht. Nur eine Prise Günther fehlt. Ich schau gleich mal auf die Schwindegger Zeiten. Irgendwann komme ich mal mit nach Attel. Glückwunsch zur Bestzeit!
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Fischerzeiten (HM 1:37:33 | M 3:41:36)
HM 2010: Ismaning (1:36:17)
HM 2011: Bad Füssing (1:33:15)
HM 2012: Wien (1:31:38)
M 2010: Wien (3:17:44)
M 2011: Wien (3:29:12)
:winken:

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:wink: hi Dumbo: Da haste aber einen Bericht verfasst. junge Junge, kompliment dafür war schön zu lesen und Gratulation zu Deiner
Streckenbestzeit. Das gibt Dir Selbstvertrauen und Motivation für neue Taten. Weiter so...
sportliche Grüsse TOM:)
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Schlag den Fischer - 2013 im HM sub1:37:33, 2012 im M sub3:41:36

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