So, dann möchte ich mal meinen Bericht zum Rhein-Ruhr-Marathon 2022 zum Besten geben.
Ich habe es etwas unterteilt, für alle die nur das Rennen an sich interessiert. Ist doch länger geraten als gedacht. Es waren aber auch viele Eindrücke an diesem Tag.
Daher zunächst…
Das Vorgeplänkel:
Ich beginne einfach mal am Vortag. Die Kniebeschwerden der Vorwoche waren fast vergessen. Letzte Zweifel blieben aber, da ich seit dem nur kurze Läufe von maximal 10km absolviert hatte.
Die kamen einfach oben auf den Stapel mit Zweifeln bezüglich meiner grundlegenden Fähigkeit mit 8 Wochen Laufpause und lediglich einem wirklichen LaLa in der Vorbereitung einen schnellen Marathon zu laufen.
Der Samstag verging dank Geburtstag des Juniors und somit Familienbesuch recht zügig.
Beim Kuchen beschränkte ich mich auf Streusel- und Schokokuchen und ließ die Sahnetorte links liegen. Abends verzichtete ich sogar komplett auf die Grillwürste und belegte mein Brötchen einfach mit veganem Mett (selbstgemacht auf Reiswaffelbasis).
Der Besuch blieb auch nicht allzu lange und so konnte ich dann noch in Ruhe alle Sachen zusammenpacken und für morgen soweit alles vorbereiten. Dann ging es gegen 21Uhr mit einer Flasche Maurten Drink und ner halben Tüte Haribo vor den Fernsehen. Konnte dann auch erstaunlicherweise kurz nach 22Uhr einschlafen und schlief wie ein Stein bis zum Wecker, der mich um 4:30Uhr aus dem Schlaf holte. Noch (vermeintlich) 4 Stunden bis zum Start.
Zum Frühstück 3 Scheiben Toast mit Rübenkraut und 1 Tasse Kaffee.
Nochmal gecheckt ob alle Sachen im Auto sind und zur Sicherheit noch ein zweites Paar Schuhe eingepackt, falls ich mich beim Warmlaufen mit den Nike Vaporfly aus irgendwelchen Gründen nicht wohl fühlen sollte. War im Nachhinein unnötig. Aber besser haben als brauchen.
Pünktlich um 5:30Uhr ging es dann los Richtung Sportpark Wedau. Der Wetterbericht versprach Sonne pur und warme, aber nicht heiße, Temperaturen von 17-20 Grad während des Rennens.
Für die ca. 1h Fahrt hatte ich mir noch eine Flasche Maurten Drink gemixt, die ich allerdings nur gut zur Hälfte trank.
Gegen 6:30Uhr erreichte ich mein Ziel und konnte noch fast ganz vorne am Stadion parken.
Die Handbiker und Inliner waren schon in ihren ersten Vorbereitungen und ich ging zur Startunterlagenausgabe. Da war auch noch alles ruhig und ich konnte ohne jegliche Wartezeit die Startnummer holen.
Von da 2-300 Meter rüber zum Schwimmstadion, wo die Umkleiden waren und in Ruhe umgezogen, Startnummer fixiert und mir zu Testzwecken für den Geltransport den Flipbelt übergestreift.
Den werde ich auch wieder nutzen, die Gels „schlackern“ dann nicht so in der Tasche der Shorts.
Für unterwegs hatte ich mir 4 Maurten-Gels eingesteckt.
So langsam machte ich mich dann auf Richtung Startbereich, wo auch die Kleiderbeutelaufbewahrung zu finden war.
Noch eine Stunde bis zum Start, etwas früh zum warmlaufen, also erstmal zum Dixie und danach Startaufstellung inspiziert, um etwas Zeit totzuschlagen.
Mein Warmup bestand dann aus etwas Jogging und ein paar Steigerungen auf Marathontempo.
Dann wollte ich mir den Start der Handbiker um 8Uhr und der Inliner kurz danach anschauen.
Aber daraus wurde erstmal nichts. Paar Experten hatten wohl Nachts noch in schmalen Strassen ihre Autos abgestellt, die erstmal beseitigt werden mussten. Waren wohl ein paar mehr, denn das Ganze führte zu fast einer Stunde Verzögerung.
Angekündigt wurde dann auch, dass sich dadurch der Abstand zwischen Marathon- und Halbmarathonstart von 90min auf 60min verkürzt. Hört sich erstmal nicht tragisch an, sorgt aber bei der Streckenführung dazu, dass ich mit meiner Zielzeit nicht mehr vor allen Halbmarathonis auf die letzten, wieder gemeinsam von Marathonis & Halbmarathonis gelaufenen 14,7km gehen würde, sondern auf das komplette Halbmarathonfeld von hinten auflaufen würde. Das machte mir zu dem Zeitpunkt etwas Sorge, aber da wusste ich ja auch noch nicht, dass ich das Führungsfahrzeug zum Freiräumen der Strecke zur Verfügung haben sollte.
Die Zeit der Verzögerung stand ich, abgesehen von einem ziemlich unnötigen Dixiebesuch im Bereich des Startbogens und wartete darauf, dass es endlich losgeht, denn nach Handbiker und Inlinern sollte es dann auch recht schnell für die Marathonis losgehen und nicht der geplante 30min Abstand eingehalten werden.
Die Temperatur war zum einen doch etwas höher als angekündigt und die Startverzögerung tat ihr Übriges dazu und so herrschten dann doch knapp 20° zum Start.
Nachdem dann endlich Handbiker und Inliner unterwegs waren, stieg die Anspannung sprunghaft an. Ich sortierte mich einfach mal selbstbewusst in der ersten Reihe der Startaufstellung ein, was ehrlich gesagt fast gar nicht anders ging, da in Reihe 3 schon der 3:00h Pacer stand. Dahinter wäre ich wohl doch falsch gewesen. Die Warterei beschränkte sich dann, aufgrund des gestrafften Zeitplans, auf ein Minimum und nach bereits 2-3min ertönte der Startschuss und das Feld stürmte los.
Das Rennen:
Der Start auf der recht breiten Kruppstraße ist bei dem kleinen Läuferfeld von gut 550 Teilnehmern für den Marathon natürlich höchst komfortabel. Ich lief eher auf der rechten Straßenseite und hatte keinen Läufer vor mir, nur neben mir ging es im gleichen Tempo los. Ich rechnete aber jeden Moment damit, dass sich ein mehr oder weniger großes Grüppchen ziemlich schnell nach vorne absetzen würde. Nach 100-150m schaute ich zur Tempokontrolle auf die Uhr: 3:4xmin/km, flott und am oberen Ende dessen, was ich laufen wollte, aber nicht so schnell, dass man reguliert eingreifen müsste. Das Gleiche taten wohl auch meine Mitstreiter, schätzten ihr Tempo dann aber wohl als zu schnell ein, denn auf einmal merkte ich wie sich die neben mir befindlichen Läufer hinter mir einreihten. Schon ein komisches Gefühl vorne weg zu laufen. Das waren tatsächlich die ersten Führungsmeter bei einem Wettkampf in meiner Läuferkarriere. Hätte mir zu dem Zeitpunkt einer gesagt, dass sich dieser Umstand bis ins Ziel nicht mehr ändert, hätte ich wahrscheinlich vor lauter Lachen anhalten müssen.
Inzwischen war ich auf das Führungsauto und die zwei Radfahrer, die für die Begleitung der beiden Gesamtführenden (Männer/Frauen) zuständig waren, aufgelaufen und mit jedem Schritt wurden die Geräusche der Konkurrenz etwas leiser. Nochmal ein Blick auf die Uhr, der offenbarte, dass ich nach wie vor im gleichen Tempo wie zuvor unterwegs war, also einfach weiter so. Fühlte sich für den Beginn eines Marathons richtig an, nämlich viel zu locker. Die Pulsanzeige bestätigte das Gefühl und zeigte einen Wert noch deutlich unter normalem MRT-Puls an.
Kilometerschild 1 verpasste ich natürlich, aber bei km 2 standen 7:27min zu Buche und vom restlichen Feld war nichts mehr zu sehen oder hören. Einer der Radfahrer setze sich neben mich und begann ein kleines Gespräch. Er wollte wohl abchecken, ob ich da wirklich im richtigen Tempo unterwegs bin, oder mir gleich schon die Luft ausgeht.
Nachdem geklärt war, dass ich vorhatte das Tempo möglichst bis zum Ende zu laufen, folgte noch etwas läuferischer Smalltalk und es wurde meine „Versorgungsstrategie“ besprochen. Er wirkte etwas überrascht, dass ich weder Support an der Strecke, noch Eigenverpflegung deponiert hatte..
Mein redseliger Begleiter musste sich dann zurückfallen lassen, da er für die führende Frau zuständig war, gab seinem Kollegen aber noch ein paar Instruktionen mit auf den Weg.
Ich war ja ein recht pflegeleichter Fall. An jeder Station holte er mir einen Becher Wasser und später auch mal einen Wasserschwamm. Schon ein netter Service an den man sich gewöhnen kann.
Es ging vorbei an der Innenstadt und dem Stadt-Theater. Es folgte der Innenhafen und bei km 5 standen 18:25 (3:41min/km) auf der Uhr
Kurz vor km 7 ging es vorbei an unserem Büro und über die Ruhr.
Ich horchte in mich hinein, aber alles war unverändert im grünen Bereich. Gefühl gut, das vor 2 Wochen noch zickende Knie gab auch keine besorgniserregenden Signale von sich. Also einfach immer weiter. Das Tempo pendelte sich im Bereich 3:45-3:50 ein. Puls immer so bei 84% Hfmax.
Ich überlegte das Tempo vielleicht etwas anzuziehen, aber die Zweifel über meine „Tempohärte“ jenseits km30 hielten mich davon ab. Rückblickend betrachtet war das sicher eine sehr gute Entscheidung. Ich beschloss also das gefundene Tempo zu halten und einfach jeden Führungsmeter zu genießen. Ich rechnete noch fest damit, dass sich dieser Zustand früher oder später noch ändern würde.
Richtung km 10 verläuft die Strecke durch den Hafen und somit praktisch ohne Zuschauer am Rand.
Das Führungsauto spielte daher etwas Musik zur Motivation.
An der 10km Marke zeigte die Zeitmessung 37:24min, die zweiten 5km waren mit einer Pace von 3:48 somit etwas gediegener.
Nach zwei weiteren km endete die „Hafen-Tristesse“ und in Meiderich waren wieder Zuschauer in ordentlicher Zahl an den Straßenrändern. Dort musste ich dann noch ein paar Extra-Meter laufen, um eine Reihe von ausgestreckten Kinderhänden abzuklatschen.
Extra-Motivation gaben dann auch die fortwährenden Durchsagen aus dem Führungsfahrzeug, die den ersten Läufer des Marathons ankündigten. Da kam mir jedes Mal eine leichte Gänsehaut.
Ich näherte mich so langsam der Distanz bei der ich vor genau 10 Tagen einen einfach Dauerlauf wegen Knieschmerzen abbrechen musste, um 6km nach Hause zu gehen. Mental war das Überwinden dieses Punktes ohne etwas vom Knie zu merken nochmal sehr wichtig. Ich redete mir ein, dass nach 14km MRT das Knie genug Zeit hatte, irgendwelche Blessuren zu melden und jetzt einfach ruhig seine Arbeit zu verrichten hatte.
Das Rennen war jetzt 1 Stunde alt und nur wenige Sekunden später war ich bei km16 angelangt. Der Kopf rechnete unbewusst hoch: 32km dann bei 2h… für sub 2:40 dann nur noch 10km in ca.39min…
Solche Zahlenspiele so früh im Marathon sind natürlich ziemlicher Blödsinn.
Es ging durch Ruhrort und Richtung erster „Steigung“ Es ging zum ersten Mal über den Rhein und es galt auf der Brücke (und dem Weg dazu) ca.20HM auf gut 1km zu überwinden (Nicolas kringelt sich gerade vor Lachen, dass ich euch das als Steigung verkaufen möchte).
Allerdings war dies dann der erste km mit einer 4er pace, was mich innerlich doch irgendwie beunruhigte. Auch, wenn einige der „verlorenen“ Sekunden natürlich auf dem Weg die Brücke runter Richtung Homberg wieder aufgeholt wurden.
Homberg war dann emotional wieder sehr bewegend. Dort ist immer ein Zuschauer-Hotspot in der kleinen Fußgängerzone mit super Stimmung und nur wenige Meter davon entfernt, bin ich 9 Jahre zur Schule gegangen. Dort als führender des Marathon durchzulaufen war einfach was Besonderes.
Die Strecke biegt dann Richtung Süden ab und führt am Rhein entlang, ein kurzes Stück über den Deich und man passiert die HM-Marke praktisch genau unter der A40-Rheinbrücke, bzw. der Großbaustelle des Brückenneubaus. Sonst kenne ich nur die Perspektive von oben, wenn es ins Büro geht. Die Zeittafel beim HM zeigte 1:19:50 und die Erkenntnis reifte, dass sub 2:40 heute wohl eine schwierige Angelegenheit wird. Ich fühlte mich nicht mehr so frisch und die Temperaturen jenseits der 20° in Verbindung mit überwiegend Sonnenschein, versprachen eine anspruchsvolle zweite Rennhälfte. Irgendwo auf den nächsten 2-3km nahm ich dann eines der vier mitgeführten Maurten-Gels ein. Das Zeug ist echt optimal, wenn man die Konsistenz mag. Es klebt nix, man braucht kein Wasser zum nachspülen, es ist nicht so penetrant süß. Ich werde wohl nichts anderes mehr zur Wettkampfverpflegung nehmen. Überdenken sollte ich vielleicht die Häufigkeit der Einnahme. Dieses Gel sollte nämlich das erste und letzte sein. Von den Verpflegungsstellen nahm ich auch keine Kohlenhydrate (Iso/Cola), sondern immer nur Wasser, von dem ein Großteil über den Kopf geschüttet wurde und anschließend 1-2 Schlucke den Weg in den Magen fanden.
Weiter ging es am Rhein entlang und mit einem kleinen Abstecher durch Rheinhausen Richtung Brücke der Solidarität (Die dieses Jahr auch das Finishershirt ziert) und somit zum zweiten Mal über den Rhein. Diesmal etwas langgezogener mit nur wenig Steigung, bei schon 26/27 km in den Beinen dann aber doch irgendwie zermürbend. Naja, zum Bergläufer werde ich dieses Läuferleben wahrscheinlich nicht mehr.
Kurz nach der Brücke in Hochfeld kommt es dann wieder zum Zusammenschluss der Marathon- und Halbmarathonstrecke (km 27,5 für den M, bzw. km 6,4 für den HM)
Durch die Startverzögerung und die dadurch nötige Änderung des Zeitabstandes, traf ich dort dann auf die Halbmarathonis mit ca. 7er pace. Unter normalen Umständen wäre ich dort vor dem HM-Sieger durch. Durch das Führungsfahrzeug und eine dauerklingelnde Radbegleitung kam ich natürlich ohne irgendwelche Zwischenfälle/Behinderungen durch das Halbmarathonfeld hindurch.
An den Versorgungsstellen wurde es für meinen treuen Radbegleiter natürlich jetzt etwas hektischer Wasser zu besorgen, aber er meisterte das jedes Mal.
Erfreulich und gleichermaßen motivierend waren auch die Anfeuerungen der Läuferkollegen und durch die schnell wachsende Läuferdichte kam dann doch noch etwas „klassisches Wettkampffeeling“ auf nach fast 30km Solo-Lauf. Die 30er Marke bei 1:54:09 (3:48min/km) sollte dann auch sowas wie der Wendepunkt des Rennens werden.
Denn fast wie zu erwarten/befürchten war, offenbarten sich doch die Defizite der Vorbereitung: Die fehlenden LaLas und marathonspezifischen QTE.
Es ging hinein in den Duisburger Süden und die pace rutschte in den Bereich 3:55-4:00. Und es waren noch 10km zu bewältigen. Vom Herz-Kreislaufsystem wäre noch Luft gewesen, aber die Muskulatur war am Anschlag. Zweifel kamen auf. Sollte es das gewesen sein? Über 30km an der Spitze und dann der Einbruch? Was mit „einfach ein paar Führungskilometer mitnehmen“ begann, war jetzt doch in scheinbar greifbarer Nähe. Der Gesamtsieg beim Marathon in der Heimatstadt. Ich verfluchte mich nochmal innerlich für meine eigene Blödheit, die zum Zehenbruch führte. „Ohne den wärst du jetzt wahrscheinlich deutlich fitter“. Aber was tun? Weiter pushen und Krämpfe riskieren? Dann wäre eh alles vorbei. Der Zuruf eines Halbmarathonis riss mich aus den Überlegungen: „Zieh durch, hol dir das Ding.“ Eigentlich ganz einfach und auch gar nicht so verkehrt. Ich beschloss die Situation zu akzeptieren wie sie war und einfach nach Gefühl eine pace zu laufen, von der ich dachte, dass sie mich zumindest laufend ins Ziel bringt. Was dann am Ende für eine Platzierung dabei rausspringen sollte, lag nicht in meiner Hand. Irgendwie war dieser Gedanke befreiend und das Kopfkino war damit beendet.
Km 35 war dann bei 2:13:49 erreicht. Die letzten 5km gingen nur noch in knapp sub20 weg und der nächste und letzte kleine Anstieg warteten. Wieder nur lächerliche 12HM einer Autobahnbrücke, aber die Oberschenkel brannten und die pace sackte in den 4er Bereich ab. Das sollte sich auch bis zum Ziel nicht mehr ändern. Die Strecke führte jetzt wieder Richtung Norden und dem Sportpark Wedau entgegen. Es war warm, die Oberschenkel wollten nicht mehr. Erste Anzeichen von Krämpfen machten sich bemerkbar. Ich hatte den Sieg schon ein Stück weit aufgegeben. Jeden Moment würde von hinten der nächste Marathoni angerauscht kommen und sich kurz vor Schluss den Triumph sichern. Es ging vorbei an der Sechs-Seen-Platte. 40km waren geschafft. Gleich im Ziel. Der letzte 5km Split: 20:17. Die Stimmung wurde besser. „Diese letzten verdammten Meter schaffst du jetzt auch noch.“ Rauf auf den Kalkweg, das Stadion schon fast in Sichtweite. Km41, Abzweig in den Sportpark, vorbei an Sportplätzen und Wassersportanlagen. Vor mir das Stadion, nur noch einmal quer über den Parkplatz. Man hört schon die Musik/Moderation im Innenraum. Führungsauto und Radfahrer halten sich links, ich biege nach rechts in den Tunnel ab. Laute Musik, Beleuchtung. Es geht 1-2HM bergab, ich nutze dies um nochmal etwas Schwung zu holen. 2-300m noch. Auf der anderen Seite des Spielfeldes steht der Zielbogen. Aber ich muss den „langen“ Weg außen rum. Ich beschleunige nochmals, wenigstens in angemessener pace ins Ziel einlaufen und nicht riskieren doch noch überholt zu werden. Und falls doch, muss ich mir keine Vorwürfe machen, auf den letzten Metern nicht alles gegeben zu haben. Keine Idee wieviel Vorsprung ich auf den Zweitplatzierten habe. Gefühlt sitzt er mir seit km30 im Nacken. Die letzten zwei Kurven, Slalom um ein paar Halbmarathonis. Noch 50m, dann darf ich stehen bleiben. Das Zielband wird ausgerollt, einen letzten kleinen Zielsprint in 3:30er pace quetsche ich aus den malträtierten Beinen. Ich reiße die Arme nach oben und bin im Ziel. Als Erster Marathoni am heutigen Tag. Dann fast noch langgemacht, weil sich die Füße irgendwie im Zielband verhedderten. Ging dann aber noch soeben gut. Irgendwer warf mir ein Handtuch über die Schultern. Und ich ging mit zitternden Beinen erstmal an die Bande und lehnte mich an, um nicht zu Boden zu gehen. Erstmal wieder zu Atem kommen.
Und dann ging der komplett surreale Teil des Tages los:
Das Nachspiel:
Schon standen 4-5 Fotografen um mich rum und knipsten was das Zeug hielt. Von der Seite kam der Moderator an und fragte, ob ich schon ein paar Worte sprechen könnte. Ich schaute durchs Stadion und mir kamen erstmal die Tränen. Sämtliche Anspannung, die sich das Rennen über aufgebaut hatte, fiel mit einem Mal von mir ab.
Der Moderator stellte 2-3 Fragen. Ich weiß gar nicht mehr genau was. Wie das Rennen war und das mich ja keiner auf dem Zettel hatte und wo ich überhaupt her komme. Eine Duisburger Zeitung sollte am Montag den Lokalsport mit der Schlagzeile: „Der Überraschungssieger aus Kalkar“ versehen. Und das trifft es. Überraschend für alle, vor allem mich selbst.
Knapp 4 Minuten nach mir kam der Zweite ins Ziel und ich war ehrlich gesagt froh, dass sich Moderator und Fotografen sogleich auf ihn stürzten und ich meine Ruhe hatte.
Ich ging den Nachzielbereich weiter durch, erhielt meine Finishermedaille und jemand vom Orga-Team nannte mir den Zeitpunkt der Siegerehrung. Es galt knapp 45min zu überbrücken. Also erstmal zur Verpflegung und ein paar Cola genehmigen. Auf dem Weg dahin fing mich schon der erste Journalist ab, für ein kurzes Interview. Dann waren aber erstmal sämtliche Pflichten erledigt und ich setzte mich mit einem Getränk auf den Rasen, den sonst mein geliebter MSV (in letzter Zeit leider wenig erfolgreich) bespielt. Ich bekam das Grinsen glaube ich gar nicht mehr aus dem Gesicht.
Ich erinnerte mich an meinen ersten Marathon. 2016, kam ich an gleicher Stelle nach knapp 3h ins Ziel und verfolgte nur wenig später die damalige Siegerehrung mit dem Gedanken: „Das wäre ein Traum, einmal hier auf dem Treppchen zu stehen. Aber dafür bist du eh zu langsam und so schnell wirst du auch nie werden“ Und schon war der „Tagtraum“ vorbei.
Jetzt, 6 Jahre später sollte ich gleich das oberste Podest betreten. Ich konnte es einfach nicht fassen. Wieder kullerten Freudentränen. Kurz vor der Siegerehrung wechselte ich noch ein paar Worte mit dem Drittplatzierten, der aus der Schweiz kam. Und dann ging es auch schon los.
Erster Gedanke beim Blick auf das Podest mit der 1: Sch… ist das hoch, wie kommst du da mit deinen lahmen Beinen eigentlich rauf? Habe mich dann für die Variante mit Umweg über die 2 entschieden, sicher ist sicher.
Ich nahm Urkunde, Blumenstrauß, ein weiteres Handtuch und natürlich den Siegerpokal entgegen. Zum Glück gab es nicht noch mehr, so langsam gingen mir die Hände aus.
Nach der Siegerehrung machte mich der Organisator dann noch auf eine Pressekonferenz aufmerksam, die in ca. 45min im VIP-Bereich des Stadions stattfinden sollte.
Genug Zeit den ganzen Kram zum Auto zu bringen und auf dem Weg Finishershirt und Kleiderbeutel einzusammeln. Mit dem ganzen Gepäck ums Stadion rum zum Parkplatz, kurz umgezogen und Sachen sortiert. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass ich mich dann so langsam auf den Rückweg machen sollte. Wer will schon zu spät zur Pressekonferenz kommen?
Auf dem Weg noch einen alten Schulfreund getroffen, der heute bei einer Staffel gestartet ist und bisschen gequatscht. Jetzt musste ich mich aber sputen. Am Eingang zum Nachzielbereich wollte man natürlich die Startnummer sehen, ohne diese kein Einlass. Startnummer war noch sicher befestigt am Laufshirt… im Auto.
Also nochmal schnell (ja, ihr wisst wie schnell man nach einem Marathon durch die Gegend flitzt…) ums Stadion, Nummer holen und wieder zurück.
Das Ganze fand im 2.OG statt, zum Glück gab es einen Aufzug und ich kam auch nur knapp 10min zu spät. Kurz entschuldigt und das gut funktionierende Sicherheitskonzept gelobt.
Das Pressegespräch war dann relativ uninteressant, ihr kennt den Bericht ja, wenn ihr bis hier durchgehalten habt.
Die Frage, ob ich nächstes Jahr zur „Titelverteidigung“ antreten würde, musste ich mit Verweis auf das Austragungsdatum (11.06., also genau am Geburtstag des Juniors) erstmal offen lassen.
Das darf in letzter Instanz mein Sohn entscheiden, ob er den Vormittag auf mich verzichtet mag.
Die Analyse:
Tja, was bleibt zu sagen bei einem Gesamtsieg. Ich sollte ja rundum zufrieden sein.
Aber als selbstkritischer Mensch muss man auch den Finger in die (kleinen) Wunden legen. Gerade mit etwas Abstand und auch, wenn die positiven Seiten bei Weitem überwiegen.
Und da muss man natürlich zugeben, dass der Sieg mit dieser Zeit einfach dem (in der Spitze) schwach besetzten Lauf geschuldet war. Auf der anderen Seite: Wer nicht startet, kann nicht gewinnen und ich war an dem Tag der schnellste Mann an der Startlinie.
Mit der Zeit bin ich, aufgrund der Umstände, zufrieden. Bestzeit um 57s verbessert, allerdings zum ersten Mal mit Carbonschuhen. Dafür war es mit gut 20 Grad auch 10 Grad wärmer und deutlich sonniger. Was da jetzt welchen Effekt hat wäre reine Spekulation.
Die Vorbereitung war alles andere als optimal. Auf den Tag genau 20 Wochen vor Wettkampf kam der Zehenbruch und 8 Wochen Laufpause, danach 4 Wochen langsamer Umfangsaufbau (40, 50, 55, 66WKM) und dann 6 Wochen richtiges Training(100-130WKM), bevor 2 Wochen Tapering extrem (wegen Knieproblemen) folgten (34 & 82WKM inkl. Marathon). In dieser Zeit machte ich einen 30er LaLa und 3x24km MLR.
Längster Abschnitt MRT im Training: 2,4km und knapp 12km in der gesamten Einheit.
Man darf das Training ruhig spartanisch nennen und das habe ich auf den letzten 10km zu spüren bekommen. Dafür war der Split (1:19:50 – 1:23:17) noch einigermaßen im Rahmen. Natürlich weit weg von gleichmäßig oder gar leicht negativ, aber ein richtiger Einbruch sieht auch anders aus.
Die Hf war den ganzen Lauf über relativ konstant bei um die 84% (164bpm). So gesehen gab es also ab km30 einen Drift, der sich in langsamerer pace niederschlug. Insgesamt war der Puls im Schnitt auch 4-6bpm niedriger als bei vergangenen Bestzeit-Marathons. Könnte auch auf das noch vorhandene Potenzial hindeuten.
Ich denke, dass mit einer normalen Vorbereitung eine deutliche sub 2:40h auf jeden Fall machbar ist.
Und das ist auch das Ziel für den Herbstmarathon. Denn da (egal wo ich jetzt starte) werde ich definitiv nicht nochmal um den Sieg mitlaufen. Das wird wohl eine einmalige Geschichte bleiben, was es umso schöner und besonders macht.
Zum Schluss noch ein paar Impressionen:
https://photos.app.goo.gl/roWtsdQtdm65D4w4A