Guten Abend Ihr Lieben!
Nach den hervorragenden Wettkämpfen und den ebensolchen Wochenberichten möchte ich auch noch etwas nachreichen. Mein Rennbericht vom IRONMAN ist ja noch ausstehend. Daher hier der Bericht.
IRONMAN Frankfurt European Championship 15.08.2021
Der IRONMAN in Frankfurt war wirklich ein außergewöhnliches Erlebnis, ein modernes Abenteuer. Einer der Tage in meinem Leben, die ich nicht so schnell vergessen werde. Ich steige gleich mit dem Renntag ein:
Es ist soweit. Der Wettkampf findet heute statt. Es ist kaum zu glauben. Ich bin unheimlich dankbar, dass ich wieder einen Wettkampf machen kann. Ich habe den ganzen Tag ein Grinsen im Gesicht. Ich habe das selbst gar nicht mehr wahrgenommen aber sowohl auf der Rad- als auch auf der Laufstrecke habe ich gehört, wie mein Lächeln kommentiert wurde.
Magische Momente beim Schwimmstart im Langener Waldsee.
Die Sonne geht auf. Alle Starter sind uniformiert mit dunklem Neoprenanzug, Schwimmbrille und Badekappe versammelt. Ein Heli rotiert über der Startaufstellung. Das Bild erinnert mich an Szenen aus Hollywood Filmen, wie eine Armee vor der Invasion. Dann wird noch die Nationalhymne gespielt und schlussendlich hallt der laute Startschuss durch die Luft.
Adrenalin schießt in meine Adern. Noch ist es nicht soweit, es ist ein Rolling start und alle paar Sekunden werden Athleten ins Wasser gelassen. Doch jetzt geht es los, Nervosität überfällt mich kurz und ich zögere einen Moment, wie vor dem Absprung von einem Springturm im Schwimmbad. Dann laufe ich ins Wasser solange bis es tief genug zum Schwimmen ist, ich springe ein paar Mal und direkt nach dem ersten Kraulzug merke ich „Das wird ein genialer Tag!“. Mit dem Neo schwebe ich fast unsinkbar im See.
Zwei Tage zuvor bin ich im Schwimmbad noch unter hoher Anstrengung 1500m geschwommen. In Training war meine Wasserlage immer eine Katastrophe und wenn ich unter vollstem Einsatz mal 1000m in rund 20min geschafft hab, war ich völlig außer Puste und die Beine waren noch Stunden später fürs Radfahren nicht mehr zu gebrauchen. Und das hier heute ist so viel einfacher. Ich kann es richtig genießen.
Als erstes sind 1500m in Angriff zu nehmen. Ich schwimme ruhig und gelassen. Das wichtigste ist, hier mit möglichst wenig Ermüdung wieder rauszukommen, so dass ich auf dem Rad und beim Laufen powern kann. Ich halte daher die Beine einfach nur stabil und schwimme lediglich mit den Armen. Mit den Füßen mache ich ein paar stabilisierende Bewegungen und drehe das Becken leicht hin und her. Ich atme im Zweierzug und habe immer genug Luft. An der Wende werde ich mit dem Sog der vielen Schwimmer fast von selbst um die Boje geschoben. Wie in einem Fischschwarm komme ich mir vor. Und ich fühle mich wohl und sicher im Wasser. Ich versuche auch immer Wasserschatten zu ergattern, aber entweder bin ich zu langsam und komme nicht hinterher oder bin zu schnell und stoße mit den Händen gegen die Füße des Vorderen. Recht schnell sind die ersten 1500m absolviert, ein kurzer Ausstieg aus dem Wasser „australian exit“ und wieder weiter ins Wasser zurück auf die letzten 2300m.
Hier und da mache ich einige Umwege, aber das schwimmen läuft ermüdungsfrei, das ist die Hauptsache. Dann geht die Sonne auf und scheint direkt ins Gesicht. Aber es stört mich nicht. Ich finde es einfach nur schön, diesen Sonnenaufgang zu erleben. Es fühlt sich an wie eine meditative Schwimmeinheit am frühen Morgen im Urlaub. Da ich nicht viel sehe, schwimm ich einfach mit den anderen mit. Das Ufer kommt näher, der Heli und die Moderation sind immer besser zu hören.
Ich steige aus dem Wasser und die Uhr zeigt über 3900m und 1:11h an! Wahnsinn, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich bin noch nie im Training über 3100m hinausgekommen aber im Wettkampf habe ich die Strecke in einer Pace zurückgelegt, die ich bisher nicht mal für 500m im Schwimmbad geschafft habe. Und das Beste war, es hat mich kaum angestrengt.
Die anschließende Wechselzone kostet allerdings sehr viel Zeit. Man muss ein langes Stück berghoch vom See bis zu den Beuteln laufen, den richtigen Beutel schnappen und ins Wechselzelt. Den Neo habe ich auf dem Weg schon aufgemacht, im Zelt habe ich den Neo ausgezogen, es ist schwierig die enge Pelle über die Fußgelenke abzustreifen, dieser muss verstaut werden, der Pulsgurt angelegt werden, der Trisuit richtig angezogen werden. Dazu kommen Waden“sleeves“, Armschoner, Socken, Schuhe, der Verzehr einer Banane, der Lauf zum Rad und damit aus der Wechselzone… Es kommen fast 9min zusammen. Definitiv optimierungsfähig.
Rad
Endlich auf dem Rad rolle ich los. Das Ziel ist in unter 5 Stunden anzukommen.
Zunächst geht es raus aus dem Seegelände mit relativ langsamer Geschwindigkeit. Alle sortieren sich noch. Dann kommt die Bundesstraße und ich nehme Fahrt auf. Der Tacho zeigt über 40km/h an, Puls und Watt sind im grünen Bereich. Die Beine sind frisch, der Puls nicht zu hoch. Alles läuft nach Plan, sogar besser. Bring it on!
Die Geschwindigkeit auf dem Rad hatte mich in der Vorbereitung am meisten beschäftigt. Irgendwann hatte ich mir das Ziel gesetzt auf gerader Strecke 40km/h so lang wie möglich treten zu können. Im Training probierte ich es immer wieder, erst auf dem Rennrad, dann auf dem Zeitfahrrad. Immer schwebte mir diese Zahl im Kopf. Und nun trete ich 40km/h auf gerader Strecke ohne mich überanzustrengen. Die Bedingungen sind großartig, niedriger Luftdruck, Temperatur noch OK und kaum Wind.
Doch von Anfang an bin ich mit Überholvorgängen beschäftigt. Eigentlich eine motivierende Angelegenheit. Aber damit das alles regelkonform abläuft, darf der Überholvorgang nicht länger als 25 Sekunden dauern, man darf also nicht permanent links fahren und man darf auch keine gefährlichen Überholmanöver machen - und Missachtungen werden prompt bestraft. Immer wieder fährt das Motorrad mit dem Kampfrichter an mir vorbei um jemanden zu verwarnen. Gelbe Karte, 1 min Penalty Box, Blaue Karte 5min, Rote Karte Disqualifikation.
Ich habe im Verlauf des Rennens etwa 500 mal überholt. Aber ich verhalte mich so gut ich kann fair, achte immer auf die 12m Abstand zum Vordermann, überhole, reihe mich wieder ein, überhole wieder und so weiter. Kostet natürlich extra Zeit, aber daran denke ich nicht.
Dann kommen recht bald auch die ersten Höhenmeter und die 40km/h sind Geschichte. Ich achte darauf mit dem Puls nicht so hoch zu kommen. Ich hatte mir vorgenommen in der ersten Runde unter 140 zu bleiben. Jetzt merke ich, dass die Wattwerte nicht mehr zum Puls und auch nicht zur Geschwindigkeit passen. Die angezeigten Wattwerte sind zu niedrig und der Wert für die Durchschnittswattzahl sinkt langsam aber kontinuierlich. Zunächst erhöhe ich den effort, aber ich merke, dass es nicht zusammen passt. Also beschließe ich die Wattanzeige zu ignorieren. Ich fahre fortan neben dem Gefühl nur nach Herzfrequenz und Geschwindigkeit. Bei den Anstiegen geht meine Geschwindigkeit auf 30-20kmh runter, ich versuche so lang wie möglich in Aeroposition zu bleiben, aber ich richte mich dann schon mal auf oder mache ein bisschen Wiegetritt. Bergab geht es auch wieder über 50km/h, die Wattzahl geht in den einstelligen Bereich, trotz fleißigem Treten, aber das wollte ich ja ignorieren.
Nun kommt die berühmt berüchtigte Kopfsteinpflasterpassage. Ich hatte mich schon darauf vorbereitet und extra Flaschencages gekauft, die bombenfest halten. Es rüttelt mich vollkommen durch. Meine prall aufgepumpten 23mm Reifen lassen mich elastisch auf und ab hüpfen. Diese Passage ist schwieriger als ich dachte. Zur Überprüfung greife ich nach der hinteren Radflasche, die wirklich sicher sitzt. Aber mit nur einem Arm am Lenker verliere ich die Kontrolle und fahre mit dem Vorderrad links in die Absperrung und komme zum Stehen und raus aus den Pedalen. Zum Glück ist nichts weiter passiert und ich fahre wieder weiter. Beim Stehen wurde ich zum ersten Mal ein paar Mal überholt.
Aber ich schließe schnell wieder auf und bald kommt eine schöne Abfahrt. Die kenne ich von der Hessen Fernsehen Übertragung aus 2019. Kienle und Co. hatten dort Spitzenwerte über 80km/h erreicht und ich komme in der absoluten Spitze auch kurz auf 75km/h. Ich finde das sehr aufregend. Da gefährliche Überholmanöver verboten sind und dann auch schon wieder Kurven kommen, will ich es aber nicht übertreiben. Weiter geht es auf und ab, ich überhole am laufenden Band. An den Verpflegungsstellen schnappe ich mir eine Wasserflasche und schütte sie in mein Trinksystem. Dazu schütte ich immer etwas von meiner selbst gemachten Verpflegung, so dass ich auf 100 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde und genügend Salz und Wasser komme.
Ich genieße die Fahrt. Die Strecke ist abgesperrt, die Sonne scheint, die Felder leuchten in spätsommerlichen Farben, es ist einfach eine wunderschöne Radtour und ich habe heute keine anderen Verpflichtungen als hier und jetzt Rad zu fahren. Bald ist die erste Runde geschafft. Es macht Spaß wieder nach Frankfurt rein zu fahren, denn es geht ganz leicht bergab und ich fahre jetzt auf diesem Teilstück komfortabel über 45km/h. Die zweite Runde ist angebrochen. Puls, Ermüdung, Geschwindigkeit - alles ist im grünen Bereich und konstant. Ich spule die Kilometer runter und bin mittlerweile jenseits der 100 km angekommen. Ich spüre keine nennenswerten Ermüdungserscheinungen, auch die ansteigenden Temperaturen nicht.
Für den Sitzkomfort hatte ich mir aus einer Chinaradhose das Sitzpolster rausgeschnitten und in meinen Trisuit geschoben. Das ist nun verrutscht. Ich werkele an meinem Trisuit, werde langsamer und werde prompt zum zweiten Mal im Rennen ein paar Mal überholt. Das geht natürlich nicht und nachdem alles sitzt, setze ich sofort zum Gegenangriff an um die verlorenen Plätze wieder gutzumachen. Just in dem Moment fährt ein Motorrad an meine Seite und der Kampfrichter erklärt mir freundlich, dass ich "counter overtaking" gemacht hätte und dafür 1min Zeitstrafe kassiere, die ich in der Penaltybox absitzen muss. Nach den Regeln hätte ich mich erstmal 12m zurückfallen lassen müssen. Das ist natürlich ärgerlich. Aber ich akzeptierte es brav und versuche bis zur Penalty Box einen Vorsprung rauszufahren, damit ich durch die Minute nicht viel verliere.
Nach recht langer Zeit kommt endlich die nächste Penalty Box. Ich rufe den Ordnern schnell meinen Namen und die Startnummer zu. Die Ordner waren sehr freundlich und gut drauf und hatten vollstes Verständnis, dass mein Renninstinkt mit mir durchgegangen ist. Die freundlich gestoppte Minute ist ruckzuck vorbei und ich gebe nochmal Gas für den Endspurt nach Frankfurt und habe glaube ich alle wieder eingeholt, die in der Penalty Box vorbeigezogen sind.
Dann sind auch schon wieder die letzten Kilometer nach Frankfurt erreicht und zum ersten Mal im Rennen hab ich das Gefühl, dass die vor mir liegenden Radfahrer genauso schnell fahren wie ich. Daher bleibe ich auf den letzten 5 Kilometern erstmals einfach mal hinter den zwei vor mir Fahrenden und nutze den 12m legalen Windschatten. Und nun rollt es, fast ohne Anstrengung nur so dahin. Mein Puls geht 20 Schläge runter, während ich mit 42-43 km/h Richtung Transition rolle. Nicht schlecht, da kann ich mich schon aufs Laufen einstellen. Mir wird klar, was für einen Unterschied es macht, wenn man die erlaubten 12m Windschatten das ganze Rennen über nutzen kann. Einfach 20min schneller schwimmen und es entsteht eine völlig neue Renndynamik… Nächstes Mal dann. Auf den letzten 1-2km verliere ich aber doch die Geduld und ich lasse es mir nicht nehmen, die beiden vor mir Fahrenden noch zu überholen. Es hat sich einfach „richtig“ angefühlt.
Die Radstrecke ist absolviert. Rund
183 km und über 1600 Höhenmeter in 4:56:25h oder 37km/h
Energetisch und muskulär hatte ich bislang keine Ermüdungserscheinungen und bis zuletzt Kraft. Auch mental kein Tief oder Durchhänger. Das war im Training schon anders.
Laufen
Nach dem Radfahren geht der Wechsel deutlich schneller als nach dem Schwimmen. Ich ziehe meine, seit Valencia 2019 nur in der Rennwoche benutzten, Nike Next Percent an und fliege los. Ich stolpere noch über einen Kabelkanal, reiße mir das Knie blutig auf, bin aber mit einer Rolle vorwärts wieder auf den Beinen und renne weiter voller Adrenalin. Das Publikum beflügelt, es fühlt sich völlig leicht an. Dann merke ich, dass mein Schnürsenkel offen ist, ich halte kurz an um ihn zu binden und renne weiter. Die Pace ist trotzdem bei knapp 4:00min /km. Das ist deutlich schneller als mein Plan.
Eigentlich müsste ich rausnehmen, aber der Puls passt, ich bin knapp unter 150 und der Laufstil ist sehr rund und fühlt sich so easy an. Ich spüre keine Anstrengung. Ich lächle nur und laufe locker weiter. Soll ich wirklich bremsen? Lieber nicht sonst verschlechtert sich noch der Laufstil und es kostet mich vielleicht noch mehr Anstrengung… Nein ich achte einfach nicht auf die Zeit und versuche einen runden Laufstil aufrechtzuerhalten. Das gelingt die ersten Kilometer hervorragend. Das einzige was nervt sind Schmerzen in der Ferse, die ich bei jedem Auftreten spüre.
Im Ziel habe ich später einen größeren Schnitt am Fuß mit einem herunterhängenden Hautlappen vorgefunden (dieser Hautlappen hat sich erst Mitte September gelöst und wurde durch neue Haut darunter ersetzt). Ich denke an Sebi Kienle, der 2019 auch eine Fußverletzung hatte und sich in der Wechselzone hat verarzten lassen. Ich will aber keine Zeit verlieren, laufe weiter und denke dieser Schmerz lenkt mich vielleicht von der Gesamtermüdung ab. Das klappt zunächst alles ganz gut und recht lange. Es sind vier Runden à 10,x km zu laufen. Bei jeder Runde ist der Main zweimal über eine lange Brücke zu überqueren. Die Brücken kosten schon etwas Kraft und Zeit. An einigen Stellen sind auch 180 Grad Wendepunkte eingebaut. Die Pace wird dann automatisch etwas langsamer, aber das ist OK für mich, ich bin ja sowieso zu schnell.
Ich rechne nochmal durch. In der Planung hatte ich mir eine Zeit unter 3:10 für den Marathon vorgenommen, aber eigentlich nicht so wirklich daran geglaubt. Mindestziel war auf jeden Fall die Sub3:20 getreu dem Fadenmotto.
Aber jetzt nachdem ich so gut angelaufen bin, denke ich spontan, dass vielleicht doch eine knappe 3 Stunden Zeit drin ist. Ich nehme mir vor, bis zum Halbmarathon konstant zu laufen und dann schneller zu werden. Nach etwa 6-7km muss ich auch noch kurz das Dixie Klo aufsuchen. Danach bin ich schnell wieder auf der Strecke und überhole die erste Frau. Als Verpflegung will ich alle 30min ein Maurten Gel nehmen. Daran halte ich mich zunächst, nehme schon früher als geplant das zweite Gel. Dann muss ich davon aufstoßen, der Magen rebelliert ein wenig und beschließe in der zweiten Runde spontan stattdessen Cola zu trinken.
Langsam merke ich auch die Hitze. Pünktlich zum IRONMAN Frankfurt ist die Temperatur hochgegangen und auf der Laufstrecke sind 30 Grad Hitze im Schatten. War ja klar, nachdem es vorher eher kühl und regnerisch war. Aber ich war vorbereitet durch den vorherigen Korsika Urlaub und in der Rennwoche hatte ich auch meine legendären Einheiten mit Trainingsanzug gemacht.
Es gibt viele Verpflegungsstellen auf der Strecke, aber die kleinen Becher sind nur halb gefüllt. Ich renne immer durch die Verpflegungsstellen schütte mir, ein, zwei Becher über den Kopf, ein, zwei in den Mund und dann noch ein Eiswürfel in den Trisuit. Ich will auf gar keinen Fall "gehen", zu keinem Zeitpunkt. Aber so schaffe ich es nicht genügend Flüssigkeit aufzunehmen. Trotzdem komme ich gut voran, meine Laune ist weiterhin blendend. In der zweiten Runde laufe ich auf der anderen Seite am Mainufer entlang. Menschen sitzen auf der Wiese und hören Musik. Unvermittelt stimme ich lautstark in den Refrain ein: „Hey das geht ab! Wir feiern die ganze Nacht, die ganze…“ Ich bin längst an der Musik vorbei aber singe immer noch weiter, immer wieder den Refrain, animiere die Zuschauer und gröle lautstark, wie ein Jugendlicher auf Klassenfahrt… Dabei überhole ich einen Mitläufer, der mich völlig entgeistert anschaut. Dadurch wird meine Euphorie etwas gebremst und ich versuch wieder etwas mehr Contenance zu wahren.
Irgendwann ist die Halbmarathonmarke erreicht. Ich liege bei knapp über 1 h 30min. Nun ist der Zeitpunkt im Tempo zuzulegen. Ich versuche es kurz, aber die Kräfte schwinden nun doch etwas. Also nehme ich mir vor, das nun etwas langsamere Tempo zu halten und die letzte 10km Runde als Endspurt zu betrachten. So rette ich mich bis zur vierten Runde. Nun habe ich aber auch keine Lust mehr auf einen Endspurt. Die Hitze, der Durst und die schwindenden Kohlenhydratvorräte setzen mir zu und der Fuß schmerzt bei jedem Schritt. Es wird doch anstrengend und ich sehne mich dem Ende entgegen.
Die Pace wird langsamer. Nun werde ich selbst überholt. Ich kämpfe mich sofort wieder ran, frage nach in welcher AK der Überholer ist. M50. Ich bin beruhigt und lasse ihn zunächst ziehen, aber auch er wird langsamer und ich schließe wieder auf. Es ist ein Hin- und her bis zum Schluss. Was ich erst im Nachhinein richtig realisiere ist, dass mir die fehlenden Gels zusetzen. Die bereitgestellte Cola war zudem noch vom Veranstalter verdünnt. Die Energie aus der Cola hat einfach nicht gereicht. Das war mein größter Fehler beim Lauf.
Dann probiere ich auf den letzten Kilometern die bereitgestellte Red Bull Brause aus und tatsächlich bekomme ich doch nochmal einen Schub. Mein Einbruch war hauptsächlich der Verpflegung geschuldet. Die vierte Runde ist bald zu Ende, ich beschleunige wieder. Die Aussicht auf ein baldiges Finish beflügelt zusätzlich. Jetzt geht alles ganz schnell, Ich laufe über die Brücke, bergab besonders schnell, dann um die Kurve unter der Brücke durch am Mainufer entlang, jetzt muss gleich die Abzweigung zum Römer hoch kommen. Endlich ist das Ziel in greifbarer Nähe. Ich bekomme einen Tunnelblick werde immer schneller, überhole noch den M50er und sprinte so schnell ich kann den roten Teppich bis zum Römer hoch. Die Auswertung zeigt für die letzten 200m eine Pace unter 3:30min / km an.
Im Ziel klopfe ich mir mit den Fäusten auf die Brust wie Eliud Kipchoge in Wien oder wie The Script es besingen „King Kong bangin' on your chest“. Ich schreie laut vor Freude und bin überglücklich angekommen.
Marathon in 3:10
Gesamtzeit 9:31 und Hawaii Qualifikation geschafft.
Ich sag nur: Never stop!
Meine Uhr zeigt 229 km und Battery low…
Nachwort
Für die erste Langdistanz kann ich wirklich zufrieden sein. Zumal ich in der Vergangenheit allein den Gedanken unvorstellbar fand unmittelbar hintereinander 3,8km zu schwimmen, über 180km Rad zu fahren und dann noch einen Marathon zu laufen – womöglich noch in der Sommerhitze. Aber als Ausdauersportler merken wir alle was für ein Wunderwerk unser Körper doch ist und dass man so gut wie alles trainieren kann. Und die Pandemie hat mir etwas mehr Zeit fürs Training eingeräumt und so hatte ich mir dieses Ziel gesetzt. Getreu dem Motto, Never let a good crisis go to waste”, dass man so ein Krise doch nicht ungenutzt verstreichen lassen sollte.
Anders als beim Marathonlauf bestand die Vorbereitung nicht nur aus Laufen, sondern genauso wichtig sind die Aspekte Material, Aerodynamik inklusive unzähliger Tests und Gewöhnung an die Aeroposition, Ernährung, Hitzeakklimatisation, Kleidung, Technik, Taktik und vieles andere mehr… Darin kann man sich wirklich verlieren und exzessiv mit jedem Teilaspekt beschäftigen.
Aber das klassische Ausdauertraining für eine Langdistanz ist auch nicht zu verachten. Meine Idee war so oft und viel wie möglich die „Racepace“ zu trainieren. Zum Glück ist die Renngeschwindigkeit nicht übermäßig schnell, aber dafür muss man sie eine ganze Weile halten können.
Das habe ich oft auf dem Smarttrainer versucht. Der Radtrainer war übrigens ein hervorragendes Tool um an vielen kalten und regnerischen Wintertagen schwitzend im Keller zu sitzen und bei interessanten Videos Kilometer zu absolvieren. Ich hatte nie Probleme mich zu motivieren. Bin gerne auf die „Rolle“. Die Kombination aus Training und Unterhaltung hat mir sehr gut gefallen. Mit dem Ziel vor Augen einmal durch diesen Zielbogen zu laufen und nicht nur einen IRONMAN gefinisht zu haben sondern ein IRONMAN zu sein, war alles noch viel leichter.
Ich hatte den IRONMAN Frankfurt, der für den 27.06.2021 terminiert war, ins Visier genommen. Aber ob der wirklich stattfindet war lange unklar und angemeldet war ich auch nicht. Im April wurde der IRONMAN Frankfurt dann auf den 15.08. verschoben und am 07. Mai habe ich dann über einen Reiseveranstalter noch einen Platz ergattert. Jetzt war ich endlich offiziell angemeldet und damit war es sozusagen amtlich. Die Verschiebung ermöglichte mir mehr Training und insbesondere dem Schwimmtraining war das zuträglich.
An Schwimmen war bis zum Frühling nicht zu denken, die Schwimmbäder zu und die Seen zu kalt. Aber im April öffnete endlich das erste Schwimmbad für Vereinsmitglieder und innerhalb kürzester Zeit war ich Mitglied und konnte mehr schlecht als recht die ersten Einheiten im Element Wasser absolvieren. 3800m schwimmen nötigten mir gehörigen Respekt ab.
Nun ging auch das restliche Training in die heiße Phase und im Mai habe ich unseren Alcano kontaktiert, weil ich gerne einen Sparringspartner für Trainingsfragen haben wollte, der mir fachlich überlegen ist. Möglichst jemand, der anders denkt als ich und auch kritisch drauf schaut. Eigentlich mag ich Kritik überhaupt nicht (wer tut das schon?), aber in diesem Fall war es wirklich eine sehr gute Entscheidung. Alcano war ein hervorragender Ansprechpartner als Coach und hat- wie es so seine Art ist- immer die richtigen Fragen gestellt. Dafür an dieser Stelle nochmal vielen Dank!
Wir haben einige Male Videokonferenzen abgehalten und die Hauptratschläge von ihm waren, die Racepace zu ökonomisieren und alles was im Wettkampf relevant ist, im Training zu testen.
Was weiterhin wichtig war, waren einige wenige Test-Triathlons mit langer Radfahrt und mittellangem Lauf oder allen drei Sportarten hintereinander um Verpflegung, Belastungsgefühl, Material, Puls und Watt zu testen und auszuprobieren. Das gab etwas mehr Sicherheit aber es verblieb trotzdem viel Unsicherheit und Anspannung. Einmal ob das Rennen überhaupt stattfindet und dann wie ich diese ungewohnte Distanz und Dauer durchhalten würde.
Insbesondere Lionel Sanders hat mir etwas Sorgen gemacht, der bei fünf IRONMAN Rennen am Ende nur noch gehend finishen konnte. Ich wollte auf gar keinen Fall „gehen“.
Mein großes Ziel war mittlerweile, den IRONMAN zu racen, ich wollte wirklich ein packendes Rennen haben und gut abschneiden. Wie in jedem Rennen habe ich mir gesagt, dass ich so kämpfen werde, als wenn es das letzte Rennen in meinem Leben wäre.
Als das Rennen wirklich näher kam war die Aufregung kaum auszuhalten. Bis zuletzt hatte ich Befürchtungen, dass das Rennen abgesagt werden könnte, oder ich durch aus irgendwelchen Gründen das Rennen nicht bestreiten könnte. Sei es eine plötzliche Ansteckung, eine Naturkatastrophe das mein Auto am Rennmorgen stehen bleibt oder mein Rad aus der Wechselzone geklaut wird, oder was auch immer.
Am Ende hat alles gut geklappt. Im Nachhinein habe ich schon wieder diverse Optimierungen identifiziert, angefangen bei der Zeit für den Wechsel, das Schwimmen, die Verpflegung beim Lauf, aber auch die Position auf dem Rad hat noch Potential. Aber das ist eine andere Geschichte.
Danke euch allen für den Austausch hier und die gegenseitige Motivation
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