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Dschungelexpedition - Hausener Volks-Waldlauf 28.7.2013

Dschungelexpedition - Hausener Volks-Waldlauf 28.7.2013

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Der Regenwald heißt Regenwald, weil es dort viel regnet. Und zwar so gut wie täglich. Wenn der Regen vorbei ist, kommt allsogleich die Sonne heraus und macht sich daran, den Wald wieder zu trocknen. Wegen des ergiebigen Regens nimmt das allerdings etliche Zeit in Anspruch, und lange bevor die Sonne ihr Werk vollendet hat, fällt schon wieder der nächste Regen über den Regenwald her. Deshalb ist es im Regenwald auch immerzu ziemlich feucht und warm. Dem Spaziergänger klebt alsbald das schweißnasse Hemd am Leibe, und wer sich unterhalb einer gewissen Mindestgeschwindigkeit fortbewegt, wird schon bald zum willkommenen Fraß der Moskitos, von denen sich die buntschillernden Paradiesvögel nähren, die tirilierend, krächzend, pfeifend oder auch einfach mal nur schweigend durch die Wipfel fleuchen. Als Menschen befinden wir uns also am unteren Ende der Nahrungskette.

Ja, es ist schon eine veritable Sisyphosarbeit, welche die Sonne da zu verrichten hat und der sie merkwürdigerweise überhaupt nicht müde wird!

Spannend und lehrreich ist es, sich dieses ewige Schauspiel einmal mit eigenen Augen und vor allem eigener Haut zu Gemüte zu führen. Und das Beste daran: Man muß dafür noch nicht einmal eine jener weiten und anstrengenden Reisen in äquatoriale Gefilde unternehmen. An manchen Tagen, wenn nach einer längeren Phase heißen Sonnenwetters einem kräftigen Regenguß wiederum die Sonne folgt, tut einem auch der heimische deutsche Wald den Gefallen, im Schatten seiner Baumriesen mit feuchter, schwülwarmer Luft aufzuwarten.

Am letzten Sonntag im Juli ist es wieder einmal so weit. Die TGS Hausen hat zum alljährlichen Volks-Waldlauf ins Offenbacher Hinterland geladen. Hohe Bäume verbergen hier den Mühlheimer Wald und werfen ihre Schatten, so weit das Auge reicht.

Nun steht ja bei uns normalerweise niemand gern im Schatten. Schon Wilhelm II. forderte für Deutschland einen Platz an der Sonne. Und heutzutage entfliehen wir in Scharen den schattigen Gefilden und frönen im balearischen oder kanarischen Süden dem Ideal der Dörrpflaume. LSF 50+ ist kein unschlagbar günstiger Seniorentarif der Deutschen Bahn oder der Lufthansa, sondern eine ganz dünne Schmierschicht, die uns vor allem seidigen Glanz und obendrein die Möglichkeit verleiht, uns nach Herzenslust inmitten der wärmenden Strahlen des Leitsterns aufzuhalten, der vom Zenit herunterlacht.

Finster hingegen ist das Reich der Schatten, der Hades, wo körperlose Wesen tumb dahindämmern. Das wußten bereits die alten Griechen. Bei denen gab es ja auch schon zu Zeiten viel Sonne, als Mykonos noch nicht die hellenische Antwort auf den Ballermann war. Im Schatten sitzen - das möchte wohl gerade noch angehen, entsprechende Witterung vorausgesetzt. Aber im Schatten stehen will niemand. Schon gar nicht im Schatten eines anderen.

Ganz anders an den südlichen Gestaden des Mittelmeers und östlich davon. Dort gilt der Schatten als privilegierter Aufenthaltsort.شخص ضلّ في كان- "in jemandes Schatten sein". Das bedeutet nicht etwa, daß man in jemandes Schatten steht und dort nicht so recht zur Geltung kommt, sondern unter dem Schutz des Betreffenden. Ach, Arabia felix, du glückliches Arabien! Aber dort ist der Schatten ja auch nicht minder trocken als die in der Sonne glühende Wüste. Das macht so vieles erträglicher!

Nicht so dagegen der Wald, durch den zu laufen eine vielhundertköpfige Schar heute angetreten ist. Nach 300 Metern auf der Bahn des Sportplatzes tauchen wir in die atemberaubende Kulisse der grünen Hölle ein, wo uns immer wieder pyroklastische Schwaden ins Gesicht wehen.

Direkt vor dem Startschuß hatten sich leider noch ein paar - zugegebenermaßen passen - als Urwaldindianer gewandete Läufer mit ihren Lendenschurzen ganz vorn aufgebaut. Zur Herstellung eines solchen Schurzes wird zunächst ein Gummiband um die Hüften gegürtet. Dieses ist mit mehreren Klammern bewehrt, an welche alsdann die Startnummer dergestalt gehängt wird, daß sie das Gemächt flächendeckend verhüllt. Diese Naturburschentracht hat freilich den entscheidenden Nachteil, daß die aus recht steifem Papier gefertigte Startnummer bei jedem Schritt der Beugung der Hüfte und damit dem Kniehub enge Grenzen setzt. Weshalb der Lendenschurz auch vorwiegend bei solchen Sportlern anzutreffen ist, die sich beim Laufen durch besonders sparsamen Gebrauch ihrer Beine auszeichnen. Was wiederum dem Fortkommen abträglich und folglich von Nachteil ist, wenn man diese Leute beim Start in breiter Formation vor sich hat.

Aber bereits kurz nachdem wir an den Biertischen in der Ostkurve vorbeigezogen sind, an denen das Publikum sitzt und applaudiert, sofern die Hände nicht gerade durch Kuchengabeln, Kaffeetassen oder Biergläser daran gehindert werden, haben sich die Reihen halbwegs sortiert, und geheimnisvoller Tann umgibt uns.

Schon bald, genauer gesagt: zu bald taucht das erste Kilometerschild auf. Garantiert ist es falsch postiert, denn daß ich den ersten km in 3:10 Minuten gelaufen sein soll, ist schlichtweg unmöglich. "21,1/10 km noch 9 km" verheißt es. Ja, richtig, hier wird rückwärts gezählt. Neunmal werden wir noch wach, heißa, dann ist Einlauftag oder sowas in der Art. Ich fühle mich in die unschuldigen Tage meiner Kindheit zurückversetzt. Wenn wir zu den Großeltern fuhren, kamen wir regelmäßig an einer großen Scheune vorbei, an der ein Reklameschild "Bierstadt Einbeck noch 9 km" verhieß. Das ist ziemlich lange her, und ich weiß nicht, ob der alte Schuppen überhaupt noch steht.

Und schon habe ich die nostalgische Anwandlung hinter mir gelassen, ebenso wie den einen oder anderen Läufer, der zu schnell gestartet ist und nun vom weichen Waldboden der Tatsachen sanft aufgefangen wird.

Über flache, durch 90°-Kurven miteinander verbundene Waldstraßen geht es voran. Kurz hinter "21,1/10 km noch 7 km" wird es zusehends voller. Es ist die Nachhut der 20 Minuten früher gestarteten Halbmarathonisten, die ich da vor mir habe. So früh hatte ich die gar nicht erwartet. Am Ende werden von den 362 Startern nur 303 das Ziel erreicht haben, der Rest ist auf der lauschigen Strecke geblieben. Von nun an werden immer wieder Spurwechsel zwischen rechter und linker Wegfurche nötig, aber das alles geht sehr diszipliniert vor sich. Mitunter rufen die gerade von mir überholten Halbmarathonläufer den noch vor mir trottenden zu, daß gleich jemand vorbeizieht. So viel zuvorkommender Sportsgeist ist mir noch nie begegnet, denn das ist, wie ich finde, erheblich mehr, als man erwarten darf!

Bis kurz vor dem Ziel ziehe ich nun vorbei an einem Panoptikum topmoderner Laufmode in allen Farben, wie sie auch von den bereits genannten moskitovertilgenden Paradiesvögeln zur Schau getragen werden. Kaum zu fassen vermag das Auge die schier unendliche Vielfalt zwischen Schwarz und Neongelb. Auch tropische Schmetterlinge wie der Blaue Morphofalter sind in diversen Exemplaren vertreten und bringen bunte Akzente in das Grün des Waldes, das dem durchschnittlichen, nicht am kargen Farbenspektrum der lappländischen Tundra geschulten Auge des Mitteleuropäers vielleicht mitunter ein wenig eintönig erscheinen mag.

Es ist jedesmal dasselbe: Ich finde einfach keine Gruppe, der ich mich anschließen kann, und bleibe auf mich allein gestellt. Anfangs habe ich noch ein paar Läufer direkt hinter mir, für die ich gern die Tempoarbeit übernehme, aber ihre Atemzüge in meinem Nacken sprechen eine überdeutliche Sprache. Und richtig: Schon nach wenigen Kilometern ist nichts mehr zu hören.

Immerhin: Als das letzte Drittel beginnt, merke ich, daß ein paar weit vor mir Laufende allmählich näher kommen. Oder vielleicht auch umgekehrt. Irgendwann habe ich einen von ihnen überholt und hänge mich an den anderen. Der gibt mir einen Kilometer vor dem Ziel ein mattes Zeichen zum Überholen. "Na, meinst Du, daß ich das kann?" "Du kannst das. Los. zieh das durch!" Also muß ich eben ran und noch einmal die nicht vorhandenen Ärmel bzw. Hosenbeine hochkrempeln.

Schon bald lichtet sich der Wald, und ich biege ab ins Freie Richtung Ziel. Bis dorthin ist es allerdings noch mehr als ein halber Kilometer. Zuerst darf ich eine komplette Runde auf der Bahn drehen und am zahlreich angetretenen, bereits hingebungsvoll kuchenschmatzenden Publikum vorbeidefilieren. Alsdann heißt es auf das Fußballfeld in den knapp 200 m langen Zielkanal einbiegen. Danach erst bin ich aller Mühen ledig, und der scheckheftgepflegte Rasen lädt dazu ein, sich der durchweichten Schuhe und Strümpfe zu entledigen und ein paar Runden locker auszulaufen.

Mein Hintermann, der das Ziel einige Sekunden hinter mir passiert hat, fragt mich leicht besorgt nach meiner Altersklasse. Zu meinem Bedauern kann ich ihm keine wirklich beruhigende Antwort liefern. Darauf eine erfrischende Weizenkaltschale!

Wenig später mische ich mich frisch geduscht und eingekleidet mit einem Kuchenteller (Quark-Mohn-Torte und Schokoladenkuchen; die näheren Details das Buffet betreffend überlasse ich gern den literarischen Darstellungskünsten von FrauSchmitt, mit der ich im allgemeinen Getümmel leider nicht das Vergnügen hatte) und einer großen Tasse Kaffee versehen unter das Publikum an den Biertischen und genieße die nunmehr verdientermaßen eingenommene voyeuristische Perspektive auf die dem Ziel zustrebenden, aus allen Poren tropfenden Sportsleute.

Hinter den nüchternen Zahlen, die ich am Ende abgeliefert habe, verbirgt sich mitnichten eine sportliche Pleite, sondern vo allem ein höchst unterhaltsamer Vormittag in einer angenehmen, unprätentiösen und familiären Atmosphäre. Es gab frisches Obst, leckeren Kuchen und nebenher auch noch einen flachen Lauf über etwas schwülwarme, aber schattige Waldwege.
Дуа кинум йах иди, ту пуц ца бофт тар ту-хез йатов̌!

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Warum so bescheiden zeitlos?
Weder Platzierung noch Endzeit sind ein Grund, sich zu verstecken, und Mitleid mit deinem Hintermann ist nicht gefordert.

Es war eine gute Idee von dir, einmal die heimischen Gefilde zu verlassen und in tropisches Gebiet zu wechseln. Im westlichen Eck wären die Wetterbedingungen zwar freundlicher gewesen, aber dann hätte man weniger amüsant Interessantes über das Leben im Dschungel erfahren.

Ach ja: herzlichen Glückwunsch natürlich noch! :daumen:

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Danke Euch für die Blumen!

@Bernd: Irgendwo hatte ich, glaubte ich, Zielzeit und AK-Platzierung schon erwähnt (kann sein, daß es im sub36-Thread war, ich weiß es gerade selber nicht), da mochte ich mich nicht wiederholen.
Дуа кинум йах иди, ту пуц ца бофт тар ту-хез йатов̌!

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Mitsch hat geschrieben:Sehr schön ge- und beschrieben, vielen Dank!
Das klingt, als trüge die Schmittsche Schule der Laufberichte feine Früchte ...
Grüße von Mitsch
Genau daran musste ich auch denken. :daumen:

Allerdings schreibt er nicht im Stil eines seiner geschätzten Autoren, sonst muesste der Laufbericht nämlich so anfangen:

"Ich schreibe diesen Laufbericht nicht der Götter wegen, auch nicht um meiner selbst willen. Sondern in der Gewissheit, dass dieses Pergament.." usw. :wink:

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Selten einen so lyrisch-poetischen Bericht über Schweiss, Schmerz und Leid auf 10 km gelesen :P
So ist das, wenn man sich an der Norsee statt im Dschungel aufhält, man verpasst beinahe die guten Laufberichte. Danke dafür und Gratulation natürlich zur Sub36.

Marianne

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SchweizerTrinchen hat geschrieben:Gratulation natürlich zur Sub36.
Ach hättest Du nur recht! Sub 38 waren es, am Rest muß ich noch arbeiten. Aber danke für Dir Blumen!
Antworten

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