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Willst du rennen schnell, fahr nach Liebenzell, Paracelsuslauf 2013

Willst du rennen schnell, fahr nach Liebenzell, Paracelsuslauf 2013

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So der Plan. Die Strecke ist dafür ideal. 10 flache amtlich vermessene Kilometer, verteilt auf 4 Runden, schneller Asphaltbelag bzw. Betonpflaster. Nur leider kein Netto in petto, dafür das Klima - heut Prima. Also der richtige Tag. Die Chance zu ergreifen, den Kampf nicht vermeiden, und wenig zu leiden. Man kann man sich akribisch auf diesen Tag vorbereiten. Oder alles ganz spontan mitnehmen. Mit Urvertrauen, ohne vorher groß darüber nachzudenken. Ich hatte die Zeitlücke unverhofft erspäht und nach kurzer Bedenkzeit gnädigst genehmigt bekommen. Oder wie deutet man: "Von mir aus, gehst halt".

Und so war ich, der ja schon einiges lief, mal wieder etwas naiv. Zum Beispiel in Punkto geringer Teilnehmerzahlen (2012 nur 88) und der vagen Aussicht, wenn alles ideal läuft, in meiner Altersklasse einen Platz an der Sonne zu kriegen. Zumindest auf Tuchfühlung sollte ich gehen können, wenn der Lauf nun ähnlich schwach besetzt ist und ich in Nähe meiner persönlichen Bestzeit komme. Tja, Denkfehler Nr. 1 heute. Letztes Jahr war die erste Auflage dieser Laufstrecke im Nagold-Enz Cup. Dieses Jahr werden in Bad Liebenzell auch die württembergischen Mannschaftsmeisterschaften ausgetragen. Und schwuppdiwupp finden sich dort heute zum 10 km Hauptlauf 365 Teilnehmer ein, für jeden Jahrestag einer. Tja, dieses klitzekleine Detail, dass meine avisierten Erfolgsgarantien einen 150%igen :zwinker2: Wertverlust bescherte hätte man(n) vorher in Erfahrung kriegen können. :klatsch:

Noch weiß ich nichts von meinem Glück als ich mich aufmache naiv meinem Navi zu vertrauen, dass wohl ein Nachfolgemodell des Kompasses von Jack Sparrow ist. Ich breche also auf zur Tour de Ländle. Jedes Kreuzfahrtschiff läuft irgendwann in einem Hafen ein und auch meine Pilgerfahrt endet am gewünschten Walfahrtsort für Kurrende in Paracelsus Namen. Ein Liegeplatz findet sich dank eines netten Helfers in Bleu, der an der Brücke über die Nagold wacht hält. Ein Katzensprung davon entfernt ist der Bürgersaal, wo ich mich noch knapp ne halbe Stunde vorm Start nachmelden kann. Es ist heute richtig schön sonnig und warm, angenehme 15°. Das heißt, weißgetünchte Gliedmaßen der solaren Zustrahlung aus dem Orbit zuführen.

Durch das fixe Erreichen des Starts im Standby-Modus reicht die Zeit noch für einen kurzen Streckenappetizer. Es geht vom Kurhausdamm beidseits um die Nagold herum, jeweils so ca. 1 km. Die Überquerung am Endpunkt der ersten Gerade weist einen beinahe 180° Schwenk auf, so dass man einen linken Haken schlägt. Wenn da mal nicht zu viel Zeit K.O. geht. Bevor man ins Wasser fällt, verläuft der Weg wieder entlang des Flusslaufes. Auf festem Grund gilt es noch einmal einen kleinen Rechtschlenker zu laufen, bevor man auf die geplättelte Fußgängerzone trifft. Hierbei touchiert man beinahe eine Eisdiele, die heute mental provozierend, dicht bevölkert wird von schleckiger Schleckkundschaft. Den wohlverdienten kühlenden Rippenballast muss ich mir heut erst noch verdienen. [ATTACH]14558[/ATTACH]

Jetzt aber zum Start. Ich stelle mich mal rechtzeitig in die 3.Reihe um gut wegzukommen. Je näher der Start rückt, kommen mehr und mehr Mitstreiter und stellen sich vor der Startlinie auf. Sind das alles die Lokalcracks? Wir Normalos werden jedenfalls eindringlich gebeten uns nach hinten zu bewegen, damit das Vorne passt. Ich werd jetzt doch etwas nervös :motz: als sich dadurch immer mehr Rückenreihen vor mir auftun. Ist ja fein das ihr alle vor mir loslaufen dürft. Der Start ist knackevoll und so langsam dämmert dem verkappten Pokalabgreifer was heut sein Stündlein geschlagen hat. Heute werde ich höchstens in den Geruch des fetten Braten kommen, die Beute erledigen und unter sich verteilen werden andere. Da bleibt nur der vage Krummen, vielleicht ne neue private Bestzeit raus zu hauen. Die anderen Randbedingungen von 2013 sind doch gleich geblieben?

Denkfehler Nr. 2. Eines der heutigen Vorzeichen für einen freudigen Tag mit maximalen Erfolgsaussichten gab es letztes Jahr so nicht. Milde 15°. Dafür heiße 30. Das hat bestimmt viele Nachmeldeaspiranten abgeschreckt. Und den Traum optimaler Laufzeiten verhagelt, äh in heißer Luft verdampfen lassen. Zu spät. Große Reden entfallen da der Bürgermeister krank ist und sich nur im häuslichen Umfeld in Szene setzen kann.

Also los. Wie von der Tarantel gestochen geht es über das kurze Stück bis zur Straßenbrücke. Saumäßig eng zum saua. Links runter auf die Straße am Bach entlang geht es sanft bergab. Ich bin schon jetzt nicht mehr in der Komfortzone. Ob das was wird heute? Ich merke schlagartig, dass heute nicht mein Tag werden wird. Trotz aller Bemühungen nach vorne durchzustarten, mit der Hoffnung auf weniger Zwangsintimität, werde ich zeitweise überholt. Bin ich im falschen Film? Mental vorbereitet auf einen kleinen exklusiven Teilnehmerkreis eines Volkslaufes, finde ich mich nun in einer Straßenschlacht wieder. Heh, Leute - so macht das keinen Spaß. Andere wollen auch mal vorne sein.
Hier gewinne ich nur an Erfahrung. Diese Erkenntnis ziehe ich ratzfatz aus dem Aha-Erlebnis enteilender Lichtgestalten. Nicht Superkompensation sondern Fluxkompensator heißt wohl das Zauberwort einer derartigen Leistungsentfaltung. Mein Drehzahlbegrenzer regelt bei 3:35 Minuten/Kilometer ab. Puh, da mein Aggregat weder Lachgaseinspritzung noch einen vollgasfesten Turbo hat muss ich zwangsweise einen Gang zurückschalten. Erst mal materialschonend die Wendepylonen nach der Brücke passieren. Ab jetzt heißt es. Er läuft und läuft und läuft. Zuverlässig wie der unverwüstliche Käfer. Mit kernigem Sound. Und Schnell? Wie ein Porsche - im Standgas. :D

Vorbei am seelischen Knackpunkt Eisdiele geht es zum ersten Mal zurück zum Kursaal. Die Reisegeschwindigkeit pendelt sich von nun ab recht konstant zwischen 4:08 und 4:17 Minutenkilometer ein. Laufen um irgendwann anzukommen heißt die Devise. Und dieses unbekannte Irgendwann sollte nicht zu weit weg von meinen bisherigen Glanztaten auf dieser Distanz sein. X gegen Null, oder ich Null gegen X. Alles eine Frage der Sichtweite. Diese liegt noch scheibchenweise vor mir. Salamitaktik, Schritt für Schritt das große Ganze verfolgen. Und dranbleiben auch wenn es mit künstlichem Sauerstoff einfacher wäre in der dünnen Liebenzeller Luft voranzukommen. Stier voran, die gleichen Abläufe mechanisch beizubehalten. Runde für Runde. Die Nagold. Einmal zur Linken, Einmal zur Rechten.

Dies warn der Runden zwei -
zack, zack, zack - noch folgen drei.
d'r Klausi jetzt schon weiß,
heut gibt es keinen Preis.
Denn er läuft langsam heiß,
Oh Mann - was soll derSch….

In 41:33 endet die Rennerei im zeitlichen Nirwanna des vorderen Mittelfeldes. Hätte heut ein so schöner Nachmittag werden können. Auf der gemütlichen Hausrunde im heimischen Wald. Ziehenden Wolken zuzuschauen - statt vorbeiziehenden Läufern. Laufen mit Lust verbinden, statt Rennen mit Frust. Hui, ich glaub ich bin reif für ne Frühjahrskur. Die Lunge wurde heute jedenfalls schon mal generalgereinigt. Jetzt noch das Oberstübchen entrümpeln. Nämlich von der alten Vorstellung: Schnell, schnell sein zu können. :nene: Da müssen wir wohl noch mal ran, würde der Chirurg auf der Suche nach dem Skalpell nach der OP sagen.

Also Blick nach vorn auf der Heimfahrt. Und was sehe ich am Straßenrand. Ein bekanntes Gesicht das den Daumen in den Wind hält. Nach einer Vollbremsung habe ich nette Begleitung die mich davon abhält auf dem Heimweg ins Grübeln zu kommen. Und ehe ich’s merke bin ich wieder im wahren Leben und meine Gedanken ganz woanders.

Grüssle Klaus
13.04. 12h Lauf Grüntal 53,55k
14.04. LIWA-Mara 04:56:44
27.04. Tri-speck 69 km 1100 hm
28.04. Ditzinger Lebenslauf
05.05. Trolli-Mara
11.05. Albtraum 115 k 3000 hm
06.07. Heuchelbergtrail 50 k
28.07. Schönbuch Trophy 47, k 1300 hm
17.08. 100 M Berlin
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Ach Klaus, wieder so unterhaltsam und humorvoll beschrieben, ich mag deine Berichte sehr. Auch wenn es mal wieder nicht so nach deinen Erwartungen und Vorstellungen lief, so haben wir hier doch so richtig Spaß am Lesen und das eine oder andere Schmunzeln im Gesicht. Danke hierfür. LG :hallo:
Highlights bisher:
16.+17. Juni 2018 - 24 h Burginsellauf = 121,74 km
03.10.2021 SIX STAR Finisher
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Sehr ergötzliche Reimprosa! Bist Du etwa eifriger Koranleser? Ansonsten bietest Du wieder mal ein schönes Beispiel dafür, daß die peinlichen Überraschungen mindestens genauso viel gute Laune machen können wie die überragenden Siege, weil es doch immer am meisten Spaß macht, aber sich selber zu lachen. Das weiß ich genau, denn nach dem Marathon vom letzten Sonntag bin ich ja selbst so ein bißchen auf dem Erstenskommtesanderszweitensalsmandenkt-Trip.

Also danke für den hübschen Bericht. Erinnert mich ein wenig an den breit grinsenden Anthony Quinn im Zorbas-Film, nachdem die scheinbar so geniale Seilbahn seines Chefs wie ein Haufen Streichhölzer umgeknickt ist: "Boß! Hast du schon mal etwas so schön zusammenkrachen sehen?" Der Rest ist Sirtaki.
Дуа кинум йах иди, ту пуц ца бофт тар ту-хез йатов̌!
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