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Aller Anfang ist schwer

Aller Anfang ist schwer

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Oder: Kopfkino oder ein Mutmacher der anderen Art

Nach satten 10 Jahren nahezu ohne Laufen, hatte mich plötzlich die Idee gepackt einen Marathon zu laufen. Schon vor zwei Jahren hatte ich ein Angebot bekommen für einen Lauf, der so durchgeknallt war, daß ich ersthaft darüber nachgedacht hatte. Aber ohne Training und mit 40 KG Übergewicht, hätte ich problemlos an einem Sumoringkampf teilnehmen können, aber sicher nicht an einer Laufveranstaltung.

Na ja, heute bin ich wohl im s. g. Normalgewicht und ich fühle mich sehr gut. Krankheit überstanden, ich lebe. Was will ich mehr. :teufel:

So langsam kann ich sogar wieder mit dem Lauftraining beginnen. Und ja, ich will einen Marathon oder Ultra laufen, als Geschenk für mich. Einzige Bedingung: Ich darf ihn noch nicht gelaufen haben. Also irgendetwas Neues. Als, USA-Fan wird es wohl einer in den Staaten werden. Aber vor dem Marathon hat der liebe Gott doch irgendetwas anderes gesetzt... Richtig: Training:

Heute also mein erstes Lauftraining seit Monaten auf dem Laufband. Ziel: 5 Km ohne auf die Nase zu fliegen, umzuknicken oder mit dem Fuß hängen zu bleiben. Geschwindigkeit spielt keine Rolle, sondern es geht darum möglichst "sauber" zu laufen. Und um den Ganzen auch etwas mehr Herausforderung zu geben: Gelaufen wird ohne Orthese. Kann gut gehen, muss es aber nicht.

Also, rauf auf das Laufband und mir fallen die ersten 200 Gründe ein, es doch auf "später" zu verschieben. Geplant ist mit 9,1 Km/h zu starten und dann über die Zeit auf 12 Km/h zu kommen. 5 KM kommen mir plötzlich verdammt weit vor, und ich überlege schon, wie ich das ohne Gesichtsverlust auf 3 KM drücken kann. Nichts da, auf gehts.

Zum Anfang geht es ganz gut, Schultern halten, Becken nicht abfallen lassen, Behinderung mit dem rechten Arm ausbalancieren. Links sauber aufsetzen, soweit es eben geht. Kniehub, Schleuderbewegung und rausdrücken und weiter. Es geht, 9,3 Km/H... und ich gerate langsam ins Träumen. Nein, bloss nicht träumen, dann fliegst Du ganz sicher, konzentrieren. Der erste Kilometer ist vorbei und ich Laufe noch immer brav weiter. Das Kopfkino setzt ein:

"Nur noch 99 Kilometer höre ich Horst neben mir sagen, der meine Hand drückt und ich würde doch so gern ins Bett gehen. Wer legt eine Startzeit für 100 KM bloss auf 22 Uhr? ICH BIN MÜDE!!! Offenbar habe ich eine masochistische Art mich zu motivieren. Warum nur denke ich ausgerechnet jetzt an das Fiasko in Biel?"

Ich schrecke aus meinem Kopfkino auf: Hossa, nur nicht an soetwas denken, denn sonst wird das hier nie etwas. Wir kämpfen hier in einem Tempo die 5 KM runter, die für den 100er geplant waren. Und soetwas habe ich wirklich gemacht? ich bin depremiert, als ich sehe, daß die 2 KM erreicht sind, ich aber schon erste Flüchtigkeitsfehler beim Laufen mache. 9,7 Km/h und weiter geht es. Ziele setzten. In kleineren Abschnitten denken und auf die Halbzeit freuen. Erfolgserlebnisse suchen, was mich wieder zum Kopfkino bringt:

"Ich renne hinter meiner Gegnerin her und habe nur meinen Trainer im Kopf: Du musst hinter ihr bleiben, egal wie, sie wird einen Fehler machen. Leicht gesagt, der Frau fehlt eine Hand und ein Stück vom Unterarm, während ich über meine eigenen Beine stolpere. Aber ich bin stark, gut trainiert, gut eingestellt und heute ist sie fällig. Ich will den Titel!"

Das Laufband zeigt die 3 KM-Marke und und stelle autmatisch weiter hoch, in dem sicheren Gefühl, das Ziel nicht zu erreichen und leer auszugehen, wie damals, wohin mich das Kopfkino gleich zurück bringt.

"Sie ist fast 300 Meter vor mir. Ich höre die Glocke für die letzte Runde und erinnere mich daran, daß ich nie, nie wieder so einen kurzen Mist laufen wollte. Aber dieser Titel fehlt mir und ich will ihn. Und auch wenn die Behinderungen nicht vergleichbar sind: Ich will diesen Gottverdammten Titel und außerdem: NOT IN MY HOUSE!!! Es ist meine Trainingsbahn und nicht schon wieder! Die Glocke läutet auch für mich und mich und ich mache was mein Trainer mir gesagt hat: Ich haue alles raus, auch mit der Gefahr nicht das Ziel zu sehen. Was sollte ich schon verlieren, außer noch einer Silbernen."

Wow, das Laufband zeigt 4 KM an. Ich gehe auf 10 km/ und kurze Zeit später von 10,5 auf 11 Km/h. Ich merke, wie es mir immer schwerer fällt und ich schon jetzt langsam an meine Grenzen gerate, ganz wie damals.

"Ich bin auf der Gegengrade und höre Stimmen, aber mir will nicht ins Hirn was da passierte. Ich drehe mich um und suche die Mädels hinter mir, da ich erst dachte, ich würde noch überrannt. Aber mein alter Trainerfuchs hatte Recht, vorm Ziel ist liegt meine Gegnerin. Die Eindrücke überfluten mich und ich werde langsamer, 100 Meter von ihr enfernt."

11,5 Km/h mehr geht nicht, da ich ohnehin schon Sorgen habe, ob ich gleich kolabiere oder schon aus Trotz tot umfallen würde. Noch mehr Angst hatte ich zu stolpern. Ich gebe alles und will meinen ersten Sieg über mich selbst auf dem Weg zu meinen nächsten Marathon.

"Sie liegt da und ich bleibe stehen. Helfer kommen und sie wankt unter Hilfe ins Ziel. Innerlich Jubel ich, da es mein Sieg ist, denn Hilfe ist so nicht erlaubt. Das sahen die Offziellen anders und meine Gegnerin nahm den Titel. Einer Hamburger Tageszeitung war das eine Randnotiz wert und ich habe keinen Protest eingelegt. Mein Bestes 5.000 Meter-Rennen wurde für mich die bitterste Niederlage meiner gesamten Karriere. Aber am Grünen Tisch will ich keinen Titel gewinnen. Ich hätte ja nur durchziehen brauchen, habe ich aber nicht. Warum auch immer."

Noch 200 Meter und ich habe es geschafft. Neben mir lächelt eine Frau und zeigt mir den Daumen. Ich gebe alles und hatte mir fest vorgenommen noch 10 Minuten auszulaufen. Ich habe wohl noch nie für so einen langsamen 5.000 Meterlauf so gekämpft. Und es wurde zu einen meiner größten Siege.

Der Anfang ist gemacht. Jeder Marathon beginnt mit einen ersten Schritt und meiner war eben heute auf dem Laufband. Übrigens war ich heute locker 10 Minuten langsamer als damals. (Zwar bin ich im letzten Jahr schon einmal wieder draußen gelaufen, aber das zähle ich mal nicht, weil danach nichts mehr folgte.)

Warum habe ich das geschrieben? Ich werde im Moment viel im Freundeskreis gefragt, wann und wo ich mir "meinen" Marathon gönnen will. Und sage immer, daß das ein ganz, ganz harter Weg wird. Damals war ich ein anderer Mensch. Heute will ich den Weg zum Marathon genießen aber auch sicher und locker ins Ziel kommen. Ich habe die gleichen Selbstzweifel und Ängste wie viele Anfänger und dazu auch noch das Kopfkino, wo viele, viele Läufe abgelegt sind und wahrscheinlich zum unpassensten Augenblick hochkommen werden. Das wird noch eine Menge Stürze, Tränen und Flüche geben, aber einfacher war der Weg damals auch nicht.

Da ich weiß, daß aus meinem Umfeld ein paar Leute hier mitlesen, auch an dieser Stelle nochmals meinen Dank an diese Personen, ohne die ich ganz sicher nicht noch einmal zum Laufen gekommen wäre.

Und bevor irgendwelche Missverständnisse auftauchen: Ich gehe auf die 50 zu und will nur einen Marathon für mich laufen. Nie wieder Marathonläufe sammeln, sondern ein paar genießend laufen. Vom Leistungssport mal ganz zu schweigen. Ich habe einen solchen Overkill an Menschen und Eindrücken erlebt, daß ich diese Reizüberflutung ganz sicher nie wieder erleben möchte. Auch wenn ich die Reaktionen heute noch lustig finde, wenn ich jemanden sage, daß ich 43 Marathonläufe im ersten Laufjahr hingelegt habe. :hihi:

Also, Liebe Anfänger, Schuhe an und auf geht es.

Es grüßt

Die Hobbyjoggerin.
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