(Disclaimer: Ich hab heut früh angefangen zu schreiben, wurde aber durch so tolle Sachen wie Kellerausräumen bei Muttern unterbrochen - hilft jedenfalls toll gegen Muskelkater - und falle mit meinem Bericht nun vollkommen aus dem Thema)
Ganz toller Bericht, Wolfgang. Vielen Dank! Und auch nochmal hier herzlichen Glückwunsch zur supertollen Leistung
Du musst allen hier erzählen (mir inklusive), wie das so geht, dass es im Training mal so, mal so läuft, im Wettkampf dafür dann so unerwartet gut. In Anlehnung an den royalen Klatschpressestil könnte man fragen: "Was ist Ihr Geheimnis"?
Da Feiertag ist, kann ich ja auch mal ausführlicher berichten.
Die Vorbereitung lief gut, keine orthopädischen Wehwehchen, und so konnte ich seit Juni 1560km laufen (habe extra mal nachgeschaut). Das ist für mich sehr viel, immerhin aber verteilt auf 5 Monate, was für mich ebenfalls ein relativ langer durchgehend absolvierter Laufzeitraum ist. Das Problem hierbei ist, dass der Aufbau, wie eigentlich immer, fehlte. Nach dem Hamburg-Marathon, den ich ja auch verletzungsbedingt ohne Training laufen musste, kam ich im Mai so langsam wieder ins Training. Mir war natürlich bewusst, dass mein Aufbau irgendwie dem eines Hauses glich, bei dem man mit dem Dachgeschoss zuerst anfängt. Deshalb horchte ich schon immer ganz genau in mich und wollte die jeweiligen Einheiten nicht auf Biegen und Brechen durchziehen, sollte sich mal irgendwas nicht so gut anfühlen. Immerhin: Bis Ende August habe ich mein Stabitraining einigermaßen konsequent durchgeführt und die Übungen aus der Physio von 2016 brav ausgeführt und ich hab den Eindruck, dass die gewonnene Stabilität nachhaltig ist.
Letztes Jahr hatten sich bei mir die 400m-IV als gute Formgeber etabliert, die ich ein paar Mal einstreute und immer wieder mit 1km- bzw. 800m-Einheiten abwechselte.
Den ersten TDL machte ich Ende Juni - 4km von 4:37 auf 4:21min/km gesteigert. Die TDL waren immer ne Quälerei, meistens bei warmen Temperaturen und das Tempo kam erst nach und nach - hat aber trotzdem immer Spaß gemacht, weil ich mich über jede schmerzfreie Einheit wirklich gefreut hab.
Die langen Läufe steigerte ich von 10 auf 15, dann 20 im Juni und Ende Juli war ich bei 28km. Gleichzeitig wurden die TDL schneller (mäßig) und länger - bis Ende Juli war ich bei 8km. Da gab es zwei, die ich nicht wie geplant durchziehen konnte. Einmal statt 8 nur 7km, mit Stehpause nach 4km. Und noch einen Ende August, der sollte 10km lang werden, geworden sind es 9 bei ner Pace, die gut 8sek/km langsamer war als gewünscht.
Die Intervalle liefen auch fast immer wie geplant, eine Einheit musste ich abbrechen, weil sich die im Anmarsch befindende Erkältung bemerkbar machte. Eine 4x2000m-Einheit nach der Erkältung blieb mir in Erinnerung: Da ging mein Puls bis auf 195, obwohl ich eigentlich bewusst nicht 100% geben wollte. Mein Maximalpuls scheint also doch noch über 200 zu liegen.
Durch die Erkältung fehlten mir gut 1,5 Wochen, aber die Erholung war eh nicht verkehrt, weil das gleichzeitige Steigern von Intensität und Umfang ja auch nicht unbedingt lehrbuchmäßig ist.
Ende August war ich dann auf einem für mich guten Niveau angekommen. Einen TDL konnte ich mit nem km unter 4min abschließen, die 1000er-IV gingen mit im Schnitt unter 3:50, wobei ich die TP auch wirklich zum Traben nutzte. Anfang September wollte ich dann bei nem 10er ne neue Bestzeit aufstellen, was mir allerdings verwehrt blieb, da die Strecke kurzfristig verkürzt werden musste. Ich bin aber recht sicher, dass ich zu dem Zeitpunkt ne Zeit nahe an 38:00 drauf hatte. Für nächstes Frühjahr ist das Ziel, da endlich mal drunter zu kommen, da dümpel ich jetzt auch schon seit 5 Jahren rum (dann 6).
Im September baute ich die langen Läufe auf bis zu 34,5km aus, am Ende sogar mit 4km EB, mehr wollte ich nicht machen, weil ich glaube, dass die Endbeschleunigungen nach der langen Vorbelastung für mich und meine Orthopädie doch gefährlich sind.
Anfang Oktober lief ich dann nen guten HM, in der vorausgegangenen Woche hatte ich zwischengetapert, weil ich unbedingt einen guten Lauf in der Vorbereitung einsacken wollte. Die Strecke war schwieriger als die des HM letztes Jahr, allerdings waren die Bedingungen ideal - leicht bewölkt, gerade 10°, absolut windstill. Und das leicht wellige Profil lag mir total und so konnte ich ne neue PB laufen - da war das Lauferlebnis nahezu perfekt. Ich lief taktisch klug, konnte mich sehr gut einschätzen und holte das raus, was drin war.
Der Marathon nahte jetzt mit Riesenschritten und irgendwie ging mein Training super weiter. Ich lief noch einen 35er im Crescendo 3 Wochen vor dem Marathon, das trotz Regen und Kälte absolut super lief, ansonsten nach dem HM eher lange Intervalle im MRT anstatt lange TDL, den längsten mit 12km etwas mehr als 2 Wochen vor dem Marathon.
Mit so einem reibungslosen Training dachte ich mir, müsste ich jetzt schon mal attackieren. Letztes Jahr war nach langer Pause auf der Marathondistanz zum Wiederreinfinden gedacht, was ja auch super klappte. Dieses Jahr wollte ich auf jeden Fall nochmal zulegen. Das Frühjahr hat mich leider wieder rausgebracht, aber man muss ja nehmen, was man kriegen kann.
Jetzt war die 1:24 im HM kein Riesensprung im Vergleich zu letztem Jahr, aber aufgrund des fehlenden Aufbaus war ich froh, überhaupt gut durchgekommen zu sein. Da das Ziel "nochmal sub3" mir irgendwie zu defensiv vorkam, liebäugelte ich mit ner 2:57 und ehrlicherweise auch mit 2:56 - im Training fühlte sich das Tempo wirklich machbar an und auch der Puls deutete daraufhin, dass das mein MRT ist. Mit der HM-Zeit war mir aber klar, dass schon wirklich alles perfekt laufen müsste, damit ich das durchlaufen kann. Als dann in der Woche vor dem Marathon immer wieder der Wind Thema war, dachte ich mir nicht wirklich was dabei, fing aber doch irgendwann an, selbst nachzuschauen, wie schlimm es denn werden könnte. Ich redete mir aber einfach ein, dass es schon nicht so schlimm werden würde. Und so kam es dann ja auch. Zur Sicherheit kaufte ich mir noch Armlinge (Ärmlinge? Ärmliche Armlinge?) auf der Messe, die ich dann am Sonntag anzog.
Ab hier Marathon (sorry, die Trainingsrevue ist mir so rausgerutscht)
Ich war zum ersten Mal ganz alleine bei nem Marathon. Die Familie wollte sich bei dem Wind nicht an die Strecke stellen, die Mitbewohnerin war verreist, und so konnte ich frei entscheiden, wann ich wo was machen wollte und musste mich nicht darum bemühen, meine Begleitung irgendwie bei Laune halten zu müssen, bevor das Rennen losging (nicht dass das verlangt würde, aber ich denke immer, ich müsste den Anhang bespaßen, schließlich macht er sich die Mühe und ist wegen mir hier). Also heute ganz im Solo-Egoisten-Modus unterwegs, das war gut für den Kopf. So war ich dann auch fast ne Stunde vor dem Start an der Festhalle, gab meinen Beutel ab und ging nochmal zu den genialen Steh-Pissoirs, die leider weniger genial so versteckt hinter den Dixie-Klos stehen, die wiederum in der Nähe der Startblöcke stehen, dass kaum einer da drauf geht.
Ich lief mich ca. nen Kilometer lang warm - ganz gemächlich, es war noch sehr viel Zeit bis zum Start. Letztes Jahr war ich etwas spät im Startblock und stand gefühlt ein wenig zu weit hinten. Dieses Jahr war ich bereits über 20 Minuten vorher drin und stand so ziemlich weit vorne, aber trotzdem so, dass es noch okay war, der erste 2:59er-Ballon stand direkt neben mir.
Nach endlosen Minuten des Wartens, das der Moderator versuchte mit Anheizversuchen zu überbrücken, ging es dann endlich los. Meine größte Sorge war, auf den ersten Kilometern hinzufallen - es war wieder sehr eng. Aber die Läufer verhielten sich überwiegend sehr gesittet, keine dummen Überholaktionen oder sich selbst überschätzende Läufer.
Die ersten engen Kurven gingen auch gut und nach ca. 2km war man mehr oder weniger frei beweglich unterwegs. Meine Armlinge haben ihren Dienst erfüllt, als ich nach ca. 700m warm war, streifte ich sie nach unten - da blieben sie dann auch. Es war mit ca. 10° angenehm und der Wind nie so kalt, dass ich das Bedürfnis verspürte, sie wieder hoch zu ziehen (ah, doch, einmal dachte ich daran, dazu später). Die ersten 3km waren mit 4:13, 4:23 und 4:15 etwas zu langsam, aber so, dass ich mir keine Sorgen machen musste. Ich fand jetzt mein Tempo und die Pace pendelte sich zwischen 4:10 und 4:12 ein, so wie ich es geplant hatte. Die erste leichte Steigung kommt kurz nach Kilometer 10, danach rollt es ja bis zur Mainüberquerung kurz nach Kilometer 13 stetig leicht bergab super dahin. Hier kam ich gut ins Rollen, 4:06, 4:08, 4:08, Puls (den ich nicht beachtete) 174, 175, 170 (Schnitt letztes Jahr: 178). Und so fühlte es sich auch an: locker. Meine Verpflegung hat sich bei mir mittlerweile eingeschliffen: Ich schlepp immer vier von den Hydro"gels" mit Koffein von Powerbar mit mir rum, da brauch ich nichts zusätzlich zu trinken, wenn ich so eins nehme. Habe ansonsten nur jede zweite Getränkestation genutzt, um jeweils zwei Schlücke Wasser zu nehmen.
Die Mainbrücke war passiert, jetzt ging es auf die lange Gerade raus aus der City (km15 hatte ich mit einem Vorsprung von ca. 18sek auf die ausgerechneten 63min bei nem Schnitt von 4:12), dann ein Rechtsknick und ab nach Westen Richtung Schwanheim. Hier war der Wind schon deutlich zu spüren, das Feld aber doch einigermaßen auseinandergezogen, sodass es schwer war, einen Hintermann zu finden, der ähnlich unterwegs war. Es lief aber trotzdem gut weiter und ich konnte den Schnitt halten, der HM war mit 1:28:17 fast ideal getroffen. Ich fühlte mich zu dem Zeitpunkt nicht so angestrengt wie im Jahr davor. Die Aufzeichnungen bestätigen das Gefühl - der Puls war mit 174 wirklich noch im Rahmen. Anstrengend wurde es dann aber wirklich kurz vor km27. Hier blies der Wind kräftig, es ging die kleine Steigung nach Höchst hoch und als ich da lang lief, regnete es auch leicht. Es war sehr kalt und ich überlegte, meine Armdinger wieder hochzumachen. Ich ließ es aber bleiben, weil es kurz darauf ja in die andere Richtung wieder runter ging, außerdem stand mein nächstes Hydrodingens an und die Zuppelei mit meinem Reißverschluss am Rücken und der Verpackung nervt immer schon genug, da muss ich mir nicht noch für 2min die Ärmchen warmmachen.
"Berg"ab rollte es dann wieder gut, ab hier wurde es letztes Jahr richtig anstrengend, dieses Jahr auch. Die Pace konnte ich nicht mehr ganz halten, von km28 bis 34 mit 4:15 im Schnitt aber immer noch anständig weiter laufen. 35 uns 36 dann in 4:21 und 4:25 und damit war ich etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Das wollte ich eigentlich vermeiden, aber im Wissen um die noch folgenden 6km wollte ich ums Verrecken nicht schneller machen, weil ich jetzt schon gefühlt am Limit lief.
Vor km37 waren wieder mehr Zuschauer da, was mich nochmal ein wenig antrieb und mit 4:13 war das der letzte flotte Kilometer. Jetzt ging es rein in die City, das ewiglange Labyrinth durch die Häuserschluchten. Es ging erst rechts ab über den Opernplatz, dann wieder rechts und wie aus heiterem Himmel fuhr es mir in den rechten hinteren Oberschenkel. Letztes Jahr war an genau der gleichen Stelle eine Frau neben mir zu Fall gekommen, weil jemand ihr in die Hacken gelaufen ist und ich konnte mich mit einem Sprung über sie vor einem Sturz retten - damals hat es auch kurz gekrampft, sich aber direkt wieder gegeben. Heute lief ich 50m weiter, nicht wissend, ob es schlimmer oder besser wurde. Also etwas langsamer mit kleineren Schritten, damit es nicht schlimmer wurde. Langsam wurde es dann besser.
Km38 war dann entsprechend nur in 4:28 drin. Genauso schnell war der folgende Kilometer, sobald ich schneller laufen wollte, zog es hinten richtig rein. Jetzt sollte es gleich über die Fressgass und den Opernplatz langsam wieder Richtung Festhalle gehen. Ich rechnete rum, fragte mich, was ein 4:30er-Schnitt jetzt brachte, die sub3 war damit jedenfalls nicht in Gefahr, was beruhigend war. Kurz vor dem Einbiegen aufs Kopfsteinpflaster dann zog es mir ins linke Bein, erst Oberschenkel hinten, dann die Wade, daraufhin auch rechts beinahe ein richtig übler Wadenkrampf. Ich war ganz kurz davor, ne Gehpause einzulegen, dachte mir dann aber, solange es nicht richtig reinzwiebelt, eier ich lieber irgendwie dem Ziel entgegen.
Gehen macht die Krampftendenz ja auch erstmal nicht besser (ich redete mir ein, dass es dann ganz vorbei ist) und das Wiederloslaufen ist dann wahrscheinlich ne Qual. Außerdem ist die sub3 dann endgültig Geschichte. Kilometer 40 war dann in 4:35 schon über dem Schnitt, von dem ich dachte, dass ich ihn locker schaffen müsste. Kilometer 41 nochmal 5sek langsamer.
Besser wurde es jetzt nicht mehr. Ich ärgerte mich in dem Moment über mein vernachlässigtes Krafttraining, auf das ich einfach keinen Bock mehr hatte in den letzten Wochen. Konditionsmäßig war ich gut drauf, hätte mit guten Beinen schnelle letzte Kilometer hinlegen können, da bin ich sicher. Und ne langsamere erste Hälfte hätte hier wohl auch wenig geändert. Die Zielgerade war für mich jetzt elendig lang, aber ich wusste, dass wenn sich mir nicht alles zukrampft, ich die sub3 noch holen kann. Also lief ich so schnell es ging weiter, hier ein Minikrampf, da ein Aua - es muss jämmerlich ausgesehen haben. Trotzdem war ich sehr glücklich darüber, dass es nicht vollkommen ausgebrochen ist. Ich lief deshalb recht entspannt angespannt in die Festhalle und konnte den Zieleinlauf zum ersten Mal halbwegs genießen. Ein Auge hatte ich natürlich trotzdem auf der Uhr, weil ich mich nicht verschätzen wollte.
Das Gute ist, dass die sub3 ein Ziel war, für das es sich für mich zu kämpfen gelohnt hat. Als ich mit der Lauferei anfing, war das alles dermaßen weit weg für mich und mir ist das noch so gut in Erinnerung, dass ich mich auch über die dritte 2:59 sehr freuen kann. Im Ziel war mir dann recht schnell klar, dass ich heute Glück hatte, dass nichts heftigeres passiert ist. Ich ließ mir beim Umziehen extra viel Zeit, wehrte noch diverse Krampfattacken ab, trank viel und traf mich dann noch mit den anderen zum Geschichtenaustauschen. Das war für mich übrigens ein Highlight an diesem Wochenende und ich finds toll, dass wir uns sogar zweimal treffen konnten!
Abschließend muss natürlich nach vorne gedacht werden, damit mein Winterfett-Ich nicht wieder Überhand gewinnt. Morgen gehts zum Alternativtraining mal wieder ins Studio. Danach langsam wieder reinkommen. Nächstes Frühjahr wahrscheinlich wieder Marathon - oder vorher kürzere Sachen machen, ich bin noch unschlüssig. Evtl. hätte ich auch mal Bock auf was ultramäßiges (auch wenn mir während des Marathons kurz der Gedanke daran kam und ich beinahe laut lachen musste über so eine Schwachsinnsidee - da hält man 3h schon kaum aus und will dann einfach noch länger leiden - klasse Idee
), ich kann hier im Wald ja auch gut hügelig trainieren ... ist schon fein, wenn alle Optionen offen stehen. Werde übers Wochenende mal in mich gehen, was ich wirklich will. Fest steht, dass der Winter nicht zum Ausruhen da ist, dafür bin ich jetzt zu motiviert.
@Sandra: Du hast den Marathon so gut zu Ende gelaufen, trotz der frühzeitigen Probleme, da kannst du sehr wohl stolz sein und dir ruhig noch ne Flasche aufmachen